Heute erscheint offiziell das neue Album REFLECTION von Brian Eno. (Ian is entranced, and maybe he will write another story on the album starring our beloved DJ from another age, Mireia Moreorless). Ich habe es schon einige Zeit auf dem Computer, aber nun das erste Mal die CD über die grosse Stereoanlage laufen lassen. Ich hatte eine grosse Tasse grünen Tee zubereitet, und liess die Musik in all ihren Feinheiten auf mich wirken. Es sind ja verschiedene „Soundschleifen“ aktiv, die sich aber stärker wandeln als auf Klassikern wie DISCREET MUSIC oder MUSIC FOR AIRPORTS. Jeder „Tonspur“ ist eine (digital gespeicherte) Anweisung zugeteilt, wie sie sich zu entfalten habe. So ist schon mal für beträchtliche Variationsbreite der einzelnen „Inputs“ gesorgt. Die Überlappungen sorgen also für unendliche Vielfalt im Zuge sich nie identisch wiederholender Wiederholungen. Das Tolle ist, dass diese Beschreibungen absolut ernüchternd sind, die Musik aber eher das Gegenteil davon, sinnlich, traumartig, ein Fluss. Nur die Oberflächenstruktur suggeriert generative Systeme, Kybernetik, Künstlichkeit. In der Tiefe, die hier kein metaphysischer Begriff ist, sondern den Sprung in den Fluss avisiert, das gute alte Loslassen, herrscht Staunen, Verwunderung, Trance. „But if an algorithm composed this music, is Brian Eno the author of it?“, Kitty Empire asks in her review, and I like to answer: „Yes, Kitty, he’s the author! You know why? It’s his handwriting! And: the music has no story, but soul.“ Und, erst beim Hören auf der grossen Anlage, kommt das Element der puren Überraschung hinzu. Oft scheint sich die Musik dem Nichts zu nähern, es gibt vollendet klingende Verschwindeklänge, und aus dem sanften Sog des Nichts kommt dann plötzlich ein fast lauter glockenheller Ton, der etwas Aufrüttelndes hat, aufreissendem Licht und einer Marimba nicht unähnlich. Man darf also durchaus, bei REFLECTION, einer übrigens klanglich absolut highendigen Aufnahme, Kristalle in Drei D, Landschaften vorüberziehen sehen, man darf die Musik persönlich nehmen. Ja, und ich tauche derzeit, beim Hören des Albums, in einen alten Gedichtband von Jürgen Becker ein, den ich aus dem Speicher runtergeholt habe, kehre immer zu den Klängen, den Worten zurück, dem Raum dazwischen. Besorgen Sie sich einfach mal ein schmales Lyrikbändchen von Herrn Becker, nach dem Zufallsprinzip, und halten Sie die Zeit an, wenn die Musik läuft. Kinderleicht, geht von allein, und immer eine Illusion.
Archives: Das Ende der Landschaftsmalerei
2017 1 Jan
Die Handschrift eines Algorithmus
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Brian Eno, Das Ende der Landschaftsmalerei, Jürgen Becker, Reflection | 9 Comments