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Archives: Nico

 
 
Ein passender Titel. Und dabei stammt er nicht mal von ihr selbst. Er stammt aus einem Nico gewidmeten Gedicht von Juliane Liebert.

Es gehört zu den Problemen dieses Buches, dass Nico selbst kaum etwas hinterlassen hat, das zur Klärung irgendwelcher Sachverhalte ihres Lebens beitragen könnte. Wer über sie schreiben will, muss sich damit begnügen, dass sie da war, dass es sie gab. Dass sie eine der wenigen wirklich außergewöhnlichen Erscheinungen in der Popmusik war, steht außer Frage, wenn man von Popmusik hier überhaupt sprechen kann.

Das von Manfred Rothenberger und Thomas Weber in Zusammenarbeit mit dem Institut für moderne Kunst Nürnberg herausgegebene Buch ist eine Sammlung von Essays, Fotos, Gedichten und Interviews, die um Nico kreisen. Soweit es möglich und sinnvoll ist, folgt das Buch der Chronologie, angefangen mit Kindheitserinnerungen an die junge Christa bis hin zu Betrachtungen nach ihrem Tod. Die Interviews und Gespräche mit Nico selbst sind oft schlecht geführt und springen vom Hölzchen aufs Stöckchen, doch liegt das natürlich auch daran, dass diese Frau überhaupt nicht daran interessiert war, interviewt zu werden, und an ihrer offenkundigen Unfähigkeit, überhaupt bei einem Thema zu bleiben, ohne ins Reich ihrer Phantasie und Träume abzudriften. Nico hat Songs Andreas Baader oder Charles Manson gewidmet, ohne dass das im Buch ernsthaft hinterfragt wird, wie sie auch das „Lied der Deutschen“ mit allen drei Strophen zu Gehör brachte, wohl wissend, weshalb die ersten beiden nicht mehr gesungen werden sollten (sie war nicht so blöd, dass sie das nicht genau gewusst hätte). Aber auch darin steckt natürlich eine Aussage über die Person.

Deutlicher werden da schon die Essays, Filmkritiken und Konzertberichte, sofern sie sich nicht auf den allzu naheliegenden Holzweg begeben, auf ähnliche Weise in den Nebel abzudriften wie Nico selbst. Nicos Karriere als Model, als Filmschauspielerin, als Andy-Warhol-Superstar, als Gastsängerin der Velvet Underground, ihre Soloalben, ihre Drogensucht, ihre Konzertauftritte (die sie im Zweifel auch ohne Mikrofon bewältigte) und ihre Verwandlung vom Heinz-Östergaard-Model zur düsteren Gothic-Vorreiterin werden aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert und eingeordnet. Einige Beiträge sind schlicht überflüssig, andere werden von einer Tendenz zur Heldinnenverehrung beeinträchtigt; Nicos Musik wird oft für wichtiger erachtet, als sie bei aller Einmaligkeit und Gutwilligkeit nun doch war. Nico selbst wird hier manchmal in einer Weise zu einem Überwesen hochstilisiert, die es schwer macht, noch die wirkliche Person dahinter zu erkennen. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Vielleicht war die wirkliche Nico nur sichtbar für diejenigen, die unmittelbar mit ihr gearbeitet und/oder zusammengelebt haben. Vielleicht war sie für andere wirklich nur ein Image, eine Projektionsfläche. Wer sie allerdings so sah, konnte unter Umständen sehr konkret erleben, dass das vermeintliche Imagewesen — wie alle Junkies — hochgradig gemein sein konnte. Am aufschlussreichsten sind die Beiträge von/mit John Cale, Gerard Malanga, Helmut Salzinger, Ecki Stieg, Susanne Ofteringer und natürlich Lutz „Lüül“ Graf-Ulrich.

Das Gefühl, das bleibt: Ich bin mir nicht sicher, ob ich Nico gern kennengelernt hätte. Letztlich bleibt sie auch nach den 630 Seiten dieses sorgfältig aufgemachten Buches ein Rätsel, wenn auch ein durchaus faszinierendes. Und es bleibt die Anregung, mal wieder in ihre Platten hineinzuhören. Mein Tip, noch immer: Live In Tokyo von 1986. Es enthält nicht nur „The End“, sondern auch „Das Lied vom einsamen Mädchen„, geschrieben 1952 von Werner Richard Heymann („Irgendwo auf der Welt“) und Robert Gilbert. Vielleicht ist das das wirkliche Portrait.
 
ISBN 978-3-922895-34-3
Fürth 2019

Wie so oft machten wir abends einen Abstecher zu S., der ein paar Jahre älter war als wir, der schnellste und solidarischste Postbote (z.B. Zustellung blauer Briefe an den primär Betroffenen) im Bezirk war und über eine große Plattensammlung verfügte. Er wohnte in der Dienstwohnung der backsteinernen ehemaligen Grundschule in der Mitte des kleinen Dorfes im Vordertaunus, in dem ich die meiste Zeit meiner Jugend verbrachte. Hier war sonst abends definitiv nichts zu machen und so spielte sich viel im Privaten ab. An diesem Abend war die Stimmung, warum genau weiß ich nicht mehr, etwas gedämpfter und so entschied er sich uns Desertshore von Nico, vielleicht mehr aus Selbsttherapie aufzulegen. Schon mit den ersten Klängen öffnete sich der Raum zu einer Musik, die mir in ihrer radikalen Klarheit und Schwermut, getragen von dieser einzigartigen tiefen, schnörkellosen Altstimme wie aus einem Seelengrund emporgestiegen schien. Einfach ein indisches Harmonium (das ihr von Patti Smith gestiftet wurde – „ich brauche das Geld gerade nicht…“) und diese Stimme, die selbst aus bekannt erscheinenden Melodiefragmenten etwas völlig Neues, Einzigartiges, aber auch Verstörendes machte. Eine tiefe Sehnsucht, völlige Kompromisslosigkeit und eine unglaubliche Direktheit lagen in der Musik von Nico, die ihre musikalische Karriere nur wenige Jahre davor mit der legendären Platte mit der abziehbaren Banane von Velvet Underground begonnen hatte. Nach ihrem Debüt Chelsea Girls hatte sie zudem mit The Marble Index eines der radikalsten und immer noch stark unterbewerteten Alben der frühen 70er Jahre veröffentlicht. „Schräg, düster, schön, jenseitig, klaustrophobisch – diese Platte ist alles gleichzeitig“ schreibt Martin Christoph in der wunderbaren Textsammlung von Manfred Rothenberger und Thomas Weber in Zusammenarbeit mit dem Institut für moderne Kunst Nürnberg, das gerade erschienen ist. Es versammelt Fragmente, Texte, Essays, Interviews, Impressionen, Phantasien und unzählige, auch private Bilder, vieles davon noch nie veröffentlicht, die sich aus der Perspektive von Freunden, Fotografen, Künstlern, Musikern und Wegbegleitern entfalten, um sich dieser beeindruckenden, unberechenbaren und faszinierenden Frau, die sich zeitlebens seltsam fremd blieb, behutsam anzunähern. Schnell war ich den den hunderten von Seiten versunken und habe nebenbei (geht das überhaupt?) die beiden erwähnten Alben immer wieder gehört, die mich nie verlassen hatten und sich heute noch so unnahbar wie frisch anhören wie vor über 40 Jahren.

 
 
 

 
 
 

Morgen Abend gehe ich wieder zurück, nachdem ich alles versäumt habe. Bis auf einige interessante Träume. Erscheint mir alles ziemlich unwichtig hier. Nico

 

Bleibt nur noch auf Nico‘s abgründige und apokalyptische Version von The End auf dem gleichnamigen Album hinzuweisen, die finaler und bodenloser in einer jenseitigen Leere verhallt, als es The Doors je hinbekommen hätten. Es ist aber nicht das letzte Stück auf diesem Album: bleischwer und niederdrückend folgt als allegorisch letzter Titel dann das Lied der Deutschen …


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