Heute hörte ich nach längerer Zeit wieder Simone White. „Yakiimo“ ist ein federleichtes Liederalbum, und doch seltsam geerdet. „These are songs rich in yearning, despair and very American symbolism. It’s a deceptive listen; you want it to be gorgeous, but Simone constantly trips you up with flashes of real darkness.“ Gut gesagt, New Musical Express! Hier mein Gespräch aus dem Jahr 2009. Eine Einladung, eine besondere Sängerin kennen zu lernen.
Es gibt einen Song auf Ihrem Album „Yakiimo“, da dachte ich, oh, Sie mögen die Bücher von Carson McCullers aber sehr …
O ja, vor ein paar Jahren las ich ihren Roman „Der Herz ist ein einsamer Jäger“ und verliebte mich in ihre Schriftstellerei. Wie sie es schaffte, in das Herz ihrer Charaktere vorzudringen und deren ganz eigene Einsamkeiten. Und unter diesem Einfluss begann ich mit einem Lied; es war ein trauriges Lied, über das Gefangensein in eigenen Gefühlen, wirklich ziemlich traurig. Aber dann las ich im letzten August ein Buch mit ihren Essays, und da schrieb sie über die Allmacht, die man als Schriftsteller hat, wenn man Charaktere erfindet und über ihr Schicksal verfügt. Und da dachte ich, das mache ich ja auch mit meinen Liedern, und eigentlich wünsche ich ja meinen Figuren mehr Glück, nur bin ich nicht gerade eine Spezialistin für frohe Lieder, aber dieses Lied änderte ich, und es blühte auf und wurde zu „Baby Lie Down With Me“.
In einem anderen Song schlüpfen sie in die Kindheit einer bekannten Folk-Sängerin…
Victoria Williams traf ich auf einer Tour, wir schlossen schnell Freundschaft, sie lebt nicht weit von mir entfernt in der Wüste, sie erzählte mir von ihrer Kindheit und dem amerikanischen Süden, sie wuchs in Louisiana auf. Jedes Jahr zog in ihrer kleinen Stadt der „Nebelmann“ durch die Strassen, und die Kinder fuhren mit ihren Fahrrädern hinter seinem Lastwagen her, der dicke Qualmwolken ausstiess. Die Kinder wussten nicht, dass der Mann mit Insektengift unterwegs, um Moskitos zu töten. Eines Tages sagte ihre Mutter: Ach, Victoria Ann, fahr nicht mehr hinter dem „Nebelmann“ her, und mit diesem Satz begann die Idee des Songs „Victoria Ann“. Ich stellte mir vor, wie es gewesen wäre, wenn wir beide dort zusammen aufgewachsen wären – und als ich ihr das Stück später vorstellte, war sie verblüfft, weil ich einige Dinge genau getroffen hatte. „Habe ich dir das erzählt, daran kann ich mich gar nicht erinnern!“ Es war fast so, als hätte ich da etwas „gechannelt“, aus anderen Sphären geholt….
Auf dem Cover Ihrer neuen CD sehen Sie aus wie eine Frau, die aus den 30er oder 40er Jahren kommen könnte. Nur die Tätowierung lässt an unsere Zeit denken. Ist das Foto eine Art Hinweis auf Ihre Liebe für ein altes vergangenes Amerika?
Absolut. Ich war immer ein Fan früherer Zeiten! Sowohl was die Musik betrifft und den Lebensstil, die einfachen Dinge des Alltags. Dieses Foto sieht wirklich sehr altmodisch aus. Wir machten das Bild mit einer alten Kamera, in einem Bahnhof in Los Angeles, einem wunderbaren Art-Deco-Gebäude!
Schon beim ersten Hören war ich erstaunt von dem ganz feinen Sound der Aufnahme. Erst später las ich, dass das Album produziert wurde von Mark Nevers, der ja schon mit Lambchop, Candi Staton und andern gearbeitet hat. Was war nun sein Beitrag bzw. was war Ihre Vorstellung von dem Sound, den dieses Werk haben sollte?
Mark Nevers und ich haben ja schon auf „I am The Man“ zusammengearbeitet. Es gab jetzt keinen besonderen Plan, die Produktion verlief sehr organisch. Zuerst sandte ich ihm einige Demos – dann schlug er einige Musiker vor. Es war klar, dass wir keine Blasinstrumente verwenden wollten; die Songs verlangten nicht nach einem grossen Sound. Und es war wohl ein glücklicher Zufall, dass der eingeplante Gitarrist nicht verfügbar war. Mark schlug als Ersatz einen Fiedelspieler vor, und der Klang dieser Fiedel entwickelte sich zu einem besonderen Motiv des gesamten Albums. Beim letzten Album kam ich nach Nashville, spielte den Musikern meine Songs vor, und fünf Minuten später haben wir die Lieder aufgezeichnet. Dieses Mal wollte ich mir mehr Zeit lassen, um unter die Haut der Lieder zu gelangen. Und so haben wir zwei Tage geprobt, bevor wir uns an die Aufnahme machten.
Obwohl die Musik tief in amerikanischen Traditionen verwurzelt ist, trägt das Werk einen japanische Titel – Yakiimo…
„Yakiimo“ ist der Name des Titelstücks und ist der Ausdruck für „steingeröstete süsse Bergkartoffeln“. Vor über einem Jahr war ich in Japan und hörte, spät abends, einen spukigen Sound, er stammte, erfuhr ich später, von den Männern, die diese Kartoffeln verkauften, es klang wie ein schauriges Lied, fast wie ein Aufruf zum Gebet. Als ich wieder in Los Angeles war, schrieb ich, diesen einfachen Song. Es ist kein Fantasielied- die Atmosphäre des Stückes steht wohl für den Grundton des Albums, dieses Fernweh nach einer anderen Zeit, dieses nostalgische Empfinden verlorener Unschuld und vergangener Jugend. Ich spielte den Song meinen japanischen Freunden in L.A. vor – und sie hatten ganz ähnliche Empfindungen bzgl. dieser „Yakiimo-Männer“. Und das freute mich. Ich war also nicht bloss die Ausländerin, die etwas Besonderes auf etwas vermeintlich Lächerliches projizierte!
Sie sind ja in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Hatten sie damals ein musikalisches Schlüsselerlebnis, das ihr Leben sozusagen über Nacht veränderte und Ihnen klarmachte: das wird mein Ding werden; gab es da etwas ausserhalb der Familientradition?
Das ist interessant. Viele aus meiner Familie machten Musik auf einer professionellen Ebene, aber alles in der Zeit vor meiner Geburt. Meine Mutter sang daheim ständig alte Folksongs. Aber auf dem Plattenspieler, das war so eine Regel, lief nur nur Klassische Musik. Mit einer Ausnahme: aus unerfindlichen Gründen gab es daheim auch Joni Mitchells Schallplatte „Blue“. Das hörte ich wieder und wieder: ein vollkommenes Werk! Dann entdeckte ich die Beatles, die mich sehr berührten; das war in der Zeit nach John Lennons Tod. Ich hatte keine Vorstellung, wer er war und kaufte mir Kassetten. Das hat mich wirklich geöffnet … In späteren Jahren wurde ich in meinem Gitarrenspiel sehr nachhaltig beeinflusst von dem Folkgitarristen Bert Jansch. Zuvor hatte ich immer kräftig die Gitarrensaiten geschlagen … ich kannte das nur so … alle machten das … ich hasste das … aber bei Bert Jansch und seinem „fingerpicking“ bekam ich mit, welche Besonderheiten diese Spielweise ermöglichte. Das war ein Durchbruch.
Heute leben Sie in Los Angeles, aber die ersten vier Jahre Ihres Lebens haben Sie auf Hawaii verbracht. Haben Sie Erinnerungen an diese Jahre?
Ich habe sehr viele Erinnerungen. In meiner ersten war ich ein Baby, ich lag auf meinem Rücken, ich konnte mich noch nicht gross bewegen, ich schaute zum Fenster, und da war dieses Riesentier. Später wurde mir klar, dass das ein Gecko war. Das Tier kletterte am Fenster entlang. Da vermischte sich wohl etwas mit den Spuren der DNS, die viele Generationen zurückreichen: auf jeden Fall war das Tier für mich ein Ur-Tier, ein riesiger Dinosaurier. Ansonsten erinnere mich bestens an den Ozean, den Klang des Meeres: wie lebten direkt am Strand, die milde Luft, das Wasser. Ich denke diese Jahre sind fundamental und ich fühle mich nirgendwo besser als an einem solchen Ort wie Hawaii; dieses Gefühl von Frieden ist unvergleichlich.
P.S. 2011: Gestern mailte mir Simone White, dass ihr neues Album (das elektronischer sei als die Vorgänger) so gut wie fertig sei und wahrscheinlich noch in diesem Jahr veröffentlicht werde. Sie schickte mir noch den link zu einem mit ihr zusammen gecoverten Song von Sufjan Stevens (s.u.). https://pitchfork.com/news/42519-listen-fol-chen-cover-sufjan-stevens-i-walked/