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Archives: Nikos & Adonis Xylouris

2023 25 Sep

Xylouris Xystery

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Die Disco im Nebengebäude war fast leer. Ganz anders als die Location zu der uns eine langjährige Freundin, die zufällig auch in Heraklion weilte, kurz vor Mitternacht gelotst hatte mit der Bemerkung, dass ihr Bauchgefühl ihr sagte, es werde sich lohnen. Hier sollte ein Konzert der Enkel des berühmtesten kretischen Musikers Nikos Xylouris stattfinden und es sollte eine Überraschung in mehrfacher Hinsicht werden.

 
 
 

 
 
 

Der Saal war reichlich gefüllt, Eintritt frei. Die Zuschauer zu meiner Überraschung allesamt höchstens halb so alt wie ich. Auf dem Programm traditionelle kretische Musik, zwei kretische Lauten, eine Lyra, Gesang. Wer um Mitternacht anfängt zu spielen ist mir gleich sympathisch, da sind ganz andere Stimmungen in den Stunden nach Mitternacht und ich habe die besten Konzerte meines Lebens fast alle in den dunkelsten Stunden der Nacht gehört. Drei gutgelaunte junge Männer betraten die Bühne und wurden mit tosendem Applaus begrüßt und los geht die Reise in die Tiefen der traditionellen Musik Kretas, die sich nicht als europäische Musik, sondern viel mehr als ganz eigenständige, eher orientalische Kunstform versteht, die von dem Großvater zweier der Musiker, Nikos und Adonis Xylouris, zu neuen Höhen und internationaler Bekanntheit gehoben wurde. Der Dokumentarfilm A Family Affair (Trailer) berichtet sehr einfühlsam davon. Akustische Musik mit orientalischem Gesang, die fernab einer Tonalität nicht mit Kadenzen spielt, sondern hypnotisch-repetitive Muster fast minimalistisch entwickelt, zu denen auf der Lyra melismierende Melodieschleifen die einzelnen Stücke vorantreiben. Teilweise scharfe Beats, schnelle, groovende Rhythmen, fast rockig. Hier ein schönes Beispiel dafür: Meraklina. Doch die Atmosphäre hatte etwas ganz besonderes: da bestellten die Gäste literweise Whisky an ihre Tische, versanken in Konversationen, Scherzen und teilten ein freudiges Zusammensein, ohne der Musik gegenüber unachtsam zu werden. Also Musique d’Ameublement im tiefsten Satie’schen Sinne. Schon begann ich mich zu wundern, dass diese wirklich wunderbar tiefgründige traditionelle Musik so viele junge Menschen anzog, als das Ganze noch eine kräftige Steigerung erfuhr: einige Zuhörer standen auf, eilten nach vorne und begannen in geordneten Kreistänzen die komplexen alten kretischen Tänze zu der Musik. Schneller und schneller, die komplizierten Schrittfolgen tief verinnerlicht, eskalierte der Tanz langsam bis zum Höhepunkt einige junge Männer in eine sehr artistische Form eines orientalischen Schuhplattlers ekstatisch tanzend verfielen, immer einer nach dem anderen, wild, dionysisch und fast akrobatisch. Welle um Welle der Musik und des Tanzes, des fröhlichen Beisammenseins und Redens, Stunde um Stunde bis tief in die Nacht hinein. Die Stimmung der Musiker wurde besser und besser, die Musik intensiver und dichter und es pendelte sich diese äußerst eigentümliche Stimmung zwischen vitalstem Feiern alter Traditionen (die jungen Zuhörer kannten alle Texte auswendig und sangen mit, wenn es sich gerade mal anbot), sozialem Event a la Musique d’Ameublement und einem Rockkonzert in völlig harmonischer Synthese ein. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die mir schmerzhaft bewusst machte, was es bedeutet in einem Land zu leben, das seine Tradition (und hier rede ich nicht von reaktionärer Deutschtümelei) nicht nur verraten, sondern auch unwiederbringlich verloren hat.

 
 
 

 


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