In einem Kraftakt abends um kurz nach Zehn ist es geschehen: erfolgreich abgeschlossen mit summa cum laude wurde ein Serienmarathon von nicht gekanntem Ausmass. Gut, Trainingseinheiten en masse fanden im Vorfeld statt, Kurse mit Namen Mad Men, Breaking Bad, Sons of Anarchy und manche mehr. Und doch, dies war eine andere Nummer: sechs Staffeln nacheinander, jeden Tag eine Episode, allerhöchstens zwei, insgesamt gut neunzig Stunden Fernsehzeit. Und man braucht „högschte Konzentration“, mit Berieselung war da kein Weiterkommen. Hernach sogleich zum PC gestürzt. Gierig, als sei es eine Nase Koks, ein Stoff, den unsereins ja nie genossen hat, zog ich mir rein, was über Wochen mir versagt war: die Reviews und Kritiken endlich nun zu lesen, Belohnung quasi für Strapazen, die man gerne auf sich nahm. Das, was man sah, emphatisch miterlebte, mit Anderen zu teilen nun. Mehr als beruhigend dann, dass die auch so ihre Probleme hatten: der Schluss der Serie war nah an einer Sonntagspredigt und manche Logik eines Handlungsstranges ging irgendwo verloren. Dem Grundkanon der Rezipienten, dies sei eine grossartige, erzähltechnisch Maßstäbe setzende Fernsehshow, schliesse ich mich an. Die erste Staffel lief im Jahr Zweitausendvier. Damals war im Traum nicht dran zu denken, die Lebenszeit dem Fernsehen zu schenken. Die letzte wurde im Jahr Zweitausendzehn beendet. Meanwhile the televised Revolution has become a quite a familiar place. Findet sich da auch schon ein leichter Abnutzungsprozess, eine leise sich anbahnende Tele-Müdigkeit? Und doch, selbst der durch Zeiten und Leben hindurch wiedergeborene Skeptiker in mir kann sich dem nicht entziehen: frappierend etwa ist die Modernität und Vielfältigkeit der Charaktere. Was sich da aus aller Herren Länder trifft zu einer besonderen Art von Encounter. Allein, was die Drehstandorte betrifft, müssen Unsummen verschlungen worden sein, als seien sie das Opfer einer böse-biestig schwarzen Wolke gewesen. Und richtig, spoke with Wikipedia: allein ein Flugzeugwrack auf eine Insel nach Hawaii zu bringen, kostete locker eine Million. Wie auch bei anderen Serien sind es ja vor allem die detailreichen, tiefenscharfen Zeichnungen der Charaktere. Dass es heute vorrangig Fernsehserien sind und nicht, wie vor Jahrzehnten noch Romane, die imstande sind, Erzählungen von epischem Ausmass vom Stapel zu lassen, das zeigt auch Lost. Grandiose Schauspieler spielen grandiose Figuren: Hugo „Hurley“ Reyes, Kate Austen, Benjamin Linus, John Locke, Jack Sheppard, Jin und Sun Paik, Claire, Michael … Deren aller Stimmen werden mir wohl nach Wochen im Ohr nachklingen wie liebgewonnene Vertraute. Meet you in another life, brother. Dieser ungeheure Kontrastreichtum auch durch die Schnitt-Wechsel von Wildnis und westlicher Zivilisation. Der Wortwitz in den Dialogen. M deutete das neulich an, missing Sawyers humor. Aber auch Jackpotknacker Hurley hat es in sich. Take „rotten“ rockstar Charlie and his Mancunian Slang. Interessant zu lesen, dass Evangeline Lilly, unsere liebe „Kate“, mit genau jenem während der Dreharbeiten eine Relationship hatte (sorry, das wäre die „Frau im Spiegel“, die ich beim Friseur gern läse). Jene Schauspielerin, deren Haus auf Hawaii während der dortigen Dreharbeiten (nun ist es raus, thats the island) abbrannte, sie ihren gesamten Besitz verlor, und überhaupt keine Eile hatte, ihren privaten Lost-Zustand vorschnell zu beenden. Just sideeffects, Marginalien. Das Ende der Serie wurde heftig diskutiert, so lese ich und pflichte bei, finde auch hier meine Wahlverwandten. Einziger Kritikpunkt meinerseits ist und bleibt die Filmmusik. Sie ist gewiss ganz ausgezeichnet und auf den Punkt genau komponiert. Jedes Blatt, das vom Baume fällt, bekommt so ungefähr den passenden melodramatischen Klangabgang. Ben Hur und die Titanic lassen grüssen, oh Graus. Und noch ein Zweites, und hier freue ich mich schon auf Kommendes, nach einer gewissen Rekonvaleszenz: die Stille, das die Einbildungskraft beflügelnde Fast-Nichts im Randgeschehen. Wie in Breaking Bad, wo eine einsame Coladose in der Wüste minutenlang Bände spricht. Man kann nicht Alles haben. Wie sagte jüngst ein gestürzter Radrennfahrer: „Ich weiss noch nicht, wann ich wieder in der Lage bin, aufs Rad zu steigen, brauche erstmal Abstand von der Tour.“ Doch dann gehts weiter, für den einen auf der Giro d´Italia und für den anderen auf dem Sunset Boulevard der neuen Serienwelt: ungedopt, frisch geduscht, geduzt und garantiert nicht ausgebuht.
Archives: Lost
2018 22 Jul
You need me to make you a mixtape?
Martina Weber | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Lost | 5 Comments
Season 3, Episode 17. Ich hatte diese Folge von „Lost“ ausgewählt, weil ich mir nochmal einen kleinen Ausschnitt mit einer besonderen Beleuchtung ansehen wollte, am nächtlichen Lagerfeuer auf dieser mysteriösen Insel. In den ersten Minuten betritt Sawyer Kates zeltartige Unterkunft, ohne ihr okay abzuwarten. Sie ist gerade dabei, sich ziemlich sexy die Jeans über den Po zu schieben, da sie sich aber mit Jack verbunden fühlt, wirft sie Saywer aus dem Zelt und dann kommt von ihm der Satz aus der Überschrift. Die schöne Zeit mit der Serie ist leider vorbei. Es ist etwas anderes, einen Teil einer Folge nochmal zu schauen oder zum ersten Mal. Wie vermisse ich Sawyers Humor. Die Frage nach dem Mixtape erinnert mich an seine Frage, nachdem er mit einer anderen Frau von der Insel Sex hatte und diese dann schnell verschwand (weil sie eigentlich nur seinen Revolver wollte). Don´t you want my phone-number? Als Kate später ihre Meinung ändert und in Sawyers Zelt stürmt, fragt er, stirnrunzelnd und, wie so oft, ins Lesen vertieft: My doorbell busted again?
Back to the mixtape. Sawyers Bemerkung brachte mich auf die Idee, mir mal wieder ein Mixtape anzuhören, das mir jemand vor geraumer Zeit geschenkt hatte. Dies sind die schönsten Titel aus dem Tape:
- Avishai Cohen & The International Vamp Band: Vamp
- Esbjörn Svensson Trio: O.D.R.I.P.
- Hauschka: Snow
- Bright Eyes: Easy Lucky Free
- The Mountain Fuji Doomjazz Corporation: Seven
- Nick Mason (mit Robert Wyatt): I´m a Mineralist
- The Arcade Fire: Wake Up
- L´Orchestre Des Bras Cassés: L´Enragé
- Bonbo: Black Sands
2018 9 Mrz
No happy endings, but life at the brim.
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Das Tibetanische Totenbuch, Erik Satie, Lost, Penguin Cafe Orchestra, Simon Jeffes, Talking Heads | 7 Comments
That what it‘s all about. No doubt it‘ll all end up in tears. Or sudden death, tears only for the leftovers. Death by chocolate, death by wrong time, wrong place. Or you‘ll see the golden light, but it‘s all endorphines, morphines, and the brain protecting you a last time before the curtain‘s falling. You won’t see anyone again really. There may be an afterglow, but it‘s a matter of seconds, though the tricky neurochemical game of passing away forever might suggest eternity. So many people are trapped by illusions of an afterlife. Come on, Laurie Anderson: The Tibetan Book Of The Dead. Really? But, then again, how long did it take for Sawyer, Kate, Juliet, and all the others on the island, to realize that they ARE dead? In other words, LOST. So, no doubt the six seasons of one of the best TV shows ever are a second version of the Tibetans‘ survival manual. We better start asking some essential questions now. What is life all about? NO! Why are you still worried? YES! Worried about what? YES! The sound of someone going away? YES! They are all going away all the time. It happens every moment. Marriage doesn’t work either (rare enough). Too many miserable safety nets. Safety is the big illusion. See what happened to Satie when he had been striving for recognition – the hell of dead music! So the real question is: when do you start living? Or to make it utterly simple (from my basic lessons as a life coach): when do you start this fabulous day? Because, being dead will be easy anyway for a very long time. You think this guy is some hardcore atheist! No, I do believe in angels, for example. Yes, you can see them everywhere, just open your eyes. They don‘t do a very good job most of the time, they drink too much, they prefer escapism, tropical island discotheques, and some real good fuckin‘. They are humans in the end. Heaven is the place where nothing really happens. So here we are, down to earth, and you listen to a piece of music titled „The sound of someone you love who’s going away, and it doesn‘t matter“.