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2019 9 Nov

Le Monde selon Radiohead

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Gestern Abend lief auf ARTE eine sehr sehenswerte Dokumentation über Radiohead, die Entwicklung ihrer Arbeit, angefangen von ihrem Durchbruch mit dem Song Creep (1993) bis zu ihrem Album A Moon Shaped Pool (2016). Es geht um ihr politisches Engagement, Bezugspunkte ihrer Alben, Prägungen durch George Orwell, Naomi Klein, Noam Chomsky und Thomas Pynchon und den Zeitgeist der 70er und 80er Jahre. Der Film dauert 53 Minuten und ist unter diesem Link bis 6. Januar 2020 verfügbar.

 

 

 
 
 

ONE The Beatles: Sgt.Pepper’s Lonely Hearts Club Band (double cd oder, auch wenn das immer doof klingt, die „super deluxe edition“) – die Herstellung einer wundervollen Stereobalance beweist, dass die Jungs damals wirklich mono bevorzugten, die Transparenz ist atemraubend, der Bass druckvoll. Wer stets gern zu der Garagenband aus Liverpool zurückkehrt, lese das Buch „Dreaming The Beatles“.

 

TWO Brian Eno: Taking Tiger Mountain (By Strategy) (double vinyl) – die „vier half-speed masters“ von Enosvier Songalben aus den Siebzigern sind jeden Cent wert, obwohl die erhältlichen CD-Masters von 2004 auch keine Wünsche übriglassen. Ich schätze tatsächlich alle vier Alben gleichermassen, Favoriten wechseln mit den Jahreszeiten.

 

THREE Brian Eno: Here Come The Warm Jets (double vinyl) – das wildeste Songalbum ist alles, Protopunk vor Punk, wundervoller Pop, extravaganter Melodienrausch, das englische Wort „overflowing“ findet hier seine vollendete Entsprechung. Aus so einem Reigen  könnten andere Künstler ganze Karrieren schöpfen, Eno gönnt es sich nur einmal.

 

FOUR Brian Eno: Another Green World (double vinyl) – man garantiere mir 25.000 Euro, und ich schreibe ein 120 Seiten umfassendes Prosalanggedicht zu diesem sicher einflussreichsten der vier Alben, ohne ein pathetisches oder schwärmerisches Wort. Am 16. Oktober geht es um diese „big four“ in der „Nahaufnahme“ der Klanghorizonte im Deutschlandfunk. 

 

FIVE Brian Eno: Before And After Science (double vinyl) – ein Kieferklapptrunter-Erlebnis unter guten Kopfhörern, ich höre nie auf, das Album zu entdecken, und hatte in diesem Jahr gar einen luziden Traum, in dem ich einen perfekten neuen Enosong hörte, der nur auf dieses Album gepasst hätte. Echtes Copyright-Problem. Die englische Kurzgeschichte (non-fiction) dazu wird mit Ian McCartney verfasst. Kein Witz. 

 

SIX Radiohead: OK Computer NOTOK 1997 2017 – ehrlich gesagt, habe ich erst in diese Jahr einen Narren gefressen an diesem Album, besser spät als nie. Unfassbar „zeitgenössisches“ Werk, um diesem altbackenen Ausdruck mal etwas Feuer zu geben.

 

SEVEN Bark Psychosis: Hex – kaum einer kennt diese Musik, die ähnlich verstörend ist wie spätes Zeug von Talk Talk – noch heute absoluter „underground“ für die Psyche und nächtliches Lauschen!  „Sheer beauty. Knife-slit tension“. 

 

EIGHT Arthur Russell: Instrumentals (double vinyl) – es ist tottraurig, dass der singende Cellist, Tanzbodenforscher und Verhallungskünstler zu Lebzeiten nie das ernten durfte, was ihm posthum an Lobgesängen zugetragen wird, dieses Werk darf man auch unter „new exotica“ katalogisieren, aber es steht immer noch recht einsam da, wartet auf jeden Zuhörer. Und die kleine neue Vinyledition ist schon wieder vergriffen.

 

NINE Midori Takada: Through The Looking Glass (double vinyl) – japanischer Minimalismus, und so viel mehr. Ein Traum von Henri Rousseau, lauter „twilight zones“, ein einsam und allein eingespieltes Kunststück in arg begrenzter Studiozeit. „Beauty hurts, darkness works as medicine“.

 

TEN Pep Llopis: Poiemusia La Nau Dels Argonautes (vinyl)- die mediterrane, tiefentspannte Variante der Minimalisten & Argonauten, in der alles aquamarin funkelt, und jede Oberfläche eine eigene Tiefenströmung produziert. Ibiza ist nicht so weit von Valencia entfernt. Es ist das Jahr 1983.

 

ELEVEN Barney Wilen: Moshi (double vinyl) – eine schillernde Collage, die keine Verschmelzung der Welten vorgaukelt. Man spielt mit Einheimischen, schliesst Freundschaften, studiert neue Perkussionsinstrumente, singt alte und neue Hymnen. Die Musiker aus Frankreich lassen sich mit Haut und Haar auf die Fremde ein, lernen die blauen Menschen kennen – psychedelischer Jazz, erotischer Taumel, surreale Maskenbälle!

 

TWELVE Lal and Mike Waterson: Bright Phoebus – „Get past a couple of hokey moments to be transported back, first to the communal hopes of the ’70s, and thence into the country lanes of centuries passed“ (Jim Irvin, Mojo)

 

 

P.S.: I’m only refering to reissues that got a special treatment by excellent remastering techniques (that surpass the quality of other available editions), or by extended and highly valuable extensions, or by brilliant design matching the brilliance of the music, or, simply being gems being saved from forgetting and ridiculously high prices at Discogs. David Bowie‘ s Berlin days  will join the circle later on. No, I’m not a Prince fan. And if  the number would be twenty, Deathprod, Oregon, Weather Report, and Ray Charles in mono would have got their songs of praise. The one who knows the writer who coined the title phrase on „darkness & beauty“, will get a free copy of the next Eno album in 2018, MHQ promises. The four prints that accompanied Before and After Science’s first edition in 1977 (double click on the pictures) are beautifully reproduced in the reissue’s design. 

Vom Stocken und Fließen der Lieder, so ließe sich das neue Album am besten beschreiben . TKOL setzt unbeirrbar den Weg fort, den KID A erstmalig formulierte: durchtriebene Songs mit vorzugsweise ungerader Rhythmik, sperrigem elektronischem Untergrund, undefinierbaren Gefühlslagen. Radiohead weigern sich, das Stadium der Gediegenheit zu erlangen. Die diversen Mitglieder gehen gerne mal solo: J. Greenwood (dessen akustische Gitarrenklänge, zusammen mit alten Can- Stücken, derzeit den Soundtrack einer Murakami-Verfilmung anreichern) und P. Selway (dessen letztjähriges Soloalabum mehr Nick Drake als Radiohead enthielt, und zu verzaubern wusste) finden aber immer wieder zurück zu Radiohead. Gut so.

Nach wie vor mit dabei ist der Produzent Nigel Godrich (der, das sei mal nebenbei bemerkt, das beste Paul McCartney-Album der letzten 20 Jahre produziert hat). Jetzt bringt er das Kunststück fertig, das vielleicht zugänglichste Album der Band mit so viel Finesse auszustatten, dass man beim x-ten Hören Sounds und Schichten entdeckt, die beim ersten Mal gewiss entgangen sind. Wie geschickt etwa im Eröffnungssong Bloom eine Jazzbläsereinlage (ein Hauch von Fela Kuti) tief gelegt wird, ist exzellent. Nigel Godrich ist ein Meister im Verbergen des Offensichtlichen: nichts erschöpft sich in oberflächlichen Effekten.

– I would shrink and I would disappear / I would slip into the groove / And cut me up. Thom Yorkes Stimme bleibt eine Bereicherung: mal treibt er die Selbstauflösung des Sängers voran, mit diversen Arten des Seufzens und und Summens, mal thront seine Stimme fast majestätisch über allemal unsicherem Boden: auch das ist Kunst, alles Pathos, kaum dass es sich andeutet, ins Leere laufen zu lassen, oder zumindest jedem Überschwang das triumphierende Moment zu entziehen.

Die Natur (als Unheimlichkeitsort, aber auch als Zuflucht) spielt eine Hauptrolle, ebenso das durch weite Räume driftende Ich. – There is an empty space inside my heart, / Where the weeds take root (Lotus Flower). Die Geographie ist unklar, auch die Emotion des Sängers: ein irritierendes, zugleich faszinierendes Pendeln zwischen Urängsten und Sehnsuchtsstoffen. Die karge Lyrik bereichert widerspenstige Lieder: – Good morning Mr. Magpie / How are we today? / Nou you have stolen all the magic / Took my melody, heisst es einmal. Und es ist die Aufgabe des Hörers, diese Magie (in all ihren schönen Verstecken) neu ausfindig zu machen.


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