Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

The Zone of Interest (D, 2023) von Jonathan Glazer

 

Der Film beginnt mit einer Art Ouvertüre, einem permanenten sphärischen Rauschen und Dröhnen bei dunkler Leinwand, minutenlang, bis Vogelstimmen ertönen und einem bösen Traum, in den man unversehens gefallen ist, zunächst ein Ende machen.

Dann ein gepflegter Garten, abgegrenzt von einer Mauer hinter der wir Wachttürme und Schornsteine sehen und das Hintergrundrauschen der Krematorien dort verorten können. Dann Familienleben, getrennt in Frauenwelten (weisse Wäsche, Babys die an Blumen schnuppern), gegeneinandergehalten zu Männerwelten, in denen über die Kapazität von Verbrennungsöfen und deren „Ladungen“ – womit Menschen gemeint sind – diskutiert wird.

Bedrückend düsteres spiessiges Mobiliar für ein spiessiges Familienleben, die Protagonisten irren in permanenten Halbtotalen durchs Haus und die angrenzende Umgebung, eine merkwürdig indifferente fahle Natur. Der Film verzichtet auf Handlung (bewusst?), ist nicht interessiert an seinen Figuren. Wozu man bei diesem darstellerischen Minimalprogramm eine Sandra Hüller anheuern musste, bleibt verborgen, da hätte eine Schauspielschülerin auch genügt – einzig die Farblosigkeit von Christian Friedel vermittelt etwas vom Topos der „Banalität des Bösen“, aber vermutlich eher unabsichtlich vermittelt als hinein – und wieder herausgearbeitet. Immerhin übergibt er sich zum Ende des Filmes als erste und auch letzte menschliche Regung – warum auch immer, aber zuviel Verdrängung bringt eben den Körper zum Somatisieren, wenn er etwas loswerden muss. Immerhin bekommt der Commandante das Kotzen.

Eine Aneinanderreihung von Alltagsbanalitäten vor den Toren von Auschwitz, das als permanentes Hintergrunddröhnen der Krematorien, Schreie, Schüsse und Hundegebell anwesend ist. Das Kopfkino wird angeworfen beim Zuschauer, das ist das Verdienst des Filmes und ein geschicktes Stilmittel, um das Nebeneinander von Grauen und bräsigem Bürgeralltag zu zeigen. Leider bleibt es das einzige, was für fast 2 Stunden dargestellt wird – das Grauen kommt nicht näher und bleibt hinter den Mauern, die Figuren zeigen weder Bewegung noch Entwicklung noch Mimik und verraten auch nichts über ihr Gewordensein – wobei viele Dialoge durch das permanente Grundrauschen auch schwer verständlich und vernuschelt sind, was bei deren Banalität aber dann auch wieder vernachlässigbar ist. Das rührt nicht an und erweckt kein Gefühl, eher eine Art Duldungsstarre.

Die Funktion des polnischen Mädchens, das Lebensmittel für die Lagerinsassen im Gelände versteckt, wird nicht deutlich und bleibt fremdkörperlich – der Einbruch des Guten in das Gleichgültig – Böse, optisch im Negativmodus dargestellt oder ähnliches, aber irgendwie aussen vor und deplaciert wirkend (parallel dazu liest Höß seinen Kindern im Bett vor, wie die Hexe im Ofen verbrennt und verknuspert – unsere romantischen deutschen Waldesrauschmärchen eben, von denen die Psychoanalytiker heute noch nicht lassen können und in regelmässigen Abständen verkünden, wie gut diese den Kindern tun – wie habe ich die gehasst). Aber hier passts!

Danach die Schlussszenen mit dem Sprung in die heutige Realität der Gedenkstätte von Auschwitz mit Bergen von Schuhen hinter Schaufenstern und einer Hilfskraft die ein Krematorium reinigt (oder eine Gaskammer?)  – wie eine Flucht vor den Figuren, denen man anders nicht entkommen zu können scheint als sie einfach so zu verlassen, wie sie nun mal eben sind und eine andere Realitäts – und Zeitebene zu betreten. Auch diese Szenen stellen keinen wirklichen Bezug her und bleiben etwas beliebig hineingeflickt oder hintangereiht.

So verbleibt der einzige Lerneffekt dieses Filmes, dass man sieht, wie Verdrängung funktioniert und wie man selbst lernt das Hintergrundrauschen der Tötungsmaschinen soweit auszublenden, dass man hinterher behaupten kann, man habe nichts gehört und gesehen.

Ein Film mit einem künstlerisch guten und humanen Ansatz, der leider aber fast alle sich bietenden und ihm innewohnenden Gestaltungsmöglichkeiten verschenkt und lieblos heruntergekurbelt wirkt. Aber es gibt ja bekanntlich auch Oscars für die Kategorie „Gut gemeint“ und niemand würde sich erlauben, einen Film, der den Holocaust anprangert, nicht zu bepreisen.

Und über den Konflikt zwischen Kunst und Moral habe ich mich ja schon vor einigen Monaten geäussert, das sind halt doch zwei sehr verschiedene Paar Stiefel …

 

2024 30 Mai

Japanese Jewels (22) Double Take: Kuniko

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | Comments off

Movement 0 – Prelude
 

Eine junge japanische Ausnahmeperkussionistin reiste einst nach Belgien, um mit dem Ensemble ICTUS Stücke von Steve Reich aufzuführen. Ihre extreme Präzision, die selbst mit Schlagzeugern wie Jaki Liebezeit und Billy Cobham, die den Ruf hatten selbst ein Metronom an die Wand spielen zu können, problemlos mithalten kann, und ihr elegantes und leichtes Spiel prädestinierten sie in besonderer Weise für die Musik Steve Reichs. Als dieser sie bei Proben und Aufführungen erlebte, war er tief beeindruckt von ihrer Spielweise. Seine komplex rhythmische Musik ließ sie aber nicht mehr los und als sie sich nach einer längeren Phase des Tourens mit dem Ensemble ICTUS ihrer Solokarriere zuwandte, waren Kompositionen Steve Reichs die Ersten auf ihrer Agenda. Dazu mussten sie aber neu arrangiert werden, da Kuniko Kato die Idee hatte, diese Ensemblestücke auch solo aufführen zu können. In enger Rücksprache und unter Supervision mit Steve Reich gelangen ihr kongeniale Interpretationen, die ein neues Licht auf die Kompositionen werfen und sie in beeindruckender Weise transparent, ja fast luzide aber auch kraftvoll erscheinen lassen. Immer wieder erhielt Kuniko Kato für ihre einzigartige Performance bedeutsame Preise und Auszeichnungen.

 
 
 

 
 
 
Movement I – Fast
 

2011 erschien dann ihr Debütalbum Kuniko Plays Reich mit höchst originellen, atemberaubenden Interpretationen von Electric Counterpoint für Steel Pans, Vibraphon und Marimba, Six Marimbas Counterpoint und Vermont Counterpoint für Vibraphon. Hierbei spielte sie sämtliche Parts vorab auf Tapes ein, um dann die Soloparts live dazuspielen zu können. Die entspannte Präzision und rhythmische Stringenz trägt mit höchster Konzentration und tänzerischer Leichtigkeit durch diese komplex polyrhythmischen Stücke, die Synkopen und Phasenverschiebungen, die schon für jedes Percussion Ensemble zu den schwierigsten Herausforderungen moderner Musik gehören. Ein Debüt, das Maßstäbe gesetzt hat und bis heute solitär unter den Interpretationen der Musik Steve Reichs dasteht.

 
 
Movement II – Slow
 

Danach wendete sie sich zunächst der Musik Arvo Pärts zu und versteckte aber auf dem Album Cantus ihre Version des New York Counterpoint und spielte 2018 dann Drumming (hier auch visuell sehr eindrucksvoll: live zu Steve Reichs 85. Geburtstag) ein. Dazwischen lagen ein Tribut an den japanischen Komponisten Akira Miyoshi und perkussive Annäherungen an Iannis Xenakis und mit Solo Works For Marimba an Johann Sebastian Bach.

 
 
Movement III – Fast
 

Doch die Kompositionen Steve Reichs sind nahezu prädestiniert für eine so originelle und talentierte Musikerin wie Kuniko Kato und ihre Kreativität im Umgang damit scheint keine Grenzen zu kennen, zumal der Komponist selber zwar recht präzise Vorstellungen vermittelt, aber auch immer wieder positiv überrascht vom Ideenreichtum Kuniko’s ist. So erschien Ende April Kuniko Plays Reich II, das mit Four Organs eröffnet wird, bei dem über das ganze Stück ein und derselbe Akkord mit unterschiedlicher Akzentuierung und zunehmender Länge in Begleitung einer ganz regelmäßigen Maraca intoniert wird, was bei den ersten Aufführungen zu heftigen Tumulten führte, da das Publikum sich durch die schlichte Einfachheit offensichtlich provoziert fühlte. Ein Stück, das aber in sensibler Weise den Übergang von perkussiv gedachten Orgeltönen in einem graduellen Prozess zu fast ambienthaften langsamen Schwebungen durchläuft und bei jedem Hören zu neuen Entdeckungen anregt. Dann folgen Piano Phase version for Vibraphone, Nagoya Marimbas und das Mallet Quartet als jüngstes Stück, die durch die von Steve Reich als maschinenhaft beschriebene graduelle Phasenverschiebung eine subtilste Lebendigkeit und Vitalität gewinnen und die Aufmerksamkeit bis in die letzte Minute hinein bannen. Steve Reich hat als ausgebildeter Perkussionist die Minimal Music am tiefgründigsten in ihren rhythmischen Potenzialen ausgelotet, die trotz scheinbar vordergründiger Monotonie eine maximale hypnotische Kraft entwickelt. Kuniko Kato hat mit ihren überragenden und zutiefst faszinierenden Interpretationen diese Musik in neue Dimensionen gehoben.

 
 
 

   

 

2024 30 Mai

Vom guten Schlaf

von | Kategorie: Blog | | 7 Comments

 

Mit dem Buch Das erschöpfte Gehirn fing mein Interesse für neuronale Vorgänge Feuer, fand ich neurowissenschaftliche Auslassungen zuvor doch immer seltsam nichtssagend, redundant und schwer greifbar. Kommt nämlich zu diesen schwer fassbaren Vorgängen auch eine affirmative Grundhaltung des Positiven Denkens hinzu, schaltet mein Interesse ganz schnell auf Stand-By: den Schlafmodus. Das Buch des renommierten Genforschers Michael Nehls hingegen liest sich spannend und wirkt nachhaltig, da es auch eine Menge Zeit- und Gesellschaftskritik enthält. Der Arzt beschreibt beispielsweise, wie wichtig ausreichend Schlaf sei zur Regeneration, Kreativität und Lernfähigkeit. Dass auch Bewegung, gesunde Ernährung und die Versorgung mit essentiellen Mikronährstoffen, die fälschlicherweise immer als „Nahrungsergänzungsmittel“ bezeichnet oder diffamiert werden, dazugehören, versteht sich von selbst. „Du musst dein Leben ändern“ – so betitelte der Philosoph Peter Sloterdijk ein Buch, in dem es um die Wichtigkeit von Übungen („Disziplin“) geht. So what? Inwieweit wirken Informationen und Wissen auf mein alltägliches Leben? Entstehen neue Handlungsmuster? Ein ganz wichtiger Aspekt ist hier der Unterschied zwischen dem automatischen Modus und dem Lernen neuer Handlungsweisen. Daniel Kahnemann bekam den Nobelpreis für seine Erkenntnisse über langsames und schnelles Denken. Handeln in tief verankerten Automatismen nennt man den Zombiemodus. Der ist durchaus gewünscht, denn nicht in jeder Kaffeetasse, die aus dem Schrank fällt, erblicken wir den Angriff eines Säbelzahntigers. Nach fünfzehn Jahren Abstinenz fahre ich nun wieder Auto und bin verblüfft, wie tief einst erlernte Handlungsmuster sitzen. Eine längst verloren geglaubte Welt taucht wieder auf. Partizipiert man hier nicht, fühlt man sich schnell als Aussenseiter im urbanen Raum einer automobilen Dominanz (und auf dem Lande wahrscheinlich ziemlich abgehängt). Als ich einst nach zehn Jahren Spielpause die Gitarre wieder zur Hand nahm, stellte ich fest, dass ich immer noch gut spielen kann. Höre ich ein Musikalbum nach mehreren Jahrzehnten, weiss ich sofort: das kennst du schon! Wo sind solche Erinnerungen abgespeichert? In tiefen archäologischen Schichten, in den Verschaltungen von Synapsen, so vermute ich. Jeder Mensch kann sich tatsächlich fragen: wie kommt das Neue in meine Welt? Wie lerne ich neue Handlungsmuster? Und zwar in realtime und nicht per gutgemeintem Vorsatz! Ohne Wagnis ist das nicht zu machen, da schlafen wir bald ein. Ist leider so. Kurz nach dem Abi war Georg Danzer mein favorisierter Songbarde, ich war sogar auf einem Live-Konzert in der Bremer Stadthalle. Im besten Wienerisch sang der: „Schloaf net ein und bleib wach!“ Kleine Korrektur nach fünf Jahrzehnten: Schlaf gut ein, dann bleibst du wach.

 

2024 29 Mai

Das Leben ist neu

von | Kategorie: Blog | | 2 Comments

 


 
 
 

Voller Erwartung lege ich die für zweihundert Euro günstig erworbene Edelvinylscheibe eines bekannten Jazzpianisten auf meinen Plattenteller, öffne dazu einen Jahrzehnte alten Vino Tintoretto und „fresse dazu Marzipan“ (Wilhelm Genazino). Okay, ganz so stilvoll ist es nicht und der Pianoplayer kommt per Streaming rüber: willkommen in den Niederungen der Alltagsbanalitäten. Erstaunlicherweise stelle ich da fest, dass das virtuose Spieluhrgeklimpere mir ein Gefühl von Langeweile und Gefangensein vermittelt. Ich suche nach frischen Impulsen, die aufmunternd sind. Bei der Gelegenheit ein Loblied auf das Streaming generell: es gibt ja mittlerweile hochauflösende Streamer, die sich mit der Hifi-Anlage koppeln lassen und sogenannte Smartphone-Qualität bei weitem übertreffen. Der Pilgergeist vergangener Tage beim Durchstöbern der Plattenläden hatte seinen Reiz, doch diese technisch-digitale Möglichkeit unmittelbarer Verfügbarkeit bietet neue Muster der Rezeption, die sich durch Rituale zudem gut strukturieren lassen. Beispielsweise kann man den Werdegang eines Künstlers sich stückweise erschliessen. Sind es beim Wandern die Ortskenntnisse, so sind hier Namenskenntnisse erforderlich. Was will ich hören, welche Spur verfolgen? Gebe ich etwa „Tyshawn Sorey“ in die Suchleiste ein, werde ich eigentlich immer fündig. Solche Musiker haben mein Urvertrauen: wo sie dabei sind, ist es gut. Erstmals auffällig wurde mir der Schlagzeuger und Pianist auf einem Album von Steve Coleman, wo er im Zusammenspiel mit dem Bassisten Thomas Morgan einen enorm kraftvollen Grundbeat hinzauberte. Auf dem Album Archaisms II nun findet sich eine wunderbare Melange aus Jazz, Weltmusikschnipseln, Zen-Geist, Perkussion (Reminiszenzen an Nana Vasconcelos), Neuer Musik, die in ihrem eruptiven Gestus an Wolfgang Rihm erinnert, ohne jenes elitäre Milieu der Klassik zu evozieren, das mir gehörig auf den Geist geht (hab’s nicht so mit Wagner, Bruckner läuft auch eher nebenher). Eine Entdeckung auch: die italienische Pianistin Simona Premazzi. Sparsam lyrische und liedhafte Elemente verweben sich mit einer gehörigen Portion aus kinetischem, freiem Spiel. Die tonnenschwere Wucht des Flügels, man darf sie spüren. Deshalb mag ich auch den Pianisten Vijay Iyer. „Jetzt bloss nicht lyrisch werden!“ mag man rufen. Bleib dabei und sei das freie Ei. „Jetzt bloss nicht albern werden!“ ermahne ich mich selbst und kriege knapp die Kurve, das Themenfeld nicht zu verlassen. Von Melissa Aldana wollte ich nämlich noch erzählen: ich hörte nun alle ihre Alben in den letzten Tagen. Wäre es nur ihre aparte Erscheinung, die mich an eine grosse Jugendliebe erinnert, käme erneut das Vergangenheitsselige ins Spiel. Nein, ihre teilweise sehr zurückgenommenen Töne werden sanft ins Hier und Jetzt geflüstert. Sie täuschen, denn hinter diesem Understatement verbirgt sich Wunderkindcharakter. It runs in the family: Die chilenische Musikerin spielt das Tenorsaxophon ihres Grossvaters und im Alter von sechs Jahren bat sie ihren Vater, ebenfalls ein Saxofonist, ihr ein Charlie Parker Solo zu transkribieren. Das sind so die Stories am Rande, sie garnieren ein Interesse, das zentral bleibt: die Lust am Hören von neuer Musik.

 

2024 28 Mai

Die Rückkehr der Namen

von | Kategorie: Blog | | 2 Comments

 

 

 

 

Ein Eintauchen in einen dunklen Hohlraum ist immer ein Erlebnis von Regression, begleitet von wahlweise Geborgenheit oder Beklemmung und Unheimlichkeit. Die Wände weisen eine seltsame Textur auf, eine Art Landschaft, wie Städte auf Hügeln oder Dünen. Bei näherem Besehen sind es Ahnentafeln, Stammbäume, Namen – untereinander verbunden, ein Netz gegenseitiger Bezogenheit, das den Eindringling umspannt und umzingelt, plötzlich scheinen die Tafeln ihn anzublicken. Es ist ein Raum der Toten, den wir betreten – was haben wir hier zu suchen?

Es sind die Namen von Tausenden von Aborigines – in jahrelanger Kleinarbeit vom indigenen Künstler Archie Moore – mit dem eigenen Stammbaum beginnend – den Archiven entnommen und an die Wand gemalt. Nun umgeben sie den Zuschauer wie ein aufgespanntes Netz, schauen ihn ihrerseits an, ziehen sich über die Decke wie ein Sternenhimmel. In der Mitte ein Teich, stehendes Wasser, der Betrachter spiegelt sich darin, wird Teil des Systems. In der Mitte des Teichs ein Tisch mit Gerichtsurteilen, Behördenvorgängen, Dokumenten, Todesurteilen an Indigenen, systematische Ausmerzung einer 60 000 Jahre alten Kultur.

Auch wenn anhand der Fülle der Namen der Verdacht entsteht, dass der Künstler hier einiges gefaked hat (schliesslich wird’s kaum einer nachzählen), wirkt die Installation – man fühlt sich wie auf einer Anklagebank, von Tausenden von Augen beobachtet, ähnlich wie beim Herumirren zwischen den Stelen der Berliner Holocaust-Gedenkstätte. „Totemisch“ nannte es ein Rezensent – ein Wort das auf magische Praktiken und Symbolisierungen zurückweist, trotzdem seltsam fremd bleibt, so wie der Betrachter fremd bleibt in diesem Netz von Zugehörigkeiten, das für ihn nicht begehbar ist. Eine reizvolle Umkehrung des Biennale-Themas „Foreigners everywhere“.

Ein kurzer Anflug von Paranoia, dem Gefühl von Bedrohtsein durch rächende Untote, in den Stein gebannte Seelen. Man verlässt den Raum wieder, er ist schwer zu ertragen. Opfer müssen Gesichter bekommen – oder zumindest Namen – wie bei der Kundgebung „Die Rückkehr der Namen“ in München.

 

 

 

 

Ein Lehrer, der in der Schule einem Amokschützen gegenüberstand, sagte zu ihm: Erschiess mich, aber sieh mir dabei in die Augen! Er hat überlebt.

 

Quelle: Kith and Kin von Archie Moore, Biennale Venedig 2024.

 

 

 

 

 
 

… und ein ikonischer Blick …

 

 

 

Wer oder was blickt uns hier an?

Ein Ziegenbock? Der Teufel? Ein Hybridwesen – weder der einen noch der anderen Welt so ganz angehörig? Und wie wirkt der Blick auf uns? Wie der Blick eines Menschen, der sich noch an einen Vorsprung klammert, während die Beine schon den Halt über dem Abgrund verloren haben. Der noch nicht weiss, ob er sich festhalten will oder lieber loslässt, aber mit den Augen eine letzte Botschaft hinterlassen will. Eine kaum erträgliche Intensität, die fast schmerzt. Was würde er als letztes noch sagen wollen? Soll der Blick festhalten, wenn die Hände schon losgelassen haben? Er scheint sich in die Augen des anderen bohren zu wollen. Erst wenn ich gesehen werde, weiss ich dass ich bin. Erst wenn ich in einem anderen lebendig werde, weiss ich dass ich lebendig bin. Ein Fluch, den anderen so sehr zu brauchen.

Ein Blick wie ein Sprung in den anderen.

 

 

 

Quelle: Anonymer Maler, um 1926. Prinzhorn Sammlung „Bildnerei der Geisteskranken“, Heidelberg

 

2024 19 Mai

Opus

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 4 Comments

Stille. Der schwarze Yamaha-Flügel steht verlassen da, davor ein leerer Klavierhocker und eine Stehlampe, die jetzt ins Leere strahlt. Gerade eben bewegten sich noch die Tasten des Flügels wie von Geisterhand bewegt, ohne Spieler, aber das Spiel geht weiter. Das letzte Konzert, leise und sehr intim. Nicht mehr vor anwesendem Publikum, denn dafür hätte die Kraft nicht mehr gereicht. Schwarz-weiß, ein Spiel mit Licht und Schatten, mit Perspektiven und Reflexionen auf der blanken Oberfläche des Konzertflügels, eine große Diskretion und eine Liebe zum Detail, der den Pianisten noch einmal ganz nahe heranholt. Die hagere Gestalt, die konzentrierten bis angestrengten Gesichtszüge, ganz fein und die großen Augen hinter der Brille. Die Hände, die zwischen den Stücken in fragile Gesten fließen. Die Hände, die in geübten Bewegungen über die Tasten gleiten, mit dem scheinbar geringsten Aufwand die bekannten Stücke spielen. Impressionistisch, manchmal ganz ruhig romantisch mit feinen japanischen Untertönen, so verschieden die Stücke aus allen verschiedenen Schaffensphasen einmal gewesen sind, so ähnlich sind sie nun bei dem leisen Finale, formal verhalten und auf eine sehr subtile Ebene gebracht. Man spürt das Abschiednehmen, das Andächtige, das, was es noch zu sagen gäbe. Man sieht das Scheitern, wenn die Konzentration einbricht, die Müdigkeit den Pianisten einholt, er die Brille absetzt, sich vorsichtig über das Gesicht streicht, man sieht die leise Freude wenn eine Passage gelingt. Vielleicht wäre diese Nähe, diese leise Intimität nie möglich geworden, wenn nicht der Sohn des Pianisten, Neo Sora, die Regie geführt hätte, seinem Vater in diesem Film ein künstlerisches Denkmal gesetzt hätte. Ryuichi Sakamoto starb am 28. März 2023 und mit diesem Film gelang es mir wirklich Abschied von einem Musiker, der mich Jahrzehnte meines Lebens begleitet hat, zu nehmen. Danke!

 
 
 

 
 
 
Playlist:
 

  • Lack of Love
  • BB
  • Andata
  • Solitude
  • for Johann
  • Aubade 2020
  • Ichimei – small happiness
  • Miau no Naka no Bagatelle
  • Bibo no Aozora
  • Aqua
  • Too Pong
  • The Wuthering heights
  • 20220302 – sarabande
  • The Sheltering Sky
  • 20180219 (w/prepared piano)
  • The Last Emperor
  • Trioon
  • Happy End
  • Merry Christmas Mr. Lawrence
  • Opus – ending

 

 

Ein Diskurs über Aliens ist auch immer ein Diskurs über Fremdheit – im allerweitesten Sinn – und der Alien dann sozusagen die Inkarnation des Fremden: Er entstammt nicht der Erde, sieht anders aus, ernährt sich anders und verfügt über eine völlig andere Biologie und Chemie. Mit der Sprachverständigung hapert es auch immer gewaltig. (Und – unschwer zu bemerken – anscheinend ist er immer männlich). Von daher ist er für uns schwer lesbar und an der Freundlichkeit seiner Gesinnung könnten zu Recht auch einige Zweifel bestehen.

Damit bildet er reichlich Freiraum für Projektionen, zu denen der Mensch greift, wenn er einer leeren Fläche begegnet und damit nun einmal zwangsläufig sich selbst – denn einen horror vacui tragen wir in uns – das Unbekannte darf nicht unbekannt bleiben, da füllen sich Hohlräume sofort mit Eigenem, das heisst es wird fröhlich drauflosprojiziert – dem Fremden und uns zum Schaden. Robinson meets Freitag und macht ihn sofort zu seinem Bediensteten nachdem er seine gesamte Verwandtschaft um die Ecke gebracht hat, ja so hätte mans gern, das war unsere Jugendliteratur. Im Horrorgenre tummeln sich Halbwesen – halb Mensch, halb Tier, halb lebendig, halb tot (Werwölfe, Dämonen, Zombies) als Synthese von Mensch und Natur, im Sci-Fi haben wir es mit Mischwesen von Mensch und Technik zu tun.

Wann ist dieser Fremdling denn nun geboren? Zunächst war er ein Geschöpf der Literatur.

Jules Verne und Mary Shelley eröffneten den Reigen im frühen 19. Jahrhundert und Isaak Asimov im 20., die sich mit kühnen Erfindungen, künstlich geschaffenen Geschöpfen und ungewöhnlichen Reisen beschäftigten, sich aber freilich noch nicht in den Weltraum wagten.

Die Entwicklung des frühen Kinos und seiner technischen Potentiale ermöglichten aber bald, uns unsere kosmischen Mitbewohner auszudenken, wenn auch nur innerhalb eng gezogener Grenzen, die eine noch unentwickelte visuelle Technik setzte. Trotzdem gelang die Kreation einer neuen Bildsprache – wer kennt nicht die missgestimmte Mondscheibe der Brüder Lumière, der man 1902 eine Rakete ins Auge gerammt hatte? Womit die Raumfahrt bereits zu Anfang als grenzverletzende Aktion einer hybriden Menschheit andefiniert wäre, die niemand in Ruhe sein Leben leben lassen kann – und so wie es losgeht, geht’s bekanntlich ja auch immer weiter und meistens dann ins Auge.

 
 

 
 

Die Morphologie der Aliens bleibt über die folgenden Jahrzehnte hin relativ konstant und phantasiearm – echsenartige oder reptiloide Wesen oder gleich überhaupt Roboterblechmännchen. Beiden gemeinsam ist die Anmutung von Kälte und Härte – der Metallmantel des Roboters, der Schuppenpanzer der kaltblütlerischen Reptile und Insekten und in beiden Fällen ihre Unfähigkeit zum mimischen Ausdruck, den der Mensch nutzen könnte um sich zu orientieren und Beziehung herzustellen. Der fehlt hier, dergleichen assoziieren wir schnell mit Unmenschlichkeit im Sinne von Grausamkeit – als wäre alles Nichtmenschliche grausam – das wirklich Grausame daran sind dann aber eher unsere Zuschreibungen. Aliens sind folglich kalte, ungerührte, unangenehme Zeitgenossen, schwer bis gar nicht berechenbar und ein Grund für den Erdling sofort nach der Pistole zu tasten. Damit wäre die Arena erstmal bereitet.

 
 

 
 

Die Roboter – vor allem wenn sie in Massen auftreten – eignen sich daneben auch als Zerrbild des willenlosen und gesichtslosen Arbeitssklaven, ein Typus dem man dem Sowjetkommunismus zuordnete und womit Vermassung und Verlust der Individualität konnotiert wurde, der man aber andererseits in den eigenen Produktionsstätten des frühkapitalistischen Amerika wieder begegnete, auch beängstigende Entwicklungen und ein Beispiel dafür dass etwas prompt übers Kellerfenster wieder hereinkommt, wenn man es von weiland McCarthy zur Haustüre hinausschmeissen hat lassen. Kollektivbildende Ideologie macht was mit dem amerikanischen Einzelkämpferpionier, dem seine Unverwechselbarkeit heilig ist und der seine Probleme auch als Raumschiffkommandant gelegentlich noch gern mit einem Faustschlag löst – klar, seinen Neocortex hat er outgesourct und in Mr. Spock hineinverlagert als seine ständige externe Festplatte – der ist dann für intelligente Konfliktlösung zuständig – eine Spaltung der ein gewisser filmischer Charme durchaus eigen ist.

Und interessant, dass zu Pandemie-Zeiten die Theorie der Reptiloiden wieder fröhlich aufgekocht wurde, sogar Merkel wurde dahingehend verdächtigt – naja, warum auch grad die nicht? Jede globale Bedrohung kreiert ihre eigenen Aliens – ich bin gespannt was der Ukrainekrieg für Kinder zeitigt; die neueren Sci-Fi-Produktionen zeigen jedenfalls noch keine wesentlich neue Variante der Bedrohungsvielfalt, vielleicht kommts ja noch – ich werde berichten.

Von 1902 bis zur Post-Nine Eleven-Ära waren Entwicklungslinien der Alien-Thematik zu verfolgen, danach geht es in der Fülle der Produktionen zum Thema reichlich durcheinander, kaum möglich hier noch eine Struktur, einen spezifischen Bedrohungstypus zu sehen und gesellschaftliche Bezüge zu finden.

Die Ära, die diese Geschöpfe dann wirklich filmisch zum Leben erweckte, war die Zeit des Kalten Krieges: Die Welt war nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und dem Sieg der Alliierten in zwei verfeindete Machtblöcke zerfallen, die sich fürchteten und fürs erste misstrauisch beäugten. Hinzukam die Entwicklung der Atombombe – die Menschheit besass nun das Potential den Planeten sogar mehrfach und in toto in die Luft zu sprengen. Dergleichen muss verdaut und verstoffwechselt werden wenn es einem nicht auf ewig im Magen liegenbleiben soll: Der amerikanische Science Fiction ist eine bunte Nummernrevue dieser Metaboliten.

In den Jahren 1940 bis 1960 wurden zahllose „Invasionsfilme“ gedreht: In Massen auftretende gesichtslose Aliens landeten in mehr oder weniger phantasievoll gestalteten Raumschiffen auf der Erde und bedrohten die Menschheit mit phallischen Waffen, aus denen tödliche Strahlen heraus ejakulierten – ein symbolisiertes, mörderisches und beängstigendes Bogenpinkeln der Grossmächte, das eine paranoide Grundstimmung erzeugte. In einem Hörspiel initiiert von Orson Welles „Der Krieg der Welten“, nach einem Roman gleichen Namens von H.G. Wells, gerieten Menschenmassen in Aufruhr und versuchten über die Highways zu flüchten, weil sie die Landung der Aliens in Form einer Live-Schaltung für Realität hielten. Die Cops hatten zu tun. Das war bereits 1938, als sich die Welt begann, auf Kriegshandlungen einzustimmen und Hitler in Österreich einmarschierte, in den Staaten der Kampf zwischen Republikanern und Demokraten erneut ausgefochten wurde, vermehrt jüdische Flüchtlinge immigrierten und Roosevelts Politik des New Deal und seiner Sozialreformen auch nicht bei allen Gefallen fand und auch die Stellung der farbigen Bevölkerung neu geregelt werden musste – wer über der gestalte Ängste vor letzteren etwas lernen möchte, gucke kurz in King Kong (1939) rein.

In den Jahren nach 1945 starteten beide Grossmächte ihre jeweiligen Weltraumprogramme. In diesen Jahren nahm die Zahl der gemeldeten UFO-Sichtungen in den Staaten zu, parallel dazu auch die Zahl der Invasionsfilme; das politische Feindbild scheint sich im kollektiven Unbewussten – ja, das gibt’s, da machste nix dran – endgültig mit dem Bild des exterristrischen Eindringlings legiert zu haben. Als Russland dann als erster 1957 den Sputnik in den Weltraum schickte, wurden in den Tagen danach der NASA 261 Ufosichtungen von wachsamen US-Bürgern gemeldet wobei somit eine ganze Nation am Rande der Kollektivpsychose stand, und das schafften die damals sogar noch, ohne den blonden Schreihals mit dem toten Frettchen auf dem Kopf.

Politische Feinde haben sich zu jeder Zeit im Kriegsfall nicht nur des fremden Bodens bemächtigt, sondern auch der Frauen, deren Körper zu allen Zeiten als willkommene Kriegsbeute umdefiniert und benutzt wurde – auch eine atavistische Möglichkeit die eigenen Gene weiter zu verstreuen, ein zweiter Sieg, der dem ersten noch nachgeschoben werden konnte als überdauernde Inbesitznahme – und so entstand eine dazugehörige erotische Ikonographie im sadomasochistischen Modus: Das Monster trägt in den Armen meist eine Frau, wahlweise ohnmächtig hingegeben und willenlos oder wild kreischend – die Figur hiess damals „screaming lady“, ein Archetypus des Hollywoodkinos – das zumindest in einer Zeit als die Frauen noch lieber kreischten als – etwa ab 1980 – selbst zur Laserkanone griffen und die Lage klärten.

 
 

 
 

In der legendären Szene aus King Kong machte die filigrane Fay Wray, an 2 Strippen aufgehängt – deutlich mehr Krach als der herantrampelnde 30m-Gorilla. Den Soundtrack hab ich heut noch im Ohr, dieses wummernde Stakkato, das dann später für den weissen Hai und den Terminator abgekupfert wurde mit überlagertem Faywraygeschrei. Wobei King Kong nun kein Alien ist, sondern eher das Zerrbild des urtümlichen Wilden, dem man eine gesteigerte Manneskraft zuzubilligen scheint – hat ja auch Frau Thurn und Taxis schon angemerkt, dass der Schwarze gern schnackselt, vermutlich hat sie’s selbst ausprobiert.

Darum musste King Kong auch sterben, nachdem er auf den amerikanischen Riesenphallus geklettert war – Technik überwältigt Natur und unsere smarten all-american Boys mit ihren Ballermännern schaffen alles und der grosse Pimmel gehört wieder uns – jaja, wir haben den Schuss gehört. Und die schöne Frau wird von einem dieser Jungs vom Turm geklaubt, findet ein sicheres Unterkommen und darf ihr künftiges Dasein Familienversorgungsbanalitäten widmen und sich fragen ob sie im Urwald nicht doch ein spannenderes Leben gehabt hätte.

 
 

 
 

Summasummarum ist bei diesem ganzen Genre reichlich sadomasochistische Heteroerotik im Spiel und Frauenerschrecken scheint halt doch allzuvielen XY-Ownern verdammt viel Spass zu machen. Und wer’s selbst nicht schafft guckt sich’s wenigstens an. Aber ich schweife ab …

Auch die nun entwickelte Atombombe fand ihren Widerhall in den Filmproduktionen dieser Zeit – durch radioaktiven Niederschlag mutierte Riesenviecher, wahlweise Mörderspinnen, Killerbienen, Riesenechsen machten zusehends der Menschheit zu schaffen and a hard rain s‘ a gonna fall – und gelegentlich entstanden sogar recht vernünftige Filme mit einer mahnenden Grundaussage, das Kriegspielen nicht zu übertreiben. Der 1951 abgedrehte Streifen „Der Tag an dem die Erde stillstand“ kehrte sich nicht an das Muster der Invasionsfilme, sondern sandte einen menschlich aussehenden, natürlich dann auch nach herkömmlichen Hollywoodkriterien gutaussehenden Alien mit Schmalztolle, beschützt von seinem Roboter, auf die Erde um zu friedlichem Verhalten zu mahnen. Der mit einfachsten Mitteln gedrehte Schwarzweiss-Streifen schaffte es durch einen in Alu gepackten 2,20 m grossen Schauspieler sowie durch geschickte Kameraeinstellungen und Beleuchtungseffekte, eine ungewohnte Magie und wohligen Grusel zu erzeugen, so dass das schlichte Filmchen glatt ein cineastisches Genusserlebnis wurde. Natürlich konnte der Roboter mit Blicken töten und wenn er sein Visier hochfuhr, drohte ein todbringender Laserstrahl, aber nur auf Kommando von Herrchen. Man könnte, wenn man wollte, aber noch funktioniert die steuernde Vernunft – zumindest im Film und seiner Botschaft. Und so ging der Alien umher wie Diogenes mit der Lampe um einen guten Menschen zu finden – fand ihn in Gestalt einer hübschen Witwe mit Söhnchen (Stichwort Vaterlosigkeit!). Auf jeden Fall sehenswert.

 
 

 
 

Das Rebooting 2008 kann man sich – wie die meisten Sequels – sparen, Keanu Reeves vielleicht mal ausgenommen – jede Menge virtuelle Mätzchen ohne einen Funken Spannung, vor allem für den Sci-Fi-Conaisseur, der die Handlung und pädagogische message schon kennt.

Und zu Ende des Kalten Krieges in den aufatmenden Siebzigern wurden die Aliens – Überraschung!!! – zusehends freundlicher. Die wollten lediglich frisch gepressten Katzensaft oder permanent nach Hause telefonieren, sagten nach jedem Kinnhaken „Nimm das, Du räudiger Jedi!“ (Star-Wars- Ignoranten bitte hier googeln) oder trugen Barbarella auf Engelsflügeln ebenso sanft wie sinnfrei in der Gegend herum. Verspielt, handhabbar, gutartig, witzig, Gefährten für vaterlose Kinder – die Revolte gegen die Väter und deren Absetzung erzeugte eine Generation von neuen Vätern und Aliens. Der Film-Alien trifft oft auf vaterlose Familien – honi soit – da könnte man jetzt auch einiges drüber sinnieren, warum das so ist. Am Ende hat das Ganze auch etwas mit Vatersehnsucht in einer vaterlosen Gesellschaft zu tun? Und drohenden, kastrierenden Vaterfiguren? Aber man soll bei der Analyse der Mythen des Horrorgenres nicht zwangsläufig den Mythen der Psychoanalyse folgen, vor allem nicht der klassischen.

 
 

 
 

Aber ich hab’s mal ausprobiert und meine Praxiskinder eine Zeichnung über „Meine Begegnung mit einem Alien“ malen lassen – es ergaben sich schon deutliche Ähnlichkeiten mit der Gestaltung der Vaterbeziehung.

 
 

 
 

In den 80ern brachen die Frauen als kämpfende Amazonen in diese Idylle ein (Alien, 1980, Ridley Scott) – klar, nach 10 Jahren Feminismus – und bekamen natürlich ihre Prügel und danach mutierten die Monster wieder zu oral aggressiven Zeitgenossen, die uns am liebsten ausgesaugt oder komplett gefressen hätten, weil die Ressourcen auf ihrem Heimatplaneten ausgeschöpft waren (Krieg der Welten, 2005, der auch das politische Motiv der IS-Schläfer zitiert). Passend zu einer Zeit in der die Menschheit begann sich verstärkt damit auseinanderzusetzen, dass ihr wohl langsam doch der Saft ausgeht. Dabei wäre es kurzschlüssig, die globalen Migrantenströme als moderne Alieninvasionen zu markieren (District 9, 2009), sondern besser darüber nachzusinnen, wer der eigentliche Alien ist, der die 3. und 4. Welt ihrer letzten Ressourcen beraubt und sie zum Ausgleich zumüllt – ein ebenso zynischer wie desaströser und zyklischer Verdauungsvorgang, der wiederum neue Aliens geriert, die in unsere Grenzen einbrechen und schlicht mitessen wollen – what a sad and endless story. Hollywood hat noch zu tun.

 

2024 15 Mai

Von Wandlungen

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 4 Comments

 
 

In seinem Buch Der Wald und der Fluss schildert der norwegischen Erfolgs-Autor Karl Ove Knausgård eine Etappe von Begegnungen mit dem deutschen Maler-Giganten Anselm Kiefer in zahlreichen intimen, mitunter entlarvenden, jedoch stets respektvollen Momentaufnahmen, die auch eine Qualität des Buches darstellen. Spät man doch allzu gerne durch das vielbesagte Schlüsselloch, um Bereiche auszukundschaften, die einem sonst verborgen blieben. Auch aus diesem Voyeurismus heraus erwächst ja häufig Spannung, neudeutsch: thrill, und das nicht zu knapp.

Ja, Knausgårds Essay über Kiefer (mein erstes Lesevergnügen dieses Autors und ich bin sicher, weitere werden folgen) ist in diesem Sinne ein Thriller und angesichts einer gewissen Flaute auf dem televisionären Serienmarkt (Aktionäre sprechen hier von Baisse) nimmt man gerne jedweden Impuls entgegen, der das Kopfkino ingangsetzt. In einer Szene wandelt der Kunstguru-gleiche Kiefer durch die Jüngerschaft seiner zu einem Fest geladenen Gästeschar einer Kunst- und Kulturelite (zu der, es verwundert nicht, auch ein gewisser Peter Sloterdijk und ein Christof Ransmayr gehören) und fragt nach einem Synomym für Wandlung. „Mutation!“ bietet Knausgård an, den der Künstler befremdlicherweise trotz vorangegangener Vertrautheit nicht mehr erkennt (wahrscheinlich, weil der Antwortgeber zwischenzeitlich seine schulterlangen Haare stutzte und nun Kurzhaar trug). Metamorphose wäre vielleicht auch ein passender gesuchter Ausdruck gewesen.

Ich werde das Bild nicht los in diesen Tagen von dieser ausgetrockneten Schlangenhaut inmitten auf dem sandigen Weg, in der Mittagshitze nahe einer Moorlandschaft zur Zeit meiner ausgedehnten meditativen Wanderungen in den Neuzigern. Eine gewisse Faszination entspringt dieser Imago, weil eine alte Identität abgestreift wurde und der vitale Kern lautlos, still und behende in ein neues Leben entspringt. Ich habe Philosophie immer auch als den „Kaffeesatz der Erfahrung“ interpretiert, aber diese Schlangenhaut ist eine passende Metapher für abgelebtes Leben, Gedankenkarussels, Identitäten, Nachwirkungen von Traumata, kurzum: der ganze Schmu einer kopfgesteuerten Geisterwelt. Hier passt auch eine andere Umwandlung, die ein gewisser Krishnamurti einst als seine Kalamität bezeichnete: ein dramatischer körperlicher Umbau, nicht gewollt, führte zu einer völlig neuen Seinsweise. So ist die Sage, wenn er sein Heimatdorf in Indien besuchte, begleiteten ihn auf seinen Spaziergängen ein Dutzend Kobras, friedlich und handzahm. Vermutlich war er selbst zu einer Art Schlangennatur mutiert und deshalb für sie kein Feind mehr.

Auch in den einem ruhelos vorwärtstreibenden und vitalem Schaffensprozess entspringenden Bildern von Anselm Kiefer, die zutiefst beeindrucken und einen archaischen Raum aufzeigen, der die Singularität und Identitätsbesessenheit des menschlichen Daseins hinter sich lässt, zeigt sich das Wesen der Metamorphose. Alles wandelt sich. Knausgårds wunderbarer Satz, Kiefers Bilder deuteten nicht das Mysterium, sie seien das Mysterium selbst, trifft dies im Kern. Man kann es kaum fassen. Die Bildende Kunst jedenfalls ist, wenn vielleicht nicht grösser als Gott, so gewiss grösser (und weiter) als jede Religion. Auch Anselm Kiefer zeigt dies eindrucksvoll. Der ihr innewohnende Schaffensdrang transzendiert zudem den angstvollen Selbstbezug einer endlichen Existenz, die darauf besteht, dass Dinge bleiben, wie sie sind. Dem entgegen steht die Kontinuität eines Wandels, der Wahrheit nicht in erschöpfenden Selbstumkreisungen sucht (denn da ist nichts), sondern im Erschaffen von Welten. Wie sagte eine leider schon verstorbene Künstler-Freundin: „Einfach immer weitermachen!“ Die Betonung liegt auf Machen.

 


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