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Archives: Wim Wenders

 

 
 
 

In einem winzigen Laden stellt er Bilderrahmen her. Er weiß, er ist sterbenskrank, ohne Hoffnung. Von seinen Sorgen, wie Frau und Kind ohne ihn auskommen könnten, wenn er diese Welt wird verlassen müssen, wird er eines Tages von einem verlockendem Angebot entlastet: er soll einen Auftragsmord ausführen. Von seinem Lohn könnte seine Familie sorgenfrei leben.

 
 
 

 
 
 

Die Rede ist von Wim Wenders und seiner Verfilmung des Patricia Highsmith-Romans Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund. Vor fast 40 Jahren war das, 1977, da wurde dieser spannende Streifen gedreht. Der junge Bruno Ganz spielte Jonathan Zimmermann, den Rahmenmacher, Dennis Hopper Tom Ripley, einen zwielichtigen Geschäftsmann.

Keine Ahnung, es muss Jahrzehnte her sein, dass ich diesen wunderbaren Film gesehen habe. Mit dem Road-Movie „Im Laufe der Zeit“ (1976) hatte ich Wim Wenders kennengelernt, dann ein Jahr später „Der amerikanische Freund“. Vor ein paar Tagen sah ich diesen Streifen erneut, aber ganz anders. Nie war mir die wunderschöne Jukebox in jener Bar aufgefallen, auch nicht der fantastische Trans Europ Express (TEE), in dem große Teile des Films spielen. (Im Eisenbahnmuseum der Stadt Horb (in Schwarzwaldnähe) kann man TEE der Baureihe 601/602 bewundern.)

 
 
 

 
 
 

Vor allem eines hat mich fast umgehauen, gibt es doch im Film eine Szene, in der die Plattenhülle der Kinks-Platte Face to Face nicht nur gezeigt wird, nein, Bruno Ganz, bzw. Jonathan Zimmermann, legt diese LP auch auf seinen Plattenwechsler und spielt „Too Much on My Mind“. Als ich mir diese Langspielplatte von meinem Taschengeld kaufen konnte, war ich dreizehn Jahre alt, einen Plattenschrank gab es noch nicht und brauchte es auch nicht, noch nicht einmal eine Kiste hätte gefüllt werden können, höchstens zehn LPs konnte ich damals mein eigen nennen. Es gab schließlich eine Preisbindung, die LP kostete 21 Mark, die Single 4,75DM. Übrigens: alle Bilder dieses Beitrages habe ich von meinem LOEWE abfotografiert, deshalb das leichte Flimmern, aber das hat doch was …

 
 
 

 
 
 

(Mehr zu der LP Face to Face von den Kinks siehe Plattenschrank Nr.74 vom 29.06.2014).

 

Hier wollte Wim Wenders schon lange einen Film drehen. Wäre er ein bildender Künstler, hätte er sich hier sein Studio eingerichtet. Die Rede ist von dem kleinen Ort Butte, Montana. Eine still gelegte Zechenstadt. Die Gebäude leben noch in einer anderen Zeit. Und das Licht. Lost & detached. Verstaubte Whiskyflaschen im speak easy club. I need to go out of town. Aber die Leute wollen nicht die Cowboys. Sie suchen den Mythos, just for entertainment. Phantom des Westens. Canyons of buildings. Somebody had to carry the torch.

Did you see „Der Unbeugsame“?

I couldn´t. We still were at the set then.

I like to base my stories and my movies on real places and characters, says Wim Wenders. Not so much on plot and story. We first came up with a character and then we tried to make a first scene and a place. And from that initial moment we developed the story, scene by scene. We did not know the end.

Ich kann nicht erklären, worum es geht, sagt Sam Shepard, der die Doppelrolle von Drehbuchschreiber und Hauptfigur spielt. Es geht um so vieles. It´s certainly not about … (hier lacht er kurz auf und bricht ab und wirkt eine halbe Sekunde unsicher, bis er sich fängt. Das kommt sehr sympathisch rüber. Dass es nicht rausgeschnitten wurde.) It´s really about, well, it´s about estrangement. This strange american sadness, the loneliness and how strange people are from each other. We don´t know each other. I´m haunted by that. The american character is more about that than anything else. More than success, power or strength and all the other things we present ourselves to be. It´s more about this strange lack of identity. We don´t know who we are. We never know it. We´ve invented our identity. We don´t have a clue.

Wim Wenders, Sam Shepard: Don´t Come Knocking

2015 21 Apr.

„Wim legt auf“

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Jan hatte ja schon auf die Ausstellung Wim Wenders. Landschaften. Photographien. im Kunstpalast hingewiesen. Heute hat Wim dort den DJ gespielt.

Zu meiner grossen Begeisterung hat er folgende Musikstuecke aufgelegt:
 

  1. Gus Black: Today is not the day +++
  2. Nina Hagen: Du hast den Farbfilm vergessen +++
  3. The KINKS: People take photos from each others +++++
  4. Nadia Surf: The film did not go round ++++
  5. Sam Philips: Speaking of pictures +++
  6. The WHO: Pictures of Lilly +++
  7. Ivo Robic: Morgen (hat seine Mutter immer gehoert)
  8. Dorthe: Waerst du Dussel doch (er liebt D.)
  9. Catharina Valente: Wo meine Sonne scheint (Mutter) ++
  10. Red River Rock, von wem ist das??? ++++
  11. Gus Black: A certain kind of light (er beginnt in US zu fotografieren) +++
  12. Paul Simon: Kodachrome ++++
  13. Lou Reed: Vanishing Act +++++
  14. Clan Snyde: Love the Unknown +++++
  15. The Beatles: In my life +++++
  16. Greg Brown: Whatever it was ++++
  17. Suzanne Vega: Horizon (er kauft sich ne neue Kamera, um die Horizonte zu fotografieren)
  18. Pearl Jam: Present tense ++++
  19. Asaf Avidan: Little parcels
  20. Neil Young: Distant camera ++++
  21. Bill Fay: Never ending happening +++++
  22. The Pretty Things: Photographer +++++

„Ich habe „True Detective“ in einem Rutsch gesehen. Grossartig. Es kam mir vor, als wäre das Autorenkino der Siebziger Jahre in die Gegenwart transportiert worden.“

2014 12 Mrz.

Im Krautrockhimmel

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„Einmal, als ich mit Alice, lang ist es her, in einer dieser Städte war, Wuppertal oder so, legte ich diese Platte auf, die ich in einer Tüte mit mir schleppte, und sie sagte, diese Zahnpasta würde sie gerne mal benutzen. „Rastakraut Pasta“. Obwohl die Welt schon Jahre zuvor in lauter Farben explodiert war, schienen wir uns durch einen Schwarzweissfilm zu bewegen, als wären die idealen Wochen angebrochen zum Aufbewahren der flüchtigsten Momente.“

Was ist schon Verwerfliches dabei, als erfolgreicher Fotograf im besten Alter in einem großen Appartement mit Blick auf die Düsseldorfer Rheinwiesen zu wohnen, von attraktiven, humorvollen und intelligenten Frauen umschwärmt zu werden, Cabrio zu fahren, Tag und Nacht die großartigste Musik der Welt zu hören und den kleinen ehrgeizigen Studentinnen, die noch an eine Wahrheit glauben, zu erklären, dass es hinter der Oberfläche, hinter den Bildern nichts gibt? Solang es okay ist, ist es okay. Wenn er dann aber nach einem Beinahe-Unfall, der wahrscheinlich tödlich geendet hätte, ins Grübeln gerät, ist es vielleicht Zeit für etwas anderes. So geht es Finn, gespielt von Campino, dem Sänger der Toten Hosen, in Wim Wenders´ Film „Palermo Shooting“. Wovor hast du am meisten Angst? Finn, der immer in Bewegung ist, immer unter Strom, hält inne, geht in eine Kneipe und drückt auf ein paar Tasten der Jukebox.
 
 
 

 
 
 
Als er am nächsten Tag auf dem Rhein einen Frachter mit der Aufschrift „Palermo“ sieht, beschließt er, dahin zu reisen, ohne Plan. Vielleicht war die Ziellosigkeit seine größte Angst. Sich fallen lassen. Kontrolle abgeben. Bilder aufnehmen, ohne sie später zu bearbeiten. Zuhören. Vielleicht einmal selbst eine Frage stellen. Das ist nicht leicht. Finn läuft mit einer 20 Jahre alten Nikon durch die Gassen Palermos, immer die Ohrhörer drin. Ständig ist er müde, er schläft überall ein, kurze, bildreiche Träume, er trägt seine tote Mutter auf dem Rücken, er schreitet durch Katakomben, wo Menschen in Reihen beerdigt worden sind, es treffen ihn immer wieder Pfeile aus Glas, der Tod schreitet im Kapuzenmantel vorbei. Einmal, als Finn aufwacht, wird er von einer Frau mit Bleistift portraitiert. Die ernsthafte Flavia (Giovanna Mezzogiorno) arbeitet als Restauratorin seit Jahren an einem Fresko und macht sich Gedanken über das Gesicht des Todes. Glücklicherweise wird die Beziehung zwischen den beiden niemals kitschig. Schließlich begegnet Finn dem Tod (in Gestalt des Dennis Hopper) und es gelingt ihm, mit ihm zu sprechen und auf ihn zuzugehen.
 
Wenders hatte auch für diesen Film kein Drehbuch. Die Dramaturgie entwickelt sich aus den Figuren heraus. Zufälle. Und wie sie sich im Raum begegnen. Die alte Pfandleihanstalt, Escher´sche Treppenhäuser. Ein Schaf, das wegläuft, bevor Finn es fotografieren kann. Immer wieder wacht er auf. Traumlogik. Teilhabe an einem Lebensgefühl. Studie eines Gesichts, wie es sich wandelt. Es geht eben nicht darum, alles zu kennen, alles zu wissen.
 
„Palermo Shooting“ ist nicht zuletzt auch ein großartiger Musikfilm.
 
Die Musikauswahl liest sich ungefähr so:

 
 
– Nick Cave
– Velvet Underground
– Can
– Bonnie Prince Billy (Death to Everyone)
– Iron & Wine
– Calexico
– Beirut (Postcards From Italy)
– Beth Gibbons & Rustinman: Mysteries
 
 
Welche Tasten würden Sie heute drücken?
 
 
 

 
 
 
Ach, übrigens mag ich keine Entweder-Oder-Fragen.
 

 

 
 
 

Da bekommt einer nicht das, was er will, und möchte wenigstens von seinem Scheitern erzählen, und dabei entdeckt er unerwartet neue Perspektiven. So könnte man die Metageschichte hinter Wim Wenders modernem Klassiker „Der Stand der Dinge“ zusammenfassen. Anfang der 80er Jahre musste Wenders in Los Angeles die Dreharbeiten zu „Hammett“ wegen fehlender finanzieller Mittel abbrechen. Das gleiche Desaster passierte seiner Freundin als Schauspielerin mitten in einem Projekt in der Nähe von Lissabon. Wenders brachte Filmmaterial aus privaten Beständen von Berlin nach Portugal, um den Film zu retten. Er beobachtete zwei Tage lang die Dreharbeiten und war so begeistert, dass er sofort mit dem gleichen Team weiterdrehen wollte. Einen Film ohne Drehbuch, mit vorgefundenen Schauspielern, vorgefundenem Thema – dem Scheitern eines Filmes aus finanziellen Gründen – und vorgefundenem Drehort, einem zauberhaften zerfallenden Hotel am Strand.

Anfang der 80er, Zeit des Wettrüstens. Da lag es nahe, als Film im Film ein paar Überlebende einer Atomkatastrophe mit visionären Sonnenbrillen durch eine vernichtete Landschaft wandern zu lassen. Die einzige Farbfilmpassage, sie wurde abgebrochen, weil die letzte Filmrolle aufgebraucht war, und die eigentliche Story begann: Drehpause, Warten. Schauspieler in der existenziellen Grundsituation: wie sollen wir weitermachen? Wenders entwickelt ab hier den Film zunächst ganz aus den Charakteren heraus und er nutzt deren Talente und Eigenheiten. Da gibt es diejenigen, die sich mit einem Buch oder mit der Geige zurückziehen, andere kümmern sich um ihre Kinder, wieder andere um sich selbst oder sie plaudern miteinander oder fangen Liebesbeziehungen an. Eine Weile wirkt alles wunderbar frei und lässig. Die Energie einer Fingerübung. Dann erfährt der Kameramann vom Tod seiner Frau und verschwindet. Der Regisseur macht sich auf nach Los Angeles, um den Produzenten zur Rede zu stellen und Gelder zu organisieren. Der dritte Teil spielt in Los Angeles, wo es zur Begegnung von Regisseur und Produzent kommt, eine ziellose Fahrt in einem Wohnmobil.

Wim Wenders wollte in „Der Stand der Dinge“ das Scheitern des Filmemachens zeigen, dabei hat er das Geschichtenerzählen neu entdeckt. Besonderes Lob gebührt hier dem Kameramann Henry Alekan, der so gekonnt mit dem Licht gearbeitet hat, dass ihm sämtliche Abstufungen zwischen schwarz und weiß geglückt sind. Der „Stand der Dinge“ ist auch ein Film, der in seiner Entstehungszeit ruht. Diese wunderbar unprätentiösen Frisuren und technischen Geräte (Kassettenrecorder, Walkman, Polaroid- und Filmkameras für die Kinder und wie auf einem Apple endlos lange Zeit ein paar Bilder und Dateien geladen werden). Heute hat das Kino andere Probleme. Das technische Equipment ist günstiger geworden. Eine wochenlange Drehpause: undenkbar. Und was die Crew in der Wartezeit manchen würde? Wahrscheinlich würden alle beim Anblick auf ihre Bildschirme erstarren.


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