Anfang April dieses Jahres erschien das literarische Debüt der in Heidelberg lebenden Schriftstellerin Elke Barker. Und zwischen uns das Meer enthält 24 Kurzgeschichten, erschienen als Band 1 in der edition Darmstädter Textwerkstatt im Axel Dielmann Verlag. Elke Barker ist seit vielen Jahren mit dem Zentrum für junge Literatur in Darmstadt verbunden. Von 2008 bis 2011 war sie Teilnehmerin der von Kurt Drawert geleiteten Textwerkstatt; seither arbeitet sie in der von Martina Weber geleiteten Textwerkstatt II an ihren Geschichten. Am 5. Oktober stellte Elke Barker ihr Buch im Literaturhaus Darmstadt vor.
Martina Weber: Was fast alle deine Geschichten gemeinsam haben, das sind Begegnungen von Menschen, die sich vorher nicht kannten. Plötzlich ist etwas da und die Protagonistinnen (meist weiblich) lassen sich auf etwas ein, sie lassen zu, dass etwas wirkt, was man auch ganz beiläufig wahrnehmen und schnell vergessen könnte. Der zweite Aspekt, der alle deine Geschichten verbindet, ist die starke Atmosphäre. Eine Atmosphäre, die mit wenigen Sätzen aufgebaut wird, die sich verändert und nachhallt. Der dritte Punkt ist der Wichtigste und schwer greifbar. Es ist das, was nicht da ist: das Abwesende. Das, was du auslässt, ist das Entscheidende. Es ist das, was im Lesenden freigesetzt wird, das, was weiterwirkt, wenn man eine Geschichte gelesen hat. Welche Bedeutung hat für dich das Abwesende, das Nicht-Gesagte, in deinen Texten?
Elke Barker: In den letzten Wochen habe ich – nicht zuletzt auch in Vorbereitung auf die Lesung – zum ersten Mal bewusst über meinen Schreibprozess nachgedacht. Dabei ist mir klar geworden, dass Schreiben und über das Geschriebene Reden etwas gänzlich Anderes ist. Auch wenn es eine Gemeinsamkeit gibt. Die, dass für mich jeweils nur eine Annäherung möglich ist. Denn ähnlich wie beim Schreiben, wo sich der Text ab einem bestimmten Zeitpunkt meiner Kontrolle entzieht, geht es mir beim Reden über die Texte. Ich kann Einflüsse benennen, Personen, die mich inspiriert haben. Orte, Sätze, die gesagt wurden, ein Gefühl, eine Atmosphäre, die nach einem Text verlangen. Ich kann von einem Ideentagebuch sprechen aber nicht wirklich sagen, warum eine Geschichte so ist, wie sie ist. Das Abwesende in meinen Texten hat, so glaube ich, etwas damit zu tun, dass ich nicht aus der Fülle heraus schreibe, sondern aus einem Mangel. Die Geschichte als solche ist nicht schon da, sondern entwickelt sich größtenteils erst beim Schreiben.
Martina Weber: Die Geschichten, die du in dein erstes Buch aufgenommen hast, sind über einen langen Zeitraum entstanden. In dieser Zeit hast du sicherlich auch deine Arbeitsmethode verändert. Mein Eindruck ist der, dass vor allem eine Arbeit am Abwesenden stattgefunden hat. Zum Beispiel gibt es eine Geschichte mit dem Titel Veränderung, bei der es darum geht, dass eine junge Frau oder Schülerin etwas, was ich hier nicht verraten möchte, in ihrem Leben verbessern möchte. Um diese Geschichte schreiben zu können, musst du sie kennen. Ebenso bei dem Text Xylophon spielen, der in den 1930er Jahren spielt. Die beiden Geschichten kannte ich nicht; es sind sicherlich Texte, die zu den am frühesten entstandenen im Buch gehören. Hier kann das, was nicht gesagt ist, mehr erahnt werden. Im Lauf der Zeit hast du dann stärker darauf geachtet, dass das, was du nicht sagst, vielschichtiger und offener ist.
Elke Barker: Das ist richtig, dass die Geschichten über einen längeren Zeitraum entstanden sind, und in dieser Zeit verändert man sich natürlich – als Mensch wie auch als Autorin. Bei mir verlief diese Veränderung dahingehend, dass ich immer mehr weiß, dass ich nichts weiß. Dass die Realität nicht mehr ist als eine Vielzahl an Perspektiven, was natürlich eine Rückwirkung auf neue Texte hat wie auch auf die Überarbeitung von älteren.
Martina Weber: Bei der Zusammenstellung der Geschichten für dein Buch hast du eine intensive Phase der Überarbeitung eingelegt. Bei einer Geschichte kann man das sogar nachvollziehen, denn sie ist in einer früheren Fassung veröffentlicht. Es geht darum – Zuruf ans Lesepublikum: keine Sorge, kein Spoiler, nur ein Teil des äußeren Handlungsgerüsts – dass eine Frau eine Scheune erbt und sich die Scheune ansieht.
An dieser Stelle möchte ich eine Anregung für eine Hausarbeit im Fach „Vergleichende Literaturwissenschaft“ anbieten: Vergleichen Sie die beiden Fassungen der Kurzgeschichte von Elke Barker Eigentlich ist nichts passiert, zuerst veröffentlicht in der von Kurt Drawert herausgegebenen Anthologie „Kasinostraße 3. 15 Jahre Darmstädter Textwerkstatt“, Poetenladen Verlag 2014, und in veränderter Fassung in Elke Barkers Debütband Und zwischen uns das Meer. Stellen Sie die inhaltlichen Unterschiede und die unterschiedlichen Wirkungen der beiden Fassungen einander gegenüber. Erläutern Sie das Prinzip des Doppelgängers anhand eines Beispiels aus der Literaturgeschichte und anhand der zweiten Fassung der Kurzgeschichte von Elke Barker.
In der zweiten Fassung der Geschichte wirft das Leben, das die Protagonistin führt, Fragen auf. Es bleibt einiges interpretierbar und auch der Titel der Geschichte kurbelt unsere Phantasie an, denn obwohl sehr viel passiert ist, lautet er Eigentlich ist nichts passiert.
Elke Barker: Ja, diese Geschichte habe ich grundlegend überarbeitet. Details über die Beziehung der beiden Frauen, wie sie sich kennenlernten und welcher Arbeit sie nachgingen, habe ich rausgenommen und auch den Schluss habe ich zu einem offenen Schluss umgearbeitet. Durch die Reduktion von Handlung und Information hatte ich das Gefühl, dass das Wesentliche besser zum Vorschein kommt. Die Frage nämlich, wie es um das Wissen über die Vergangenheit eines geliebten Menschen steht. Wie viel darf, muss, will man wissen, worauf auch hier die Antwort letztendlich offen bleibt. Denn die Geschichte endet mit der Frage: “Spielt das eine Rolle? Ich meine, spielt irgendetwas noch irgendeine Rolle?”
Martina Weber: Wir haben über den Überarbeitungsprozess gesprochen. Jetzt zurück zum Anfang, zum Inspirationsprozess. Was brauchst du an Überlegungen und an Material, um mit einer Geschichte anfangen zu können? Was ist als Erstes da? Wie viel weißt du vom Verlauf einer Geschichte, wenn du damit anfängst?
Elke Barker: Relativ wenig. Wie bereits erwähnt existiert am Anfang eine Atmosphäre, ein Gefühl, die nach einer Geschichte verlangen. Schreiben ist für mich also eine Art innere Suchbewegung nach Dingen, die zu einer Atmosphäre, einem Gefühl passen. Sie ziehen mich in die Geschichte hinein, und wenn ich Glück habe, kommt irgendwann ein Punkt – man könnte ihn auch magischen Punkt nennen -, wo sich der Text meiner Kontrolle entzieht und aus sich selbst heraus weiterentwickelt. Das empfinde ich dann als spannend, ja beglückend, da ich mich mit und durch den Text weiterentwickle.
Martina Weber: Hast du deine eigenen Lieblingsgeschichten aus dem Buch?
Elke Barker: In dem Moment, wo ich sie schreibe, ist jede Geschichte meine Lieblingsgeschichte, sonst würde ich sie nicht schreiben. Im Nachhinein habe ich aber schon Präferenzen. “Der Mönch” beispielsweise ließ mich darüber nachdenken, wie Menschen auf Krisen reagieren. Die Figur des Rick in “Zugabe” steht für die Fülle des Lebens, die er in jedem Moment zelebriert. In der Titelgeschichte “Und zwischen uns das Meer” wiederum ist mir die Metapher des Meers wichtig. Wasser hat ja eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist es lebensspendend, lebenserhaltend, denn wir alle kommen aus dem Wasser, wir müssen trinken, um zu überleben, andererseits kann Wasser bedrohlich werden, kann Leben vernichten, man denke nur an Tod durch Ertrinken oder Flutkatastrophen.
Martina Weber: Welche Autorinnen und Autoren haben dich mit ihren Texten beeinflusst? Vielleicht kannst du ein oder zwei nennen, und dabei, wenn das möglich ist, etwas Konkretes, was du für deine literarische Arbeit mitgenommen hast.
Elke Barker: Das Schreiben fängt bekanntlich mit dem Lesen an, der Freude und Faszination an dem, was andere schreiben. Mich dabei auf ein oder zwei Namen festzulegen, fällt mir schwer. Peter Stamm, Judith Hermann, Zsuzsa Bánk, Mariana Leky haben mich inspiriert, auch Raymond Carver oder Wolfgang Borchert. Bei ihnen habe ich den Eindruck, dass den Figuren irgendwann die Kontrolle über ihre Handlungen entgleitet, sie quasi zum Zuschauer ihrer selbst werden. Da kann ich als Autorin und Mensch gut mitgehen.
Martina Weber: In den Geschichten werden die Orte, in denen sie spielen, nicht genannt. Ich habe immer wieder einige Plätze aus Heidelberg, wo ich selbst einige Zeit gewohnt habe, erkannt. Wie ist für dich als Autorin dein Bezug zu Heidelberg? Heidelberg ist auch UNESCO city of literature. Wie wirkt sich das aus?
Elke Barker: Ich lebe seit 1993 mit kurzen Unterbrechungen in Heidelberg, habe in der Stadt studiert, meine journalistische Ausbildung in der Region gemacht, ich habe hier meine Familie, meine Freunde. Ich bin in Heidelberg oft zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs, insofern entdecke ich immer wieder Orte, die mich inspirieren. Das Trafohaus am Neckar oder das alte Hallenbad in der Poststraße beispielsweise. Oft sind das Orte, die sich im Umbruch befinden oder solche mit einer wechselvollen Geschichte.
Dass Heidelberg im Jahr 2014 als einzige deutsche Stadt UNESCO City of literature wurde, ist ein großes Glück. Das internationale Netzwerk der 42 Städte ist toll, es gibt zahlreiche länderübergreifende Projekte, und auch auf lokaler Ebene versucht man, den Autoren eine Plattform zu bieten. So ging gerade das Festival “Heidelberger Literaturherbst” zu Ende, wo sich lokale Autoren und Gruppen in insgesamt 28 Veranstaltungen über einem vierwöchigen Zeitraum präsentierten.
Martina Weber: Das erste literarische Buch abzuschließen, kann man schon als das Ende eines Lebensabschnitts und als eine Art von Initiationsritual sehen. Dein Band ist vor sieben Monaten erschienen. Du hast mir schon verraten, dass du an weiteren Erzählungen arbeitest, dass sie jetzt aber vom Umfang her länger werden…
Elke Barker: Die erste Publikation, das erste Buch, das ist schon etwas Besonderes, eine Zäsur. Zuerst war da einfach nur die Freude, dass es geklappt hat, dass ich einen Verlag gefunden hatte und den ersten Band in der Edition Darmstädter Textwerkstatt bestücken durfte. Dann aber begann ich zu überlegen, wie es weiter geht. Aktuell arbeite ich an zwei Geschichten, die etwas länger werden, aber immer noch das Format einer Kurzgeschichte haben. Ich glaube, dass die Kurzgeschichte gemeinhin unterschätzt wird, oft nur als Vorspiel für einen Roman angesehen wird. Dabei vermag sie doch Großartiges, nämlich auf sprichwörtlich kleinem Raum Themen anzusprechen, die weit über den eigentlichen Text hinausweisen. Hemingway hat in diesem Zusammenhang einmal von der “Eisbergmetapher” gesprochen. Das gefällt mir sehr.
Martina Weber: Ich danke dir für die vielfältigen Einblicke in deinen Arbeitsprozess!
Link zur Autorenseite von Elke Barker im Autorenlexikon von literaturport.de.
Link zur Autorenseite von Elke Barker auf der Website des Axel Dielmann Verlages.