Er war eine Zeitlang in Paris, und an einem Tag traf er ein afroamerikanisches Paar. Man speiste zusammen, verstand sich blendend, und die Frau muss atemraubend gewesen sein. Jedenfalls kam es mit so vor, als ich das Interview im Jazz Magazine las, Mitte der Siebziger Jahre. Der Ehemann bot ihm fast beiläufig an, seine Frau zu lieben, denn einige Schwingungen im Raum waren durch und durch erotisch, und er gönnte ihr von Herzen aufregenden Sex mit dem Fremden. Als Jimmy Garrison, der Bassist des John Coltrane Quartetts, diese Geschichte erzählte, war er noch immer fasziniert von dem Erlebnis. Der Ehemann ging dieweil in die Stadt, wenn ich mich recht erinnere. Ein wenig fühlte ich mich an Milan Kunderas Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins versetzt. Dort tauchte die Idee der erotischen Freundschaft auf, wenn man allem Besitzergreifenden abschwor, und gute Gespräche und erfüllter Sex nahezu eins waren.
Er war in Paris in einem Hotel und fertig. Ein Tiefpunkt, ein offenes Magengeschwür. Schmerzen. Was tun? So erinnere ich ein altes Interview aus dem Jazzpodium. Er machte sich Gedanken, die sich vielleicht ab und zu selbständig machten und sich aus dem gekippten Fenster, ins Freie hinein, verflüchtigten. Das ist natürlich eine Ausmalung meinerseits. Er war in einer Situation wie das lyrische Ich in Bertold Brechts Gedicht vom Radwechsel, das überaus schlicht einen Menschen ansiedelt zwischen Vergangenem und Zukünftigen. Der Bassist Gary Peacock fasste einen Entschluss und war bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Den Schalter umzulegen. Er hat es sicher anders erzählt, aber die Essenz dieser Erinnerung ist wahr. Die Ränder mögen noch so verschwommen sein. Was wohl dazu führt, dass manche Momente aus den Geschichten eines Anderen unvergesslich sind?
Ich glaube, die Story stammt aus der Zeit vor der Aufnahme seines Album „Tales of Another“. Ich weiss noch, wie er erzählte, und wahrschheinlich auch in jenem Gespräch, dass die Kompositionen nur aus einzelnen Samen oder Ideen bestanden. Kernzellen, welche vom Trio aufgegriffen wurden. In den nächsten Klanghorizonten am 17. Oktober spiele ich in der letzten Stunde Musik aus „Tales of Another“. So kann eine Nacht gut enden, mit Gary, Keith, und Jack – und schlussendlich mit Miles, Keith, Gary, Gary, Ndugu, Mtume, Michael und Don. Was könnten die Herren Eicher und Klinger alles zu dieser Gruppe von Miles erzählen!? Sie erlebten genau dieses Septet live auf ihrer einzigen Tour, an einem Herbsttag des Jahres 1971 in München. Und das zog einige interessante Dinge nach sich.