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Archives: Asmus Tietchens

 

 
 
 
Die französische Plattenfirma Barclay hatte Peter Baumann (von Tangerine Dream) und seiner Firma Paragon Productions 1978 den Auftrag erteilt, für ihr Sublabel Egg drei deutsche Elektronik-Acts zu produzieren. Asmus Tietchens‘ Album Nachtstücke wurde eines davon.

Es war wohl nicht ganz das, was sich die Franzosen vorgestellt hatten. So zog sich die Veröffentlichung der Platte bis 1980 hin, und die Auflage war mit 800 Stück auch eher zurückhaltend kalkuliert. Die Musik war die Quintessenz der völlig freien Basteleien mit einem Moog Sonic Six und einem Minimoog, die Tietchens in den Jahren davor ohne jede Veröffentlichungsabsicht eingespielt hatte.

Nachtstücke ist Asmus Tietchens‘ erste Soloplatte (vorher hatte er bereits an Cluster & Eno von 1977 und Liliental von 1978 mitgewirkt, die gesondert zu besprechen sein werden). Die Klänge stammen vom Moog Sonic Six, irgendwo meine ich auch ein Mellotron herauszuhören. Ein noch recht unentschlossenes Werk, das ein wenig verloren in der Landschaft steht. Klanglich sind die neun Stücke recht unauffällig gehalten; eher sind sie Versuche, mit einfachen Melodien zu spielen, die auf zum Teil recht grimmige Hintergründe gepappt sind. Damit ist Nachtstücke auch ein Vorläufer der vier zwischen 1981 und 1983 bei Sky erschienenen Platten, die dann fast so etwas wie eine eigenständige Werkgruppe bilden werden. Eine vergleichbar melodienorientierte Vorgehensweise taucht dann erst Ende der 80er wieder auf, als Tietchens den Fairlight entdeckte.

Einige Stücke sind von der Plattenfirma eigenmächtig gekürzt worden, das Cover ist nicht mit Tietchens abgesprochen. Auch mit Peter Baumann hat es keine weitere Zusammenarbeit mehr gegeben.

 

Asmus Tietchens: Nachtstücke
Barclay/Egg 91.040 (1980)
Re-release in der von Tietchens ursprünglich beabsichtigten Fassung mit vier Bonustracks auf Die Stadt DS 55 (2003)

 


 
 
 

Letzte Woche, am 3. Februar, ist der Hamburger Klangkünstler Asmus Tietchens 70 Jahre alt geworden. Der richtige Zeitpunkt, eine Serie zu starten. Ich kenne nicht alle Platten, die Asmus Tietchens insgesamt bisher veröffentlicht hat (es sind mittlerweile über 80), aber ich werde in loser Folge alle seine mir bekannten Tonträger in chronologischer Reihenfolge hier vorstellen.

 
 

Tietchens, zweimaliger Träger des Karl-Sczuka-Preises (2003 und 2006), verrät in der Regel nur wenig über sich selbst, und das Wenige wiederholt sich. 1964 begann er eine Lehre zum Reedereikaufmann, hat in diesem Beruf aber nie gearbeitet, sondern war von 1968 bis 1975 als Werbetexter tätig. Schon seit 1965, angeregt durch die NDR-Reihe „das neue werk“ (dezidiert kleingeschrieben) und seinen Schulfreund Okko Bekker, machte er erste Basteleien mit einem Tonbandgerät. Erst mit 31 Jahren entschied er sich, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Das ermöglichte ihm immerhin rund 15 Jahre lang, neben dem Brotberuf völlig zweckfrei zu experimentieren; seine erste Platte erschien 1980.

Tietchens legt Wert darauf, dass seine Kompositionen keine Geschichten erzählen, sondern rein der Logik des Klanges folgen — und der Struktur, die er diesen Klängen gibt. Man könnte meinen, dass er dabei inneren Bildern folgt, aber in einem seiner wenigen Interviews bestreitet er das: Da sei, sagt er, gar nichts, keine Farben, keine Formen, keine Synästhesien. Was nicht ausschließt, dass beim Hörer welche auftauchen.

 
 
 

 
 
 

Die Nachtstücke, Tietchens‘ erste offizielle Veröffentlichung, kommt nächstesmal dran. Die Wiederveröffentlichung dieser Scheibe beim Bremer Label „Die Stadt“ enthielt aber eine zweite CD, betitelt Adventures in Sound. Sie enthält Experimentierereien (so will ich das jetzt mal nennen), die zwischen 1965 und 1969 mit einer Revox G-36 und Grundig  TK-42 entstanden sind. Mitwirkende sind Okko Bekker und Hans-Dieter Wohlmann.

Wir hören Tapeloops, zusammengemischte und teils rückwärts laufende Platten (u.a. höre ich Pink Floyd heraus, ziemlich offensichtlich (bzw. -hörlich)), sehr schräg gespielte und klangmanipulierte Instrumente, sehr frei — halt genau das, was man eben so macht, wenn man Instrumente nicht beherrscht und die Möglichkeiten einer Tonbandmaschine erforschen will. Muss man nicht kennen, ist aber im Zusammenhang mit dem, was später kommen sollte, doch interessant.

Eine freundliche Zugabe sind zwei Ausschnitte aus einer Jugendfunksendung des NDR von 1968 und 1969: Es gab da eine Reihe, in der Hörer selbstgebastelte Werke einsenden und, wie es da heißt, „zur Diskussion stellen“ konnten. Tietchens und Bekker haben zwei der auf dieser CD versammelten Stücke eingesandt, wurden ins Studio eingeladen und durften zu den Werken etwas sagen. Der Interviewer ist der damalige Leiter des Jugendfunks, Dethard Fissen, dem man den beigefarbenen Breitcordanzug schon an der Stimme anhörte. (Aber ich will ihm nicht Unrecht tun, er hat damals einiges auf die Beine gestellt. Auch meine Wenigkeit hat seine Dienste irgendwann in den Mittsiebzigern mal in Anspruch genommen, indem er die Lightshow-Gruppe, in der ich damals mitmachte, mit einem elektronischen Improvisationsduo zusammenbrachte.)

Außerdem enthält die CD das Stück „Cripple Story“, aber das wird, da es ursprünglich eine Single war, in der Chronologie besprochen werden.

 
 

Adventures in Sound 1965-1969
Asmus Tietchens, Okko Bekker, Hans-Dieter Wohlmann
Die Stadt, DS55

2014 5 Okt.

Halbe Tanzmusik

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(für AT)
 
 

2014 28 Juli

Bubendey Notturno

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Bislang glaubte ich den Hamburger Hafen gut zu kennen. Mit dem Fahrrad bin ich dort oft stundenlang herumgegurkt, nicht selten auf einsamen, bereits halbverfallenen Wegen, die wohl auch nicht unbedingt immer für Privatpersonen gedacht waren. Ein Zufallsfund in meinem gestrigen Twitterfeed hat mich auf ein Areal aufmerksam gemacht, das ich leider übersehen habe: das Bubendey-Ufer. Die Fotostrecke in diesem NDR-Artikel zeigt, weshalb das schade ist. Und mehr noch, ich fürchte, wenn ich das nächste Mal in Hamburg bin, wird das Areal in seiner heutigen Form bereits nicht mehr existieren.

Dabei hätte ich dieses Stückchen Industrieromantik schon viel früher entdecken können. Irgendwie nämlich kam mir „Bubendey“ bekannt vor – so einen Namen vergisst man nicht. Und richtig: Der Hamburger Klangkünstler und Industrial-Pionier Asmus Tietchens hat 1986 die Stücke „Bubendey Notturno“ und „Ritual auf der Halde“ eingespielt, erschienen 1988 auf der (längst vergriffenen) LP „Mysterien des Hafens“ des französischen Odd-Size-Labels. „Die Titel“, so schreibt Tietchens im Booklet der Wiederveröffentlichung von 2006, „beziehen sich auf zwei Orte im Hamburger Hafen, die aber in den vergangenen 20 Jahren bis zur Unkenntlichkeit umgewandelt wurden. Nur noch einige wenige Fotos und diese Musik zeugen von dem, was so schnell Vergangenheit wurde. Sic transit gloria mundi – und das nicht ganz ohne Wehmut.“

Das „Bubendey Notturno“ trifft mit Drones und fließenden, durch Echogeräte gejagten Metallklängen, die fast an an die Industrialsounds der zweiten Seite des „Kraftwerk 2“-Albums erinnern, die Stimmung dieses Platzes auf eine eigentümliche, gelegentlich unheimliche Weise – umso mehr, wenn man die Hafenkulisse auch mal bei Nacht gesehen hat. Eine wunderbare Wiederentdeckung, noch dazu mit Musik, die für Tietchens‘ Verhältnisse relativ leicht zugänglich ist.
 
 
 

 
 
 
Asmus Tietchens scheint überhaupt ein ziemlich enges Verhältnis zum Wasser zu haben. Ich komme darauf zurück.

 


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