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Archives: Gerhard Richter

2022 13 Sep.

Reich/Richter

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Im Zusammenhang mit Reichs Gesprächsbuch „Conversations“ hatte ich auf das bevorstehende Erscheinen von Reich/Richter schon hingewiesen. Seit einigen Wochen liegt die CD nun vor und bereitet mir große Freude.

Der Reich-typische Puls ist natürlich da, Reichs Vorliebe für symmetrische Strukturen ebenfalls, das Prinzip der „Arche“ (ABCBA) wird wieder durchgehalten, und wie schon in anderen Kompositionen spielt das Vibraphon die Rolle eines Signalgebers, der den Wechsel zu einem neuen Abschnitt einleitet. Wer die Musik von Steve Reich kennt, ist sofort „drin“. Und doch weiß Reich/Richter zu überraschen, denn so sehr man auch meint, Reichs kompositorische Signaturen zu kennen, so gelingt es ihm doch, ihnen Varianten abzuluchsen, die man so noch nicht gehört hat.

Reich/Richter ist im Prinzip der zweite Teil einer Komposition, deren erster Teil von Arvo Pärt stammt. Der von Reich geschriebene Teil bildet die Filmmusik zu einem Portraitfilm von Corinna Belz (2019) über den Maler Gerhard Richter, von dem auch das Coverbild der CD stammt. Das Werk besteht aus vier Sätzen („Opening“, „Patterns & Scales“, „Cross Fades“ und „Ending“). Auf dem erwähnten Puls werden diesmal nicht kleine sich wiederholende Melodiepartikel aufgebaut, sondern man hat das Gefühl, in ein Spiegelkabinett aus Klangtupfern und aufwärts laufenden Arpeggios geraten zu sein, die durch Echogeräte laufen (es ist aber immer das ohne elektronische Helferlein spielende Ensemble InterContemporain; das Ganze ist ein Livemitschnitt von 2020). Im langsamen dritten Teil, „Cross Fades“, werden liegende Töne von einem Instrument zu einem anderen weitergereicht. Das ergibt einen Morphing-Effekt, als würde sich die Klangfarbe des jeweiligen Tons fließend verändern.

Im Booklet findet man ein ausführliches Interview mit Steve Reich, der auskunftsfreudig wie immer ist.

 

Steve Reich:

Reich/Richter
Ensemble InterContemporain, Ltg. George Jackson

Nonesuch 2022

 

 
 
19 Gesprächsprotokolle und ein Vorwort vom Meister selbst, das ist Conversations. Steve Reich, laut New-York-Times-Zitat auf dem Cover „our greatest living composer“, ist im Gespräch mit 19 Persönlichkeiten, die im Laufe der Jahre seinen Weg gekreuzt haben: Brian Eno ist darunter, Richard Serra, Nico Muhly, der Dirigent Michael Tilson Thomas, Stephen Sondheim, David Harrington (Kronos Quartet) und weitere. Das Buch, 340 Seiten dick, arbeitet sich mehr oder weniger chronologisch durch das kompositorische Werk Reichs, angefangen bei den Frühwerken „Come Out“ und „It’s Gonna Rain“, über „Drumming“, „Music For 18 Musicians“, das Vokalstück „Tehillim“ (das Reich offenkundig besonders wichtig ist), über die Orchesterwerke („Variations For Winds, Strings And Keyboards“, „The Desert Music“), Reichs erstes Herantasten an die Sampling-Technologie („Different Trains“, „City Life“, „WTC 9/11“) — und vieles mehr, bis zu „Reich/Richter“ mit dem Ensemble Intercontemporain, Reichs erster Filmmusik, für eine Dokumentation über Gerhard Richter, den er vor einiger Zeit kennen- und schätzengelernt hat. Das Erscheinen von Buch und neuer Platte ist natürlich bestens koordiniert, „Reich/Richter“ erscheint Anfang Juni.

Man könnte befürchten, dass es in den Gesprächen viel Lobhudelei von Gesprächspartner zu Gesprächspartner gibt. Das kommt vor, hält sich aber meist in einem sehr erträglichen Rahmen. Wir erfahren, wie Reich von der Deutschen Grammophon zu ECM und von dort zu Nonesuch gekommen ist, was ihn zu Musikwerken inspiriert hat, dass auch er seine Flops erlebt hat, woher seine Liebe zur Symmetrie kommt, weshalb er, der elektronische Instrumente in seiner Musik lange Zeit abgelehnt hat, sich dann doch mit dem Sampler angefreundet hat, welchen Anteil sein jüdischer Glaube an seinen Kompositionen hat (sein Basecap, das inzwischen eine Art Markenzeichen geworden ist, ist eigentlich im Sinne einer Kippa gemeint), und was Musiker daran reizt, seine Werke zu spielen. Einige der Gespräche sind sehr spannend, etwa jenes mit David Harrington, denn „Different Trains“ war das erste Stück, bei dem das Kronos Quartet live zu Tonbandaufzeichnungen seiner selbst spielen musste, und das war kniffliger als man vermuten könnte. Einige wenige Gespräche, etwa jenes mit Brian Eno, bleiben merkwürdig flach. Letzteres dürfte daher rühren, dass Eno weitgehend über sich selbst redet, während Reich das offenkundig nur peripher interessiert. Man stellt fest, dass die beiden trotz gegenteiliger Behauptung nicht viel miteinander verbindet.

Conversations ist eine wunderbare Gelegenheit, die Steve-Reich-Platten mal wieder auszugraben. Selbst, wenn man seinen Weg über die Jahre mitverfolgt hat, ist man verblüfft, wie viele Werke von Reich mittlerweile existieren, und vor allem, dass sie sich stärker voneinander unterscheiden als man zu erinnern glaubt. Ich bleibe gespannt.

 

 


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