Manafonistas

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2017 23 Okt

Die alte Traumtheorie der Senoi

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 4 Comments

 

Es waren Jon Hassells Begleittext zu seinem Album „Dream Theory in Malaya“ und ein Artikel von Prof. Paul Tholey, die mich früh in dem Achtzigern auf die Spur der luziden Träume brachte. Es öffnete sich eine Erfahrungswelt jenseits meiner Vorstellungskraft, und das, obwohl ich in der Schlaf- und Traumforschung sowie Traumdeutung einiges an Ausbildung und Praxis gesammelt hatte. Damals wurde das Feld des luziden Träumens nur an einer kalifornischen Universität erforscht, von Stephen LaBerge, in Deutschland von Tholey an der TU Braunschweig, später kurz in Frankfurt. Jetzt komme ich auf den Punkt.

 

Trotz meiner nicht so bescheidenen didaktischen Fähigkeiten scheinen die wenigsten Menschen, denen ich von luziden Träumen (synonym mit Klarträumen) erzähle, zu begreifen, was Klarträume sind, selbst wenn ich es anschaulich ausführe, mit Beispielen, mit einfachsten Analogien. Wieso? All diese Menschen sind überdurchschnittlich intelligent, wissbegierig und neugierig. Ich glaube, es gibt eine Sperre, sich ausserhalb der eigenen „Konzepte“ zu bewegen. Man verschliesst sich dem Neuen, weil man schon ver-schlossen ist, in den Schwungrädern eigener „patterns“ aufgehoben. Das passiert natürlich auch mir. Hätte ich begriffen, was mir vor drei Jahren ein kluger Kopf von Bitcoins berichtete, hätte ich 5000 Euro investiert und wäre heute locker Millionär. Kein Scheiss.

 

Folgendes Unverständnis erntete ich im Laufe der Jahre: luzide Träume seien wie LSD nehmen, luzide Träume seien besonders intensive Träume, luzide Träume seien wie Kino, man sähe „von aussen“ zu und erkenne, dass auf der „Leinwand“ ein Traum ablaufe. Luzide Träume seien absolut gefährlich, weil man ins Unbewusste eingreife.

 

Nun muss man nicht automatisch auf dieses Thema abfahren, aber grosses Unverständnis ist die Regel. Dass man im Traum (via Übungen am Tage, oder Übungen am frühen Morgen, vor den längsten R.E.M.-Phasen, oder mit Hilfe von bestimmten Nootropica) klares Bewusstsein erlangen, und dann die „unglaublichsten“ Dinge initiieren kann (!!!), hellwach im Traum (!!!), wird wie ein kurzes „Exotikum“ wahrgenommen, vielleicht auch für den Moment begriffen, dann aber rasch auf Kreuzworträtselwissen reduziert.

 

Neulich sass ich mit Neven Subotic in der Kabine. Wir sprachen über unseren „Karriereknick“. Er war zweimal mit Borussia Dortmund Meister, einmal Pokalsieger, aber kam zuletzt, wie ich, nur noch sporadisch zum Einsatz. Ich sagte Neven, das sei einfach mein Verein, auch wenn ich derzeit nur auf vier Spieleinsätze pro Saison käme. Ich hätte halt immer noch eine gute Spielübersicht, aber zuwenig Antrittsschnelligkeit.

 

Das war ein normaler Traum. Keine abstruse Story, aber egal, im normalen Traum, ob wir Traumerinnerung trainieren, oder Träume nur gelegentlich erinnern, jeder hält das, was er träumt, w ä h r e n d  er träumt, für r e a l, obwohl es in der Regel viel abstruser ist als mein geschilderter Traum. Man mag den grenzenlosesten Irrsinn träumen, man hält es für die „schlichte Wahrheit“, man hält sogar den wahnsinnigsten Alp für real, statt den Realitätszustand im Traum zu überprüfen, und dann das klare Erwachsenenbewusstsein zu aktivieren, das jetzt bei jedem aktiv ist, der diese Zeilen liest. Im Traum ist normalweise also jeder ein grundsolider „Psychotiker“. Interessant. Wollen Sie, dass das so bleibt?

 

„In other words, following the old dream theory of Senoi (unknown to Freud and Associates), and scientific dream studies: in a lucid dream you’re director, actor, and you create the events with an improvised  script in your mind, always ready to face  the unexpected!“ 

 

P.S.: Neven Subotic, neben Nuri Sahin mein Lieblingsspieler, hat in Frankfurt zum ersten Mal seit Monaten gespielt, und ein gutes Spiel gemacht. Das 2:2 gehört in die Sammlung der groteskesten Fussballspiele der letzten Jahre, mit teilweise aufgelöstem Mittelfeld, gefühlten sechzig Grosschancen, es wäre für jeden Oneironauten (so nennt man diese Zunft), aufgrund seiner Tendenz zum Fantastischen und seiner Nähe zu einer Zirkusveranstaltung, zu Absurdem Theater, ein schöner Anlass gewesen für die klassische Klartraumübung „Träum ich oder wache ich?“.

 

This entry was posted on Montag, 23. Oktober 2017 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Und hier, ein Beispiel für einen luziden Traum, anschliessend die „Analyse“:

    http://manafonistas.de/2017/01/26/ein-song-von-brian-eno-ldselection117/

    http://manafonistas.de/2017/01/29/ld-1-17-ergaenzung-eine-jukebox-in-pittsburgh/

  2. Martina Weber:

    „DREAM THEORY IN MALAY is titled after a paper by visionary anthropologist, Kilton Stewart, who in 1935 visited a remarkable highland tribe of Malayan aborigines, the Senoi, whose happiness and well-being were linked to their morning custom of family dream-telling – where a child´s fearful dream of falling was praised as a gift to learn to fly the next night and where a dream song or dance was taught to a neighboring tribe to create a common bond beyond differences of custom. The Semelai are another tribe not far from the Senoi but who live in the largest swamp area of Malaya. A recorded fragment of their joy-filled watersplash rhythm was re-structured and became the generation force for the composition, Malay, as well as providing a thematic guide for the entire recording.“

    Jon Hassel
    (Note from the back of the record)

  3. Martina Weber:

    „Den Traum hat es gegeben, und Träume, die einmal entstanden sind, hören nicht auf zu existieren. Realität kann aufhören zu existieren, kann durch eine neue Realität ausgelöscht werden. Aber Träume kann man nicht auslöschen, sie existieren in einer anderen Zeit.“

    Heiner Müller: Traumtexte. Hg.: Gerhard Ahrens

  4. Uli Koch:

    Das Problem bei der Sache mit dem Klarträumen scheint mir zu sein, dass die Meisten nicht wirklich realisieren, dass der Traumzustand ein eigener Bewusstseinszustand ist, in dem man halt auch eigenständige, völlig gleichwertige und für den als Gesamterfahrung gelebten Alltag bedeutsame Erlebnisse haben kann. Das in der Tiefe zu erkennen hat schon immer die Schamanen aller Kulturen ausgemacht und erfordert den Mut, die Welt halt mal aus ganz anderen Perspektiven zu sehen. Sollte ich hingegen zu sehr damit beschäftigt sein den Wachzustand schon als Albtraum zu erleben, steigt das virtuelle Risiko natürlich, wenn ich mich auf ganz andere Bewusstseinszustände einlassen würde ….. wenngleich das auch sehr heilsam sein könnte.


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