In
diesem allerfeinsten kleinen Film, in dem Bill Frisell von seinen Anfängen erzählt, dreht sich einiges um sein Debut-Album für ECM, „In Line“. Ein Solowerk, mit der Unterstützung von Arild Andersen bei einigen Stücken. Ein betörend unspektakuläres erstes Mal. Diese Produktion ist auch eine Story von Manfred Eichers Gespür und Geduld (aber hören, sehen Sie selbst). Ich fragte mich, wer dieser Gitarrist sei, als ich ihn das allererste Mal hörte, mit seinem Kurzauftritt auf Eberhard Webers Album „Fluid Rustle“, bei dem er auch Balalaika spielte. „In Line“ begegnete mir wieder, während eines Gesprächs mit Gavin Bryars. Da ging es um sein Album
„After The Requiem“, mit Frisell an der E-Gitarre. Wir sprachen über die letzten Tage des Philosophen Immanuel Kant, wie er (daran erinnere ich mich, sicher lückenhaft) er aus dem Fenster seines Zimmers schaute, auf einen alten Turm gegenüber („The Old Tower of Lobericht“) – und Gavin Bryars schichtet die Klänge so wundervoll, dass Frisells Schwebungen sich elegisch und spannungsreich zugleich einfügen. Und Mr. Bryars erzählte mir, in einem kleinen Büroraum in Gräfelfing, wie sehr er „In Line“ als Album schätze. Ein Stück daraus spiele er seit Jahr und Tag immer wieder, wenn auf seinen Flügen die Maschine dabei ist abzuheben, und er damit eine leichte Flugphobie bestens in Schach halte. Es habe die perfekte Schwingung, und die perfekte Länge. Wer Frisells Musik kennt, wird, wenn er dem Amerikaner zuhört (in diesem Gespräch, das wie ein tief entspanntes Solo rüberkommt) ganz eigene Assoziationen entwickeln zur Musik, zur eigenen Hörgeschichte. Hier und da gönnt sich die Kamera einen Blick in die Umgebung, auf einen Spielplatz etwa. Für Frisell war die Musik stets ein „adventure playgound“, und hier erzählt er so ehrlich, so ruhig, dass man dieser Figur wirklich näherkommt, und hinterher grosse Lust hat, „In Line“ zu hören. (m.e.)
Tatsächlich zählte Bill Frisell zu meinen ersten Gesprächspartner-Ideen für diese 50-Episoden-Reihe über ECM (neben Mick Goodrick, der leider mit den Worten „I’m in the process of retiring in the next year or so, plus I broke the little finger of my left hand a couple of years ago“ freundlich, aber bestimmt absagte), und letztlich zog sich die Organisation zu einem Treffen mit Bill über einige Monate hin, und es war bislang auch der einzige Musiker, mit dem die Planung nicht direkt persönlich stattfand, sondern ausschließlich zuerst über seine Managerin in San Francisco und dann mit seiner Tourmanagerin / Tonmeisterin. Leider ließ es sich nicht ermöglichen, ein Treffen bei ihm in New York zu machen. Ich bot dann irgendwann an, dass doch der Konzertraum hier in Berlin der Tour im letzten Herbst eine gute Option wäre, da ich quasi auf der gleichen Straße wohne, nur ein Stück weiter nördlich, was auch auf positive Resonanz zu stoßen schien. Ob eine Stunde den ausreichend sei? (Sicher. Mit Richie Beirach, Heiner Goebbels oder Boris Yoffe hatte ich deutlich weniger Zeit, und das Ergebnis kann man dennoch vorzeigen.) Doch von Seiten der Kontaktperson(en) wurde am Ende der Wunsch übermittelt, das Gespräch im Hotel durchzuführen. Ob ich denn auch mit einer halben Stunde auskäme? Naja, klar, sagte ich, schließlich hatte ich wohlahnend schon zu Beginn geschrieben, dass auch einige Minuten im Rahmen eines Soundchecks oder dergleichen möglich wären, sollte es zeitlich im Rahmen einer Tour nicht anders einzurichten sein. Meist ist ein Hotel keine wirklich gute Räumlichkeit für Interview-Filmereien, erstens weil es meistens stulle (so der Berliner) aussieht (siehe hierzu die Interviewvideos mit Heinz Holliger, wo wir immerhin ein dunkles Salonzimmer in einem Westberliner Hotel organisierten), und zweitens weil der Ton schwierig zu verwenden ist. Vor Ort zeigte sich dann auch, dass die Hotelangestellten (erwartungsgemäß) einem Interview nur unter der Bedingung zustimmten, dass wir uns ins Restaurant setzten – und keine Aufnahme gemacht würde.
Daher fand das Gespräch mit Bill am Ende in einem kleinen Park mitten in Friedrichshain statt, eine Minute vom Hotel entfernt statt (ich hatte ja nur 30 Minuten); glücklicherweise war es akustisch gerade so noch okay, wenngleich dort auch einige Herrschaften unterwegs waren. Rechtlich gesehen darf man heute Menschen in der Öffentlichkeit nicht einmal mehr von hinten Filmen, wenn man nicht vorher ihre Erlaubnis einholt, mit Kindern ist es noch strenger… Ich wäre herzlich gerne mehr in die Tiefe gegangen und hätte gerne noch einiges mehr zu Bills Arbeit für/mit ECM erfahren, aber so ist der Fokus eben noch striker auf den Jahren bis zum ersten Album. Immerhin hatte er vorher schon mein Video mit Gavin Bryars gesehen (und das gleich positiv erwähnt), wo er ja auch thematisiert wird.
Heute habe ich sozusagen die Hälfte der Episoden der Reihe fertig; 15 weitere sind zumindest gefilmt (und manche in Teilen geschnitten, aber noch nicht ganz rund), ich hoffe, die über den Frühling und Sommer fertigzustellen. Und sobald es wieder möglich wird, Reisen anzutreten, hoffe ich, möglichst viele der zwischen März und Mai terminierten und dann abgesagten Treffen noch nachzuholen. Dies ist aktuell der Stand der gesicherten Rückblicke:
1961 Steve Swallow & Carla Bley on Jimmy Giuffre 3
1969 Martin Wieland / Studio Bauer (Mal Waldron „Free at last“ / Version ohne Untertitel)
1970 Frieder Grindler (Wolfgang Dauner „Output“)
1971 Barre Phillips
1972 Ralph Towner
1973 Art Lande „Red Lanta“
1974 Eberhard Weber
1975 Steve Swallow and Carla Bley on „Dreams So Real – Music of Carla Bley“
/// Enrico Rava The Pilgrim and the Stars
1976 Lajos Keresztes (Egberto Gismonti „Dança das Cabezas“)
1977 Richie Beirach
1978 Wadada Leo Smith „Divine Love“
1979 Roberto Masotti
1981 Meredith Monk „Dolmen Music“
1982 Bill Frisell „In Line“
1983 John Surman „Such Winters of Memory“
1984 Friedrich Hölderlin
1985 Django Bates on First House
1986 David Torn „Cloud About Mercury“ (+ Everyman Band)
1987 Hans Koch „Accélération“
1988 Heiner Goebbels / Heiner Müller „Der Mann im Fahrstuhl“
1989 Jean Guy Lathuilière (Alex Cline „The Lamp And The Star“)
1990 Gavin Bryars „After The Requiem“
1991 Arild Andersen on Masqualero („Re-Enter“)
1993 Sidsel Endresen
1994 Marilyn Mazur Future Song „Small Labyrinths“
1995 Pierre Favre „Window Steps“
1996 Juan Hitters (Dino Saluzzi „Cité de la Musique“)
1997 Barry Guy & Maya Homburger
1998 Jan Jedlička (Tomasz Stanko „From The Green Hill“)
1999 Mayo Bucher (Herbert Henck: Jean Barraqué Sonate / Björn Meyer „Provenance“)
2000 Marilyn Crispell
2001 Jon Balke
2002 Carla Bley „Looking for America“
2003 Caterina di Perri (Stefano Battaglia „Raccolto“)
2004 Susanne Abbuehl
2005 François Couturier & Anja Lechner / Tarkovsky Quartet „Nostalghia“ [muss überarbeitet werden; letzte Schnittfassung nicht freigegeben]
2006 Paul Giger & Marie-Luise Dähler „Towards Silence“
2007 Jan Kricke
2008 Mark Turner
2009 Boris Yoffe „Song of Songs“
2010 Ketil Bjørnstad & „La notte“
2011 Eberhard Ross (Mauseth/Valli „Over Tones“)
2013 Thomas Wunsch (Christian Wallumrød Ensemble „Outstairs“)
2014 Fotini Potamia (Savina Yannatou „Songs of Thessaloniki“)
2015 Gary Peacock Trio with Marc Copland and Joey Baron „Now This“ + Outtake
2016 Marc Sinan & Oguz Büyükberber „White“
2017 Sun Chung / Andrew Cyrille
2018 Gérard de Haro / Studio La Buissonne
Hinzufügen für 2019 ließe sich noch die kleine Reihe von Gesprächsteilen mit Heinz Holliger, zu seinem 80. vor einem Jahr, wenngleich das stilistisch weitaus simpler ist und letztendlich in künstlerisch-gestalterischer Hinsicht nicht von mir entschieden wurde, und für 2020 die „Kurzdoku“ zu Erkki-Sven Tüürs Kammermusikalbum:
2019 Heinz Holliger über Kurtág, über Philippe Jaccottet und die Idee hinter dem Album „Zwiegespräche“
2020 Erkki-Sven Tüür „Lost Prayers“
Gerade als ich diesen Blogeintrag fertigstelle, erhalte ich eine Mail von Gary Peacock, „Whatever has a beginning has an end.“ Nachdem das Gespräch mit Peacock und Marc Copland viel positive Resonanz erhalten hat und auf Facebook zahlreiche Male geteilt wurde, habe ich noch ein „Outtake“ hochgeladen, wo die beiden konkret über ECM und Manfred Eicher sprechen. Das hatte in dem ohnehin schon recht langen 2015-Gesprächsvideo keinen Platz mehr gefunden. Daher hier als letztes Wort zum Sonntag.