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Archives: Kommunikation

2020 26 Jan

Zwei Wittgensteine

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„Wenn man mit Leuten redet, die einen nicht wirklich verstehen, fühlt man immer das man has made a fool of oneself, wenigstens ich. Und das geschieht mir hier immer wieder.“

(LW, Public and Private Occasions)

 

„Die Schwierigkeit ist mit einem Menschen freundlich zu sprechen ohne Punkte zu berühren in denen man sich nicht verstehen kann.“

(LW, dito)

 

Es gibt ein Bonmot, das ich aus einem bitterbösen Sketch Bruno Jonas‘ kenne. Es ist auf irgendeiner meiner Festplatten oder CDs. Ich finde die Datei einfach nicht. Sollte ich einmal darüber stolpern, werde ich sie nachliefern. Nach meiner Erinnerung lautet ein Satz sinngemäß: „Jo, der is scho a Lehrer, abba koa Pädagoge“. Was mit Pädagoge genau gemeint ist, wird freilich nicht definiert. Wahrscheinlich bildet eine professionelle Ausbildung die Grundlage. Wie die aussieht, weiß ich nicht, denn ich habe keine erfahren.

Im 8. Semester der fachlichen Ausbildung waren die students verpflichtet, eine Vorlesung an der LMU zu besuchen. Man hatte die Wahl zwischen *Psychologie* und *Pädagogik*. Ich wählte *Pädagogik* und hörte ein Mal in der Woche eine Vorlesung über Philosophen und Pädagogen der Antike. Eine schriftliche Prüfung musste abgelegt werden. Es wurde Platons Höhlengleichnis abgefragt.

Eine Schulstube kann eine Höhle sein, manchmal eine Hölle für Schüler wie Lehrer. Damals konnte es mir schon den Schweiß auf die Stirn treiben, wenn mir auf dem Weg vom Bahnhof Icking zu meiner Bude die Schüler des Gymnasiums nach Schulschluss entgegenkamen. Ich war total unsicher, ob ich mich zum Lehrer eigne und vor Schulklassen bestehen kann. Ein Jahr bevor ich in Icking auszog, ließ sich Klaus Doldinger in Icking nieder.

Bevor ich letztlich in Kronach „eingeschult“ wurde, gab es noch die 2-jährige pädagogische Ausbildung im Studienseminar. Kurzes Fazit: was ich den beiden music teachern abschauen konnte, führte zu diesem Statement: so wie die, mache ich es auf keinen Fall. Eigentlich war deren Aufgabe die Vermittlung fachlicher Kompetenzen im Bereich Methodik und Didaktik des Unterrichts.

Aber es gab sehr wohl auch eine pädagogische Ausbildung. Einmal die Woche fand eine Fachsitzung in Pädagogik statt. Ein gutmütiger GymProf des Faches Latein las mit leiser monotoner Stimme aus Fachzeitschriften vor. Rückblickend war es ein Erleben früher Ambient Music. Ich brachte das Kunststück fertig, mit offenen Augen zu schlafen.

Ich betrieb fast ein Vierteljahrhundert Trial-and-Error-Pädagogik. Die professionelle Pädagogik holte mich im Jahr 1994 unerwartet ein. Da wurde mir aufgebürdet, den Job des Seminarlehrers Pädagogik auszuüben. Nach einigem Hin und Her sagte ich zu, ich wollte nicht kneifen. Aber bevor es losging, war es schlimmer, als Ickinger Gymnasiasten im Gegenstrom nahe des Bahnhofs zu begegnen. Ich hatte wochenlang massive Schlafstörungen. Kein Wunder, denn ich hörte jahrelang im Raucherabteil des Lehrerzimmers, in dem sich eine andere Sorte von Lehrern traf als im rauchfreien Bereich, viele Referendare abfällig kritisch über die Fachsitzungen in Pädagogik und Psychologie sprechen. Und ich? Meint ihr, ich komme daher wie der Große Zampano und alles wird gut?

Ich habe erstmals pädagogische Fachliteratur gekauft und durchgepflügt. Es könnte 1998 gewesen sein, da gab es erstmals im Angebot der VHS Kronach einen Flirtkurs. Irre! Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Nein wir haben nicht den Kurs besucht. Ich habe in der ersten Stunde mit den Seminaristen nach der Begrüßung gefragt, ob jemand Lust hätte, den Flirt-Kurs der VHS zu besuchen. Mit dieser Frage hatte niemand gerechnet, aber die Diskussion begann, und es war witzig zu beobachten – ich machte das ja öfter über die Jahre – wie unterschiedlich lang es dauerte, bis die Semis auf die Analogie kamen, die auf die Frage hinauslief, „ist man zum Lehrer geboren, oder ist es erlernbar, ein guter Lehrer zu werden“.

Die Aufgabe hat mich viel Energie gekostet, weshalb ich 3 Jahre in Teilzeit arbeitete. Nun kann man Teilzeit nur mit guten, amtlich akzeptierten Gründen beantragen. Ich konnte wegen meines Jüngsten familienpolitische Gründe anführen. Ich hätte ja gerne „wegen der Scheiß-Pädagogik“ als Grund genannt. Aber der stand nicht zum Ankreuzen zur Verfügung. Trotzdem bin ich dankbar, denn sonst wäre ich NICHT auf Friedemann Schulz von Thuns Buch Miteinander reden gestoßen.

Immerhin findet man bei YouTube zahlreiche Videos, die Thuns Konzept erklären. Ich habe solange gesucht, bis ich eines fand, das mir persönlich zusagt. Hier bitteschön kann man sich Thuns Modell erklären lassen. Was ich entscheidend daraus lernte, ist die Wirkung von ICH- und DU-Botschaften, die eng mit der Appell- und Beziehungsebene verknüpft sind. Fehler hab ich trotzdem noch gemacht, z.B. mit meinem Jüngsten, zwar nicht in der verbalen Drastik, die ich jetzt als Beispiel anbiete: „Das musst du anders machen, stell dich nicht so deppert an. Das geht nämlich so, ich zeig’s dir mal“. So etwas hat praktisch nie funktioniert, nur zu Konflikten geführt.

Das Konzept ICH-Botschaft geht vor DU-Botschaft ist besser, und es kann wirklich gut funktionieren. Die Chorprobe am Freitag nach der 6. Stunde fand gewiss nicht zum günstigsten Zeitpunkt statt. Ich hatte nur Freiwillige im Chor, immerhin 30 bis 40 Sängerinnen und Sänger. Aber oft genug gab es verschwätzte Grüppchen, störend, klar! „Seid doch ruhig“ war abgedroschen und wirkungslos. Ich hab es mal so probiert: „Leute, ich habe das Gefühl, dass ihr mich ärgern wollt“.

Unweit des Thunschen Kommunikations-Konzepts hält sich das Hamburger Verständlichkeitsmodell auf, zu dem auch von Thun seinen Betrag leistete. Gut erklären können ist bestimmt essentiell für wirksames Lehren und Lernen. Ich hatte einen Mathe- und Physiklehrer in der Mittelstufe, der brillanten Frontalunterricht ablieferte, spannend, rhetorisch vom Feinsten und vor allem konnte er erklären, dass uns die Schuppen nur so von den Augen fielen. Raffiniert war er auch, im schülerfreundlichen Sinn. Bei der ersten Mathe-Schulaufgabe, die wir bei ihm schrieben, sagte er gleich zu Beginn „wundert euch nicht über die krummen Ergebnisse“. Ich weiß, dass ich in solchen Fällen immer einen Fehler vermutete, ihn suchte, dabei Zeit verlor, die für die anderen Aufgaben nötig gewesen wären. Ok, beim Mathe-Meyer kam halt 271/313 raus und nicht 2/3 – und gut wars. Bei einer Physik-Schulaufgabe – die Parallelklasse, die den Meyer nicht hatte, hielt sie für hammerschwer – gab es 7 Einser, noch mehr Zweier, die schlechteste Note war 4. Leider blieb der Mathe-Meyer nur für 1 Jahr am Gymnasium Münchberg, dann suchte er das Weite aus dieser verlassenen Gegend.

 

Wer nicht eingeschlafen ist, kann hier einen fulminanten Abschluss abholen.

Oh, eigentlich soll es hier losgehen … nämlich bei 6:00 und nicht von vorne. Das klappt, wenn man die rechte Maustaste betätigt und *Öffnen in neuem Tab* wählt.

El Hierro es muy bonito

 

Unlängst stieg eine Frau in die Straßenbahn ein, sie pfiff die ganze Zeit. Alle Fahrgäste schauten in ihre Richtung, ich auch. Mir gefiel ihr unbekümmertes Treiben. Pfeifen hat was Fröhliches, Beschwingtes, aber nicht immer. Der schrille Pfiff, der zur Ordnung ruft, kann durch Mark und Bein dringen. Welcher Fussballnarr kennt nicht das bange Warten auf den erlösenden Schlusspfiff des Schiedsrichters. Das Pfeifen als Sprache ist mir auf El Hierro begegnet. Bei der Ankunft auf dem kleinen Inselflughafen lernte ich einen alten Mann kennen, der mir unter anderem erzählte, dass er die Pfeifsprache von früher beherrsche. Ich bat ihn spontan, mir mehr über „El Silbo“ zu erzählen. Wir verabredeten uns in einer Bar. Folgende Fragen hatte ich für das Treffen vorbereitet:

 

Von wem haben Sie die Sprache gelernt?

Wer kann das Pfeifen heute noch?

Wann und wo wird die Pfeifsprache benutzt?

Wie wird die Sprache ins Pfeifen umgesetzt?

Können auch Frauen so kommunizieren?

Lernen Kinder in der Schule „El Silbo“?

 
 

 
 

Der alte Herreño hatte sichtbare Freude an unserer Unterhaltung. Er zeigte mir die drei Methoden des Fingeranlegens am bzw. im Mund. Er sagte, dass man bei bestimmter Wetterlage und Stille in der Umgebung das Pfeifen bis zu 3 Kilometer hõren, verstehen und beantworten könnte. Es seien vor allem die Priester gewesen, die ihre „Schäflein“ zur Messe zitierten und natürlich die Hirten, die ihre Ziegen zusammentrieben. Früher gab es Warnpfeifer, die die Inselbewohner mittels Pfeifen zum Strand riefen, wenn die Insel vom Meer her angegriffen wurde. Die Silbensprache ist eine alte kulturelle Tradition und es gleicht einem Wunder, dass einige noch in dieser alten Guanchensprache über weite Distanzen kommunizieren können. Ich hatte grossen Respekt vor dem alten Mann, der stolz auf das Weitertragen seiner Kultur war. Er sagte mir, dass bei ihm zu Hause die Silbensprache gesprochen wurde und er sich noch gut an die Kommunikation seiner Mutter mit seinem Vater in der Küche erinnere:

 

Domingo! – Què? Ya voy, ya voy. – Bueno, bueno.

 

Die Basis der Silbensprache ist das gesprochene kastilianische Spanisch . Die Vokale werden erhõht, die Töne werden durch die Kraft der Luft in der Lunge erzeugt, die im Mund mehr oder weniger stark zirkuliert.

 
 

 
 

Der Herreño erzählte mir, dass er am Vortag in einer Schule war und erstaunt war, wie die Kinder die Technik der Silbensprache so selbstverständlich erlernten, fast wie ihre Muttersprache. Er hätte den Schulkindern erklärt, dass die Pfeifsprache auf Silben basiert. Dass ein kleiner Mund kleine Pfeifvokale herausbringt und ein grosser Mund die schweren Töne bewältigt. Es brauche sehr viel Übung, um den richtigen Pfeifton der Silben zu treffen und dann zu kommunizieren.

 

 

Also – mano a la boca: „yi-yo-ye-yo-ya-yo …“

… und bringt bitte einen Text mit, der euch sehr gut gefällt, den ihr aber nicht selbst geschrieben habt, Genre egal, maximal eine Seite, bitte für alle kopieren und ein paar Argumente überlegen, die aus eurer Sicht für die Qualität des Textes sprechen …

 

D. hatte einen schmalen Erzählungsband von Denis Johnson dabei: Jesus´ Sohn. Er fing einfach an zu lesen und es war gleichgültig, dass wir weder den Zusammenhang noch den Titel der Geschichte kannten. Er begann so: „Kurz darauf standen Autoschlangen auf beiden Seiten der Brücke, Scheinwerferlicht schuf um den dampfenden Schrotthaufen eine Stimmung wie bei einem nächtlichen Fußballspiel, und Kranken- und Polizeiwagen bahnten sich zögernd ihren Weg, so dass die Luft farbig zuckte.“ Ein paar Absätze später folgte eine Passage, die die Stimmung im Raum veränderte.

 

„Dann kam die Frau den Gang hinunter. Sie war eine Pracht – sie glühte. Sie wusste noch nicht, dass Ihr Mann tot war. Wir wussten es. Das gab ihr diese Macht über uns. Der Doktor bat sie in ein Zimmer mit einem Schreibtisch am Ende des Ganges, und unter der geschlossenen Tür strömte ein strahlend heller Glanz hervor, als würden dort drinnen in einem phantastischen Verfahren Diamanten zu Asche verbrannt. Was für Lungen! Sie schrie schrill auf, so wie, vermute ich mal, ein Adler aufschreit. Es war ein wunderbares Gefühl, am Leben zu sein und das zu hören! Überall habe ich seither dieses Gefühl gesucht.“

 

Während D. darüber sprach, was ihn an Denis Johnson faszinierte und welches seine Lieblingsbücher waren, klebten meine Augen auf dem Satz: „Das gab ihr diese Macht über uns.“ Worin liegt die Macht einer Frau, die in der Illusion lebt, ihr Mann würde leben? Sie lebt in der Gewissheit, dass ihre Liebe existiert. Dies ist ihre Wahrheit und eine Erfahrung, die in ihrem Körper gespeichert ist. Es ist ihre Kraftquelle, der sich die anderen nicht entziehen können. Darin liegt ihre Macht. Die Nachricht des Arztes verändert ihren Körper, die Konfrontation mit der Wirklichkeit zerstört die Frau. Und welches Gefühl sucht der Erzähler, vergeblich? Die Lebendigkeit. [Heute mal große Worte, Guerrilleros, der Mond irgendwo über dem Lagerfeuer.]


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