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Archives: Ciao amore ciao

 

 
 
 

„Ich habe ein Rückflugticket“, sagte Iolanda. Und in ihren Augen stand das, was in den Augen aller steht, die entschlossen sind wegzugehen: Lieber sterbe ich, als dass ich mit leeren Händen zurückkehre.

 
So heißt es auf der Umschlagrückseite. Ich muss das Buch vor wohl ungefähr zehn Jahren irgendwo im Ramsch gefunden haben. Es kann kaum länger als ein Jahr auf dem Markt gewesen sein. Und das ist schade, es ist nämlich gut.

1967 wurde Luigi Tenco, ein cantautore, wie die Liedermacher oder Singer/Songwriter im Gefolge Dylans in Italien genannt wurden, von seiner Plattenfirma in den Schlagerwettbewerb von San Remo geschickt. Sein Lied: „Ciao amore, ciao“. Das war nicht, wie man vermuten könnte, eine der üblichen canzone, es ging um Emigranten – um die Gefühle von Menschen, die, oft der Not gehorchend, ihre Heimat verlassen mussten oder wollten.

Es gab in diesem Jahr eine Besonderheit in San Remo: Alle Songs wurden in einem zweiten Durchgang von einem anderen Interpreten gesungen. Die Plattenfirma spannte dafür Tenco mit der Sängerin Dalida zusammen, die das Lied in der zweiten Wettbewerbsrunde singen sollte. In den Monaten der Vorbereitung auf die Show verliebten sich die beiden ineinander. Und als Ägypterin, die in Italien aufwuchs und in Frankreich zum Star wurde, wusste Dalida, was Emigration bedeutet.

Luigi Tenco fiel mit seinem Vortrag glatt durch. Er war ein Sänger, der in Clubs und Kneipen gehörte, nicht vor ein solches Massenpublikum. Er wusste es wohl selbst. Dalida, die das Lied im zweiten Durchgang interpretierte, erntete dagegen Ovationen bereits nach dem ersten Refrain.

San Remo war einer der korruptesten Schlagerwettbewerbe überhaupt. Eigentlich wusste das jeder, aber wer kann schon sagen, wie er darauf reagiert, wenn es ihn selber trifft … . Mochten Zuschauer und Publikumsjury auch toben, die Fachjury wollte es anders, und auf sie kam es an. Sie verwies „Ciao amore, ciao“ auf den letzten Platz, und Luigi Tenco erschoss sich nach dem Wettbewerb in seinem Hotelzimmer.

Tenco muss Dalidas große Liebe gewesen sein. Bis zu ihrem eigenen Suizid 1987 trug sie seine für sie eigentlich viel zu große Armbanduhr, die er ihr geschenkt hatte, und sie bestand darauf, dass sein Name in einem ihrer Songs verewigt wurde: „Gigi l’amoroso“. Den hat wirklich jeder mal gehört.

Der Schweizer Autor Franco Supino stellt die Katastrophe von San Remo in seinem Roman minutiös nach. Aber das ist nur der Aufhänger. Um San Remo herum verknüpft er sehr geschickt die (Auswanderer-) Schicksale Dalidas, Tencos und ihrer Vorfahren über mehrere Generationen hinweg miteinander, was ihn zu Reflektionen über den Lebensweg seiner eigenen Familie und letztlich über sich selbst führt. Dabei wechselt der Stil durch verschiedene Orts- und Zeitebenen und Erzählperspektiven von der klassischen Romanform über die Ich-Erzählung bis hin zur Reportage, in der der Autor selbst als Rechercheur vor Ort auftritt. Das ist zunächst ein bisschen verwirrend, erweist sich aber, wenn man das Prinzip einmal begriffen hat, als sehr einleuchtend.

Der Name Luigi Tenco taucht im Buch nie auf, er heißt hier „Luigi Mai“. Auch der Name Dalida fällt nie, sie heißt „Iolanda“ – nicht mal mit dem korrekten Y (Yolanda Christina Gigliotti), sondern mit I. Der Grund dafür dürfte wohl Orlando sein, Dalidas Bruder, der nicht nur Geschäftsführer ihres Plattenlabels war, sondern auch ihr Manager und ein Prozesshansel erster Ordnung. Er verwaltet bis heute den Nachlass und fährt jedem vor den Karren, der Dalida nicht so darstellt, wie es seiner Vorstellung entspricht. Im Buch heißt er „Bruno“.

Schon zu Lebzeiten war Dalida eine Art wandelndes Image, und sie hat sich nach einigen Schicksalsschlägen nicht weniger als dreimal selbst neu erfunden. Noch heute kann einem jedes französische Schulkind erklären, wer Dalida war. Trotzdem war über ihr Leben nicht viel bekannt, und das Wenige war im wesentlichen das, was das Management wollte.

Franco Supino nimmt uns mit hinter die Kulissen. Und plötzlich bist du mitten in den 1960er Jahren. Gebraucht ist das Buch wohl noch zu finden. Das Leben ist manchmal ungerecht. Auch das der Bücher.
 
 
Franco Supino:
Ciao amore, ciao
Rotpunktverlag, Zürich 2004
ISBN 3-85869-269-7
 


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