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Archives: Mondscheintarif

Die Frauen meines Lebens habe ich nicht allzu selten in Fahrstühlen entdeckt. Eine wurde meine Verlobte (sowas gab es in der alten BRD), eine sah aus wie 5000 DM pro Nacht, und kostete ungefähr auch so viel. Ich bekam die Nacht geschenkt, weil ich sie in Erziehungsfragen beriet. Man spricht Frauen besser nicht in vollbesetzten Fahrstühlen an, sondern, kurz nachdem sie den geschlossenen Raum verlassen haben, und die Frage nach einer Tasse Kaffee nicht als Bedrängnis wahrgenommen werden kann. Sex in Fahrstühlen hatte ich nur zweimal, aber auch in Wolkenkratzern ist ein Quickie in normaler Rauschefahrt kaum machbar, es sei denn, man liebt des Thrill des Entdecktwerdens. Andrea und ich hatten uns darauf geeinigt, in einem Kölner Hotel leicht gehobener Klasse, um Mitternacht, nach einem Laurie Anderson-Konzert, den Fahrstuhl zwischen dem vierten und fünften Stock anzuhalten, und es voll durchzuziehen. Ich finde das Vögeln im Stehen an sich nicht besonders prickelnd (trotz einschlägiger Filmszenen, in denen besonders gerne Küchenmobiliar ins Blickfeld rückt), aber Andrea war leicht erregbar und kam schnell, ich musste dennoch das Kopfkino einschalten (dieses Surren der Elektrik, der blinkende Notknopf!), und so schlief ich virtuell mit zwei Frauen. Aber ich wollte etwas anderes erzählen. Meine liebste Fahrstuhlerinnerung (unter den apollonischen) hat überhaupt nichts mit Sex zu tun, sondern mit Lyrik. Eines Tages stand der ehemalige Chef der Hörspielabteilung des Senders mit mir im Fahrstuhl, nur er, und ich, sein treuer Leser. Es war Jürgen Becker, und in der Zeit, als ich noch mehr Gedichte las, und weniger Thriller, kaufte ich mir jeden seiner schmalen Gedichtbände. Jürgen Becker war ein Chronist der alten Bundesrepublik, seine im Grunde stocknüchterne Sprache hatte, verkappt, verborgen, jenen leisen Swing, der aus einer kahlen Baumgruppe etwas anderes machte als eine kahle Baumgruppe (aber eben nichts Symbolisches). Es war ein Sinne schärfender Hyperrealismus, bei dem pro Gedicht eine Zeile ins Irreale verrutschte, aber nahezu unmerklich, nicht als Pointe. Seine Gedichte waren pointenfrei. Jetzt macht dieser Text langsam doch Sinn, handelt er doch vom Schärfen der Sinne.


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