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Archives: J. Peter Schwalm

„Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Das sind die Abenteuer von J. Peter Schwalm und Stephan Thelen, die mit einer 4 Mann starken Besatzung unterwegs sind um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Weit von der Erde entfernt dringen sie jenseits des Neptun in fremde Räume vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“.

 

Die Sonne ist nur noch ein kleiner heller Punkt im Firmament, die Temperatur nähert sich langsam dem absoluten Nullpunkt an und aus der kosmischen Finsternis nähern sich lichtlose Objekte, Planetoide, langsam den Protagonisten. Zwischen ihnen werden kleine Dateien mit Lichtgeschwindigkeit durch den Äther geschickt, Skizzen, Ideen, Entwürfe, die von dem jeweiligen Empfänger sorgsam gehört und derart bearbeitet wurden, dass daraus etwas entstand, was keiner von beiden je vorher gemacht hatte, was alle gewohnten Muster zerlegte. Dort in der Tiefe des transneptunischen Raumes entstand fern von allen irdischen Einflüssen etwas, das so noch nie zu hören war. Neue Botschaften von fernen Welten.

Mit an Bord waren Eivind Aarset, der Bassist Tim Harries und der Schlagzeuger Manuel Pasquinelli, die sowohl exorbitant ätherische wie rhythmisch treibende Elemente einbrachten. Den Einstieg macht ein Besuch bei Pluto, der erst vor einigen Jahren seinen Planetenstatus verlor und zum Planetoiden herabgestuft wurde. Hier stoßen treibende rhythmische Strukturen auf subtile atmosphärische Elemente, unberechenbar und horizonterweiternd. Mit MakeMake entfalten sich dystopische Eruptionen mit streckenweise fragwürdiger Rhythmusstruktur, die von völlig unvorhersehbaren Wendungen leben. Die nächsten drei Stücke schweben sich langsam entwickelnd zwischen untergründigen archaischen Fragmenten und ätherischem Cyberspace-Dub, teilweise von Eivind Aarsets einzigartiger Weise Gitarre zu spielen über alle Grenzen getragen. GongGong – ja die so fernen Planetoide habe oft obskure Namen  – oszilliert zwischen den Polen psychedelischer Klänge und Techno-Trance mit der unterschwelligen Aggressivität eines uralten Reptils, wohingegen die letzten beiden Stücke dann auf ihren exzentrischen Bahnen lichtferne Räume durchmessen, mal lautlos gleitend, filigran sich um die eigene Achse drehend, mal verhalten treibend und gewohnte Patterns sicher umschiffend, um sich letztendlich wie in der Schlussszene eines Science Fiction in unendlichen Weiten zu verlieren.

 

Im Jahr 2021 arbeitete Stephan Thelen parallel an vier Albumprojekten, die sich in intensiver Weise gegenseitig beeinflussten und bei sehr unterschiedlichen Konzepten und teilweise anderen Musikern aber sehr eigenständige und spannende Klangräume entstehen ließen. In Fractal Guitar 3 finden sich auf den Stücken alle Musiker, die auch auf Transneptunian Planets spielen wieder, zudem u.a. noch Markus Reuter, Jon Durant, Andi Pupato und Stefan Huth. Auf den verschiedenen Alben gibt es Stücke die den gleichen Ansatz haben, wie die polyrhythmische Struktur „5 gegen 7“ die nicht nur bei Morning Star, sondern auch bei Pluto und bei Fractal 5.7 auf dem dritten Album Fractal Sextet jeweils völlig andere Atmosphären entstehen lassen. Es finden sich recyclte Elemente des ersten Sonar-Albums Black Light wieder in Orbit 5.7 und Glitch, dann werden teilweise die komplexen Polyrhythmen in verschiedenen Tonhöhen und Geschwindigkeiten in atemberaubender Eskalation gegeneinander laufen lassen wie in Black On Electric Blue und als Pendant Slow Over Fast auf Fractal Sextet. Umklammert wird Fractal Guitar 3 von dem extremfaszinierenden Stück Through The Stargate, das von Eivind Aarset mitkomponiert wurde und am Anfang einen sehr treibenden Einstieg schafft und zum Schluß in einem sehr atmosphärischen Mix von J. Peter Schwalm, der die schwebenden Gitarrenklänge Aarsets in den Vordergrund hebt und so die tiefe musikalische Verbundenheit der beiden so unterschiedlichen Gitarristen in eine wunderbare Synthese bringt.

 
 


 
 

Fractal Sextet bringt mit dem Pianisten und Keyboarder Fabio Anile, dem Bassisten Colin Edwards und dem Schlagzeuger und Spezialisten für Polyrhythmen Yogev Gabay ein anderes Spektrum an Musikern auf den Plan, die zwischen minimalistischen Mustern, Prog und Kammerjazz eine atmosphärisch dichte Synthese finden und dabei fast Bandcharakter entwickeln, wenn nicht auch dieses wunderbare Album durch die pandemiebedingten Restriktionen vor allem durch den Austausch von Fragmenten und Dateien entstand. Hier kann man nur hoffen, dass die Musiker für eine Performance eines Tages live zusammenfinden. Doch das ist nicht das Ende dieser Geschichte, da noch ein weiteres Album fehlt …

 
 


 

2020 27 Nov

Neuzeit

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Zeit entsteht durch Bewegung verschiedener Objekte zueinander. Wenn sich nichts bewegt, hört die Zeit auf, das ist mit den äußeren wie inneren Objekten gleich. Wenn die Gedanken ruhen, spielt Zeit keine Rolle mehr. Zeit wird aus der Alltagserfahrung in zyklischen Bewegungen erlebt: wenn sich etwas wiederholt entsteht ein Rhythmus, eine Zeitstruktur, die die Musik der alten Zeit kennzeichnet. Die alte Zeit aber ist vorbei, vergangen. Wir wissen nicht, was geschehen ist, was den unsichtbaren Kollaps ausgelöst hat, aber es muss ihn gegeben haben. Vielleicht etwas Elementares, wie Michael schon vermutet hat. Verblieben sind noch einige elementare Reste des Alten, Klangfarben, Rhythmusfragmente, etwas das anklingt, sich verwandelt, verliert, verschwunden ist, bevor es erfasst werden kann, wie ein Vogel im dichten Morgennebel.

Raum entsteht durch die Entfernung verschiedener Objekte zueinander. Akustisch findet sich das in der Lautstärke und Position wieder und die Raumgröße als Hall im Klangraum. Der alte Raum ist vorbei, vergangen. Lange Hallfahnen mischen sich zwanglos mit trockenen Klängen, Nahes scheint leise und Entferntes verstörend nah, Hintergrundklänge füllen den Raum und Melodielinien fließen durch die fein gewebten elektroakustischen Texturen, verlieren sich in unvorhersehbaren Wendungen, zitieren mit offenem Ausgang und geben den alten Hörgewohnheiten soviel Halt wie eine abschüssige Eisfläche. Dazwischen erscheinen die Geister der Vergangenheit als Ghost-Notes, singulär und geheimnisvoll, leise verstörend, Konventionen verratend und im akustischen Irrgarten immer die andere Abzweigung empfehlend. Aber nimmt man weit mehr als nur die übliche Dreidimensionalität der Welt an, entsteht etwas Neues, unglaublich Magisches.

J. Peter Schwalm und Arve Henriksen wagen sich auf Neuzeit zugleich weit ins Neuland in einem Spannungsfeld von elektronischen, perkussiven und akustischen Klangfarben, die sich von strukturierten, formalen Ausgangspunkten dekonstruierend ins weiße Niemandsland, einem Land schwer faßbarer Atmosphären entfalten. Ein musikalisches Hybridwesen, ein mythischer Klangandroid, bei dem die verlorengegangene Ideenlosigkeit durch elektronische Träume ersetzt worden sind. Die Titel kreisen um verschiedene Arten der Zeit, die sich aus elementarer Zeitlosigkeit entfalten. Das beginnt mit Blütezeit, das sich ganz zart und additiv Facette um Facette hinzufügend entfaltet, organisch, sanft, sodass mancher drastische Wechsel erst bei mehrmaligem Hören auffällt, sanfte Trompetenlinien fast unbemerkt in harsche Synthesizerrhythmen übergehen, ein stetiges sich Öffnen. Suchzeit tastet sich behutsam durch einen längst leise kollabierten Raum, wie ein zarter Lichtstrahl durch den Staub alter Ruinen und beginnt alte Geschichten zu erzählen, die kein Ende mehr haben. Neuzeit schließlich tastet sich ganz vorsichtig, zaghaft in eine neodystopische Eskalation in unkartiertem Gelände hinein. In Raumzeit kehrt zu artifiziellem Regen eine fast impressionistische Stimmung ein, verloren, kryptisch und ein bißchen melancholisch. Schonzeit beschreibt den verhaltenen Raum zwischen den Zeitaltern, der ewig und unendlich kurz zugleich sein kann, cineastisch visionär und intim. Unzusammenhängend, schwebend dissonant zieht sich Unzeit mit subtilen Irritationen in fremde Gefilde zurück und Wellenzeit wagt die Vortäuschung des Zyklischen im niemals gleichen Fluss. Final setzt Zeitnah den Hörer sanft umgarnend in einem vollends fiktiven Raum ab, der befremdlich vertraut scheint. Archaische Musik aus der Traumzeit von Übermorgen. Jetzt.

 

 

Manche Alben müssen ein kleines bisschen reifen bis sie fassbar geworden sind und Worte für sie entstehen können. Der Sommer ist vorüber, der Vorabend zur herbstlichen Zeitumstellung (wann wird dieser Schwachsinn denn endlich abgeschafft?) ist gekommen, mein Schwager hat seinen Rotwein nun bald fertig bereitet und einige Veröffentlichungen aus den vergangenen Monaten laufen an den länger werdenden Abenden immer noch auf meiner Anlage. Zeit diesen elektronischen Kleinodien ein paar Zeilen zu widmen.

Da ist erst einmal J. Peter Schwalm mit How We Fall. Nachdem bei ihm ein inoperabler Hirntumor gefunden wurde, musste er sich den anderen nicht gerade angenehmen Behandlungen, wie einer Bestrahlung unterziehen, was seine Produktivität zunächst völlig zum erliegen brachte, aber auch dazu führte, dass sich innerlich sehr viel anstaute, dass sich schließlich in einer langsamen Rückkehr ins Studio seinen Weg ins Klangliche bahnte. Dabei griff er auf Kompositionstechniken zurück, die er Jahre zuvor mit Brian Eno begonnen hatte zu entwickeln, insbesondere auf das Multitrack Composing, bei dem unterschiedliche Ideen auf Parallelspuren unter Stummschaltung der jeweils anderen eingespielt und nachher komplex elektronisch verfremdet werden. Herausgekommen ist eine ambiente Klangwelt, die sehr eigene, weite Räume aufzieht, die in leisen Reminiszenzen zu verfremdeten Orten seiner Kindheit Bezug nehmen. Aber in Erweiterung zu den früheren Arbeiten spürt man die Spannung, das Treibende, die Intensität im Hintergrund sehr viel klarer, die sich dann mit spröder Schönheit den Weg in den Vordergrund bahnen. Da tritt viel Akzidentielles in die Klangräume, mal ganz leise, mal ungehört und fremd, mal etwas dramatischer, um schließlich aber von einem erfahrenen Musiker und Produzenten ganz fein in eine Balance gesetzt und mit sehr dezenten und dennoch gewichtigen Beiträgen von Eivind Aarset und Tim Harries durchwoben zu werden. Ein subtiles und recht vielschichtiges Erlebnis!

Vor einigen Tagen wurde in den Kommentaren noch über Brian Eno’s Engagement für das BDS -Movement geschrieben, wo ich dieses Mal gar nicht erneut einsteigen möchte, sondern hier lieber das Album einer Palästinenserin vorstellen möchte. Um es vorweg zu nehmen: Rim Banna ist tot. Gestorben an dem Tag, an dem ihr letztes Album Voice of Resistance final abgemischt wurde. Neun Jahre kämpfte sie gegen eine Krebserkrankung, die sie schließlich 2015 ihre Stimme kostete und dieses Jahr nun auch das Leben. Singen konnte sie kaum noch, aber sprechen. Sie hatte immer noch etwas zu sagen und wollte nicht leise werden. Und ging in diesem letzten Werk noch einmal weiter als bei ihren früheren Aufnahmen. Mit Hilfe des tunesischen Elektroniktrios Checkpoint 303, das MRT-Bilder der Künstlerin in Musik, Knirschen und Knacken umsetzte und des norwegischen Pianisten Bunge Wesseltoft gelang es ihr ein eindrucksvolles und musikalisch durchgehend spannendes Statement zu hinterlassen, mal intensivst sprechend, mal in Sprechgesängen, mal in rauen, fast gebrochenen Gesangslinien und zuletzt durchs Telefon. Ein wunderbares Stück Weltmusik und Kulturerbe, das in ungebrochener Kraft und Schönheit strahlt und selbst angesichts des Todes nicht in Bitterkeit verfällt, sondern mit größter Selbstverständlichkeit die Voice of Resistance ein letztes mal erklingen lässt. Ihre Mutter, die palästinensische Poetin Zouhaira Sabbagh verneigte sich leise „she departed and left behind her bright smile.“

Sophie Hunger liebte schon immer das Experimentelle, ein Suchen in neuen Ausdrucksformen. So überrascht es wenig, das sie nach dem Umzug nach Berlin von dem seit Jahrzehnten dort grassierenden Elektronikvirus befallen wurde und mit Molecules ein erstaunlich leichtes und dennoch elektronisch-kantiges Stück Minimal Electronic Folk, wie sie es selber bezeichnet, vorlegt. Überwiegend mit Dan Carey zusammen schuf sie schräge, schnarrende, etwas skurrile Musik über der ihre, dieses mal nur englisch singende Stimme sommerlich schwebt. Aber nicht ohne die gewohnten melancholischen und zuweilen düsteren Untertöne, die die Spannungsbögen des ewig unfertigen Berlins („das deutsche Zauberwort“ singt sie in Electropolis) zwischen Licht und lichtfernen Winkeln immer neu entstehen lassen und manchmal ganz selbstverständlich und fast unbemerkt in einem Atemzug die Seiten wechseln. Kleine Brüche, so wie wenn man um eine Strassenecke geht und das Licht, die Atmosphäre auf einmal ganz anders sind. Und genau deshalb auch nach mehrmaligem Hören immer noch spannend bleibt.

 
 
 
      

 


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