Ein Diskurs über Aliens ist auch immer ein Diskurs über Fremdheit – im allerweitesten Sinn – und der Alien dann sozusagen die Inkarnation des Fremden: Er entstammt nicht der Erde, sieht anders aus, ernährt sich anders und verfügt über eine völlig andere Biologie und Chemie. Mit der Sprachverständigung hapert es auch immer gewaltig. (Und – unschwer zu bemerken – anscheinend ist er immer männlich). Von daher ist er für uns schwer lesbar und an der Freundlichkeit seiner Gesinnung könnten zu Recht auch einige Zweifel bestehen.
Damit bildet er reichlich Freiraum für Projektionen, zu denen der Mensch greift, wenn er einer leeren Fläche begegnet und damit nun einmal zwangsläufig sich selbst – denn einen horror vacui tragen wir in uns – das Unbekannte darf nicht unbekannt bleiben, da füllen sich Hohlräume sofort mit Eigenem, das heisst es wird fröhlich drauflosprojiziert – dem Fremden und uns zum Schaden. Robinson meets Freitag und macht ihn sofort zu seinem Bediensteten nachdem er seine gesamte Verwandtschaft um die Ecke gebracht hat, ja so hätte mans gern, das war unsere Jugendliteratur. Im Horrorgenre tummeln sich Halbwesen – halb Mensch, halb Tier, halb lebendig, halb tot (Werwölfe, Dämonen, Zombies) als Synthese von Mensch und Natur, im Sci-Fi haben wir es mit Mischwesen von Mensch und Technik zu tun.
Wann ist dieser Fremdling denn nun geboren? Zunächst war er ein Geschöpf der Literatur.
Jules Verne und Mary Shelley eröffneten den Reigen im frühen 19. Jahrhundert und Isaak Asimov im 20., die sich mit kühnen Erfindungen, künstlich geschaffenen Geschöpfen und ungewöhnlichen Reisen beschäftigten, sich aber freilich noch nicht in den Weltraum wagten.
Die Entwicklung des frühen Kinos und seiner technischen Potentiale ermöglichten aber bald, uns unsere kosmischen Mitbewohner auszudenken, wenn auch nur innerhalb eng gezogener Grenzen, die eine noch unentwickelte visuelle Technik setzte. Trotzdem gelang die Kreation einer neuen Bildsprache – wer kennt nicht die missgestimmte Mondscheibe der Brüder Lumière, der man 1902 eine Rakete ins Auge gerammt hatte? Womit die Raumfahrt bereits zu Anfang als grenzverletzende Aktion einer hybriden Menschheit andefiniert wäre, die niemand in Ruhe sein Leben leben lassen kann – und so wie es losgeht, geht’s bekanntlich ja auch immer weiter und meistens dann ins Auge.
Die Morphologie der Aliens bleibt über die folgenden Jahrzehnte hin relativ konstant und phantasiearm – echsenartige oder reptiloide Wesen oder gleich überhaupt Roboterblechmännchen. Beiden gemeinsam ist die Anmutung von Kälte und Härte – der Metallmantel des Roboters, der Schuppenpanzer der kaltblütlerischen Reptile und Insekten und in beiden Fällen ihre Unfähigkeit zum mimischen Ausdruck, den der Mensch nutzen könnte um sich zu orientieren und Beziehung herzustellen. Der fehlt hier, dergleichen assoziieren wir schnell mit Unmenschlichkeit im Sinne von Grausamkeit – als wäre alles Nichtmenschliche grausam – das wirklich Grausame daran sind dann aber eher unsere Zuschreibungen. Aliens sind folglich kalte, ungerührte, unangenehme Zeitgenossen, schwer bis gar nicht berechenbar und ein Grund für den Erdling sofort nach der Pistole zu tasten. Damit wäre die Arena erstmal bereitet.
Die Roboter – vor allem wenn sie in Massen auftreten – eignen sich daneben auch als Zerrbild des willenlosen und gesichtslosen Arbeitssklaven, ein Typus dem man dem Sowjetkommunismus zuordnete und womit Vermassung und Verlust der Individualität konnotiert wurde, der man aber andererseits in den eigenen Produktionsstätten des frühkapitalistischen Amerika wieder begegnete, auch beängstigende Entwicklungen und ein Beispiel dafür dass etwas prompt übers Kellerfenster wieder hereinkommt, wenn man es von weiland McCarthy zur Haustüre hinausschmeissen hat lassen. Kollektivbildende Ideologie macht was mit dem amerikanischen Einzelkämpferpionier, dem seine Unverwechselbarkeit heilig ist und der seine Probleme auch als Raumschiffkommandant gelegentlich noch gern mit einem Faustschlag löst – klar, seinen Neocortex hat er outgesourct und in Mr. Spock hineinverlagert als seine ständige externe Festplatte – der ist dann für intelligente Konfliktlösung zuständig – eine Spaltung der ein gewisser filmischer Charme durchaus eigen ist.
Und interessant, dass zu Pandemie-Zeiten die Theorie der Reptiloiden wieder fröhlich aufgekocht wurde, sogar Merkel wurde dahingehend verdächtigt – naja, warum auch grad die nicht? Jede globale Bedrohung kreiert ihre eigenen Aliens – ich bin gespannt was der Ukrainekrieg für Kinder zeitigt; die neueren Sci-Fi-Produktionen zeigen jedenfalls noch keine wesentlich neue Variante der Bedrohungsvielfalt, vielleicht kommts ja noch – ich werde berichten.
Von 1902 bis zur Post-Nine Eleven-Ära waren Entwicklungslinien der Alien-Thematik zu verfolgen, danach geht es in der Fülle der Produktionen zum Thema reichlich durcheinander, kaum möglich hier noch eine Struktur, einen spezifischen Bedrohungstypus zu sehen und gesellschaftliche Bezüge zu finden.
Die Ära, die diese Geschöpfe dann wirklich filmisch zum Leben erweckte, war die Zeit des Kalten Krieges: Die Welt war nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und dem Sieg der Alliierten in zwei verfeindete Machtblöcke zerfallen, die sich fürchteten und fürs erste misstrauisch beäugten. Hinzukam die Entwicklung der Atombombe – die Menschheit besass nun das Potential den Planeten sogar mehrfach und in toto in die Luft zu sprengen. Dergleichen muss verdaut und verstoffwechselt werden wenn es einem nicht auf ewig im Magen liegenbleiben soll: Der amerikanische Science Fiction ist eine bunte Nummernrevue dieser Metaboliten.
In den Jahren 1940 bis 1960 wurden zahllose „Invasionsfilme“ gedreht: In Massen auftretende gesichtslose Aliens landeten in mehr oder weniger phantasievoll gestalteten Raumschiffen auf der Erde und bedrohten die Menschheit mit phallischen Waffen, aus denen tödliche Strahlen heraus ejakulierten – ein symbolisiertes, mörderisches und beängstigendes Bogenpinkeln der Grossmächte, das eine paranoide Grundstimmung erzeugte. In einem Hörspiel initiiert von Orson Welles „Der Krieg der Welten“, nach einem Roman gleichen Namens von H.G. Wells, gerieten Menschenmassen in Aufruhr und versuchten über die Highways zu flüchten, weil sie die Landung der Aliens in Form einer Live-Schaltung für Realität hielten. Die Cops hatten zu tun. Das war bereits 1938, als sich die Welt begann, auf Kriegshandlungen einzustimmen und Hitler in Österreich einmarschierte, in den Staaten der Kampf zwischen Republikanern und Demokraten erneut ausgefochten wurde, vermehrt jüdische Flüchtlinge immigrierten und Roosevelts Politik des New Deal und seiner Sozialreformen auch nicht bei allen Gefallen fand und auch die Stellung der farbigen Bevölkerung neu geregelt werden musste – wer über der gestalte Ängste vor letzteren etwas lernen möchte, gucke kurz in King Kong (1939) rein.
In den Jahren nach 1945 starteten beide Grossmächte ihre jeweiligen Weltraumprogramme. In diesen Jahren nahm die Zahl der gemeldeten UFO-Sichtungen in den Staaten zu, parallel dazu auch die Zahl der Invasionsfilme; das politische Feindbild scheint sich im kollektiven Unbewussten – ja, das gibt’s, da machste nix dran – endgültig mit dem Bild des exterristrischen Eindringlings legiert zu haben. Als Russland dann als erster 1957 den Sputnik in den Weltraum schickte, wurden in den Tagen danach der NASA 261 Ufosichtungen von wachsamen US-Bürgern gemeldet wobei somit eine ganze Nation am Rande der Kollektivpsychose stand, und das schafften die damals sogar noch, ohne den blonden Schreihals mit dem toten Frettchen auf dem Kopf.
Politische Feinde haben sich zu jeder Zeit im Kriegsfall nicht nur des fremden Bodens bemächtigt, sondern auch der Frauen, deren Körper zu allen Zeiten als willkommene Kriegsbeute umdefiniert und benutzt wurde – auch eine atavistische Möglichkeit die eigenen Gene weiter zu verstreuen, ein zweiter Sieg, der dem ersten noch nachgeschoben werden konnte als überdauernde Inbesitznahme – und so entstand eine dazugehörige erotische Ikonographie im sadomasochistischen Modus: Das Monster trägt in den Armen meist eine Frau, wahlweise ohnmächtig hingegeben und willenlos oder wild kreischend – die Figur hiess damals „screaming lady“, ein Archetypus des Hollywoodkinos – das zumindest in einer Zeit als die Frauen noch lieber kreischten als – etwa ab 1980 – selbst zur Laserkanone griffen und die Lage klärten.
In der legendären Szene aus King Kong machte die filigrane Fay Wray, an 2 Strippen aufgehängt – deutlich mehr Krach als der herantrampelnde 30m-Gorilla. Den Soundtrack hab ich heut noch im Ohr, dieses wummernde Stakkato, das dann später für den weissen Hai und den Terminator abgekupfert wurde mit überlagertem Faywraygeschrei. Wobei King Kong nun kein Alien ist, sondern eher das Zerrbild des urtümlichen Wilden, dem man eine gesteigerte Manneskraft zuzubilligen scheint – hat ja auch Frau Thurn und Taxis schon angemerkt, dass der Schwarze gern schnackselt, vermutlich hat sie’s selbst ausprobiert.
Darum musste King Kong auch sterben, nachdem er auf den amerikanischen Riesenphallus geklettert war – Technik überwältigt Natur und unsere smarten all-american Boys mit ihren Ballermännern schaffen alles und der grosse Pimmel gehört wieder uns – jaja, wir haben den Schuss gehört. Und die schöne Frau wird von einem dieser Jungs vom Turm geklaubt, findet ein sicheres Unterkommen und darf ihr künftiges Dasein Familienversorgungsbanalitäten widmen und sich fragen ob sie im Urwald nicht doch ein spannenderes Leben gehabt hätte.
Summasummarum ist bei diesem ganzen Genre reichlich sadomasochistische Heteroerotik im Spiel und Frauenerschrecken scheint halt doch allzuvielen XY-Ownern verdammt viel Spass zu machen. Und wer’s selbst nicht schafft guckt sich’s wenigstens an. Aber ich schweife ab …
Auch die nun entwickelte Atombombe fand ihren Widerhall in den Filmproduktionen dieser Zeit – durch radioaktiven Niederschlag mutierte Riesenviecher, wahlweise Mörderspinnen, Killerbienen, Riesenechsen machten zusehends der Menschheit zu schaffen and a hard rain s‘ a gonna fall – und gelegentlich entstanden sogar recht vernünftige Filme mit einer mahnenden Grundaussage, das Kriegspielen nicht zu übertreiben. Der 1951 abgedrehte Streifen „Der Tag an dem die Erde stillstand“ kehrte sich nicht an das Muster der Invasionsfilme, sondern sandte einen menschlich aussehenden, natürlich dann auch nach herkömmlichen Hollywoodkriterien gutaussehenden Alien mit Schmalztolle, beschützt von seinem Roboter, auf die Erde um zu friedlichem Verhalten zu mahnen. Der mit einfachsten Mitteln gedrehte Schwarzweiss-Streifen schaffte es durch einen in Alu gepackten 2,20 m grossen Schauspieler sowie durch geschickte Kameraeinstellungen und Beleuchtungseffekte, eine ungewohnte Magie und wohligen Grusel zu erzeugen, so dass das schlichte Filmchen glatt ein cineastisches Genusserlebnis wurde. Natürlich konnte der Roboter mit Blicken töten und wenn er sein Visier hochfuhr, drohte ein todbringender Laserstrahl, aber nur auf Kommando von Herrchen. Man könnte, wenn man wollte, aber noch funktioniert die steuernde Vernunft – zumindest im Film und seiner Botschaft. Und so ging der Alien umher wie Diogenes mit der Lampe um einen guten Menschen zu finden – fand ihn in Gestalt einer hübschen Witwe mit Söhnchen (Stichwort Vaterlosigkeit!). Auf jeden Fall sehenswert.
Das Rebooting 2008 kann man sich – wie die meisten Sequels – sparen, Keanu Reeves vielleicht mal ausgenommen – jede Menge virtuelle Mätzchen ohne einen Funken Spannung, vor allem für den Sci-Fi-Conaisseur, der die Handlung und pädagogische message schon kennt.
Und zu Ende des Kalten Krieges in den aufatmenden Siebzigern wurden die Aliens – Überraschung!!! – zusehends freundlicher. Die wollten lediglich frisch gepressten Katzensaft oder permanent nach Hause telefonieren, sagten nach jedem Kinnhaken „Nimm das, Du räudiger Jedi!“ (Star-Wars- Ignoranten bitte hier googeln) oder trugen Barbarella auf Engelsflügeln ebenso sanft wie sinnfrei in der Gegend herum. Verspielt, handhabbar, gutartig, witzig, Gefährten für vaterlose Kinder – die Revolte gegen die Väter und deren Absetzung erzeugte eine Generation von neuen Vätern und Aliens. Der Film-Alien trifft oft auf vaterlose Familien – honi soit – da könnte man jetzt auch einiges drüber sinnieren, warum das so ist. Am Ende hat das Ganze auch etwas mit Vatersehnsucht in einer vaterlosen Gesellschaft zu tun? Und drohenden, kastrierenden Vaterfiguren? Aber man soll bei der Analyse der Mythen des Horrorgenres nicht zwangsläufig den Mythen der Psychoanalyse folgen, vor allem nicht der klassischen.
Aber ich hab’s mal ausprobiert und meine Praxiskinder eine Zeichnung über „Meine Begegnung mit einem Alien“ malen lassen – es ergaben sich schon deutliche Ähnlichkeiten mit der Gestaltung der Vaterbeziehung.
In den 80ern brachen die Frauen als kämpfende Amazonen in diese Idylle ein (Alien, 1980, Ridley Scott) – klar, nach 10 Jahren Feminismus – und bekamen natürlich ihre Prügel und danach mutierten die Monster wieder zu oral aggressiven Zeitgenossen, die uns am liebsten ausgesaugt oder komplett gefressen hätten, weil die Ressourcen auf ihrem Heimatplaneten ausgeschöpft waren (Krieg der Welten, 2005, der auch das politische Motiv der IS-Schläfer zitiert). Passend zu einer Zeit in der die Menschheit begann sich verstärkt damit auseinanderzusetzen, dass ihr wohl langsam doch der Saft ausgeht. Dabei wäre es kurzschlüssig, die globalen Migrantenströme als moderne Alieninvasionen zu markieren (District 9, 2009), sondern besser darüber nachzusinnen, wer der eigentliche Alien ist, der die 3. und 4. Welt ihrer letzten Ressourcen beraubt und sie zum Ausgleich zumüllt – ein ebenso zynischer wie desaströser und zyklischer Verdauungsvorgang, der wiederum neue Aliens geriert, die in unsere Grenzen einbrechen und schlicht mitessen wollen – what a sad and endless story. Hollywood hat noch zu tun.