Der brasilianische Gitarrist und Pianist Egberto Gismonti ist während des vierten Esslinger Jazzfestivals am letzten Mittwoch in der Stadtkirche Esslingens aufgetreten. Der 71jährige spielte zunächst 45 Minuten auf verschiedenen Gitarren, anschließend musizierte er, und das war ebenso begeisternd, ihm dabei zuzuhören, nochmals eine dreiviertel Stunde auf dem Flügel.
Das allein war ein abendfüllendes Konzert für sich und hätte den Besuch der Stadtkirche mehr als gelohnt, aber dann, nach einer kleinen Umbaupause, war das sich um den französischen Pianisten François Couturier gebildete Tarkovsky Quartet zu hören, mit der Cellistin Anja Lechner, dem Saxophonisten Jean-Marc Larché und dem Akkordeonisten Jean-Louis Matinier. Auch dieses Konzert war ein Hochgenuss.
In bester Stimmung erwartete ich nun den Freitag, der Tag an dem Carla Bley mit dem Bassisten Steve Swallow und dem Saxophonisten Andy Sheppard in Stuttgart auftreten sollten. Als es endlich soweit war, trat etwas ein, womit niemand gerechnet hatte: Carla Bley konnte einer schweren Bronchitis wegen nicht auftreten. Steve Swallow sagte später, dass Carla, 82jährig, noch nie ein Konzert habe absagen müssen, aber nun hätte sie sich, von einem Jazzfestival in Korea kommend, während eines Open-Air-Konzertes bei eisigen Temperaturen wohl eine Bronchitis geholt und hüte nun untröstlich in einem Stuttgarter Hotel das Bett. Steve Swallow und Andy Sheppard waren nun aber mutig genug, das Konzert im Duo zu gestalten. Der Flügel war bereits von der Bühne weggeschoben worden und da standen sie nun beide, allein, mit ihrem Bass und ihrem Saxophon und spielten die Musik von Carla Bley. Nur ein Stück entstammte der Feder von Thelonius Monk, „Misterioso“, die Musik des restlichen Abend waren Kompositionen von Carla Bley. Es begann gleich mit einem meiner Lieblingsstücke der Pianistin, „Utviklingssang“, Steve spielte diese zauberhafte Melodie solo, später dann im Duo mit Andy Sheppard. Bei diesem wie bei den anderen Bley-Kompositionen gelang des den beiden in dieser für alle unerwarteten Welturaufführung des Duos so wunderbar zu spielen, als wollten sie die kranke Carla Bley herbeizaubern. Sie war ja auch fast so präsent, als wäre sie persönlich anwesend.
Nach diesen einmaligen Abenden müssen mindestens die folgenden Platten unbedingt dem Plattenschrank entnommen und in den nächsten Tagen angehört werden:
Egberto Gismonti: Dança Das Cabeças
Anja Lechner, François Couturier: Moderato cantabile
Tarkovsky Quartet: Nuit blanche
Carla Bley, Andy Sheppard, Steve Swallow: Andando el Tiempo
Carla Bley, Andy Sheppard, Steve Swallow: Trios
Auf jeden Fall darf auch die Platte The Lost Chords Find Paolo Fresu von Carla Bley nicht fehlen, schon allein deshalb nicht, weil Steve Swallow während besagten Abends von diesem Projekt erzählte und die beiden dann auch aus den Kompositionen dieser LP „One Banana“, „Two Banana“, „Three Banana“, „Four“, „Five Banana“ und „One Banana More“ spielten.