Im Fernsehen läuft an diesem Abend Sie kamen von jenseits des Weltraums. Im Kulturzentrum Fabrik in Hamburg-Altona spielt Harmonia. Diese Band kommt nicht von jenseits des Weltraums, sondern aus dem Dörfchen Forst im Weserbergland, aber das ist für die meisten Hamburger so ziemlich dasselbe. Und auch, wenn der Name eher an einen Gesangverein denken lässt: Die Musik von Harmonia ist utopischer als der Film.
Harmonia gehört zu jenen Bands, die vor ihren Auftritten nicht genau wissen, was sie spielen werden. Das kann zu endlosem Genudel führen, es kann aber auch hypnotische Momente erzeugen, wie sie nur aus dem freien Zusammenspiel heraus entstehen können. An diesem Abend des Jahres 1975 funktioniert es.
Weil die Gestalt des alten Fabrikgebäudes es anbietet, spielt die Band auf zwei Ebenen. Links vor der Bühne Michael Rother mit seiner leopardenfellgemusterten Fender Mustang, die vormals dem Kraftwerker Florian Schneider gehört hat. Rechts Hans-Joachim Roedelius an seinem Elektronikturm. Oben auf der Bühne das Markenzeichen der Band, der Sonnenschirm mit den bunten Glühbirnchen. Unter dem Schirm Dieter Moebius, auch er gebietet über eine Elektronikburg. Und ein Schlagzeug steht auf der Bühne. Das kommt aber erst in der zweiten Hälfte des Abends zum Einsatz. DeLuxe, die zweite LP der Band, ist gerade erschienen, und auf ihr trommelt als Gast Guru Guru-Schlagzeuger Mani Neumeier. Der kann an diesem Abend nicht dabeisein, Lutz Oldemeier nimmt seine Stelle ein. Oldemeier kommt eigentlich aus einer anderen musikalischen Ecke, von den Jazzrockern Aera und Missus Beastly, aber seine Spielweise fügt sich auch in die Musik von Harmonia ein. Der Dämpfung wegen ist sein Schlagzeug mit weißen Tüchern abgedeckt. Ein alter Trick, den auch Ringo Starr schon draufhatte. Harmonia nämlich spielt leise – so leise, dass das ungedämpfte Instrument unangenehm aus dem Klangbild herausfallen würde. Einzig im Schlussstück des regulären Teils zieht die Band ihre Lautstärke für ein paar Augenblicke kräftig an.
In der Zugabe spielt Harmonia dann wieder etwas Leises: „Es war einmal“ vom Cluster-Album Sowiesoso. Wie immer zu fortgeschrittener Stunde in der Fabrik vermischen sich die Klänge der Musik zunehmend mit dem Klirren der auf dem Boden abgestellten Biergläser, die von umherwandernden Zuschauern umgestoßen werden.
Eine vom Publikum geforderte weitere Zugabe gibt es nicht, statt dessen ruft Roedelius zur allgemeinen Erheiterung in den Raum: „Macht ihr doch mal was!“ Aus den Hauslautsprechern tönt Lou Reeds Transformer, die Platte, die hier allabendlich signalisiert: Wir möchten jetzt Feierabend machen.
Es sind nicht viele Zuschauer da an diesem Abend, vielleicht 50 oder 60. Immerhin ein paar mehr als die legendären 16, die auf dem Album Live 1974 das Publikum bilden. Und auch, wenn ich mich nach den vier Jahrzehnten, die das alles jetzt her ist, an viele Details nicht mehr erinnern kann: Das Konzert als Ganzes ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Es gibt nicht viele Konzerte, von denen ich das sagen könnte.