Da kommen sie, schlicht gekleidet, auf die Bühne des Lichtspieltheaters. Ein Deutscher, ein Österreicher, ein Engländer. Stephan Mathieu liebt alte Grammophone, Christian Fennesz das elektrische Gitarrenspiel von Neil Young, und David Sylvian die Gedichte von Emily Dickinson. Kein Pappenstiel, die folgenden 70 Minuten. Wer solch fein gesponnene Kammermusik aus dem Geiste von Ambient, Drone und Sample schätzt, oder Zeiten kennt, in denen man sich vom strengen Morton Feldman eine dunkelblaue Stunde verordnen lässt (um die Sinne zu schärfen), kommt dem kühlen Mr. Sylvian und seiner „Kilowatt Hour“ leichter auf die Spur. In gewissen Abständen betritt eine geisterhafte Stimme das Rund, die in einem verwitterten, betagten Amerikanisch allerlei Unheiteres erzählt, was wahlweise auf Krankheit, Sinnverlust, Drogen, oder letzte Anstrengungen schliessen lässt, ein Beckett’sches Endspiel läuft da vor unseren Ohren ab, der Resthumor wird vom letzten Licht verschluckt. Die Stimme erinnert mich an William Burroughs, diese staubtrockene Beharrlichkeit in einem Laurie Anderson-Song. Sharkey’s Night? (Wie ich am nächsten Morgen herausfand, stammen Stimme und Texte von Franz Wright. David Sylvian hat ihn besucht, und die Aufnahme geleitet.) Die Kilowattstunde mutiert zur Tranceinduktion, lieber läge ich lauschend auf einer Hängematte. Wo kommen die Klaviertöne her, die durchs Dunkel taumeln? Immerhin greift Fennesz manchmal zur Gitarre und verströmt einen dezenten Hauch aus der Ursuppe der Rockmusik. Mit seinem Set-up sorgt Stephan Mathieu für jene Weite, die jeder Beklommenheit, jeder Enge entgegen arbeitet. Überschwang geht natürlich gar nicht, die Stimme aus dem Off ist zwar merklich angeschlagen, duldet jedoch weder Zuspruch, noch milde Gaben. Das Höchste der Gefühle ist eine kurze flackernde Reminiszenz an ein altes Lied, aus Frank Sinatras Schallplatte „Only The Lonely“. A dead bird is not a dead bird, wittert die Stimme mit den zahllosen Jahresringen, Einrissen und Erosionen. Im Hintergrund ist die Bildsprache beredt und raumgreifend im besten Sinn, die Ähren wiegen sich im Wind, und der tote Vogel zieht seine Kreise im Traum eines Anderen. Existenzieller Stoff. Dunkelspieltheater. Aus. Vorbei.
Archives: The Kilowatt Hour
2013 7 Sep.
The Kilowatt Hour
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: David Sylvian, Fennesz, Stephan Mathieu, The Kilowatt Hour | 3 Comments