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Archives: Bob Dylan

 


Man begegnet gemeinhin keinen Wahlverwandten bei La Becasse, aber heute hatte ich Glück: Bob Dylan wich mir nicht von der Seite. Er kaute mir ein Ohr ab mit Bing Crosbys „Whiffenpoof Song“ von 1947, wunderbar. Und da sie dort keine Hintergrundmusik laufen lassen, hatte ich meinen unbekannten Evergreen des Tages gefunden.

 

Es dauerte etwas, bis ich Albenhörer wurde und Alben in mich aufnahm wie Kinofilme, vom ersten bis zum letzten Ton und Bild. Anfangs sorgten Singles und Single-Sammlungen für die Ausschüttung von Endorphinen, ein Wort, bei dem ich immerzu an luftige Delphinsprünge dachte. „Revolver“ erwarb ich zum ersten Mal irgendwann als CD, meine Kindheit war von den Kinks und vom „blauen“ und „roten“ Album der Beatles gesoundtrackt, waschechte Kompilationen – und (da ging es los mit den „Gesamtkunstwerken“) von Sgt. Pepper und Konsorten („Atom Heart Mother“, „Aftermath“, „Blue“, „The Songs of Leonard Cohen“, „Bringing It All Back Home“ – nicht, dass das obercool klingt, Richie Havens, Esther und Abi Ofarim und Gilbert Becaud waren auch dabei, mhmm, schon obercool😉).

In den knapp zwei, drei, in denen das blaue und rote Album öfter mal heissliefen, war ich verliebt, ein bisschen, ein bisschen mehr, oder gar über beide Ohren, in Marlies Durch den Wald, das Girl aus Amorbach (the strangest story of all), Elke Marie tom Dieck, Katrin Engelmann und Regina Detert (la tristesse pure, natürlich nicht R.D., sondern lonesome me). „I won‘t tell the soft pink truth here!“ 

„Als wir gefragt wurden, was unsere Formel sei, sagten John und ich, wenn wir jemals eine finden würden, würden wir sie sofort loswerden.“ The missing link between The Beatles und Brian Eno. Und dieses Credo erklärt eben auch die von Album zu Album, und ab  „Revolver“ so radikale wie entgrenzende Entwicklung der Beatles, ein Stückweit jedenfalls. (kein Grund zur Übertreibung: „Taxman“ und „Dr. Robert“ sind in meinen Ohren zwei ihrer langweilisügsten Songs ever.)

Wer da skeptisch einwirft, mit ihrem „White Album“ wollten sie doch „zurück zu den Wurzeln“, dem entgegne ich gerne, solch eine Vorstellung sei eine komplette Illusion: zwar verfolgten sie zu der Zeit (man höre nur die wundervollen „Esher Demos“) die Idee „alter“ Direktheit, Rohheit, und Spontaneität, aber natürlich wurde alles, was auf dem „White Album“ geschah, gefiltert  durch die gesammelten Erfahrungen der Zwischenzeit (die Erweiterung der Horizonte, durch unerhörte Töne von von Cage bis Indien, durch LSD sowieso, und die zeitlich für diese Jungs enorm verdichtete Palette von „travels & experiences).

„Revolver“ war der erste deutliche Schritt zu neuen Ufern – zeitlose Melodien schüttelten sie schon seit den grühen Jahren aus den Ärmeln, besonders das Team Lennon / McCartyney. Was für eine Freude also, vor Tagen „A Hard Day’s Night“ und „Help“ und „Rubber Soul“ in mono zu hören! (Bongbong Chimchimcheriiieee!)

 

 

 

 

„Revolver“ klingt nicht nur im ursprünglich so konzipierten Mono-Mix exzellent, sondern auch in dem neuen Stereo-Remix des Sohnes von George Martin – der alte Junge ist sowieso ein kluger Typ und wollte hier nichts für die Ohren des 21. Jahrhunderts polieren, sondern dem Alten neue Finess entlocken. Mit „Revolver“ legten sie jedenfalls den Grundstein für noch ehrgeizigere Musik der Zukunft. Und in dem ganz dicken Boxset, der für die „hopelessly addicted“ ein gefundenes Fressen ist, wird das Kunstwerk, als work in progress, noch ein paar Tonspuren vitaler, beispielsweise, was das uns ansonsten fast schon lachhaft vertraute  „gelbe U-Boot“ betrifft!

Craig Brown hat mit seinem wundervollen, beim C.H. Beck-Verlag erschienenen Buch, ein trickreiches Verfahren entwickelt, uns die Geschichte der Beatles „very fresh“ zu erzählen: bei allen eingestreuten Zeitsprüngen, die wie so vieles andere, zur Auflockerung beitragen, folgt er der Chronologie der Ereignisse, wobei das Marginale (ein weiterer Trick der Auflockerung) genauso fesselnd hinzugezogen wird wie legendäre Schlüsselmomente (für die er auch manch neuen Dreh findet).

Zudem ist hier ein Humorist am Werk, der es versteht, statt schwärmerisch eine Nummernrevue abzureissen, unter mancher Oberfläche des Schelmischen den einen und anderen Abgrund freizulegen. In des Ausdrucks freiester Auslegung, erzählt der gute Craig „mit vielen Zungen“, so gewitzt, oder, wie es die Engländer gerne sagen, „sophisticated“, dass es die Lust an der Lektüre nicht im geringsten mindert, wenn einem manches bekannt vorkommt – so frisch und unverbraucht ist dieses „story-telling“ der Meisterklasse.

In den letzten zehn Jahren konnten wir uns auf unterschiedlichste Weise den Beatles neu annähern, da waren die Mono-Remasters, die Stereo-Remasters, die Surround-Mixe, die filmischen Dokumentationen, deren vorläufig letzter Streich die mehrteilige Serie „Get Back“ war, die, mit der ewigen, stoischen Anwesenheit von Yoko Ono, auch etwas von Bergmanns „Szenen einer Ehe“ hatte.

Eine Serie, die ich, mit den ewigen Diskussionen im Kreis, abwechselnd ermüdend und erhellend fand: es geht um das Ende, und alle wissen es, verrückter, fabelhafter Jahre, ein letztes Sammeln kreativer Energien, für den Schwanengesang, der seine Momente hatte, aber nicht mehr an „Abbey Road“, „Das Weisse Album“, und „Sgt. Pepper“ heranreichen konnte. Oder an den Zauber der frühen Alben.

Die Vier waren auch zu müde, um nostalgietrunken ihre „alten Zeiten“ zu beschwören. Und das bringt mich auf einen entscheidenden Aspekt von Craig Browns Erzählwerk: das Buch geht allen Fallen des Erinnerungsseligen aus dem Weg. Nicht mit Nüchternheit, sondern mit trockenem Humor. Beiläufigkeit. Nonchalance. Mein Musikbuch des Jahres. Vielleicht macht sich der Verlag da selbst Konkurrenz mit dem neuen Buch von Bob Dylan.

„Ein Klartraum, auch luzider Traum (lucid dream) genannt, ist ein Traum, in dem der Träumer sich dessen bewusst ist, dass er träumt. Paul Tholey, Psychologe und bedeutendster deutscher Klartraumforscher, formulierte dies folgendermaßen: „Klarträume sind solche Träume, in denen man völlige Klarheit darüber besitzt, daß man träumt und nach eigenem Entschluß handeln kann.“ Bei dieser Definition stützte sich Tholey auf die Philosophin Celia Green und den Psychologen Charles Tart. Tholey und der US-amerikanische Psychologe Stephen LaBerge sind zwei zentrale Pioniere auf dem Gebiet der modernen Klartraumforschung. Die Fähigkeit, Klarträume (luzide Träume) zu erleben, hat vermutlich jeder Mensch, und man kann lernen, diese Form des Träumens herbeizuführen. Dazu gibt es verschiedene Techniken. Ein Mensch, der gezielt Klarträume erleben kann, wird auch Oneironaut genannt (von gr. oneiros, „Traum“, und nautēs „Seefahrer“).“ (wikipedia)

 


Sabbatical beendet, ein halber Monat reicht auch, oder ich häng noch einen halben dran, egal. Diese Story würde ihr Feuerchen verlieren, würde ich noch mal 14 Tage warten. 
Um den folgenden luziden Traum einzuordnen, braucht es nicht so viel. Uschi aka Ursula aka Chrissie und ich liessen in vielen  Emails aus letzter Zeit besondere Momente unserer Würzburger Studentenjahre aufleben. Wir unternahmen etliche Zeitsprünge, und sie konnte sich u.a. an diese „überirdische Schönheit in weissem Kleid“ erinnern, die einmal an ihrer Wohnungstür schellte – meine Verlobte, sowas gab es mal, und dieses Versprechen auf den ehelichen Bund sollte sich bald in tief-melancholische Luft auflösen, und was eignete sich für meinen Blues mehr als Bob Dylans „Desire“*, und die kleine Couch einer baldigen Psychoanalytikerin. Wir haben damals, allen Widrigkeiten zum Trotz, viel gelacht. Wir lasen Kundera, wir lasen die Welt kurz und klein und riesengross. Aber rückblickend erinnerte sich Uschi zumeist an andere Gesichter als ich. Früh im  Mai 2022 steht eine Reise in die Vergangenheit im Raum, erst nach Würzburg, dann in den Bayerischen Wald. „Ab durch Raum und Zeit“ – eine manafonistische Grundtugend, und Teil des neuen Programms der Düsseldorfer „Black Box“ (s. das kleine Plakat, ein Klick aufs Foto genügt!) 

 

 

 


AB DURCH RAUM UND ZEIT

 

Was für ein luzider Traum! Aber er benötigte Vorlauf. Die Träume am frühen Morgen drehten sich alle ums Wiedersehen. Und was da an „Freud‘schen Tageresten“ einfloss, ist mir auch klar. Erst war ich, im Traum, mit Uwe bei Gudrun und Hansjörg in der Eifel. Alles alte Arbeitskollegen aus der Klinik für Alkohol- und Medikanentenabhängige, damals, 1982, nah der tschechischen Grenze.

Und ich sagte G: „Hier hast du also deine psychotherapeutische Praxis, und viele Jahre lang schon, seit unserer Zeit in Furth i. Wald, praktizierst du hier Kognitive Verhaltenstherapie – natürlich offen für jede Erweiterung.“**

Ja“, sagte sie, und ich wollte ihr schon sagen, dass sie so jung aussähe wie damals, zögerte aber, weil ich nicht einen Satz hören wollte wie: „Micha, du siehst aber so viel älter aus.  Charmantes Lügen war nie ihre Art. Ich schaute mich in ihrem geräumigen Wohnzimmer um – G und HJ waren für mich schon damals, als wir am Ende der Welt lebten, ein perfektes Paar. Ich erinnere mich an pikanten Käse, den HJ leidenschaftlich gern anfertigte, in Arnschwang.

Ich schlief immer wieder ein, wachte auf, schliesslich drehten sich die Träume um ein Wiedersehen mit Kommilitoninnen aus der Zeit der ersten Semester in Würzburg. Ich machte brav, in den Morgenstunden, vor der längsten Traum-REM-Phase, meine Autouggestionen für luzide Träume:

(„das nächste Mal, wenn ich träume, erkenne ich, dass ich träume“ / ich erinnerte mich an die letzten Traumszenen: ein Hotel, wir telefonierten miteinander, seltsame fremde, ferne Frauenstimmen: endlich würden wir uns wiedersehen / dann die Affirmation: „wenn ich sie wiedersehe, erkenne ich, dass ich träume“).

Aber noch eine Zeitlang blieben die Träume normal: den ersten luziden Moment erwischte ich, als ich plötzlich abends die Kampstrasse in Dortmund entlang lief, mitten auf der Strasse, auf dem Weg zu dem „Treffen der Studenten von damals“, oder war es doch ein Klassentreffen. Schliesslich war ich in Dortmund, und nicht in Würzburg.

Dann verlor ich während meines euphorisierten Laufens die Klarheit, die Plastizität der Welt löste sich auf, und ich erwachte in meinem Körper, machte weiter meine Übungen, und dann geschah folgendes: icn telefonierte mit einer Kommilitonin von einst, die nicht den Weg fand – ich sagte ihr, sie müsse unbedingt kommen – vielleicht hätten wir und ja eine Story zu erzählen. Das war noch ein normaler Traum, doch Momente später tauchte mein ehemaliger Klassensprecher H. neben mir auf, der im wahren Leben Horst heisst, und wir standen im Treppenhaus eines Dortmunder Hotels, ich erkannte plötzlich,  dass dies ein Traum wahr und sagte zu Horst, innnerlich beglückt:  „komm, fahren wir zum grossen Treffen!“

Bei vollem Bewusstsein,  dass ich träumte, ging ich mit Horst die Treppen herunter, stieg in sein Auto, ich sah den Stern blitzen, ein Mercedes. Es war ein klarer Frühlingstag mit viel Sonne. Er setzte rückwärts auf die Strasse, und die Stadt war voller Menschen: ich sah Bauarbeitet an einer Kirche, ihre Gesichter gestochen scharf, auch aus der Ferne, und da war eine attraktive Frau mit Kind, drei Meter von meinem Seitenfenster entfernt, und ich rief ihr ein Hallo zu, aber sie schien es nicht zu hören.

 

KIM, CHLOE, UND MARTINI  


Dann fuhren wir nur über wenige Strassen, und ich redete mit Horst, wendete einige Tricks an, meinen luziden Zustand aufrecht zu halten. Wir würden uns alle bei „Bücher Krüger“ treffen, was es wirklich mal gab in Dortmund, und wir würden dann wohl ins Cafe Beckmann gehen. Icn musste lachen: wie in alten Zeiten, nur dass mich Horst netterweise nicht zu einem Klassentreffen fuhr, sondern zu einen Wiedersehen mit einigen Studentinnen von damals, mit jenen lang aus meinem Leben verschwundenen Wesen, mit denen mich damals hier und da eine Spur von Alltag und Träumerei verband. Es schien auch ein Zeitreise zu sein, denn alle sollten sich als wesentlich jünger rausstellen, als sie heute sein dürften.

Ich blieb klar, und Horst erzählte mir ein diffuse Story von einem „Totenschmied“, der im Cafe Beckmann arbeitete (ich sah einen Mann mit einer Art Kanone, blanggeputzt,  durchs Erdgeschoss des Kaffeehauses wieseln), und ich sagte Horst: „was erzählst du denn für ein Zeug!

Dann kamen wir endlich an, ich sah die Gesichter: alle  verändert, aber trotzdem vertraut, alle versprühten Wiedersehensfreude. Ich war vollkommen luzid, genoss das Bad in der Gruppe, wir tranken Martini in einem grossen Buchladen. Männchen wie Weibchen. Ich war berauscht, und sicher nicht vom Lieblingsdrink meiner Teenagerjahre. Mein Handy klingelte, und die Stimme von vorhin sagte, sie wäre bald da. Ich konnte es kaum erwarteh, wer würde die grosse Unbekannte sein? Welcher Kreis würde sich schliessen? Ich setzte mich hin, und dann sah ich Kim. Woher wusste ich, dass sie Kim hiess? Es gab ja keine Kim in meiner Würzburger Zeit.

Reality is floating. Please realize, dear reader, that, in a lucid dream state your mind is fully awake and your memory can easily remember things that happen, words being said. Long time memory is easy going within a lucid dream state. 

Ich war immer noch klar, nahm Kim bei der Hand, die dann neben mir sass, ich legte meinen Kopf an ihre Schulter (ständig wissend, dass dies ein Traum war) und sagte: „Vielleicht sind wir die, die einmal ineinander verliebt waren, ohne es voneinander zu wissen. Kim, ach, Kim! Welche Geschichte hatten wir? Erzähl es mir!“ Tränen rannen mir aus den Augen, Tränen der Rührung, des Glücks, es durchflutete mich durch und durch, und das war der Moment, an dem icn, leider, meine Klarheit, und meine Traumerinnerung, verlor. (Das auf dem Foto bin ich, 1979 wohl, wahrscheinlich in U‘s Studentenbude.)

 

 


Nachklang: eine Platte, ideal für Zeitreisen, raffiniert, doppelbödig, mit grossem Orchester und im Grunde perfekt, sich hörend ab und zu die Basisübung für luzide Träume zu gönnen („Träume ich, träume ich gerade?“), und dann  freischwebend a la Columbo die Umgebung aufnehmen – die Töne, den eigenen Körper, Indizien dafür, ob man sich gerade zufällig mitten in einem Traum befindet (stellst du dir die Frage dann auf einmal nachts, könntest du luzid werden)***, dreht sich derzeit immer wieder auf meinem Plattenteller, Father John Misty‘s „Chloe and The Next 20th Century“****.

*als ideale Bob Dylan-Liebeskummerbewältigunsgplatte gilt gemeinhin Blood On The Tracks.
**eine reine  Mutmassung, Gudrun wird mich bald genauer aufklären.
***im Herbst mache  ich in Aachen ein Wochenendseminar für Einsteiger ins luzide Träumen, zehn Personen, 500 Euro pro Teilnehmer.
****“It’s really amazing how Tillman is able to ring such emotional honestly without any signs of ironic detachment while journeying through the sounds of Tin Pan Alley, Old Hollywood melodrama and 70s country tinged AM gold. It seems impossible but he has done it and it’s an amazing journey to embark on.“ (A.P.)

Beim legendären Mana-Treffen auf Sylt hätte ich fast ein Strandkonzert von den Sheriffs of Nothingness eingekauft, aber dann kam es anders. Vom Morsumer Kliff hatte mir Lajla erzählt, bevor ich das erste Mal dorthin fuhr. Als ich in den letzten Jahren immer wieder zu der Insel reiste, liess mich der Gedanke nie los, einmal nach „Klein Afrika“ aufzubrechen, wie ein Teil dieser uralten Landschaft genannt wird, und nicht wegen der Hitze, die mir auf einem klassischen Sonntagspaziergang dort engegenschlug. The more frequently you return to it, the greater the rewards. The bass line suspending Hassell’s eastern melody for “Chemistry” will start to glow. The synthesized horn of “Delta Rain Dream” will transform into a meadow. The cycled trumpet sample of “Rising Thermal 14° 16′ N; 32° 28′ E” will hypnotize you.  Nein, nachts, mutterseelenallein, und so kam es dann – in dem Rucksack waren, unter anderem, eine Taschenlampe, ein nicht gerade leichter Lautsprecher von Sonos, der von meinem Ipad angesteuert werden konnte, und Sprudelwasser. Als erstes kramte ich die Taschenlampe heraus, und machte mich auf den Weg, den ich tagsüber im Schlaf fand, im Sternenlicht aber nur zaghaft betrat.

 

Nachts bekommen Rundwege eine andere Dimension – da ist ja niemand, und selbst ein harmloser zweiter Wandersmann würde einem erstmal, als Schatten, einen gehörigen Schrecken einjagen. Bei diesem Rundweg, der auf dem verlassenen Parkplatz begann, den viele von euch kennen, kramte ich als erstes die Taschenlampe heraus, denn das Licht der Sterne war viel zu fahl und meist von Wolkenschleiern verdeckt. Harmonic motion is limited and all attention is centered around the embellishment of a single melodic line. Hassell is playing lead on these songs, but his performances often blur seamlessly into the backing tracks. Es gibt eine nicht ganz ungefährliche Stelle auf diesem Weg (wenn man sich blöd anstellt), ein schmaler Steg, mit recht steilem Abhang zur Linken, den ich Schritt für Schritt in Angriff nahm, das künstliche Licht mein Beschützer, und schliesslich, nach einer halben Stunde etwa, setzte ich mich an eine höhlenartige Einbuchtung, stellte die Box nahe am Wattenmeer auf, und froh, einen windfesten dicken Mantel zu tragen, liess ich „Possible Musics“ laufen, von Jon Hassell und Brian Eno, von Anfang bis Ende, und wie die Zeit sich in der Folge verhielt, ob sie dahinflog oder stillstand, blieb ihr selbst überlassen, ich mischte mich in nichts ein, und liess mich von den Klängen einfangen (wie seit Jahrzehnten schon), von den Schlangenlinien der Trompete, den Trommeln von Nana Vasconcelos, und einmal, als ich es donnern hörte, schaute ich kurz zum Himmel, eine Täuschung der Sinne, so fein verwoben war der verhaltene Donner mit Brians elektronischen Schatten.

 

Es ist einer der wenigen Tricks, die ich gut beherrsche, und die – auch wenn sich das wenig logisch klingt – auf die Zeit zurückging, als ich in meiner Kindheit ein Buch voller Zauberkunststücke studierte: in touristisch hochfrequentierte Orte am besten nur in der Nachsaison reisen, und dann hinein ins Abgelegene, in die Unzeiten: wind on wind, wind on water. Je leerer eine Bühne ist, desto mehr bewegen sich die  Dinge, die gar nicht da sind, Areale von Traum und Wirklichkeit rücken nah aneinander. Hassell’s landscape is an invented one—an imagined culture, where high technology and mysticism are blended together. Nachdem „Possible Musics“ in meinem abgelegenen Erdwinkel verklungen war, liess ich, aus purer Sentimentalität, diesen Song von Bob Dylan laufen, in dem er um noch eine Tasse Kaffee bittet, bevor er aufbricht, zum nächsten Tal. Dann fing es tatsächlich noch an prasselnd zu regnen, und ich zauberte aus meinem kleinen Rucksack einen faltbaren blauen Regenschirm (dessen Farbe von der Nacht verschluckt wurde), und eine noch halbvolle Thermoskanne Kaffee. The north and the south of you, post-psychedelic, lush, sensuous, and otherworldly. Jon‘s experiment was to imagine a ‚coffee coloured‘ world. Eine Bö riss mir auf dem Rückweg den Regenschirm aus der Hand, und ich war gut beraten, ihn nicht im Dunkeln von Klein-Afrika zu suchen.

 

Du kennst diesen Moment, wenn du zufallsfreudig durchs Plattenregal schaust, plötzlich dein Blick an einem Album hängenbleibt, und du aus unerfindlichen Gründen  grosse Lust verspürst, ohne jeden Aufschub diese und keine andere Schallplatte anzuhören. Mir ging es gestern Abend so. Es gibt Platten, die werden nicht sonderlich ernst genommen, weil sich da alte Meister*innen angeblich eine Auszeit nähmen im Land seliger Erinnerungen. Wie bei Bob Dylans „Triplicate“. „Pitchfork“ vergibt nur 6.5 – ein Stöbern halt im alten amerikanischen Songbook. Zusätzlich wird gern bemängelt, dass trotz manchen Tempowechsels und Bläsersatzes diese unzähligen, also bitteschön, dreissig Lieder allzu abgehangen dahinströmen in ihrem Ruhekissen aus (unter anderem) pedal steel und gestrichenen wie gezupften Bass. Ich höre das ganz anders, über sechs Schallplattenseiten. Kaum ist der erste Ton erklungen, bin ich gefangen von der Ruhe, die dieser Sänger hier weg hat, ohne auch nur einen Funken Intensität einzubüssen. Ich befinde mich im Reich der Vielstimmigkeit – auch wenn Bob Bob ist und Bob bleibt, enthüllt jeder Song eine neue alte Story aus 1001 Nacht, bildlich gesprochen. Zuviel noir ist in diesen Liedern, um zu verklären. „Bob, do you pick vocal approaches like an actor playing a role?“ „No, it’s more like hypnosis, you instill it in your mind and you keep repeating it over and over until you got it.“ Ein Song daraus ist gebucht für die letzten zwanzig Minuten der kommenden Klanghorizonte im Oktober, ich werde ihn auswürfeln. In other words, my conclusion: he just doesn‘t cover these songs, he haunts them.

 

 

Wenn du zuhören willst, gib mir dein Handy.“ Also kassierte ich sechs Handys ein, und der Chef war nur zu begierig, den alten Player ans Laufen zu kriegen. Eine Altbierbowle zur Mittagsstunde, ein Caipirinha, Blick auf den Rhein, und dann: the first run is the deepest. Kein Absacker dabei. Kein Abgrund entgeht der gegerbten, verwitterten Stimme, ein halbes Dutzend one-liner sitzt schon beim ersten Lauschen. „Hör dir das an, ich glaube es nicht“, sag ich, als Dylan dann einmal richtig aufdreht, und die Gitarre den Ton eines wilden Tieres trifft. Ich bestelle gleich noch ein Bier mit Früchten. Hinterher waren wir erst mal still. Baff. Lajla musste ich auf dem Weg über die grosse Brücke noch erklären, wieso Desire mein Lieblingsalbum ist, das nun wirklich fast jeder Dylanologe weiter hinten anordnet. Und wir lachten, als wir uns vorstellten, wie oft es mal wieder heissen wird: sein bestes Album seit .… Modern Times, … Time Out Of Mind, oder gar … Street Legal!!??

 

Pantheismus und Haustiere haben eine lange Geschichte, Bob Dylan eine vergleichsweise kurze, die aber mit der nun zwölften Edition seiner Offiziellen Bootlegserie einen neuen Höhepunkt erfährt. Wer die 18-CD-Fassung braucht, ist bereits ein Dylan-Besessener. Da kann man sich auch ein Pferd anschaffen, und mit ihm viele gute Jahre zusammen verbringen, statt es den tiefgefrosteten  Geistlichen im Vatikan gleichzutun, und in kryptischen Versen nach Deutungshoheit streben, mal werkimmanent, mal mit biographischer Aussicht.

So bleibt Dylan wirklich „forever young“, auch nach seinem Tode wird die Sekdundärliteratur Possen und Blüten treiben und auch mal die Seligsprechung einfordern. Franziskus, der Papst mit der Blume im Haar, wäre der Richtige dafür, aber der ist ja nun auch kein junger Hüpfer mehr. Es gibt keinen Zweifel an dem Klassiker-Status dieser drei Platten aus den Sechzigern, aber mich haben sie nie von vorne bis hinten mitgerissen. Andere Platten Dylans waren mir wichtiger. Hier werden sie nun seziert, als „work in progress“ dargeboten, mit reizvollen Varianten, schnellen Sackgassen.

 
 
 

 
 
 

Aber das kann natürlich a u c h ein sinnliches Vergnügen sein, dieser Suche nach der geglücktesten Form eines Liedes nachzuspüren, und zwanzig Versionen von „Like A Rolling Stone“ sind schon ein abendländisches „Brett“. Leicht spricht die Rockmusik hier vom „heiligen Gral“, und der ist sowieso meistens ein Irrweg, gerne von Verblendeten heimgesucht, von Obsessiven, Erlösungssüchtigen, Baumumarmerinnen, und Nebelkerzendesignern. Überhöhungen verhindern den Transfer des Glücks (eines Songs) ins eigene Leben: was man vom Sockel holt, ist einfach nur Beschwernis.

Dylan ist ein grosser Geist, Sänger, ein Medium, ein Verwandlungskünstler, ein exzellenter Dekonstruist (ich sage oft hinreissender Liedzersäger), aber ich dosiere ihn lieber in kleinen Einheiten. So bleibt er mir nah. Und lebendiger. Und wie gesagt, statt HIS BOBNESS zu zelebrieren: versuchen Sie es mal mit Katze, Hund, Schaf, Ratte, HAUSSCHWEIN (!) oder einem Aquarium. Und kämpfen Sie gegen die Fuchsjagd in England! So toll ist das auch nicht, wenn auf Ihrer Beerdigung „One More Cup Of Coffee For The Road“ gesungen wird!

 
 
 

 
 
 

Aber, klar, nochmal, Bob ist gut. Ich bin nur etwas gesättigt, und daher ein klein wenig neugieriger auf auf die jüngsten Arbeiten von Anna von Hauswolff, Christina Vantzou, und das Buch „M Train“ von Patti Smith. Letzteres hat vielleicht noch Zeit bis Weihnachten. Aber Victoria Segal hat mich doch mit ihrer kurzen Besprechung im „Mojo“ (Dezember) sehr neugierig gemacht, auf  Pattis  nicht ganz unskurrile Alltage, ihre interessanten Marotten, und die chronische Unfähigkeit, für Roberto Bollano hundert Verse zu schmieden. Patti Smith hat bestimmt einen Hund.


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