Dass Fritz Lang einer der bedeutendsten Regisseure und Innovatoren der Filmgeschichte war, muss nicht mehr ernsthaft belegt werden. Dr. Mabuse, der Spieler, Der müde Tod, Die Nibelungen, Metropolis, Frau im Mond, M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Das Testament des Dr. Mabuse, Fury, You Only Live Once, Hangmen Also Die, Scarlet Street – das sind nur einige seiner Meisterwerke. Wirklichen Schrott hat Lang nur ein einziges Mal produziert (An American Guerilla In The Philippines), ansonsten sind selbst seine „kleineren“ Filme immer noch besser als 90 Prozent aller anderen Filme. Behaupte ich mal so.
Lang-Biografien gibt es bereits in größerer Zahl – weshalb also jetzt noch eine weitere?
Die 2001 von Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Cornelius Schnauber herausgegebene Lang-Bio bleibt, was Fakten und Dokumente betrifft, weiterhin die definitive. Grobs Zugang und inhaltliche Ausrichtung unterscheidet sich aber von den bisher vorliegenden Werken. Alle mir bekannten Lang-Biografien drehen sich im wesentlichen um seine Filme; Lang selbst verschwindet meist hinter seiner Arbeit. Das dürfte ihm durchaus recht gewesen sein. Denn auch, wenn Lang sich exzellent und öffentlichkeitswirksam zu präsentieren wusste, so war er doch stets der Ansicht, wer etwas über ihn erfahren wolle, müsse sich seine Filme anschauen. Dazu kam Langs notorisches Vergnügen daran, Ereignisse aus seinem Leben mit viel Phantasie auszuschmücken; nicht selten gibt es über ein- und dieselbe Sache sogar mehrere Varianten. Wer etwa wissen möchte, woher Langs Augenverletzung stammt, die zu seinem Monokel führte, kann sich entscheiden, ob er eher einer Kriegsverletzung oder eher einem bei frühen Dreharbeiten geplatzten Scheinwerfer zuneigt. Auch Langs Indienreisen, von denen er oft erzählte, sind durch nichts zu belegen. Legendär auch das Treffen zwischen Lang und Joseph Goebbels in dessen Büro, bei dem er Lang eröffnete, der Führer und er seien der Meinung, Lang sei der Mann, „der uns den nationalsozialistischen Film schenken“ werde, weshalb sie ihn dazu auserkoren hätten, den Posten eines „Reichsfilmintendanten“ anzutreten. Das, soviel war Lang mit Sicherheit klar, war ein Angebot, das er nicht hätte ablehnen können. Lang will sich daraufhin noch am selben Abend ohne Geld (weil die Banken schon geschlossen waren) auf Nimmerwiedersehen nach Paris abgesetzt haben. Das Treffen als solches hat stattgefunden, es ist in Goebbels‘ Tagebuch erwähnt, aber dessen angeblicher Ablauf dürfte weitgehend Langs Phantasie entsprungen sein. Und seit vor einigen Jahren Langs Reisepass aufgetaucht ist, wissen wir, dass zwischen dem Treffen und Langs Abreise immerhin drei Monate gelegen haben. Aber immerhin: Er ging.
Es gibt etliche dieser Anekdoten. Sie gehören zu Lang wie seine Filme. Zwar hangelt auch Grob sich im wesentlichen an Langs Filmen entlang (der inhaltlichen Stringenz wegen bestätigen einige Vor- und Rückgriffe die Regel), legt dabei den Schwerpunkt aber klar auf die Person Fritz Lang und richtet ein besonderes Augenmerk auf Langs frühe Jahre. Die ewige Frage, ob Lang seine erste Frau erschossen hat oder ob es sich um Unfall oder Suizid handelte, wird zwar auch hier nicht geklärt (sie wird mit Sicherheit nie mehr geklärt werden können), aber die Begleitumstände werden von Grob ausführlicher dargestellt als irgendeine andere Biografie dies je geleistet hätte. Ähnliches gilt auch für Langs lebenslange enge Freundschaft mit Theodor Adorno, Peter Lorre, der „Eisnerin“, seine Auseinandersetzungen mit Bert Brecht (den er sehr schätzte, der aber nicht in der Lage war, in filmischen Strukturen zu denken), oder auch seine Unterstützung des Widerstands gegen die Nazis, die ihm offenkundig ein großes Anliegen war. Dabei stellt Grob einiges vom Kopf auf die Füße, und das ist manchmal recht wohltuend. Auch das Hollywood-Bild, das hier gezeichnet wird, scheint mir realistischer zu sein als in manch anderen Biografien. Ein bisschen misstrauischer bin ich, was die Schilderung der diversen — angeblichen — Liebschaften betrifft, die Lang mit so ziemlich jeder Frau gepflegt haben soll, die ihm über den Weg gelaufen ist. Einige dieser Episoden kennt man, mit Sicherheit wird es die eine oder andere weitere gegeben haben, aber weshalb nun ausgerechnet auf erotischem Gebiet Langs Neigung zum Ausschmücken nicht gegolten haben soll …
Ein deutliches Manko dieser Biografie ist das Fehlen einiger wichtiger Personen. Dass eine – gerade im Stummfilm – so wichtige Persönlichkeit wie der Komponist Gottfried Huppertz gerade einmal im Vorbeigehen erwähnt wird, ist keine Kleinigkeit. Huppertz schrieb immerhin die sinfonischen Musiken zu den beiden Nibelungen-Filmen und zu Metropolis, und anders als jeder andere Komponist spielte er seine Musiken am Klavier bereits während des Drehs, so dass sie die Schauspieler unmittelbar beeinflussten – und das sieht man ihrem Spiel an. Auch das Fehlen des Ausstatters Walter Schulze-Mittendorff, der viele Requisiten und wichtige Ausstattungsstücke entwarf – das wichtigste sicher der Maria-Roboter in Metropolis -, ist schade.
Wie auch immer: Wer sich für Fritz Lang interessiert und sich am gelegentlich etwas blumig-illustriertenhaften Ton dieser Biografie nicht stört, möge unbesorgt zugreifen.
Norbert Grob:
Fritz Lang
Propyläen, Berlin 2014
ISBN 978-3-549-07423-7