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2024 30 Mai

Japanese Jewels (22) Double Take: Kuniko

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Movement 0 – Prelude
 

Eine junge japanische Ausnahmeperkussionistin reiste einst nach Belgien, um mit dem Ensemble ICTUS Stücke von Steve Reich aufzuführen. Ihre extreme Präzision, die selbst mit Schlagzeugern wie Jaki Liebezeit und Billy Cobham, die den Ruf hatten selbst ein Metronom an die Wand spielen zu können, problemlos mithalten kann, und ihr elegantes und leichtes Spiel prädestinierten sie in besonderer Weise für die Musik Steve Reichs. Als dieser sie bei Proben und Aufführungen erlebte, war er tief beeindruckt von ihrer Spielweise. Seine komplex rhythmische Musik ließ sie aber nicht mehr los und als sie sich nach einer längeren Phase des Tourens mit dem Ensemble ICTUS ihrer Solokarriere zuwandte, waren Kompositionen Steve Reichs die Ersten auf ihrer Agenda. Dazu mussten sie aber neu arrangiert werden, da Kuniko Kato die Idee hatte, diese Ensemblestücke auch solo aufführen zu können. In enger Rücksprache und unter Supervision mit Steve Reich gelangen ihr kongeniale Interpretationen, die ein neues Licht auf die Kompositionen werfen und sie in beeindruckender Weise transparent, ja fast luzide aber auch kraftvoll erscheinen lassen. Immer wieder erhielt Kuniko Kato für ihre einzigartige Performance bedeutsame Preise und Auszeichnungen.

 
 
 

 
 
 
Movement I – Fast
 

2011 erschien dann ihr Debütalbum Kuniko Plays Reich mit höchst originellen, atemberaubenden Interpretationen von Electric Counterpoint für Steel Pans, Vibraphon und Marimba, Six Marimbas Counterpoint und Vermont Counterpoint für Vibraphon. Hierbei spielte sie sämtliche Parts vorab auf Tapes ein, um dann die Soloparts live dazuspielen zu können. Die entspannte Präzision und rhythmische Stringenz trägt mit höchster Konzentration und tänzerischer Leichtigkeit durch diese komplex polyrhythmischen Stücke, die Synkopen und Phasenverschiebungen, die schon für jedes Percussion Ensemble zu den schwierigsten Herausforderungen moderner Musik gehören. Ein Debüt, das Maßstäbe gesetzt hat und bis heute solitär unter den Interpretationen der Musik Steve Reichs dasteht.

 
 
Movement II – Slow
 

Danach wendete sie sich zunächst der Musik Arvo Pärts zu und versteckte aber auf dem Album Cantus ihre Version des New York Counterpoint und spielte 2018 dann Drumming (hier auch visuell sehr eindrucksvoll: live zu Steve Reichs 85. Geburtstag) ein. Dazwischen lagen ein Tribut an den japanischen Komponisten Akira Miyoshi und perkussive Annäherungen an Iannis Xenakis und mit Solo Works For Marimba an Johann Sebastian Bach.

 
 
Movement III – Fast
 

Doch die Kompositionen Steve Reichs sind nahezu prädestiniert für eine so originelle und talentierte Musikerin wie Kuniko Kato und ihre Kreativität im Umgang damit scheint keine Grenzen zu kennen, zumal der Komponist selber zwar recht präzise Vorstellungen vermittelt, aber auch immer wieder positiv überrascht vom Ideenreichtum Kuniko’s ist. So erschien Ende April Kuniko Plays Reich II, das mit Four Organs eröffnet wird, bei dem über das ganze Stück ein und derselbe Akkord mit unterschiedlicher Akzentuierung und zunehmender Länge in Begleitung einer ganz regelmäßigen Maraca intoniert wird, was bei den ersten Aufführungen zu heftigen Tumulten führte, da das Publikum sich durch die schlichte Einfachheit offensichtlich provoziert fühlte. Ein Stück, das aber in sensibler Weise den Übergang von perkussiv gedachten Orgeltönen in einem graduellen Prozess zu fast ambienthaften langsamen Schwebungen durchläuft und bei jedem Hören zu neuen Entdeckungen anregt. Dann folgen Piano Phase version for Vibraphone, Nagoya Marimbas und das Mallet Quartet als jüngstes Stück, die durch die von Steve Reich als maschinenhaft beschriebene graduelle Phasenverschiebung eine subtilste Lebendigkeit und Vitalität gewinnen und die Aufmerksamkeit bis in die letzte Minute hinein bannen. Steve Reich hat als ausgebildeter Perkussionist die Minimal Music am tiefgründigsten in ihren rhythmischen Potenzialen ausgelotet, die trotz scheinbar vordergründiger Monotonie eine maximale hypnotische Kraft entwickelt. Kuniko Kato hat mit ihren überragenden und zutiefst faszinierenden Interpretationen diese Musik in neue Dimensionen gehoben.

 
 
 

   

 

Auf der letzten Tagung des Mysteriösen Komitees für den ästhetischen Index gelang es in einer konzertierten Aktion den Symbolisten, Kubisten, Neoklassizisten, Dadaisten, Surrealisten, Konzeptkünstler und Postmodernisten, den großartigen Erfinder der Musique d’Ameublement fast 100 Jahre nach seinem letzten Wechsel der kosmischen Adresse in besonderer Weise eine außerordentliche Würdigung zukommen zu lassen. In Ermangelung geeigneterer Worte griff man bei der Laudatio auf seine eigenen Formulierungen zurück, die hier der Originalität wegen in Auszügen wiedergegeben werden sollen:

 
 

Die Musique d’Ameublement ist durch und durch industriell. Es ist Sitte – Gewohnheit – bei Gelegenheiten zu musizieren, wo Musik nichts zu suchen hat. Da spielt man Walzer, Opern-Fantasien und andere vergleichbare Sachen, die für einen anderen Zweck geschrieben sind.

Wir wollen nun eine Musik einführen, die die „nützlichen“ Bedürfnisse befriedigt. Die Kunst gehört nicht zu diesen Bedürfnissen. Die Musique d’Ameublement erzeugt Schwingungen; sie hat kein weiteres Ziel. Sie erfüllt die gleiche Rolle wie das Licht, die Wärme und der Komfort in jeder Form.

Nicht verwechseln! Das ist etwas anderes! Keine „falsche Musik“ mehr: musikalische Möbel! Die Musique d’Ameublement vervollständigt die Einrichtung; Sie erlaubt alles; Sie ist neu; Sie beeinträchtigt nicht die Gewohnheiten; Sie ermüdet nicht; Sie ist unglaublich; Sie langweilt nicht. Sie zu verwenden heißt es besser zu machen. Hören Sie ganz ungeniert.

 
 

Während bei uns in Europa dieser durch und durch skurrile Herr immer noch Gegenstand erheblicher Kontroversen ist, seine Werke dennoch auch von fast jedem mäßiggradigen Pianisten eingespielt werden und sie bis auf wenige Ausnahmen ausgeleiert und totinterpretiert worden sind, gehören seine Werke in Japan zu den meistgehörten Stücken der ernsten europäischen Musik und bilden zudem einen zentralen Ausgangspunkt des japanischen Kankyō Ongaku, der „Umgebungsmusik“.

Der 1983 tragischerweise viel zu früh tödlich verunglückte Satoshi Ashikawa veröffentlichte in den Jahren davor drei Alben in seiner Wave Notation Serie: sein eigenes Werk Still Way, Hiroshi Yoshimura’s Music for nine Postcards und als letztes das ursprünglich als Kooperationsarbeit intendierte, aber durch seinen Unfalltod als Soloalbum erschienenen und jetzt endlich wiederveröffentlichten Albums der Pianistin Satsuki Shibano Erik Satie 1984. Shibano gilt als eine der Satie-Interpretinnen Japans, studierte u.a. in Paris und hat eine sehr japanische Interpretation seiner Musik entwickelt, die durch einen radikalen Purismus, eine Reduziertheit auf das Wesentlichste und eine große Klarheit in ihrer Spielweise gekennzeichnet ist. Damit hebt sie durch konsequentes Weglassen die Mobiliarhaftigkeit der ausgewählten Stücke hervor, die es dann in letzter Konsequenz vertragen einfach in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Titel gespielt zu werden, weil etwaige musikalische Ordnungskriterien angesichts ihrer Interpretation schlichtweg bedeutungslos werden. So habe ich Satie noch nie gehört, verhalten, in meditativer Klarheit, mit sparsamstem Einsatz der Pedale mit wenig Hall und weit zurückgenommener Expressivität. Die Stille zwischen den Tönen – nichts zu behalten für den Gedächtnislosen. So musste sich Satie seine Musique d’Ameublement im Ideal vorgestellt haben als er schrieb: Wer die Musique d’Ameublement nicht gehört hat, weiß nicht, was Glück bedeutet.

 
 
 

 

2023 18 Mai

Japanese Jewels: Drive my Car

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Das Ehepaar Oto und Yusuke Kafuku pflegt ein bemerkenswertes Sexritual. Während die Beiden noch matt und beglückt beieinander liegen, erzählt Oto ihrem Mann Bruchstücke skurriler Geschichten von mehr oder weniger subtil erotischer Art.  Yusuke hakt nach, fragt weiter, entwickelt mit Oto einen Handlungsstrang. Es ist kein Spiel, es ist Teil von Otos Beruf als Drehbuchautorin beim Fernsehen. Als Schauspieler und Regisseur ist auch Yusuke vom Fach. Es sind die erfüllten Stunden einer Beziehung, die schon fast ein Vierteljahrhundert währt. Doch es gibt eine geheime Gewohnheit von Oto, die Yusuke durch Zufall entdeckt, und es gelingt ihm nicht, mit ihr darüber zu sprechen. Ryūsuke Hamaguchis Film Drive my Car kam 2021 ins Kino, er basiert auf zwei Kurzgeschichten aus Haruki Murakamis Buch Von Männern, die keine Frauen haben (Drive my car und Scheherazade). Der Film entfernt sich deutlich von der literarischen Inspiration und transportiert mehr an japanischer Tradition: kleine religiöse Handlungen, die Kraft, die ein Schweigen hervorbringt, und nicht zuletzt die tranceartige, meditative Stimmung während langer Autofahrten, über komplizierte Autobahnkreuze von Metropolen, die Küste entlang, durch unbeleuchtete Landschaften Richtung Norden, durch endlos scheinende Tunnel, denen weitere Tunnel folgen, bis der Schnee in der Sonne glitzert. Das Unterwegssein in einem mattroten Saab 900 turbo hat hier geradezu therapeutische Qualität. Die Intimität, die darin liegt, jemandem den Ort zu zeigen, an der man aufgewachsen ist, setzt etwas in Bewegung und es entsteht ein Moment ikonischer Qualität. Zwei Menschen, die im Nichtraucherauto sitzen, haben ihre Zigaretten angezündet und halten sie aus dem geöffneten Schiebedach nach oben, wo die Glut sich einfügt in verschwommene Lichter der Nacht.

 

 

 

 

Erst nach 35 Minuten läuft in diesem dreistündigen Film der Vorspann, nach einem Zeitsprung bildet im zweiten Teil eine bemerkenswerte Inszenierung von Tschechows Onkel Wanja einen Schwerpunkt. Wenn ich mir auch manche erklärenden Dialoge etwas knapper gewünscht hätte (hier schien man sich an der russischen Tradition des Erzählens zu orientieren), hat mich die Glaubwürdigkeit der Charaktere in Drive my car vollkommen überzeugt. Die Performance der Figur der Sonja im Theaterstück bringt nochmal eine andere Nuance der Rezeption ein: Die Schauspielerin drückt sich durch koreanische Gebärdensprache aus. Und noch eine Geste, die ich in diesem Film zum ersten Mal sah: Eine brennende Zigarette in eine kleine Fläche Eiswasser hineinzustecken, als wäre es ein Räucherstäbchen. Ein Abschiedsritual.

2023 13 Mai

Japanese Jewels (21) – Meiko Kaji: Hajiki Uta

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In keiner Besprechung dieser ersten Vinyledition seit dem Erscheinungsjahr 1973 fehlt die Erwähnung von Quentin Tarantinos „Kill Bill“, denn seine Hommage ans japanische Kino griff eben auch auf zwei Songs von Meiko Kaji zurück, die selbst in alten japanischen B-Movies diverse Hauptrollen spielte – und so tauchten diese wunderbar gefühlvollen Schmachtnummern bereits in dem Rache-Thriller  „Lady Snowblood“ auf, und in dem nicht weniger gewalttätigen Streifen „Female Prisoner #701: Scorpion“.

Solche unangepassten Frauenfiguren produzierten in der japanischen Kultur nur dezente Schockwellen, die zusätzlich geschwächt wurden, wenn die von Männern dominierte Filmkritik den „Trash“-Gehalt solcher Filme belächelte. Aber das Subversive und die wundersamen Ver-Rückungen solcher Rollenmodelle entgingen weder dem japanischen Underground jener Jahre, noch späteren Musikarchäologen.

Meiko Kaji bediente sich an alten Traditionen (wie ich in den liner notes erfahre) und hebelte hehre Überlieferungen munter aus, mit japanischem Pop, und Prisen westlicher Psychedelik, Spuren von Funk. Alles herrlich wie fraulich in blumig-freche Arrangements gewickelt, ein Füllhorn an verführerischen Melodien. Man könnte an Petula Clark denken, an Dionne Warwick, aber man  kann das auch lassen, und sich mit Haut und Haar auf diese japanischen Parallelwelten einlassen. Und diese Stimme – wow!

Und das ist das Tolle wahrscheinlich all der fünf Langspielplatten von Meiko aus den wilden Siebzigern, die in diesem Jahr von We Want Sounds, neu remastert, veröffentlicht werden: glatt könnte man nämlich nostalgisch werden, hätten wir unsere  Boomer-Jahre mit etwas mehr von  diesen alten Liedern und Rachegeschichten verbracht. Fragen Sie mal John Darnielle. Ich erinnere mich, wie gross die Briefmarken aus Japan waren, überlebensgross. Nicht nur der Fujijama. So aber wird aus dem  Para-Nostalgischen auf den Entdecker-Modus umgeschaltet. Manches aus der Ferne wurde als grosse Kunst gefeiert, viel zu wenig landete meines Wissens in den Schmuddelkinos hinter den Bahnhöfen, die ja auch ihren ganz eigenen Zauber hatten.

2022 28 Dez

Japanese Jewels (20): Tree of Life

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Der Baum des Lebens ist ein lange verschollenes Album, das 1999 nur für den japanischen Markt produziert wurde und über diesen heraus nie bekannt wurde. Das zweite Soloalbum der japanischen Percussionistin Midori Takada beginnt direkt mit hypnotischen Marimbas in einem fremdartigen Rhythmus, der von Stück zu Stück mehr eine Geschichte erzählt als ein Musikstück sein zu wollen, der atmet, ganz fein in den Tempi schwingt, oszilliert, ohne einen musikalischen Halt anzubieten. Eher eine fortlaufende perkussiv-melodische Struktur, die den Hörer in Parallelwelten des eigenen Bewusstseins entführt und ganz im Augenblick gebannt zu halten vermag.

Das Album besteht aus zwei Teilen: dem ersten, in dem Midori Takada alleine mit Marimbas, Bells und Drums tranceinduzierend fast schamanistische Grundlagenarbeit leistet, aus gewohnten Mustern ganz beiläufig herausführt und die Aufmerksamkeit fixiert und dem zweiten, in dem sie zusammen mit dem chinesischen Erhu-Spieler Jiang Jian-hua die Trancen auf neuen Pfaden wandeln und den faszinierten Geist verführen lässt. Hier werden keine esoterischen Klischees bedient, keine ausgetretenen folkloristischen Pattern zitiert, sondern eine Kunstmusik aus dem hyperkulturellen Raum geschaffen, leise und hypnotisch, unprätentiös und immersiv. Für das Reissue ist das Album noch einmal völlig neu abgemischt und gemastert worden, was zu einem beeindruckend transparenten und klaren Klang führt. So ist Tree of Life ein wahrhaftiger Lebensbaum, ein Weltenbaum und hochkarätigstes Juwel moderner experimenteller japanischer Musik.

 

 

 

Beginnen wir also mit dem Urvater der Ambientmusik, mit Erik Satie, dem Mann, der posthum wesentlich dafür sorgte, dass mir als jungem Menschen das Klavierspielen nicht abhanden gekommen ist. Denn damals fühlten sich seine Stücke endlich mal so an, als ob sie aus mir flössen und nicht einfach nur qualvoll von mir gespielt werden müssten. Diesem Freigeist nun über hundert Jahre später Respekt zu zollen ist nicht ganz einfach, weil seine Musik ubiquitär geworden ist und mancher bei der Nennung seines Namens bereits zu gähnen beginnt. Dabei war er in seinem teilweise regelrecht anarchischen Ansatz damals ein Enfant terrible der feinsten Sorte. Weil die Würdigung und damit auch der finanzielle Zufluss teilweise ausblieben, lebte er zeitweise in einem winzigsten Zimmer, in dem lediglich sein Klavier und ein Bett Platz fanden, das Türeöffnen dann aber schon wieder problematisch wurde. Als Debussy ihm einmal vorwarf, dass seine Stücke keine rechte Form aufwiesen, nahm er die Kritik mit dem ihm eigenen Humor gleich an und komponierte umgehendst ein Stück in Birnenform! Der Versuch sich Satie zeitgemäß anzunähern ist ganz aktuell mit Fragments aber überraschend und sehr vielseitig gelungen. Die Deutsche Grammophon lud verschiedene Komponisten und DJ’s ein sich zeitgemäß an ihm zu versuchen, darunter Henrik Schwarz, Monolink, Christian Löffler, Pantha du Prince, Sascha Braemer und viele mehr. Hierbei kamen viele sehr spannende Reworks und einige Remixe heraus, die der Musik Saties auf einmal einen tanzbaren Boden verschafften, sie bis zur Unkenntlichkeit durcharbeiteten und doch in Satie’s Sinne faszinierende Klangräume schafften. Besonders hervorzuheben ist der Gnossienne No.1 Rework der Grandbrothers, der eine unglaubliche Dynamik entfaltet und der eigenwillige Rework des DJ und Biologen Dominik Eulberg (Lesetipp: „Mikroorgasmen überall“) und nicht zuletzt die Sonneries de la Rose-Croix von Moritz Fasbender, von der gleich die Rede sein wird. Abwechslungsreich, mal bizarr, definitiv gut entstaubt und reinigt die Gehörgänge gründlich.

 

 

 

       

 

 

 

Moritz Fasbender ist der Name des verstorbenen Zwillings und der Familienname der Mutter der Leipziger Pianistin, Komponistin und Filmmusikerin Friederike Bernhardt, ihr alter Ego. Sie ist neben all den anderen Tätigkeiten auch passionierte Kaninchenliebhabenrin und jedesmal (so behauptet sie wenigstens) wenn sich eines ihrer Kaninchen unter ihrem Flügel aufhielt komponierte sie ein Stück, weswegen sie ihr Debütalbum 13 Rabbits nannte. Friederike Bernhardt ist eine Meisterin im Spiel mit Klangfarben und -schichten und Atmosphären, lotet dabei die Grenzen ihrer Tasteninstrumente behutsam, aber konsequent aus und erweist sich dabei als so ausgesprochen kreativ und innovativ, dass jüngst sogar David Sylvian sie zum Aufnehmen neuer Songs (man darf also gespannt sein…) in sein Studio geholt hat. Eingerahmt von den eigenwilligen Fragmenten Three Armed Men at the Foot of My Bed und Three Armed Men Leaving My House finden sich 11 Stücke die sich nicht festlegen lassen wollen, bisweilen mit Konventionen spielen, um sie zu verraten und dabei ganz beiläufig eine feinste Sensibilität fürs Cineastische wie ein Vexierspiel (Playlist) pflegen.

 

Japanese Jewels 18: „Writing about music is like dancing about architecture“ – ein Zitat, dessen Ursprung letztlich unklar bleibt, aber bereits einigen namhaften Musikern, wie Elvis Costello, Laurie Anderson, Frank Zappa, David Byrne und vielen mehr zugeschrieben wird und nicht mehr als die grenzfälligste Möglichkeit über Musik zu schreiben benennen soll. Challenge accepted, sagt hierzu der japanische Ausnahmepianist Koki Nakano, dessen aktuelles Album Oceanic Feeling im Frühsommer erschienen ist. Der klassisch ausgebildete Pianist hat sich in seinen bisherigen Alben langsam Stück für Stück von den erlernten Konventionen befreit, um inzwischen minimalistische und subtil doppelbödige Stücke mit fast Reich’schem Groove zu komponieren. Aber was hat das alles mit dem Tanz über Architektur zu tun? Dazu muss man sich nur die Videos zu seinen Stücken anschauen, die nicht nur ein intensives Bilderleben führen, sondern sogar den Schluss nahelegen, dass man lieber weiter so zur Architektur tanzen sollte, als groß Worte zu verlieren: Mue, Glances, External Cephalic Version oder wo klaustrophobe Räume durchmessen werden, wie in Port de bras. Ein irisierendes und intensives Album, das zudem ganz hintergründig japanischen Musik- und Hörgewohnheiten Rechnung trägt.

 

 

 

     

 

 

 

Japanese Jewels 19: Insen von Alva Noto & Ryuichi Sakamoto. Langsam erklingt ein gesetzter Klavierton nach dem anderen, es klickt und kruschpelt dazwischen, ein knisternder Rhythmus schiebt sich in den Vordergrund, leise, diskret und hypnotisch während ich mit meinem alten silbernen Pontiac Transport (das genialste Auto, das ich je hatte) leise über einen Alpenpaß gleite: die weiten Schneefelder, die offene Weite, Wolken durch die Niederungen ziehend, die harsche Steinwelt, die die Straße in unbeugsam kleine Serpentinen zwingt. Ein majestätisches Ambiente zu diesem schwebenden Soundtrack, der die tiefe Ruhe der Umgebung diskret aufnimmt und alles zu einem psychedelischen Roadmovie transformiert.

Szenenwechsel: Alva Noto und Ryuichi Sakamoto live in den organischen Eingeweiden des Frankfurter Clubs Cocoon. Zwischen den Formen, die auch von Roger Dean entworfen sein könnten steht eine große eckige LED-Wand und ganz unscheinbar davor die beiden Protagonisten, die gerade Svmmvs herausgebracht haben. Wieder ist sie binnen Minuten da, diese sogartige, in kortikale Tiefen führende Mischung aus einem zeitlupenhaften Flügel und den elektronischen Klicks und Flächen, die tranceinduzierend einen wachen Frieden in einer unbestimmten Zwischenwelt hervorrufen und jegliches Zeitgefühl für die Dauer ihrer Existenz aussetzen. Überwältigend bizarre Schönheit.

 

Dieser fügen wir nun noch eine sehr diskrete, in Naturtonskalen schwingende Erweiterung der Stille hinzu: das aktuelle Album von Christina Vantzou, Michael Harrison und John Also Bennett, dessen Musik auf nordindischen Ragas basierend in einer unglaublichen Intimität zwischen dem für unsere Ohren erst etwas dissonant klingenden, in der natürlichen Obertonreihe gestimmten Flügel Michael Harrisons, der mit LaMonte Young spielte und ebenfalls bei dem indischen Gesangsmeister Pandit Pran Nath lernte, und den hintergründigen resonanten Drones JAB’s oszilliert. Manchmal klingt der Flügel mehr wie eine elektrische Zither und erinnert dann etwas an die ruhigeren Stücke Laaraji’s, mal absorbieren die stehenden Resonanzen jegliche vordergründige Aufmerksamkeit und führen langsam zurück in den Ursprung aller Dinge: eine freundliche Stille, die noch nicht erklungen ist.

 

 

 

 

John Darnielle has written almost 650 songs now, and some of them are very sad, dealing with hard drugs and tragic ends, hurting yourself and others, sicknesses of both body and brain, off-brand alcohols. They are told in beautiful, unnerving, specific detail, because John Darnielle is a very good writer, and also some of them are just true stories about his own life. And, believe it or not, there‘s much magic in them, the stuff of dreams and wisdom, and a beating heart. and if  you are  take interest in John’s worlds, John‘s world, perhaps you shouldn’t miss his leatest novel, Devil House, the story of a once-successful true-crime writer who moves into a California house where a pair of murders took place during the “Satanic Panic” of the 1980s. (m.e.)

 

 

 

John D., Mastermind der Mountain Goats, einer meiner geschätztesten Bands auf dem Planeten, nahm vor Jahr und Tag die Kids mit, um „Ghidorah, das dreiköpfige Monster“ zu sehen,  einen Film, den es auf deutsch mit anderem Titel in einer etwas zu teuren DVD-Edition gibt, sonst wäre das ein Fest für die ganze Mana-Familie. Es handelt sich um einen Kaiju-Film aus dem Jahr 1964.

 

Er ist der fünfte Film der Godzilla-Reihe und zeigt, wie Godzilla sich mit seinen beiden Feinden aus den Vorgängern, Mothra und Rodan, zusammenschließt, um Ghidorah zu besiegen. Sie müssen sich an ihm für den Angriff auf die Stadt Matsumoto rächen. Sie müssen ihn leiden lassen. Aber der Film hat auch etwas Surreales an sich, mit Außerirdischen von der Venus und anderen weltlichen Genüssen.


OTON DARNIELLE: „Es gibt ein japanisches Gesangsduo namens The Peanuts, ein beliebtes Schwesternpaar, das sang. Weil sie Schwestern waren, war ihr Stimmklang fast identisch, so dass ihr gemeinsamer Gesang etwas Geisterhaftes hatte. Und sie spielen diese zwölf Zentimeter großen Zwillinge, die mit Mothra auf der Insel der Kinder leben.

 

Hier der Trailer…

 

OTON DARNIELLE: „Meine Kinder sind daran gewöhnt, Super-Action-Filme zu sehen, also war ich gespannt, wie „Ghidorah – The Three-Headed Monster“ bei ihnen ankam. Sie waren begeistert; sie hatten so viel Spaß, und es hat sie nicht so erschlagen wie … das ist der Hauptunterschied zwischen einem modernen Film und einem Film vor dem digitalen Zeitalter. Jetzt ist es möglich, die Sinne völlig zu überwältigen, und das scheint das Ziel zu sein. Und das scheint es zu sein, woran die Menschen wachsen, und das ist dann eben gut so. Was auch immer für andere Leute funktioniert. Aber ich möchte, dass meine Sinne gereizt und stimuliert werden. Ich will mich nicht überflutet fühlen. Ich will mich nicht erschöpft fühlen, wenn ich das Kino verlasse. Ich möchte mich neugierig fühlen. Ich möchte mehr darüber reden. Mein jüngerer Sohn, der sieben Jahre alt ist, hat noch nie so viel über einen Film gesprochen, wenn er aus dem Kino nach Hause kam, wie über diesen. Er wollte seiner Mutter die ganze Geschichte erzählen.“

 

„Dieses Buch erzählt vom Verfolgen eines Traums und der Einsicht, dass man Träume nicht erreichen kann.“ Als einer der ersten europäischen Comiczeichner bekam Igort Anfang der 90er Jahre die Gelegenheit, für einen japanischen Verlag zu arbeiten. In der Graphic Novel Berichte aus Japan [Eine Reise ins Reich der Zeichen] erzählt er von seiner Zeit in Tokio, er erzählt vom Raumgefühl in winzigen Appartements und Hotelzimmern, von geradezu sinnlos erscheinenden Aufträgen, bis zum nächsten Tag einen Comic zu zeichnen, zu dem der Auftraggeber dann nichts sagt und einen weiteren Comic verlangt. Eine Zeitschleife. Sein Kreativitätspool sind Karteikarten, die er sich inspiriert von Brian Enos Oblique Strategies angefertigt hat. Igort erzählt von seiner Suche nach Sinn auf Spaziergängen in Azaleengärten, der Bedeutung kleiner Risse im Innern von Teetassen, von Chrysanthemen, der Tradition der Sumo-Ringer und von Episoden aus der japanischen Geschichte, die es nie in die Schulbücher schaffen: Verruchte Gestalten, die mit Konventionen brechen und Berühmtheit erlangen. Der rote Turm in Asakusa. Die Burakumin: Menschen, die durch ihren Beruf mit Blut in Berührung kamen, waren Ausgestoßene, und heute noch beliefern Agenturen Unternehmen mit Stammbaumdaten: Wer von den Burakumin abstammt, wird nicht eingestellt. Geschichte lagert sich an Orten ab. Vor allem aber erzählt Igort von der japanischen Arbeitswelt der Comic- und Mangaenthusiasten, die auch Filmbegeisterte sind, denn auch im Film geht es darum, wie erzählt wird, wie Bilder perspektivisch gemacht und geschnitten sind. „Ich habe endlos Zeit damit verbracht, seine Filme [die von Seijun Suzuki, M.W.] aufzutreiben. Selbst Kopien von Kopien, nur um zu sehen, wie er dreht, wie er erzählt.“ Verschiedene Erzählebenen bildet Igort in unterschiedlichen Zeichenstilen ab. Springt irgendwo ein Funke über? Ich habe mir einige Titel notiert: „Nachtasyl“ von Kurosawa (ein Film über die Burakumin), „Die letzten Glühwürmchen“ von Hayao Miyazaki, „Mein Nachbar Totoro“ von Isao Takahata (großer Antikriegsfilm), Shigero Mizuki: „Kitaro vom Friedhof“ (ein Manga. Japaner glauben an das Unsichtbare, schreibt Igort, und in diesen Geschichten fände sich ein Zugang dazu). Die Skizzenbücher von Hokusai Katsushika: für Igort wie Reisen. „Naji-Shiki“ (deutsch: „Mit einer Schraube“) von Yoshiharu Tsuge, der Titel „Mann ohne Fähigkeiten“. Igort traf Art Spiegelman und David Mazzucchelli und sie sprachen über Tusges Arbeiten. Er lebte sehr zurückgezogen. Auf Deutsch erschien  sein Hauptwerk „Der nutzlose Mann“ und 20 graphic Kurzgeschichten unter dem Titel „Rote Blüten“, über die Alexander Braun in Deutschlandfunk Kultur sagte, sie seien „ein wenig mysteriös“ und „in einer anderen Erzählweise, als wir es aus westlichen Kontexten kennen“. Hier springt ein Funke über.

2022 18 Mrz

Japanese Jewels (17): Kiren

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Bereits mit den ersten Takten von Ashita stolpern wir in einen ungehört und sogartigen Metarhythmus irgendwo zwischen Tribal und Wave, der schnell befremdlichste und dennoch treibende Formen annimmt. Es ist kaum zu glauben, dass das vierte Soloalbum von Yasuaki Shimizu Kiren 38 Jahre irgendwo in den Archiven herumlag und jetzt zum ersten mal veröffentlicht wird. Eigentlich war das Werk des japanischen Jazzsaxophonisten und Meister des Art-Pop als Abschluss der Trilogie aus seiner Band Mariah’s Utakata No Hibi und dem Soloalbum Kakashi gedacht, kam aber nie auf den Markt nachdem Kakashi in Japan unverständlicherweise floppte. Aber entweder es hat niemand die Musik wirklich gehört bevor die Frage der Veröffentlichung geklärt wurde oder man befand sie in aller Konsequenz ihrer Zeit mindestens 38 Jahre voraus.

 

„At that time I could recognize that all of the various scattered elements I had been interested in since I was a child were collecting together inside of me and becoming a single organic material“.

 

Dennoch entstand aus den vielseitigen musikalischen Interessen Shimizu’s ein verstörendes, atmosphärisch homogenes Album, dass nahtlos japanische und westliche Musikelemente und archaischste Rhythmen zusammenbringt mit futuristischen synthetischen Klängen, sowie der Wärme des Atems durch das oft wenig konventionell gespielte Saxophon. Momo No Hana ist eine kalte Collage von Loops und Fragmenten unbekannter Herkunft, die dennoch fraglos schlüssig er- und mit stolperndem Herzschlag ausklingt und das folgende Asate, das minimalistisch einen Saxophonretrosound mit kargen, fragmentarischen Beats unterlegt, fast noch am konventionellsten wirkt. Kagerofu ist ein Meisterstück der Fourth World Music mit wuchtigen Buschrhythmen, verfremdeten Samples und unheimlichen Stimmfetzen, das man auch in zweihundert Jahren noch auf einem Volksfest auf dem Mars wird spielen können. Auf Peruvian Pink tanzen skurrile Beats mit einem synthetischen Dudelsack, immer, wie auch bei den anderen Stücken von Morio Watanabe’s abgründigem Bass unterlegt und bei Shiasate treibt ein schnelles Schlagwerkmuster den Bass und einige verfremdete Blasinstrumente vor sich her. Mit Ore No Umi schließt das Album funky und sabotiert, wie schon der ganze Rest, jegliche Hörgewohnheiten, püriert genüßlich Erwartungen, spielt mit bekannten Elementen, um die Abzweigung zu subtilen wie drastischen Vexierspielchen nie zu verpassen und bleibt dennoch futuristisch jazzy und relaxed, wenn es gelingt sich auf das Universum des Yasuaki Shimizu einzulassen. Offen bleibt dann nur wo das enden könnte: vielleicht in einem moebius’schen Flugsessel für Psychonauten, einem Jazzfest auf einem Saturnmond oder einer filigranen Orgie auf einem Retrospaceship mit Überlichtgeschwindigkeit. Egal eigentlich, ist doch die Welt nie mehr die Gleiche wir zuvor nach dem Hören dieses Albums. Noch habt ihr die Wahl …

 

 

Mit dem Einsetzen des Rhythmus macht die Zeitmaschine eine heftigen Sprung nach hinten und weiß auf einmal nicht, wo sie genau anhalten soll: Bei meinem ersten Beitrag auf diesem Blog oder von da aus etwa 35 Jahre früher, wo mich ein Kabukiartig geschminktes Gesicht etwas verschlafen in einem Frankfurter Plattenladen anstarrte und ich das Album nach kurzem, mesmerisierenden Reinhören mitnahm, um wenige Stunden später erst einmal völlig verstörte Blicke meiner Freunde zu kassieren, die mir die schlimmsten Befürchtungen bezüglich der Entwicklung meines Musikgeschmacks entgegenbrachten. Aber bereits nach dem zweiten oder dritten Anhören dieses Kronjuwels japanischer Popmusik war ich zum Glück rehabilitiert und dann lief die Scheibe erst einmal heiß. Und das tut sie bis heute, wo ich nun endlich die gerade in Europa erstmals erscheinende, remasterte Wiederveröffentlichung der original japanischen Version samt einer zweiten CD mit der Instrumentalversion in den Händen halte: erfrischend wie vor Jahrzehnten, schillernd perfekt, exzentrisch und zeitlos genial.

Nachdem er Robin Scotts Pop Muzik gehört hatte, lud Ryuichi Sakamoto ihn nach Tokyo ein, um mit ihm ein Album aufzunehmen. Mit von der Partie waren seine Mitstreiter vom YMO Haruomi Hosono und Yukihiro Takahashi, Adrian Belew, der neben seinen Gitarrenkünsten einige angry animals beisteuerte, Robin Thompson, der bei Stockhausen studiert hatte und nicht zuletzt der damals fast omnipräsente Hideki Matsukake, der Sakamoto beim Programmieren der Synthesizer unterstützte. Von Fluxus-Konzepten beeinflusst konzipierte Sakamoto, gelangweilt von bereits bestehenden Musikformen, dieses Album bewußt als kollektive Improvisation mit intensivster Neophilie und offenem Ausgang. Die Stücke entwickelten sich jeweils um die primären Rhythmusstrukturen herum und nach und nach flochten die anderen Instrumente ein feines Gewebe daraus. Mit großer Experimentierfreude drifteten die Stücke als Mix zwischen einer höchst originellen japanischen Form des New Wave, lässiger postavantgardistischer Popmusik und minimalistischen (aus unerfindlichen Gründen schlägt mir die Autokorrektur hier „minimaoistischen“ vor, was mich an das Noir-Cover von Japans Tin Drum erinnert…) Miniaturen hin und her und entwickeln eine subtile, in sich völlig schlüssige Suite exzentrischer Klangausflüge, die den geneigten Hörer befriedigend verstört im finalen Saru No Ie für immer in einem bizarren Neo-Dschungel zurücklassen. Hidari Ude No Yumi – Left Handed Dream, again and again …

 
 


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