„Die Energie hängt vom Klang ab, und der Klang hängt von der Energie ab. Regt sich die Energie, wird ein Klang hervorgebracht; wird ein Klang hörbar, vibriert die Energie. Vibriert die Energie, werden Einflüsse wirksam, und die Dinge wandeln sich.So ist es möglich, Wind und Wolken zu lenken, Frost und Hagel hervorzubringen, den Phönix zum Singen zu bringen, Bären tanzen zu lassen und Freundschaft mit spirituellen Lichtwesen zu schliessen.“
Wenn wir zweifeln, weil wir nicht E-Piano spielen können wie Craig Taborn; Schlagzeug wie Nate Smith; Saxophon wie Chris Potter oder Gitarre wie Adam Rogers – dann können wir mithilfe einer Sammlung alter taoistischer Texte aus dem Buch Die Drei Schätze Des Dao, dem obiger Auszug entstammt, spielend leicht zu unserer Mitte zurückfinden. Denn dieser Text deutet an: ein Jeder kann Klänge erzeugen; ein Jeder kann vibrieren, musizieren und Musik geniessen.
Nicht erst seit Miles Davis, der „den Jazz von der Athletik des Bebop befreite“ (R.Williams), sondern schon im alten China und wahrscheinlich sogar früher, wußte man: die Heilkraft des Sounds ist allgegenwärtig. Entscheidend ist ein ursprüngliches Verhältnis zum Klang, das jedem Menschen mitgegeben wurde: als (unbewußte) Erinnerung an die pränatale Glückseligkeit im Klangraum der Fruchtblase.
Vielleicht muß deshalb auch Buchautor Jonathan Franzen bei seiner schriftstellerischen Arbeit stets eine CD hören, auf der nichts zu hören ist als ein warmes Hintergrundrauschen („a warm, pink-coloured soundcloud“) – und Musiker wie Neil Young und Daniel Lanois produzierten LA NOISE, das klingt wie eine Reminiszenz an dieses vorgeburtliche Nirvana.
Manchmal gefällt mir aber auch Musik, wie sie auf ULTRAHANG zu hören ist, gespielt von Chris Potter´s Underground – obwohl sie nicht im Geringsten klingt wie eine pinkfarbene Soundblase. Vielmehr aufpeitscht als relaxt und überdosiert genossen schnell anstrengt. Es zeigt sich aber, dass Liebe zu Handwerk und gediegenem Funk-Werk bisweilen Spass machen.
Man bekommt hier griffigen Rock-Jazz mit Free-Funk Elementen zu hören: groovend, kinetisch, erdig und sehr spielfreudig. Zudem angereichert durch Reich´sche Minimalismen mit dem Hang zu repetitiven, stakkatoartigen Melodielinien, die teilweise an Nik Bärtsch´s Ronin oder an das Claudia Quintet mit dem Schlagzeuger John Hollenbeck erinnern.
Underground ist allemal mehr als obsoleter Fusion-Stumpfsinn, wie wir ihn von unsäglichen Formationen der McLaughlins (das Ungeheuer von Laughness) und hölzernen Holdsworths kennen. Alles in allem eine ästhetische Rehabilitation der Bebop-Athletik. A Bitches Brew.
pink-cloud I
Chris Potter´s Underground: „Viva Las Vilnius“ (YouTube)