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Letzte Woche, am 3. Februar, ist der Hamburger Klangkünstler Asmus Tietchens 70 Jahre alt geworden. Der richtige Zeitpunkt, eine Serie zu starten. Ich kenne nicht alle Platten, die Asmus Tietchens insgesamt bisher veröffentlicht hat (es sind mittlerweile über 80), aber ich werde in loser Folge alle seine mir bekannten Tonträger in chronologischer Reihenfolge hier vorstellen.

 
 

Tietchens, zweimaliger Träger des Karl-Sczuka-Preises (2003 und 2006), verrät in der Regel nur wenig über sich selbst, und das Wenige wiederholt sich. 1964 begann er eine Lehre zum Reedereikaufmann, hat in diesem Beruf aber nie gearbeitet, sondern war von 1968 bis 1975 als Werbetexter tätig. Schon seit 1965, angeregt durch die NDR-Reihe „das neue werk“ (dezidiert kleingeschrieben) und seinen Schulfreund Okko Bekker, machte er erste Basteleien mit einem Tonbandgerät. Erst mit 31 Jahren entschied er sich, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Das ermöglichte ihm immerhin rund 15 Jahre lang, neben dem Brotberuf völlig zweckfrei zu experimentieren; seine erste Platte erschien 1980.

Tietchens legt Wert darauf, dass seine Kompositionen keine Geschichten erzählen, sondern rein der Logik des Klanges folgen — und der Struktur, die er diesen Klängen gibt. Man könnte meinen, dass er dabei inneren Bildern folgt, aber in einem seiner wenigen Interviews bestreitet er das: Da sei, sagt er, gar nichts, keine Farben, keine Formen, keine Synästhesien. Was nicht ausschließt, dass beim Hörer welche auftauchen.

 
 
 

 
 
 

Die Nachtstücke, Tietchens‘ erste offizielle Veröffentlichung, kommt nächstesmal dran. Die Wiederveröffentlichung dieser Scheibe beim Bremer Label „Die Stadt“ enthielt aber eine zweite CD, betitelt Adventures in Sound. Sie enthält Experimentierereien (so will ich das jetzt mal nennen), die zwischen 1965 und 1969 mit einer Revox G-36 und Grundig  TK-42 entstanden sind. Mitwirkende sind Okko Bekker und Hans-Dieter Wohlmann.

Wir hören Tapeloops, zusammengemischte und teils rückwärts laufende Platten (u.a. höre ich Pink Floyd heraus, ziemlich offensichtlich (bzw. -hörlich)), sehr schräg gespielte und klangmanipulierte Instrumente, sehr frei — halt genau das, was man eben so macht, wenn man Instrumente nicht beherrscht und die Möglichkeiten einer Tonbandmaschine erforschen will. Muss man nicht kennen, ist aber im Zusammenhang mit dem, was später kommen sollte, doch interessant.

Eine freundliche Zugabe sind zwei Ausschnitte aus einer Jugendfunksendung des NDR von 1968 und 1969: Es gab da eine Reihe, in der Hörer selbstgebastelte Werke einsenden und, wie es da heißt, „zur Diskussion stellen“ konnten. Tietchens und Bekker haben zwei der auf dieser CD versammelten Stücke eingesandt, wurden ins Studio eingeladen und durften zu den Werken etwas sagen. Der Interviewer ist der damalige Leiter des Jugendfunks, Dethard Fissen, dem man den beigefarbenen Breitcordanzug schon an der Stimme anhörte. (Aber ich will ihm nicht Unrecht tun, er hat damals einiges auf die Beine gestellt. Auch meine Wenigkeit hat seine Dienste irgendwann in den Mittsiebzigern mal in Anspruch genommen, indem er die Lightshow-Gruppe, in der ich damals mitmachte, mit einem elektronischen Improvisationsduo zusammenbrachte.)

Außerdem enthält die CD das Stück „Cripple Story“, aber das wird, da es ursprünglich eine Single war, in der Chronologie besprochen werden.

 
 

Adventures in Sound 1965-1969
Asmus Tietchens, Okko Bekker, Hans-Dieter Wohlmann
Die Stadt, DS55

„Say Goodbye To The City“

 

Ich werde total müde sein, eine Stunde vor der Sendung von einer 600 Kilometer-Fahrt mit meinem 102-PS-Toyoten in Köln eintreffen, kleine Verhaspeler sind garantiert, spannende Musik auch. Eine Nachtfahrt sozusagen, die in der Normandie beginnt, wo ich ein paar Tage ein wahrlich marodes Schloss bewohnte (als zahlender Gast), das die Gespensterträume meiner Kindheit wachrief. Es gab Ritterrüstungen, Särge, die gesammelten Werke von Alexandre Dumas, Photoverbot, und eine alte Jukebox, bei der ich es mir nicht nehmen liess, immer wieder T.Rex zu drücken.

Nachklang: Samstag, 9 Uhr, Ibis-Hotel, Köln. Eine Viertelstunde unter der Dusche. Die Nachtfahrt, die Sendung, wie in leichter Trance. An der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland sang ich im Auto mit Kevin Rowlands um die Wette. Don’t stand me down ist ein genauso vernachlässigter Schatz von Dexys Midnight Runners aus den frühen Achtzigern wie Robert Fripps Let The Power Fall. Auch Jarretts Gitarren-Trommel-Musik leistet wertvolle Dienste auf langen Autofahrten: bei der Musik von NO END erwarte ich jederzeit alte Polizeiautos aus der Bundesrepublik im Rückspiegel und eine Staffel Spürhunde im Anmarsch. Diese Musik kann man „rauchen“, auch wenn Mr. Jarrett stets abstinent lebte. Ganz warm ums Herz wurde es mir später, als ich Asmus Tietchens IN DIE NACHT spielte umd seine Email vorlas. Those were the days. Und die Fremden sind dir plötzlich seltsam nah. We’re all coming from the same tribe. Hey, strahlend blauer Himmel, get it on.

 
 

Frühstück im Ibis
 

 

10 Jahre muss es her sein, dass ich erstmals die Existenz von YouTubern oder Live Streams registriert habe. Mein Sohn spielte damals Minecraft und wir Eltern waren verwundert, dass er seine limitierte Bildschirmzeit darauf verwendete, anderen Menschen beim Zocken und Labern zuzuschauen. In den darauf folgenden Jahren habe ich zahlreiche Tutorials geschaut, über die Aufzucht und Verarbeitung von Chilis, Rezepte, Rezensionen, Sportübungen, usw. – das kennen ja heutzutage alle.

Nun ist aber etwas neues in mein Leben getreten: der Livestream. Nicht über ein Event (wie eine Fußball-WM), sondern von einer Privatperson, wahrscheinlich ist hier „influencer“ der richtige Begriff. Freitag abends heißt es jedenfalls seit ca. 2 Monaten immer wieder „Sorry, I have Stunty Tonight.“ Unter dem Namen StuntrockConfusion streamt ein (ehemaliger?) Techno-DJ zweieinhalb Stunden aus einer kleinen Waldhütte in Schweden. Stunty scheint ein schier unerschöpfliches Wissen über Musik zu haben, plus eine geschätzt fünfstellige Plattensammlung, und spielt den Zuhörern seine Schätze vor: ein bunte Tüte aus allen Spielformen der elektronischen Musik, Avantgarde, Klassik, Musik aus allen Kontinenten, Dub, musique concrète, … – von obskur bis sehr obskur ist alles dabei. Ich kenne in ungefähr jedem zweiten Stream mal ein Stück.

Zum Beispiel scheint Stunty sich in den letzten Wochen und Monaten einen ganzen Stapel LPs von Asmus Tietchens gekauft zu haben, die er gerne auflegt. Der Fluxus Künstler Hermann Nitsch war auch zweimal dabei, oder die portugiesische Formation Telectu, ein Duo, Keyboard und Gitarre, das in den 80er Jahren in den Grenzgebieten zwischen Minimal Music, Jazz und elektronischer Musik unterwegs war. Das Album „Belzebu“ habe ich als Reissue relativ günstig aus England bestellt (und zum Glück keinen Zoll bezahlt). Auf jeder Seite gehen drei Stücke ineinander über, rhythmisch verzahnte Pattern setzen ein und aus, verändern allmählich ihr Verhältnis zueinander, bis sie sich wieder in das elektronische Grundrauschen zurückziehen. Die Musik bereitet mir viel Freude, leider sind die anderen Werke dieser Formation nur schwer zu bekommen und entsprechend kostspielig. Für solche und weitere Entdeckungen – zum Beispiel die wunderbaren Cello Interpretationen von Charles Curtis, von dessem Album „Performances & Recordings: 1998 – 2018“ ich gerade jeden Abend eine Seite höre – sage ich an Freitagabenden gerne hin und wieder „sorry, I have Stunty tonight.“

 

2021 5 Dez

Meine Tops 2021

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Albums:
 

 

 
 
1. Steely Dan: Northeast Corridor / Donald Fagen: The Nightfly Live
2. Lana Del Rey: Chemtrails Over The Country Club / Blue Banisters
3. Nick Cave & Warren Ellis: Carnage
4. Marc Johnson: Overpass
5. Mathias Eick: When We Leave
6. Can: Live in Stuttgart 1975
7. Floating Points, Pharoah Sanders & London Symphony Orchestra: Promises
8. Pittsburgh Symphony Orchestra, Ltg. Manfred Honeck: Brahms: Symphony No. 4; MacMillan: Larghetto for Orchestra
9. Asmus Tietchens (Hematic Sunsets): Aroma Club Adieu
10. Daniel Lanois: Heavy Sun
11. András Schiff, Orchestra of the Age of Enlightenment: Brahms: Piano Concertos 1 & 2
12. Konstantin Semilakovs: Scriabin: Couleurs Sonores
 
Potenzielle Kandidaten wären noch gewesen:
 
Balmorhea: The Wind
Bryan Ferry: Live At The Royal Albert Hall 2020
Moby: Reprise
Neil Young & Crazy Horse: Way Down In The Rust Bucket

 

Re-Issues:

 

 
 
1. Dave Pike Set: At Studio 2, March 11, 1971
2. Pet Shop Boys: Discovery — Live In Rio 1994
3. Klaus Doldinger: The First 50 Years Of Passport
4. Gentle Fire: Explorations (1970-1973)

(Ziemlich geringe Ausbeute, dieses Jahr. Dafür war es ein Jahr der Wiederentdeckungen:)
 
Wiederentdeckt:
 
Januar: 801 Live (1976)
Februar: Cat Mother & The All Night Newsboys: The Street Giveth … And The Street Taketh Away (1969)
März: Albert Mangelsdorff: Three Originals (The Wide Point, 1975; Trilogue, 1977; Montreux, 1980)
April: David Shea: Tower of Mirrors (1995)
Mai: Hans Zimmer: The British Years (My Beautiful Laundrette, A World Apart u.a.) (2005)
Juni: Miles Davis: Big Fun (1974)
Juli: Hot Tuna: Hoppkorv (1976)
August: Ketil Bjørnstad, Bjorn Kjellemyr, Jon Christensen, Per Hillestad, Terje Rypdal: Water Stories (1993)
September: Hanns Dieter Hüsch: Abendlieder (1976)
Oktober: Kraan: Live (1975)
November: Ougenweide: Herzsprung (2010)
Dezember: The United States Of America: s/t (1968)

2021 31 Jan

Album / Re-Issue / Wiederentdeckt

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November

Albums (12):

1. Steely Dan: Northeast Corridor / Donald Fagen: The Nightfly Live (September)
2. Lana Del Rey: Blue Banisters (Oktober)
3. Lana Del Rey: Chemtrails Over The Country Club (März)
4. Nick Cave & Warren Ellis: Carnage (Februar)
5. Marc Johnson: Overpass (August)
6. Can: Live in Stuttgart 1975 (Mai)
7. Brahms: Symphony No. 4; MacMillan: Larghetto for Orchestra (Pittsburgh Symphony Orchestra, Manfred Honeck) (November)
8. Asmus Tietchens (Hematic Sunsets): Aroma Club Adieu (Juni)
9. Daniel Lanois: Heavy Sun (April)
10. András Schiff, Orchestra of the Age of Enlightenment: Brahms — Piano Concertos 1 & 2 (Juli)
11. Konstantin Semilakovs: Alexander Scriabin — Couleurs Sonores (Januar)

 

Re-Issues (12):

1. Dave Pike Set: At Studio 2, March 11, 1971 (Februar)
2. Pet Shop Boys: Discovery — Live In Rio 1994 (Mai)
3. Klaus Doldinger: The First 50 Years Of Passport (Juli)
4. Gentle Fire: Explorations (1970-1973) (Januar)
0. (März)
0. (April)
0. (Juni)
0. (August)
0. (September)
0. (Oktober)
0. (November)

 

Wiederentdeckt:

Januar: 801 Live (1976) 
Februar: Cat Mother & The All Night Newsboys: The Street Giveth … And The Street Taketh Away (1969)
März: Albert Mangelsdorff: Three Originals (The Wide Point, 1975; Trilogue, 1977; Montreux, 1980)
April: David Shea: Tower of Mirrors (1995) 
Mai: Hans Zimmer: The British Years (My Beautiful Laundrette, A World Apart u.a.) (2005)
Juni: Miles Davis: Big Fun (1974)
Juli: Hot Tuna: Hoppkorv (1976)
August:
Ketil Bjørnstad, Bjorn Kjellemyr, Jon Christensen, Per Hillestad, Terje Rypdal: Water Stories (1993)
September: Hanns Dieter Hüsch: Abendlieder (1976)
Oktober: Kraan: Live (1975)
November: Ougenweide: Herzsprung (2010)

 

 

2020 6 Dez

Meine Jahresliste

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Es ist Nikolaus. Das heißt: Zeit für meine Jahresbestenliste 2020. Alsdann:
 
 

 
 
Top 15:
 

  1. Anja Lechner & Francois Couturier: Lontano
  2. Nick Cave: Idiot Prayer — Alone At Alexandra Palace
  3. Terje Rypdal: Conspiracy
  4. Nick Cave & Nicholas Lens: L.I.T.A.N.I.E.S.
  5. Jon Hassell: Seeing Through Sound (Pentimento Vol. 2)
  6. J. Peter Schwalm & Arve Henriksen: Neuzeit
  7. Die Wilde Jagd: Haut
  8. Carla Bley, Steve Swallow, Andy Sheppard: Life Goes On
  9. Yello: Point
  10. Kraan: Sandglass
  11. Irmin Schmidt: Nocturne
  12. Brian Eno: Film Music 1976 – 2020
  13. Jean-Louis Matinier & Kevin Seddiki: Rivage
  14. Michel Benita: Looking At Sounds
  15. Pet Shop Boys: Hotspot (Special Edition)

 

Auch gut:
 

  • Burt Bacharach: The Great Divide (single)
  • Burt Bacharach & Daniel Tashian: Blue Umbrella (EP)
  • Einstürzende Neubauten: Alles in allem
  • John Fogerty: Fogerty’s Factory (Expanded)
  • Pat Metheny: From This Place
  • Soft Works (Elton Dean, Allan Holdsworth, Hugh Hopper, John Marshall): Abracadabra in Osaka

 

Needs some more listening:
 

  • Bob Dylan: Rough And Rowdy Ways
  • Roedelius: Wahre Liebe
  • Michael Rother: Dreaming
  • Ryuichi Sakamoto: The Staggering Girl (Soundtrack)
  • Bruce Springsteen: Letter To You
  • Asmus Tietchens: Bleiche Brunnen

 

Reissues:
 

  • Ryuichi Sakamoto: Hidari Ude No Yumi (Left-Handed Dream + Bonus-CD) (1981)
  • Tangerine Dream: Pilots of the Purple Twilight (Box Set mit allerlei Bonus)

 

Rediscovered:
 

  • Khaled, Rachid Taha, Faudel: 1, 2, 3 Soleils en concert (2-CD-Version, 1998)
  • Ketil Bjornstad, Bjorn Kjellemyr, Jon Christensen, Per Hillestad, Terje Rypdal: Water Stories (1993)
  • David Byrne & Brian Eno: Everything That Happens Will Happen Today (2008)
  • Madredeus: Lisboa (1992)
  • Max Raabe & Palastorchester: Heute nacht oder nie (Live in New York, 2008)
  • Paul Simon: Graceland (1986)

 

2018 3 Dez

ManaMory (2018, February)

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Eros In Arabia was originally self-released in 1981. Full of sustained harmonies and supernatural winds. Whispering ancient tales of heroes and heroines. Twisting chimes and percussion. Distorting into an Industrial mystic. Rhythmic chant colliding with bar room piano and harpsichord. Increasing in frequency, gamelan-like. Machines melting the hammered gongs to mercury. Steel screams and close mic`ed stress fractures. Ladies and gentlemen, Mr. Richard Horovitz!

 

Marc Copland is one of those pianists who is forever on the road to new discoveries. He never seems to go for the obvious thing; he is simply incapable of playing a lick. A supple and elastic player who can be surprisingly muscular at times, he is also one of the most melodic pianists on today’s scene. He is one among a shortlist of players who, over the years, have honed their unique voice in an overcrowded field of post-Evans sound-alikes.

 

 

 

I believe in Zufall (chance). I guess it was before 1995 when I became aware of Marc Copland, so it was just the same time when Brian met the music of Marc Copland. It was the time when the internet stepped out from governmental, universitary or military institutions to conquer the world and knit a world wide web. How did it happen that I heard Marc Copland in older days? You know (or even not) that German TV-stations didn’t broadcast a full 24-hour-program then. The station 3sat for example showed overnight only Teletext, underlaid by Jazz and some additional information about the presented tune. One morning I listened to an electrifying Piano Trio, Marc Copland treating the keys, as I could read. Two Way Streetis the title of this fine album, starting and ending surprisingly muscular.

 

This is a love-it-or-leave-it-hour about the music of Flying Saucer Attack. David Pearce and his lo-fi-aesthetics don‘t mess with modernity, persona, technology – and create a world full of distant echoes. His unexpected return in 2015 with the album „Instrumentals 2015“ didn‘t deliver anything different, except the fact that it WAS different, in the most subtle ways. Turn on the volume, and lose yourself in a twilight world of distortion and disturbing beauty. This is the end of campfire guitar romance in the British pop culture, so to speak.

 

Hier nun die Musik aus der Grauzonevon 1981. Eine C-60-Cassettenveröffentlichung von Asmus Tietchens, deren Auflage und genaues Veröffentlichungsdatum nicht mehr feststellbar ist. Die Parallele zu frühen Cluster-Aufnahmen drängt sich auf, harsche Klangflächen beherrschen zunächst das akustische Bild. Rhythmus, wenn überhaupt vorhanden, wird durch die Verwendung eines Echogerätes erzeugt. Doch die akustischen Landschaften verändern sich langsam aber stetig, bis der Cluster-Eindruck am Ende verschwunden ist und ein eindeutiger Tietchens vorliegt. Hauptinstrument ist der Moog Sonic Six. Plattenknistern mischt sich in die Kulisse, unverständliche, teils elektronisch verzerrte Wortfetzen tauchen auf, ein sich überschreiendes Saxophon, dessen Herkunft ebenso unbestimmt bleibt wie das gelegentlich hineingehämmerte Klavierspiel.

 

Wir wussten, dass in Deutschland Zauberer unterwegs waren, manche hatten magische Pilze, andere makriobotische Ernährung im Repertoire. Bei der Volksmusik konnten sie nicht fündig werden, die Eltern sprachen von Hottentottenmusik, und die von ihrer Nazizeit Heimgesuchten fanden kleine Fluchten in Bella Italia, in deutschen Schlagern – und Fleischfondues incl. Diashows und James Last. Deutschland wollte ja wieder unschuldig werden und wählte die Regressionen, die schlechter Geschmack und gut gefüllte Geldbeutel eben möglich machen.

 

Er war gerade sechs Jahre alt geworden, als er zum ersten Mal allein in die Innenstadt fahren durfte. Zunächst galt es zur Straßenbahnhaltestelle zu schlendern und dann zu hoffen, dass eine alte Straßenbahn kommen möge, die mit den Holzsitzen und der langen Lederschnur unter dem Straßenbahndach, an dem der Schaffner kräftig ziehen musste, um ein schrilles Läuten auszulösen, was dem Fahrer bedeutete, dass er nun abfahren durfte. Diese alten Bahnen, die 1959 manchmal noch durch Hannover fuhren, hatte er ins Herz geschlossen. Und tatsächlich, an diesem Tag kam die betagte Bahn mit der Nummer 5. Er kaufte beim Schaffner eine Kinderfahrkarte und los ging es bis zum Aegidientorplatz. Dort führte sein Weg zunächst zu einer Filiale der Firma MOST.

 

Mit vertrauten und fast vergessenen Magiern der „Deutschen Elektronischen Musik“ hat Soul Jazz Records jetzt eine dritte Kompilation rausgebracht, zwei CDs, drei Vinylscheiben. Krautrocker, Sphärenforscher, Trancegroover – die Palette der Jahre 1971 bis 1981 war ein üppiger Strauss der Vielfältigkeiten. Vieles wurde durch die Zeit an den Rand gedrängt, dabei hält der Underground jener Jahre immer noch  wilde, und nicht nur wohlige, Schauer parat.

 

Bis 1999 konnte man bei MOST edle Süßigkeiten kaufen, Ende der fünfziger Jahre, da gab es die Firma schon 100Jahre, bekam man zumindest hier in der hannoverschen Filiale für ein paar Groschen ein große Tüte Süßigkeiten-Bruch. Weiter führte der Weg des Jungen an den Mercedes-Benz-Ausstellungsräumen vorbei, magisch angezogen von den wunderschönen Autos, konnte er sich von den Schaufenbstern kaum lösen. Dann am Theater-Am-Aegi entlang – das Theater sollte 1964 in Flammen aufgehen und ein riesiges schwarzen Loch hinterlassen, was den Jungen stets in Schrecken versetzte – in die Maschstraße.

 

Und so driftet man durch allerlei Welten hier, zwischen willkommenen „Dejavus“ und augenreibenden „Was-ist-das-denn-Momenten“. Ich gestehe, mehr als ein breites Grinsen fiel mir nicht ein, als ich, im Laufe dieser zwei Stunden (am Stück im Dunkeln gehört, mit Kiff, Ananas und Kerzenschein) zwei lange Tracks von Michael Bundt lauschte. Ich kannte nicht mal den Namen. Stuart Baker liess im übrigen, als die Archäologen im Londoner Hauptquartier den letzten Staub aus den Regalen gefegt hatten, seine Designabteilung wissen, das sei nun nicht mehr zu steigern, und sie mögen auf das geplante Cover noch einen Untertitel platzieren: „That‘s All, Folks!“

 

Hier gab es nicht viel Interessantes zu schauen, außerdem war diese uninteressante Straße auch noch sehr lang, bis sie dann schließlich in die Meterstraße mündete. Hier, auf dem Gelände einer Schule waren die Übungsräume des Knabenchor Hannover, dem der Junge nun angehören sollte, untergebracht. Er hat das Singen im Chor gemocht, sehr sogar, aber die Fahrt und der Weg dorthin und wieder zurück, nach Hause, das war für ihn einfach nur großartig und er freute sich immer darauf, allein unterwegs zu sein.

 

The most exhilirating of my recent time travel activities has been the return of „Twin Peaks“, 25 years after leaving Agent Cooper in a disturbing trap. 18 episodes rush over you with the inventiveness of radical cinema, anti-nostalgia (what an ability to disappoint our expectations – and then to fulfill at least some of them when we are ready to give up) – and an even higher level of bleakness that can only be handled with a big step into surrealism, dream territories, and some fleeting moments of relief.

 

Da ich mein Aufnahmegerät nicht länger als 45 Minuten allein lassen kann, höre ich Michaels Sendung seit einigen Monaten komplett live mit, diesmal zum ersten Mal die ganze Zeit über Kopfhörer, was ein leichtes outlaw-Gefühl verschafft, wenn ich den Lautstärkeregler nach oben drehe. Ich bin von einer Begeisterung in die nächste getaumelt.  Die Retrospektive von Flying Saucer Attack etwa!  Ich mag solche Rückblicke, Spurensuche, und habe mir von Flying Saucer Attack fast alles bestellt, was ich noch nicht hier hatte. Manchmal denke ich an Gregors Satz, dass Musik überlebensnotwendig ist und wie er es gemeint hat oder eher, wie ich es verstehe. Es klingt pathetisch, aber wir wissen, dass es so funktioniert: Das aufmerksame Zuhören, die Konzentration auf eine musikalische Arbeit, die uns im Innern berührt, bewirkt, wie jede gelungene Kunst, eine Transformation.

Als 1990 klar war, dass dank intensiver Untersuchungen der amerikanischen Wirtschaftsberatungsfirma McKinsey, die beiden Kulturprogramme des Südens aus wirtschaftlichen Gründen zusammengelegt wurden, da verabschiedete sich Achim Hebgen tief enttäuscht von dieser kulturellen Entwicklung während einer seiner Sendungen sehr persönlich. Über 60% der Jazzsendungen seien dem Rotstift zum Opfer gefallen, auch das Format MUSIC AVENUE. Während der letzten Sendung der MUSIC AVENUE beklagte Hebgen öffentlich diese Entwicklung und legte dann eine Platte auf, die diese Sendung für immer beenden sollte. Diese letzte Platte hatte es mir damals angetan. Überhaupt, der Gedanke, einmal eine letzte Platte, ein letztes Musikstück zu hören, welches Stück könnte das sein und wird es dann letztlich wohl sein? Hebgen jedenfalls legte eine Schallplatte von John Surman auf: „Road to Saint Ives“ und wählte das Stück „Tintagel“, ein Stück, das seit vielen Jahren zu meinen liebsten zwanzig Stücken gehört (meine Lebenshitparade).

 

Mein neuer Drucker führte mich in die Versuchung, alle meine Posts seit 2014 zu materialisieren. Jetzt liegen 4 gebundene Teile meiner Schaffensschreiberei auf dem Tisch. Mein Schöpfernarzissmus ist zweifelsfrei befriedigt. Bei so manchem Beitrag wäre ich auch froh, er wäre nicht von mir. Trotzallem ist die Relektüre ein fröhlicher Genuss, auch wenn er nichts mit dieser Wissenschaft zu tun hat.

 

2017 8 Jul

Porter Ricks

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Thomas Köner wohnte über Jahre in meiner Nähe, einen Ortsteil weiter, im Kreuzviertel. Er war der erste und wohl auch letzte (Wahl)-Dortmunder, den ich in den Klanghorizonten spielte. Thomas Köners Ambient-Platten (Teimo, Permafrost, Nuuk etc.) sind kleine Meisterstücke, eine Variante von „Ambient“ und „Arctic Noir“, die auch Brian Eno (er schickte mir einen Brief dazu, in dem er von Grenzzonen zwischen Schlaf- und Wachzustand berichtete), Holger Czukay und Deathprod (alias Helge Sten) in den Neunzigern beeindruckten. Das raumgreifende Opus „Morals and Dogma“ des Norwegers aus dem Jahre 2004 (jüngst wieder aufgetaucht) war fraglos inspiriert von Thomas Köner – und Porter Ricks. 

„Deepness“ hiess das Zauberwort. Unglaublich fein gearbeitete Sounds, die Thomas von Gongklängen samplete und dann einem Verwandlungsprozess unterzog, nach welchem kein Mensch mehr „Gongs“ mit dem Klang der Musik assoziieren würde. Es gab keine Beats, die Musik lockte immer tiefer in sich hinein, monochromatisch und Schicht für Schicht. Engländer nennen so etwas trefflich „an immersive experience“. Dass die Reise weiter geht, ganz andere Zonen noch erschliesst, beweisen die jüngsten Soloalben Thomas Köners auf den Labels Touch („Novaya Zemlya“) und Denovali. Auf  der feingesponnenen Kammerelektronik von „Tiento de la Luz“ (2015) hört man ein, zwei ferne feine Anklänge an Enos Ambient-Werk „The Shutov Assembly“ heraus. Hinzu kam auch, schon eine Weile her,  eine Arbeit mit dem Klangkünstler Asmus Tietchens – unser Mann in Pittsburgh kennt sie wohl am besten. 

Nun hat man vor einigen Jahren bei typerecords die andere, pulsierende Seite des Thomas Köner wieder ans Tageslicht gelockt  (Kollege Andreas (Andy) Mellwig war damals auch gerne damit beschäftigt, die Bild- und Sound-Ebenen in den Filmen von Wim Wenders zu vervollkommnen), ein Dub-Techno-Duo namens Porter Ricks. Kommt einigen der Namen bekannt vor? Eine Filmfigur aus den 60er Jahren der Bundesrepublik, allwöchentlich zu sehen in der Serie „Flipper“. Die Wiederveröffentlichung Biokinetics faszinierte wie in den Pionierzeiten von „Basic Chanel“, sorry, „Basic Channel“. 

Das Duo transportierte den „dancefloor“ von 1996 bis 1999 mitunter in arktische Gefilde. Zumindest in raue Weiten. Fairbanks, Alaska, ist in solchen Fällen immer eine gute Wahl. Das maritime Element. Ich sehe noch den hutzeligen Raum vor mir, in dem sie an den Sounds arbeiteten. Und gerne spielten die Zwei zwischendurch, zum Dämmerlicht von Vulkanlampen, das erste Album von Gas. Das Unheimliche im Sinne von schönem Fürchten, schönen Schauern, hat Bestand. Aber funktioniert das Klanglaboratorium von Mellwig und Köner auch heute noch? „Anguilla Electrica“ heisst ihr jüngster Streich seit langer Zeit. Das Teil befindet sich auf dem Postweg. Ich bin gespannt. 

 

2014 4 Dez

Jan´s and Ian´s Top Twenty 2014

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Hilary Hahn & Hauschka: Silfra


 
 
Ulrich Schnauss: A Long Way To Fall
Kate Bush: Aerial
Wolfgang Riechmann: Wunderbar
Daniel Lanois: Flesh And Machine
Moebius/Plank/Neumeier: Zero Set
Jon Hassell: City – Works Of Fiction
Moebius & Tietchens: s/t
Gong: I See You
Leonard Cohen: Popular Problems
Asmus Tietchens: Humoresken und Vektoren
Hans Zimmer: Interstellar (Soundtrack)
Ursula Oppens & Bruce Brubaker: Meredith Monk – Piano Songs
Lawrence English: Wilderness Of Mirrors
Gottfried Huppertz: Metropolis (Soundtrack, RSO Berlin, Ltg. Frank Strobel)
Hans-Joachim Roedelius: Roedelius Plays Piano
Hilary Hahn & Hauschka: Silfra
Boris Blank: Avant Garden I – IV
Klaus Dinger: Japandorf
Keith Jarrett & Co: Sleeper
Gary Burton Quintet & Albert Mangelsdorff: NDR Jazzworkshop 114, Dec 9, 1975
 
 
Jan Reetze
 
 
 
 

Harold Budd: Jane 12-21


 

  1. Syro – Aphex Twin (Warp)
  2. Tin Roof – Charcoal Owls (Night School)
  3. Landmarks – Brian Blade & The Fellowship Band (Decca)
  4. Lay-by Lullaby – Janek Schaefer (12k)
  5. Electroacoustic Sludge Dither Transformation Smear Grind Decomposition nO!se File Exchange Mega Edit – Russell Haswell & PAIN JERK – (Editions Mego)
  6. Ghost Stories – Coldplay (Parlophone)
  7. Jane 12-21 – Harold Budd (Darla)
  8. There’s A Blue Bird In My Heart – Anders Parker (Recorded & Freed)
  9. Lion – Peter Murphy (Nettwerk)
  10. Synthesist – Harald Grosskopf (Bureau B)
  11. High Life – Eno/Hyde (Warp)
  12. My Krazy Life – YG (Def Jam)
  13. Korrupt Data – Korrupt Data (Planet E Communications)
  14. Black Metal – Dean Blunt (Hostess Entertainment)
  15. Asiatisch – Fatima Al Qadiri (Hyperdub)
  16. Church of Anthrax – John Cale/Terry Riley (Esoteric)
  17. Tremors – SOHN (4AD)
  18. Yellow Memories – Fatima (Eglo Records)
  19. Music For Robots – Squarepusher (Warp)
  20. Big Music – Simple Minds (Simple Minds)

 
Ian McCartney

2014 28 Jul

Bubendey Notturno

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Bislang glaubte ich den Hamburger Hafen gut zu kennen. Mit dem Fahrrad bin ich dort oft stundenlang herumgegurkt, nicht selten auf einsamen, bereits halbverfallenen Wegen, die wohl auch nicht unbedingt immer für Privatpersonen gedacht waren. Ein Zufallsfund in meinem gestrigen Twitterfeed hat mich auf ein Areal aufmerksam gemacht, das ich leider übersehen habe: das Bubendey-Ufer. Die Fotostrecke in diesem NDR-Artikel zeigt, weshalb das schade ist. Und mehr noch, ich fürchte, wenn ich das nächste Mal in Hamburg bin, wird das Areal in seiner heutigen Form bereits nicht mehr existieren.

Dabei hätte ich dieses Stückchen Industrieromantik schon viel früher entdecken können. Irgendwie nämlich kam mir „Bubendey“ bekannt vor – so einen Namen vergisst man nicht. Und richtig: Der Hamburger Klangkünstler und Industrial-Pionier Asmus Tietchens hat 1986 die Stücke „Bubendey Notturno“ und „Ritual auf der Halde“ eingespielt, erschienen 1988 auf der (längst vergriffenen) LP „Mysterien des Hafens“ des französischen Odd-Size-Labels. „Die Titel“, so schreibt Tietchens im Booklet der Wiederveröffentlichung von 2006, „beziehen sich auf zwei Orte im Hamburger Hafen, die aber in den vergangenen 20 Jahren bis zur Unkenntlichkeit umgewandelt wurden. Nur noch einige wenige Fotos und diese Musik zeugen von dem, was so schnell Vergangenheit wurde. Sic transit gloria mundi – und das nicht ganz ohne Wehmut.“

Das „Bubendey Notturno“ trifft mit Drones und fließenden, durch Echogeräte gejagten Metallklängen, die fast an an die Industrialsounds der zweiten Seite des „Kraftwerk 2“-Albums erinnern, die Stimmung dieses Platzes auf eine eigentümliche, gelegentlich unheimliche Weise – umso mehr, wenn man die Hafenkulisse auch mal bei Nacht gesehen hat. Eine wunderbare Wiederentdeckung, noch dazu mit Musik, die für Tietchens‘ Verhältnisse relativ leicht zugänglich ist.
 
 
 

 
 
 
Asmus Tietchens scheint überhaupt ein ziemlich enges Verhältnis zum Wasser zu haben. Ich komme darauf zurück.

 


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