Beim Lesen von Mark Twains „Bummel durch Europa“ (A Tramp Abroad) mit seinem warmherzig-ironischen Blick auf alles, was so herumkreucht und fleucht – von Heidelberger Studentenschaften bis hin zur Beobachtung eines hyperaktiven Ameisenstammes, der dem neuzeitlichen ADHS-Syndrom zur Ehre gereichte – fühlt man sich an den Philosophen Odo Marquard erinnert, der in seiner Philosophie eine ebenso warmherzige und pointierte Skepsis aufgrund der schlichten Tatsache menschlicher Begrenztheit proklamiert und praktiziert. Denn das Chaos, das in den Gestaltungsdrang der menschlichen Kreatur (a demand for permanence and perfection) immer wieder einbricht, fordert stets sein eigenes Recht zurück. Jeder Hausbau ist auch ein zerstörter Steinhaufen, der als solcher wiederkehrt.
Besonders einleuchtend ist die Wertschätzung gegenüber dem Erzählerischen, das die Geisteswissenschaften legitimiert. Sie nämlich geben der Sachlichkeit einer modernisierten und säkularisierten Welt einen Kontrapunkt. Marquard: „Denn die Menschen, das sind ihre Geschichten. Geschichten aber muss man erzählen. Das tun die Geisteswissenschaften. Sie kompensieren Modernisierungsschäden, indem sie erzählen. Und je mehr versachlicht wird, desto mehr – kompensatorisch – muß erzählt werden. Sonst sterben die Menschen an narrativer Atrophie.“ (aus: Zukunft braucht Herkunft)