Manafonistas

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Archives: Marc Ducret

 

Als es noch kein Internet gab, tigerte ich oft am öden Sonntag, nach arbeitsreicher Woche meist völlig ausgelaugt, zu irgendeiner Tankstelle oder Bahnhofsbuchhandlung, um verstohlen in den Hifi-Magazinen die Neuveröffentlichungen und Plattenkritiken rauszupicken. In einer dieser Journale wurde unterteilt in die Bewertungskriterien „Musik“ und „Klangqualität“ der jeweiligen Aufnahme, also in gewisser Weise die altbekannte Zweigestalt aus Inhalt und Form. Gestern beim Hören von Candid des Quintetts Sunny Five dachte ich, es wäre gut, ein weiteres Kriterium hinzuzufügen: inwieweit man angestachelt wird, selbst Musik zu machen, also dem Drang zu folgen, das Rezipierte nachzuahmen. Ahmung war immer ein entscheidender Faktor, schon zu Zeiten von Ten Years After wollte ich Alvin Lee nicht nur hören, sondern es selber sein. Auch die Beatles, das war im Grunde genommen ich. Ein Wunsch wurde nun wahr: das zwei, die mehr sind als nur Gitarristen, nämlich auch Berserker auf ihrem Instrument, Klangmagier und Alchemisten, in der Tradition eines Fred Frith oder Derek Bailey, einmal zusammenspielen würden. Von David Torn und Marc Ducret ist die Rede, zu bestaunen auf Tim Bernes aktueller Neuveröffentlichung. Zu den bereits Genannten gesellen sich dann noch Bassist Devin Hoff und Drummer Ches Smith. Zu hören ist ein furioses Happening, bei dem im Kopf ein Film abläuft. So viele Assoziationen: mal dachte ich, die Möbelpacker kommen. Wohin der Schrank? Dort in die Ecke. Rumms! Eine Tür schlagt zu. Dann eine Fabrikhalle, Machinen, Räderwerk greift ineinander. Bleche fliegen durch die Luft. Da fliegt mir doch da Blech weg. Spliff! Und immer elektronisches Hintergrundgezirbel, zauberhafte Mutationen. Der erdenschwere Bass bringt reichlich Wucht zuweilen, Bill Laswells Massaker kommt in den Sinn. Dann wieder ist es plötzlich still, typisch Berne, diese dynamische Spannbreite. Da lässt der Torn mal kurz die Oud raushängen, dann übernimmt das Saxofon Ducrets E-Gitarre wie im Staffellauf. Das Ganze ist irgendwo zwischen Jazz, experimenteller Musik und Heavy Metal angesiedelt, teilweise rockiger als Rock. Heroisch wurde dies bereits genannt, ja irgendwie steckt Nietzsche drin, der Drang zur Überschreitung. Ich höre gerne Taylor Swift, doch immer wieder auch Fred Frith.

 

Café OTO, in der Nähe der U-Bahnstation Dalston-Junction gelegen, nicht weit vom (älteren) Vortex, das an der nächsten U-Bahnstation (Dalston Kingsland) liegt. OTO ist ein kahler Klub, wo die Musik der offenen Ränder ein Zuhause hat und findet (hier   Nachbarschaftsgespräch).
 
 
 

 
 
 
Hier gibt es als erstes das Trio des jungen Schweizer Posaunisten Samuel Blaser mit einem alten Hasen, dem messerscharfen Gitarristen Marc Ducret und dem dänischen Schlagwerker Peter Bruun, der bereits seinen manafonistischen Einstand hatte. In der Mitte das Power-Quartett des jungen Hundes Guillaume Perret, ein aufstrebender französischen Musiker, der sein Saxophon elektrisch gitarrisiert. Schlussendlich das taufrische, sich gerade aufbauende Assemblée von Luc Ex mit den beiden Saxofonisten Ab Baars und Ingrid Laubrock sowie dem sturmerprobten Chicagoer Schlagzeuger Hamid Drake.
 
 
 

 
 
 
Blaser, Ducret, Bruun. Ich habe die drei nun seit Juni dreimal mitgemacht und spielen sehen: in Berlin, in Umeå und nun in London. Posaune und Gitarre, eine wunderbare Kombination mit Möglichkeiten zuhauf. Und wenn dann noch die Richtigen spielen … wie diese zwei, dann funkt’s. Die Musik spielt sich nach den Monaten des Tourens aufblitzend auf Messers Schneide ab – siedend heiss, gleissglitzernd, getragen vom tausendfach raschen Nadelschlag, den Peter Brunn entfacht. Sie lässt sich nicht so einfach fassen, die vorwärts schnellende Form, die dabei entsteht. Grossartig, wie sie sich verdichtet, verschärft, umschlägt, tobt, gleitet, singt und springt. Verrückt die Komprimierung bei Ducret und die Art wie er dem battente auf den Saiten eine neue Dimensionen abgewinnt. Auch das kann Schlaggitarre sein.

Formverschiebung, Formverdichtung, Aufgehen, Verschwinden – es ist ein fortwährend auf hohem Niveau erschliessendes Spielen. Das Vierzig-Sekunden-Thema von Strawinskys Fanfare for A New Theatre erscheint diesmal gleich zu Anfang und expandiert dann. Blaser, Bruun und Ducret liefern über die Abwechselung der Reihenfolge ein faszinierendes Spiel mit der Mitte, um die Mitte und mit der (Un-)Bestimmtheit der Form. Wild, ohne dass jemand den wilden Mann raushängen oder auf Power machen müsste. Diese drei gehen konsequent ihren Weg. Auf Messers Schneide. Und das Ende der Fahnenstange, es ist noch lange nicht in Sicht! Es ist ein fortlaufendes Auskristallisieren und Austarieren scharfer Formen und glühender Texturen.

Und dann Luc Ex Assemblée mit den beiden Saxofonisten Ab Baars und Ingrid Laubrock sowie dem sturmerprobten Chicagoer Schlagzeuger Hamid Drake. Luc Ex ist für die kompositorischen Vorgaben zuständig und spielt akustische Bassgitarre. Und wie!

Dieser wunderbar stumpfe Klang seines Instruments, der sich zwischen den nordafrikanischen Lauten, der Guimbri und der Doussn Goni bewegt. Abwechselnd gerupft und geschruppt im Verein mit Hamid Drakes prasselndem Geschläge schaffen sie ein rauhes Gestrebe, das sich mit dem Atem der beiden Windinstrumente verschränkt, deren Farben verwirbelt, sie fängt, sie aufsteigen und wie ein Funkenflug sprühen lässt.
 
 
 

 
 
 
Baars und Laubrock, Laubrock und Baars sind eine wahrlich goldene Kombination, in der beide nur noch besser werden. Eine reine Freude, wie sie kürzeln und dann wieder schweifen, wie sie in einem Moment andeuten und im nächsten voll hineintauchen. Und all das mit dem Ernst der Selbstverständlichkeit, der Leichtigkeit des Unwiederholbaren und der Schönheit des gerade noch Greifbaren. Wenn Baars zur Klarinette griff, immer im ultimen Moment, stand das Erstaunen sich selbst gegenüber (und tanzte Tango).

Das ist das Gute am Londoner Jazzfestival. Man kann an die verschiedensten Orte ziehen und da Besonderes an originärem Ort mitmachen. Voraussetzung: man lässt sich durch Ort und Besonderheit leiten und nimmt sich Zeit und Raum fürs Hin- und Herbewegen.
 
alle Photos © FoBo_HenningBolte
 
 
Luc Ex (taken from my article DUTCH SCENE(RIE)S – A SNAPSHOT)
 
 

 
 
 
„… groups drawn from the older generation, each joined by a musician of the middle generation – which in itself makes a valuable point about the way that creativity passes down the years. One is a brand new formation of bass-guitarist Luc Klaasen – aka Luc Ex (1958) because of his long time membership of legendary Dutch band The Ex, one of the cornerstones and most longstanding groups on the Dutch scene.

Luc Ex’s new band brings raw elements of clashing sound and distortion whilst maintaining an anchor in the signature format of a classic jazz quartet. He is joined by prominent reeds specialists from two generations, Dutchman Ab Baars (1955), member of ICP, and American-German Ingrid Laubrock (1970), formerly working in the London scene, and now one of the outstanding younger voices of the present New York scene. The quartet is completed by one of the strongest free improvising percussionists of these day, Chicagoan Hamid Drake (1955). Baars and Drake know each other from various earlier collaborations. Luc Ex worked with Laubrock in Dutch-English ensemble Sol 6 – which he founded back in 2008 together with British pianist Veryan Weston – and the multinational Sol 12. Sol6 is an ever fascinating chamber-hybrid of cabaret, punk, deep groove and free improvisation where Satie meets Bacharach meets Eisler meets Lacy etc.. The new band, Assemblée, leans on older collaborations but there is more than enough new and unknown territory left – an enterprise that fits into the polarities of orchestration mentioned earlier.
 
 
 

 
 
 
It is perhaps worth dwelling on Ab Baars – one of the mainstays of the Dutch scene for some decades. On the one hand he is a highly idiosyncratic musician with a kind of stylishness and noblesse which is rare in the Dutch scene (famous quote of the old master Misha Mengelberg: “Ab always plays Ab-music.”) On the other hand he is a sought-after musician who travels to Chicago, Scandinavia, Norway, England, Italy. He is very much linked and associated with the old impro-garde but to the same extent he is his own man. His most stable constellation besides the ICP Orchestra ( he’s been a member since 1986), is a delicate duo with violinist Ig Henneman. Again in the words of Misha Mengelberg: he is not “corruptible” – with all his distinctive qualities, he feels at home with the The Ex as well as he feels at ease with singer Fay Victor or french hornist Vincent Chancey. He plays tenor saxophone, clarinet and studied the Japanese bamboo flute shakuhachi which he regularly uses in his work.“

LOWLIFE – The Paris Concert I
POISONED MINDS – The Paris Concert II
MEMORY SELECT – The Paris Concert III

Recorded September 22–25, 1994 – Instants Chavirés, Montreuil, Paris, France.

Tim Berne – alto saxophone
Chris Speed – tenor saxophone, clarinet
Marc Ducret – electric guitar
Michael Formanek – contrabass
Jim Black – drums

 

Es ist ein Wunder. Ich habe diese drei Platten (’scuse me for this old fashioned term)
nun schon so oft gehört und immer noch stellt sich der Effekt ein, daß mich diese Mitschnitte des legendären Paris-Konzertes in eine Art Trance bzw Clearing versetzen. It’s hard to describe, but let’s try:

Zum einen ist der Gesamtklang dieses Ensembles auf fast heilsame Weise homogen. Die Elemente der einzelnen Instrumente greifen ineinander wie ein Schweizer Uhrwerk und ergänzen sich zu einem kongenialen Gesamtgefüge. Marc Ducret on guitar, Jim Black on drums, das ultra-knackige Baßspiel des Michael Formanek, das kontrapointierte Bläserduo Speed und Berne.

Die Mannschaftsleistung zählt. Dies ist das Konzept, liest man Meister Tim´s Stellungnahme zum Werk (dies ist nämlich, auch wenn es anders klingen mag, primär komponierte Musik). Aber es macht auch Spaß, den einzelnen Top-Class-Musikern auf ihrem jeweiligen Instrument zu folgen, und das nach dem x-ten Hören. Hinzu kommt: die Musik ist ein Amalgam aus fast allen Musikgattungen und entzieht sich gleichsam allen Schubladen.

Ich höre hier eine Weiterentwicklung der SURVIVOR’S SUITE; furthermore MANAFON-like passages of improv-music; teilweise klingt es kammermusikalisch; Chris Speed erinnert stellenweise an Evan Parkers Spiel. Ein Spektrum zwischen Dynamik (Jazzrock im besten Sinne) und absoluter Stille. Dann steht plötzlich in einer Ruhe nach dem Sturm ein Saxophon-Ton im Raum. Wie eine Kobra aus dem Korb des Schlangenbeschwörers: a perfect, but dangerous beauty!

Das gesamte Konzert erweckt den Eindruck eines würde- und spannungsvoll voran-schreitenden Prozessionszuges: eine achtsame Avant-Garde durchschreitet Etappen von beeindruckender Vielfalt und Virtuosität, die man jeweils einzeln, aber auch als zusammengehöriges Ganzes erleben kann.

Dieses Musik-Ereignis, live aufgenommen im Herbst 1994, zunächst bei JMT, später dann bei Winter&Winter erschienen, es ist ein Meisterwerk; ein Glücksfall und zudem eine hohe Schule des Hörens. Kein Tor zu tausend Wüsten, nein: ein Schlüssel für die vielfältigen Räume moderner Musik. Mit einer Dosis Gift, die heilend wirkt für Poisened Minds und die das Gedächtnis selektiert. Nicht ganz harmlos – doch nur das Gefährliche hat Mana.
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