Kleine Vorrede: Tatsächlich gab bzw. gibt es 2021 eigentlich kein Album, das mich so überwältigend begeistert hat wie meine jeweiligen Vorjahres-Favoriten, also (bislang) kein „Fünf Sterne“-Album. Daher ist Low als „Nummer 1“-Album zumindest ein klein wenig irreführend; da ich keine einzelne herausragende 2021-Lieblingsplatte habe – aber alle meine „Top 10“-Alben finde ich im Grunde genommen gleich gut und gleich markant als „Meine Lieblingsmusik 2021“. Brandi Carlile habe ich durch ihr Duett auf Elton Johns neuem Album entdeckt, und ihr neues Album hat ein wunderbares Siebziger-Jahre-Flair, passt ganz wunderbar als classic songwriting auf halber Strecke zwischen Elton John und Joni Mitchell. Die beiden in diesem Jahr entdeckten Alben, die mich mehr als alle anderen zu „fünf Sternen“ verleiten, sind zum einen Deradoorians Find The Sun, das genau genommen schon 2020 erschien, ich aber damals nicht gehört habe, und die auf zwei Vinyl-Scheiben veröffentlichten 6 Stücke von (Sam) Barker, dessen Album Utility 2019 eines meiner Favoriten war; auch hier stammt der erste Teil dieser beiden EPs genau genommen aus dem Vorjahr, wurde nur 2021 gemeinsam mit dem zweiten Teil noch einmal veröffentlicht.
Besonders verweisen möchte ich auch noch auf die drei sehr guten Alben von/mit Moor Mother (Brass, Black Encyclopedia of the Air, Irreversible Entanglements), auf Dawn Richards sehr spannende LP Second Line und vor allem auch auf das neue Talking-Heads- äh Parquet-Courts-Album Sympathy for Life. Aus dem deutschsprachigen Bereich habe ich 2021 wohl nur eine Band häufiger gehört: International Music, angeregt durch Jan „Tocotronic“ Müllers monatlichen „Reflektor“-Podcast, in dem er in die (Diskografie-)Tiefe gehende Gespräche mit unterschiedlichen Musiker*innen und Bands aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert. Das erste Album von International Music, Die besten Jahre, (seit) 2019 eines der meistgelobten deutschen Rockalben, habe ich mir daraufhin mit Verspätung gekauft, zusammen mit dem Nachfolger Ententraum – beides vielseitige, eigenwillige Doppelalben deutschsprachiger Rockmusik.
Bei ECM gab es 2021 erstaunlich wenige Alben, die mich dauerhaft gefesselt haben. Vijay Iyers neues Trio hat mich live sehr überzeugt, so dass ich das Album Uneasy danach noch einmal mit frischen Ohren hörte; und tatsächlich ist hier das Album (für ECM-Verhältnisse) ungewöhnlich nah am Live-Erlebnis, so dass ich es vielleicht als Favorit wählen würde. Auf Ayumi Tanakas CD und die neue Aufnahme von Kim Kashkashian mit dem Parker Quartet bin ich sehr gespannt (von den beiden verspreche ich mir sehr viel), habe die aber bis jetzt noch nicht, wie überhaupt eine Mehrzahl der ECM-CDs der zweiten Jahreshälfte. Am besten/nachhaltigsten gefällt mir neben Uneasy wohl Sinikkas Langelands Wolf Rune. Neu erworben habe ich gerade letzte Woche eine ambitionierte gemeinsame neue 5-CD-Box von den ECM-Urgesteinen Dave Liebman und Richie Beirach, Empathy; allerdings noch nicht durchdrungen. Gleiches gilt für das auf Jochens Tipp hin gekaufte neue, abendfüllende Album von Dave Holland, Another Land.
Alben:
01. Deradoorian: Find The Sun
01. Barker: 001/002
01. Low: Hey What
02. Little Simz: Sometimes I might be Introvert
03. Microcorps: XMIT
04. Vladislav Delay: Rakka II
05. Dry Cleaning: New Long Leg
06. Self Esteem: Prioritise Pleasure*
07. Wadada Leo Smith, Jack DeJohnette & Vijay Iyer: A Love Sonnet for Billie Holiday
08. The Weather Station: Ignorance
09. Suuns: The Witness
10. Anthony Joseph: The Rich Are Only Defeated When Running for Their Lives
11. Eivind Aarset 4tet: Phantasmagoria
12. Brandi Carlile: In These Silent Days
13. Anna B Savage: A Common Turn
14. Black Country, New Road: For The First Time
15. Idles: Crawler
16. Allison Russell: Outside Child
17. Valerie June: The Moon and Stars
18. L’Rain: Fatigue
19. Lucinda Williams: Bob’s Back Pages: A Night Of Bob Dylan Songs
20. Rival Consoles: Overflow
bonus album: I’ll Be Your Mirror – A Tribute to The Velvet Underground & Nico
*Prioritise Pleasure is a richly compelling album. It’s also a big, glorious pop record, the sort that Taylor hinted at back in the days of her former band Slow Club’s Complete Surrender. Yet it’s also a vitally important album: a record that could be a feminist manifesto all on its own. It fuses the pop genius of the likes of Rihanna or Taylor Swift with the searing rage of early ‘90s Riot Grrrl. And you’re never entirely sure where it’s going, it has that thrilling quality of nearly coming off the rails at any second, before pulling back and correcting course just in time. […]
Prioritise Pleasure is an album that should win end of year polls, Brit Awards and Mercury nominations. But, more importantly than that, it’s an album to inspire your daughters and educate your sons with. It’s the album of Rebecca Taylor’s career, and surely quite comfortably the best record that will be released in 2021. (zitiert von MusicOMH, außerdem: Album of the Year at The Guardian)
außer Konkurrenz:
Can: Live in Stuttgart 1975
Bruce Springsteen & E Street Band: The Legendary 1979 No Nukes Concerts
Nick Cave and the Bad Seeds: B-Sides & Rarities Part II
Mika Vainio: Last Live
Bob Dylan: Springtime in New York (1980-1985)
Filme, Serien, Mehrteiler:
01. The Father (dir. Florian Zeller)
02. Nomadland (dir. Chloé Zhao)
03. Annette (dir. Leos Carax)
04. Bir Başkadır (dir. Berkun Oya, Netflix)
05. Höllental (R: Marie Wilke, ZDF)
06. Der Rausch (dir. Thomas Vinterberg)
07. En Thérapie (dir. Eric Toledano & Olivier Nakache, arte)
08. Fabian oder Der Gang vor die Hunde (R: Dominik Graf)
09. Ammonite (dir. Francis Lee)
10. Sex Education – Season 3 (Laurie Nunn, Ben Taylor etc. / Netflix)
11. Minari (dir. Lee Isaac Chung)
12. Sörensen hat Angst (R: Bjarne Mädel, NDR)
13. Hinter den Schlagzeilen(R: Daniel Sager)
14. Titane (dir. Julia Ducournau)
15. Das Haus am Hang (dir. Yukihiro Morigaki, arte)
[Ein paar aktuelle Filme stehen für die kommenden Tage noch auf der Tagesordnung; Liste kann sich also u.U. noch verbessern.]
Alte Neu- und Wiederentdeckungen (chronologisch, ohne Wertung):
01. Masayoshi Sukita: David Bowie by Sukita
02. Peter Gabriel: (viertes Soloalbum + englische „TV-Doku“ von 1982)
03. Stereolab: Electrically Possessed (Switched On Vol.4)
04. Gallo Family Vineyards // Dark Horse Zinfandel California
05. Margaret (written and directed by Kenneth Lonergan, Extended Cut)
06. Steven Wilson: Insurgentes (2008)
07. The Raveonettes: Pretty In Black (2005)
08. Annette Peacock: X-Dreams (1978)
09. Einstürzende Neubauten: ½ Mensch (1985)
10. Nina Simone: The Montreux Years (1968-1990)
11. John Scofield Trio: Out Like A Light (1981/83)
12. Kris Davis: Capricorn Cumber (2013) / Safe your Breath (2015)
13. Schlippenbach Trio: Bauhaus Dessau (Intakt Records 2009)