Sandro?
nein
Richard?
schon eher
Ein ziemlich unscheinbarer cliffhanger in den comments von „My Ways“ ist Schuld an diesem (für manche abschreckenden) Titel.
es soll tatsächlich auch Leute geben, die ausser Wagner nichts gelten lassen
Ich selbst bin kein Wagnerianer, nicht einmal ein Opernfreund. Ich mag nur zwei Opern. Im Zeitraum eines halben Jahrhunderts habe ich vier Mal eine Aufführung der Bayreuther Festspiele besucht. In zwei Fällen war der Zutritt eher ungewöhnlich, ansonsten erhielt ich Billets von einer guten Freundin, die seit langem jährlich Festspiel-Tickets bestellt. Einst hatte man nach der Erstbestellung 8 bis 10 Jahre zu warten, bis einem Einlass gewährt wurde. Nicht warten müssen die von Hundertschaften der Polizei behüteten geladenen Gäste der Premiere. Sie sind reichlich ausgestattet mit ökonomischem und sozialem Kapital, aber bestimmt mit weniger kulturellem Kapital als die eingefleischten Wagnerianer, die später kommen, zum zweiten, dritten, vierten Zyklus. Ich erinnere mich, dass vor Jahren Franz Beckenbauer mit Gattin Premierengast gewesen ist. Im Präinternetikum hätte ich es bei diesem Sätzchen belassen müssen. Heute aber finde ich mühelos einen Artikel, der am 26.04.2008 im Berliner Tagesspiegel erschienen ist.
Es war Franz Beckenbauer, der Mitte der siebziger Jahre – angetrieben von seiner bildungsbeflissenen ersten Frau Brigitte – eine „Tristan“-Vorstellung auf dem Grünen Hügel besuchte und die Schallmauer durchbrach. Sein Kommentar? Er habe kein einziges Mal auf die Uhr geblickt. Im Übrigen sei die Arbeit eines Wagner-Sängers mit der eines Fußballers durchaus vergleichbar: fünf Kilo Gewichtsverlust pro Abend/Spiel. Und das Festspielhaus erinnere ihn an das Stadion Rote Erde in Dortmund: „Außen nicht besonders schön, aber drinnen hervorragend für die Spieler.“
Einer von jenen, die erfahren mussten, dass es Leute gibt, die ausser Wagner nichts gelten lassen, ist Gregor.
Ich musste um meine Musik kämpfen, sie heimlich hören, sie galt nichts, Klassik war alles, für meinen Vater vor allem Wagner. Aber für seine Musik zu kämpfen, das hat ja auch was.
Wie vor kurzem hier zu lesen war, blieben mir solche Kämpfe erspart. Vater-Sohn-Konflikte durchzustehen gab es für mich als opus postumum nicht. Mein Großvater aber war nicht besonders angetan von meiner Berufswahl. Er hielt Musik für eine brotlose Kunst.
Mit meinen Seminarlehrern gab es nur minimale Spannungen während des Referendariats. An die beiden blieben mir nur vage Erinnerungen. Sie rauchten wie Dampflokomotiven. Von Beat-Musik hielten sie nichts , denn da kämen ja Quint- und Oktavparallelen vor. Jo mei, wo sammer denn! Ich erlaubte mir den Hinweis, dass Carl Orff sich ebenfalls den Quintparallelen hingegeben habe, z.B. im Chorsatz Odi et amo aus Catulli Carmina. Ich bekam eine Antwort, deren Wortlaut mir entfallen ist, nicht aber der ideologische Duktus ihrer Rede, sinngemäß: Quod licet Iovi non licet Bon Jovi. Wie sie auf die Schüler wirkten, bekam ich zu spüren als ich in der 8. Klasse erstmals ohne beider Präsenz unterrichten musste. Als ich begann, den Auftrag zu erfüllen, ein Stunde über die Klarinette zu halten, brach unbeschreiblicher Lärm los, ich war hilflos im Tumult, der sich erst nach vielen Minuten legte, erst als die Schüler ihren Frust in Worten bekennen konnten und wir vereinbarten, dass in den folgenden Stunden zur Hälfte Stoff gemacht wird und sie dann ihre Lieblingsplatten vorstellen dürfen.
In Kronach war ich wieder im Hinterland angekommen. Der Musiksaal des Gymnasiums war der am weitesten vom Haupteingang entfernte Raum – ein Umstand, dem ich bald Symbolwert zuwies. Musik war kein Vorrückungsfach, die Oberstudiendirektoren, meine „Chefs“, waren keine „Wunderohrenkinder“, hatten auch keine Bücher über Polyphonie gelesen. Ich war abgesondert, vielleicht galt ich als absonderlich, niemand konnte mich an mir selbst irremachen, niemand hinderte mich, Songs der Beatles mit den Schülern zu singen. In meinem ersten Jahr in Kronach gestattete die Schulleitung gar den Auftritt der Band Ex Ovo (damals mit Klaus Kreuzeder am Sopran-Sax) vormittags zur Unterrichtszeit für die gesamte Mittelstufe. Im Sommer fuhren wir mit dem Bus nach Nürnberg zu Emerson, Lake and Palmer. Nun ja, einmal kam mir zu Ohren, dass ein Kronacher Kulturbischoff sich mokierte, der neue Musiklehrer lasse nur englische Lieder singen und spiele Beatmusik vor – das war aber nur die halbe Wahrheit.
Rechts im Bild sieht man Herrn Walter Kromp. Er ist vor vielen Jahren schon verstorben. Er hat mir einmal weitergeholfen. Es ging um den Auftritt einer Jazzband aus Hamburg, die ich von einem Jazzkurs her kannte, Musiker, die auch nach Auftrittsgelegenheiten suchten. Ich lud sie ein nach Kronach. Doch da das Konzert nur Abends stattfinden konnte, war es nicht möglich, dies als Schulveranstaltung auf die Bühne zu bringen.
Ich wandte mich an den Kulturring Kronach, der eigentlich nur sog. „Klassische Musik“ verwaltete. Den Vorsitzenden, Herrn S., versuchte ich mit besten Argumenten zu bewegen. Selbst der Hinweis, es würde den Kulturring keinen Heller kosten, fruchtete nicht, und mein vermeintlich stärkster Trumpf, der Saal würde mit jungen Leuten prall gefüllt sein, wurde mit diesen Worten niedergestreckt: „Für die sind wir sowieso nicht da!“. Ich habe den Hörer aufgelegt, ohne Gruß, und musste ein neues Telefon besorgen.
Walter Kromp dagegen, der Vorsitzende des Kreisjugendrings, antwortete auf meine Anfrage: „Klar, das machen wir.“ Das war dann erst der Anfang …
hm, jetzt fehlt mir aber der cliffhanger