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Archives: Einstürzende Neubauten

 

In Afrika beginnt die Rallye in den Lüften, sie sind „Flüchtlinge der Himmel“, und David Rothenburg nimmt ihre Spur auf, das Mitternachtskonzert der Nachtigallen dann, im Treptower Park, im Mai. Sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und so tauche ich in die Stadt der Nachtigallen ein, das Buch des Philosophen, Musikers und Vogelforschers. Parallel, alles zu seiner Zeit, lausche ich Blixa Bargelds Sprechgesängen, der neuen Arbeit der Einstürzenden Neubauten. Sie finden immer noch Trümmerteile und unerwartete Geräusche (für Filme, die wir nicht kennen, und täglich selber drehen), sie arbeiten mit „Dave“, einem Wegführer für kreative Seitenwege, das ähnlich wie Enos „Oblique Strategies“ funktioniert. An ihrem elegischen Grundton habe ich lange Gefallen gefunden, im alten Spiel finden sie zum Glück stets ein neues, und das bedeutet, dass ich den Regenrinnen über das Dach folge, oder da rumstromere, wo einst Rosa Luxemburg ermordet wurde. Es ist aber keine Geschichtsstunde, der ich beiwohne, es sind Gespenstergeschichten, hinreissend im Detail auf breiter Leinwand – lauter verkappte Ohrwürmer, hier und da singe, summe ich ein, zwei Verse mit, halb Dada, halb Traumtext, und jederzeit könnten Nachtigallen einfallen. Was für eine grossartige Platte, was für ein spannendes Buch!

 

2020 15 Mai

Alles in Allem

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Ich hatte es ja schon nicht mehr für möglich gehalten, aber die beste Band Deutschlands hat tatsächlich noch einmal ein Album aufgenommen, nachdem das „Auftragswerk“ über den Ersten Weltkrieg, Lament im Jahr 2014 als das abschließende Experimental-Epos einer facettenreichen, über 30 Jahre sich ziehenden Diskografie dastand, und dann nur noch „Greatest Hits“-Tourneen folgten, und das bei einer Band, die ja nie Hits hatte, also war das nun Ironie oder was? Ich war nie bei einem Konzert der Einstürzenden Neubauten, aber alle, die ich kenne, die die Band in den letzten zehn Jahren im Konzert erlebt haben, sei es bei dem Lament-Lärmspektakel oder der „Greatest Hits“-Tour, die letztlich, wie bei Bands über 30 ja üblich, seit mindestens zehn Jahren in jedem Konzert eine zu 80 bis 90 Prozent identische Setlist spielten, ja, die Freunde von mir äußerten sich positiv über die Konzerte.

Das letzte eigentliche Album der Einstürzenden Neubauten, Alles wieder offen, erschien allerdings vor knapp 13 Jahren, 2007. Zwischenzeitlich hat Herr Bargeld gleichwohl ein paar wirklich tolle Alben aufgenommen, sei es mit Teho Teardo, (Still Smiling, 2013, ist exzellent) oder mit Carsten Nicolai alias Alva Noto unter dem lustigen Bandnamen anbb, Mimikry (2010), noch großartiger. Bei Blixa Bargelds Projekten, speziell auch „den Neubauten“ kommt doch zuverlässig jedes Mal die Sorge auf, dass man enttäuscht wird. Warum eigentlich? Und dann wird man jedes Mal doch von der erwarteten Enttäuschung enttäuscht – so auch diesmal: Alles in allem ist tatsächlich wieder großartig.

Im Vorfeld dieses neuen Albums habe ich mir wieder einmal die letzten Neubauten-Alben angehört, etwa Silence is sexy, Perpetuum Mobile und Alles wieder offen, die drei „regulären“ Alben der 2000er. Sie sind noch immer keinen Deut langweilig oder enttäuschend geworden, sogar nach wie vor durchgehend überzeugend und voller Höhepunkte. Erwartungsgemäß knüpft Alles in allem dort an, nicht bei Lament, es geht noch ruhiger zu als bisher, geradezu balladesk. Interessant bei den Einstürzenden Neubauten finde ich auch immer wieder, dass man meist denkt, „das sind doch alles total normale Klänge und Instrumente, wo sind denn nun die einstürzenden Dinge und die experimentellen Geräusche?“, und dann liest man das Kleingedruckte durch, und entdeckt wieder die abwegigsten Gerätschaften, oftmals metallischer Natur, aber diesmal waren auch erstaunlich viele konventionelle Instrumente beteiligt, und die Metalle und anderen Geräte sorgen wieder für wunderbare Klangschichten, wenn auch nicht mehr so wunderbar eindrucksvoll wie bei „Greatest Hits“ wie Die Befindlichkeit des Landes oder Alles, die Klänge und Metalle brauchen wirklich niemandem Angst zu machen, der bei dem Bandnamen noch immer an den Krach der ersten drei, vier, fünf Jahre der Neubauten denkt. Selten wird es hier noch laut oder geräuschig, etwa bei Zivilisatorisches Missgeschick, und viele Berlin-Verweise sind wieder zu finden, allerdings legt Bargeld im Interview Wert auf die Feststellung, dass man doch Abstand davon genommen habe, ein Berlin-Album zu produzieren, weil das ja eh alle machen oder, naja, so richtig verstanden habe ich eigentlich auch nicht, was er da sagte, aber das ist voll in Ordnung, das gehört dazu, ich interpretiere, man habe vielmehr ein Berlin-Album mit Berlin als Leerstelle produziert. Eigentlich wiederum verstehe ich bislang jedes Neubauten-Album so. Silence is sexy (2000) schien eine Art Resümee des Berlin der Neunzigerjahre abzubilden, und wenn man (als Berliner) das heute hört, merkt man, wie sehr sich die Stadt in den tatsächlich 20 Jahren seither verändert hat. 2000 war nebenbei bemerkt auch das Jahr, in dem ich nach Berlin gezogen bin, also irgendwie passt das mit dem Grundgestus des Albums Silence is sexy zusammen; dieses Album hat für mich immer irgendwie gut vergegenwärtigt, wie Berliner, die schon länger vor Ort waren, die Stadt genau damals, ums Jahr 2000, erlebt haben und was zu jenem Zeitpunkt mit dem Ende der in Berlin umwälzenden 1990er der Stand war. Damals wurde ja auch der komplett neu gestaltete „Potsdamer Platz“ eröffnet, zuvor „die größte Baustelle Europas“, wo dann auch die Filmakademie (DFFB) ihre neuen Räumlichkeiten eröffnete (vom weiter im Westen gelegenen Theodor-Heuss-Platz herüber in die Ganz Neue Mitte gezogen), also war ich dann als Student dort Jahre lang neu-mittendrin. Und heute ist der Potsdamer Platz schon wieder ein alter Hut, vieles steht leer oder soll raus, und der „Platz“ (der eigentlich keiner ist) wird von keinem Berliner gerne gesehen (angeblich ist er ein Touristenanziehungspunkt, aber das ist irgendwie schräg, denn es gibt und gab dort nie etwas zu sehen).

20 Jahre Berlin, 40 Jahre Einstürzende Neubauten – wenn auch, selbstredend, manchmal von Besetzungswechseln geprägt, fehlt doch leider schon lange der spannende FM Einheit. Gegründet wurden die Neubauten, so geht die Legende, mit einem Auftritt am 1. April 1980, und ich weiß, dass sie in jenen Tagen auch in der Wohnung von Rosa von Praunheim spielten, das schrieb er auch in einem seiner zahlreichen autobiografischen Bücher; Rosas Wohnung, in der er seit den 70er Jahren lebt, war oft eine Begegnungsstätte typischer Berlin-Figuren aller Art. Ich habe, als ich nach Berlin kam, rund zweieinhalb Jahre als persönlicher Assistent für Rosa gearbeitet, und wie es der Zufall will, hatte ich gerade letzte Nacht einen Traum, in dem Rosa vorkam. Also, eigentlich kam er, glaube ich, nur insofern vor, dass er nicht mehr lebte. Und als ich aufwachte, war ich mir erst nicht sicher… lebt er nicht mehr? Nein, er geht zwar zügig auf die 80 zu, aber macht nach wie vor Filme und ist Teil der Berliner Kulturszene.

Es ist allein schon großartig, dass die Einstürzenden Neubauten im Jahr 2020 unverhofft noch einmal ein Album herausbringen. Der Titel „Alles in allem“ lässt befürchten, dass es nun wirklich das letzte sein wird. Es enthält keine „Hits“ – im Gegensatz zu den oben genannten drei Alben, die voll solcher Stücke sind, und in den 1990ern gab es auch nur zwei reguläre Alben, Tabula Rasa (1993) und Ende Neu (1996), die nicht ganz so herausragend sind wie die der 2000er (oder die der Achtziger bis zum genialen Haus der Lüge, 1989), bieten aber immer noch ein paar Höhepunkte. Kein Lärm, keine Hits, keine Überraschungen? Vielleicht ist zumindest überraschend, dass Alles in allem ein außergewöhnlich gutes Album ist. Wieder.


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