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Die Reihe der Literarischen Selbstgespräche erschien von Ende 2014 bis Ende 2020 auf fixpoetry.com. 49 Selbstgespräche sind in dieser Zeit online veröffentlicht worden. Sie alle gibt es nun auch in Buchform zum Lesen und Nachlesen:


Astrid Nischkauer (Hg.)

Literarische Selbstgespräche

 

… keine Fragen stellte Astrid Nischkauer
330 Seiten kosten 24 Euro
Klever Verlag, Wien: 2021

 
 

Von und mit: Elisa Asenbaum, Dato Barbakadse, Marcel Beyer, Yevgeniy Breyger, Andreas Bülhoff, Lucas Cejpek, Franz Dodel, Klaus Fischedick, Marco Grosse, Lydia Haider, Sabine Hassinger, Christine Huber, Aftab Husain, Alain Jadot, Sarita Jenamani, Adrian Kasnitz, Ilse Kilic, Markus Köhle, Barbara Köhler, Wanda Koller, Rhea Krčmářová, Margret Kreidl, melamar, Ute Langanky, Barbi Marković, John Mateer, Fiston Mwanza Mujila, Natalie Neumaier, Özlem Özgül Dündar, Ilma Rakusa, Sophie Reyer, Nils Röller, Tobias Roth, Caroline Saltzwedel, Ferdinand Schmalz, Stefan Schmitzer, Clemens J. Setz, Verena Stauffer, Marion Steinfellner, Tomoyuki Ueno, Monika Vasik, Linde Waber, Uwe Warnke, Peter Waterhouse, Fritz Widhalm, Jayde Will, Herbert J. Wimmer, Martin Winter, Barbara Zeizinger.

 

„Mit meiner Reihe der Literarischen Selbstgespräche wollte ich eine andere Möglichkeit aufzeigen, einen neuen Weg einschlagen, der zu einem Freiraum führt, zu einer Lichtung im Wald: Hier darf gesprochen werden, frei gesprochen werden, es darf gesagt werden, was man immer schon gefragt werden hätte wollen, erzählt werden, was einem wichtig ist, oder es darf genauso gut auch über scheinbar völlig Belangloses um des Sprechens Willen gesprochen werden. […] Wenn man so möchte, kann man meine Reihe der Selbstgespräche auch als Plädoyer für einen respektvolleren Umgang und ein achtsameres Miteinander verstehen. Ich spreche nicht nicht, weil ich nichts zu sagen hätte, sondern aus Respekt vor und Interesse an meinem jeweiligen Gegenüber.“(Astrid Nischkauer)

2020 31 Jan.

Ein Gastbeitrag von Astrid Nischkauer

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Mein literarisches 2019
 

Als Rezensentin blickt man immer nur nach vorne: auf den immer viel zu hohen Stapel der erst-noch-zu-rezensierenden Bücher, auf die Verlagsvorschauen und die Bücher, die im nächsten Frühjahr erscheinen werden, etc., etc. Der musikalische Jahresrückblick von Michael Engelbrecht hat mir vor Augen geführt, dass Rückblicke im Literaturbetrieb ganz unüblich sind, aber vielleicht gerade deswegen besonders spannend wären. Ich habe mir daher einmal angesehen, welche Bücher und wie viele ich eigentlich im Laufe des Jahres nahezu ausschließlich für fixpoetry.com rezensiert habe und bin auf die doch recht beachtliche Zahl von 23 gekommen, von Oswald Egger bis Ilma Rakusa, das war mein 2019. Ich möchte nun mein literarisches 2019 an dieser Stelle noch einmal im Schnelldurchlauf revuepassieren lassen, und zwar querfeldein und nach Herzenslust über den grün-grünen Rasen rennend:

 

 

Querfeldein

Der Wildfang nimmt nicht die Wege, sondern quert Felder und Wiesen aufs Geratewohl. Auch den grün-grünen Rasen im Park, der vor lauter Gepflegtheit nicht betreten sein will. Rein – und rennen nach Herzenslust, unbekümmert um Grenzen, Vorschriften, Pfade.

 

 

Ilma Rakusa: Mein Alphabet (Droschl, 2019)
Von Steinen (und Sternen)

 

 

Die wunderbare Ilma Rakusa! In Mein Alphabet fächern uns Gedichte, Prosatexte und Selbstinterviews ihr Leben und Schreiben auf, nehmen uns mit in ihre Welt und machen uns mit ihrer Art die Welt zu sehen, zu betrachten und zu bestaunen vertraut: „Oh, schau!“

Hototogisu von Eric Giebel versammelt sehr einfühlsam erzählte Prosaminiaturen, welche in der ganzen Welt verortet sind. Es geht um Menschen und Mitmenschlichkeit, auch wenn viele Tiere in den Kurzerzählungen auftauchen.

 

 

„Lass das!“, wehrt Lani ab. „Ich bin keine Figur, mit der du dein Spiel treiben darfst. Ich bin lebendig, im Jetzt! Du sollst mit mir reden!“

 

 

Eric Giebel: Hototogisu (Pop, 2018)
Von Elstern, Raubkatzen und Nachtmenschen

 

 

Norwegen war diesjähriges Gastland der Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass habe ich auf fixpoetry eine Anthologie zeitgenössischer norwegischer Lyrik vorgestellt, und zwar die im Verlag das Wunderhorn erschienene Anthologie Sternenlichtregen. Sie enthält Gedichte von neun Dichterinnen und neun Dichtern aus mehreren Generationen.

 

 

wiege mich sachte
winternacht
wispere mich
still

 

 

Rawdna Carita Eira, übersetzt von Claudia Palser-Kieser in:
Sternenlichtregen. Zeitgenössische Lyrik aus Norwegen (Verlag Das Wunderhorn, 2019)
himmelwärts

 

 

Schreiben als permanentes Weiterschreiben, kaum jemand verkörpert das so radikal wie Franz Dodel mit seinem bereits sechs Bände umfassenden Endlosgedicht Nicht bei Trost. Der zuletzt veröffentlichte Teil davon trägt den Untertitel Capricci. Eine weitere Besonderheit dieses durch und durch besonderen Projekts ist die Tatsache, dass Franz Dodel nicht nur ständig weiterschreibt, sondern uns auch teilhaben lässt an diesem ständigen Weiterschreiben, indem er den noch nicht veröffentlichten neuesten Abschnitt auf seiner Homepage vorab veröffentlicht und laufend neue Zeilen ergänzt. Einfach rein springen, irgendwo anfangen und genießen:

 

 

an Übergängen
vom einen zum anderen
und vom anderen
zum einen geschieht auch mir
Unerwartetes

 

 

Franz Dodel: Nicht bei Trost. Capricci (Edition Korrespondenzen, 2019)
Wenn Bäume sich lieben

 

 

Monika Vasik feiert in ihrem neuen Gedichtband hochgestimmt die weibliche Stimme in all ihren Facetten, Höhen und Tiefen. 67 Gedichte sind es, jedes davon widmet sich je einer Sängerin, ihrer Musik, ihrer Art zu Singen und ihrem Schicksal:

 

 

stille zum zerreißen gespannt plötzlich
erste töne aus den tiefen deines mundes
wie perlen so klar so rein jede silbe

 

 

Monika Vasik: hochgestimmt (Elif Verlag, 2019)
lost in sound

 

 

Ein Debut, das es in sich hat, legte Eva Maria Leuenberger mit dekarnation vor. Unheimliche Gedichte, unheimlich präzise Gedichte. Form und Inhalt sind eins, die Worte gehen, wehen und fließen und die Sprache durchläuft selbst den Prozess einer Dekarnation, bis nur noch fahlweiße Knochen übrig bleiben.

 

 

du spürst das wasser
an deinen knöcheln
darunter stein

das wasser ist klar

 

 

Eva Maria Leuenberger: dekarnation (Droschl, 2019)
bis dein körper kein körper mehr ist

 

 

Dem hochroth-Verlagskollektiv habe ich ein umfangreiches Verlagsportrait gewidmet und je ein Buch der acht verschiedenen Standorte vorgestellt, um die Vielfältigkeit dieses zauberhaften Projekts aufzuzeigen. Achtmal komprimierte Lyrik vom Feinsten, Herz, was willst du mehr? Von hochroth Heidelberg habe ich den zweisprachigen Band Spiegel der Spione / Espejo de los espías von Ángeles Mora vorgestellt:

 

 

Wenn du dem Herz,
das sich dir öffnet,
Wasser gibst,
kannst du glücklicher sein,
als wenn du es herausreißen würdest.

Regando el corazón
que se te ofrece
puedes ser más feliz
que si lo arrancas.

 

 

Ángeles Mora: Spiegel der Spione / Espejo de los espías. Aus dem Spanischen von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Martina Weber (hochroth Heidelberg, 2019)
Ángeles Mora: Spiegel der Spione

 

 

Bei Daniel Bayerstorfer (hochroth München) geht es zum einen planetarisch musikalisch zu – „Scheiße, wir müssen zu diesem Zwergplaneten! Andromeda sagen / und sehen.“ – zum anderen nimmt er sich in seinen Gedichten genannten und ungenannten Orten an:

 

 

Die Zypressen von San Michele liegen wie das Blatt einer schwarzen
Säge im Wasser und raspeln ein bisschen am Himmel, streicht der
Wind durch die Nadeln. Ein Phönix aus Marmor hat Opern im
Magen: immer neu aufgeführtes Repertoire;

 

 

Daniel Bayerstorfer: Gegenklaviere (hochroth München, 2017)
Daniel Bayerstorfer: Gegenklaviere

 

 

Ein symphonischer Text von Leon Skottnik (hochroth Bielefeld) ist in vielerlei Hinsichten besonders, handelt es sich doch um einen aus Noten aufgebauten und in vier Sätze unterteilten Text, der in uns einen ähnlichen Empfindungszustand hervorrufen möchte, wie beim Hören einer Symphonie.

 

 

und alles singt
lächelnd und erschlagen
von den Noten
den Worten
den Zweigen
im Sturm

 

 

Leon Skottnik: Ein symphonischer Text (hochroth Bielefeld, 2018)
Leon Skottnik: Ein symphonischer Text

 

 

Sehr stille, bedachte und sachte Gedichte schreibt Melanie Katz (hochroth Wiesenburg):

 

 

so zupften wir einander
die blätter von blüten
aus den augen
die fielen in meine geöffnete hand

 

 

Melanie Katz: Silent Syntax (hochroth Wiesenburg, 2018)
Melanie Katz: Silent Syntax

 

 

Von Herta Müller sind bei hochroth Paris rumänische Collagen mit Übersetzungen ins Französische erschienen:

 

 

Mais quand je le suis, je le suis! Disons
coupable.
Oui mais voilà
je ne sais pas quand
vers le soir
dans le vent, des nids carrés
plus ou moins
foin

 

 

Herta Müller: ion ou non (hochroth Paris, 2018)
Herta Müller: ion ou non

 

 

Auf Deutsch wäre das in etwa in eigener Übersetzung: „Aber wenn ich’s bin, bin ich’s! Sagen wir / schuldig. / Ja aber hier sind / ich weiß nicht wann / gegen Abend / im Wind, viereckige Nester / mehr oder weniger / Heu“

 

Die tschechische Dichterin Marie Šťastná geht in ihren Gedichten an die Schmerzgrenze, beschreibt beispielsweise den Moment in welchem zwei Mütter um das Leben ihrer Kinder bangen und eine der beiden trotz Angst im Bauch und Zittern in den Händen die andere Frau anblickt und wünscht, sie könnte sie irgendwie trösten. Das Besondere und Unerwartete findet Marie Šťastná gerade im scheinbar Alltäglichen. Das kann mitunter durchaus unheimlich sein, kann doch selbst ein ganz gewöhnlicher Brieföffner zur Mordwaffe umfunktioniert werden. Gedichte als eine Möglichkeit, die Wirklichkeit wie Blumen in Backpapier flach zu bügeln und so jedes Äderchen und jede Unregelmäßigkeit erkennen zu können, das führt uns der Band sehr eindrücklich vor Augen:

 

 

Blumen in Backpapier bügeln
Jedes Äderchen tritt heraus
jeder zufällige Fehler
der eigentlich kein Fehler ist
denn die Natur irrt sich nicht
sie irrt sich nie
nur manchmal weicht sie ab

Žehlení květin v pečícím papíře
Vystoupí každá žilka
každá náhodná chyba
která vlastně není chybou
protože příroda se nemýlí
nikdy se nemýlí
jen občas uhne stranou

 

 

Marie Šťastná: Wenn das Wasser kocht. Aus dem Tschechischen von Julia Miesenböck (hochroth Leipzig 2018)
Marie Šťastná: Wenn das Wasser kocht

 

 

Von hochroth Wien habe ich ebenfalls einen Band mit übersetzten Gedichten vorgestellt, und zwar von der iranischen Dichterin Nahid Kabiri, in der Übersetzung von Kurt Scharf. Sehr persönlich und zugleich sehr politisch auf dezente Art und Weise mit einer sehr poetischen Sprache, das sind ihre Gedichte.

 

 

Granatapfelkerne
Sie tropfen
Tropfen
Für Tropfen
Von der „Straße der Revolution“
Auf die Straße namens „Freiheit“…

 

 

Nahid Kabiri: Garten, mit Nägeln. aus dem Persischen übersetzt von Kurt Scharf (hochroth Wien, 2017)
Nahid Kabiri: Garten, mit Nägeln

 

 

Ich hatte das große Glück, den Ethnopoeten Jerome Rothenberg in Wien bei einer Lesung in der Alten Schmiede gemeinsam mit seinem Übersetzer Norbert Lange erleben zu dürfen. Sein bei hochroth Berlin erschienener Band Rituale & Events versammelt ebensolche aus der ganzen Welt:

 

 

MEERESWASSER-EVENT

Die Gezeiten des Meeres werden getanzt; einige Vögel & Tiere
werden miteinbezogen.
(Arnhemland, Australien)

 

 

Jerome Rothenberg: Rituale & Events. Übertragen von Norbert Lange (hochroth Berlin, 2019)
Jerome Rothenberg: Rituale & Events

 

 

Zeitschriften habe ich 2019 auch zwei besprochen und zwar zum einen das Wespennest, eine der ältesten Literaturzeitschriften, die ich kenne. Und zum anderen die Wortschau, eine der schönsten Literaturzeitschriften, die ich kenne. Nummer 176 des Wespennests, der Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder, widmet sich dem Klima als großem Thema unserer Zeit. Während Nummer 33 der Wortschau mit einem lauten Tusch und Trommelwirbel: „Vorhang auf!“ – ruft.

 

 

Brauchbare Texte und Bilder

Vorhang auf!

 

 

I schea mi ned um de aundan Leid
weu fia sowos hobi wiaglich ka Zeid.

 

 

Christine Nöstlinger: Ned, dasi ned gean do warat. (Residenz Verlag, 2019)
Von Buttaschas und Zechalkas

 

 

Der Band Ned, dasi ned gean do warat enthält Wiener Dialektgedichte aus dem Nachlass der vor allem auch für ihre Kinder- und Jugendbücher bekannten Christine Nöstlinger. Es sind bitterböse und rabenschwarze Gedichte. Voller Respekt und sehr liebevoll blickt die Dichterin auf die alltäglichen Abgründe in den Seelen und Leben ihrer Mitmenschen, die vielleicht Tür an Tür mit uns leben, ohne dass wir etwas von ihren Sorgen mitbekämen.

 

 

Elisabeth Wandeler-Deck entführt uns in Tagumtagkairo in das Kairo, das sie im Jahre 2007 kennen lernen durfte. Jede Doppelseite des überaus schönen und schön gemachten Buches enthält jeweils ein Foto, ein Gedicht und einen Prosatext, was eine sehr gelungene Komposition ergibt.

 

 

balkon rand flüstere ich lieblich die
morgensonne lächere mich wenn
bloss du hier wärst umarme das
teeglas bald ist oder ein spazieren
gehen zum NIL das ist gar nicht so
einfach einfach

 

 

Elisabeth Wandeler-Deck: Tagumtagkairo (Edition Howeg, 2019)
Mein Notiz Körper ICH lege mich mit Kairo an

 

 

Einen sehr vielstimmigen Gedichtband hat Timo Brandt mit Ab hier nur Schriften vorgelegt. Der Titel verrät uns schon vieles über das Buch, zum einen wäre da die Mehrzahlform „Schriften“, es heißt eben nicht „Ab hier nur Schrift“, sondern „Ab hier nur Schriften“, uns erwarten also verschiedene Schriftarten und –typen, verschiedene Stile und Schreibweisen. Und dann ist im Titel auch ein kleiner Witz versteckt, wie Timo Brandt einmal bei einer Lesung verriet, denn man kann „Ab hier nur Schriften“ auch zusammenziehen zu „Abschriften“. In dem Sinne, dass jedes Schreiben ein Weiterschreiben ist, des eigenen Schreibens, aber auch von allem je Geschriebenen.

 

 

Wind
nur der Wind
sanft in den Ästen
das Trillern der Vögel
am Morgen

 

 

Timo Brandt: Ab hier nur Schriften (Aphaia Verlag, 2019)
{abschweifen} (einfangen) [festhalten]

 

 

Eine Entdeckung der besonderen Art war für mich dieses Jahr Jewdokija Rostoptschina in der Übersetzung bzw. Nachdichtung von Alexander Nitzberg. Das Werk der laut Nitzberg bedeutendsten russischen Dichterin des 19. Jahrhunderts geriet bald völlig in Vergessenheit und darf nun wiederentdeckt werden. Der Band enthält Gedichte und ihr Drama Die Menschenfeindin.

 

 

Ich bin es herzlich leid, für Gaffer mich zu schmücken,
so mancher dummen Gans in meinem Spitzenkleid
zu knicksen engelsgleich, ich bin es herzlich leid
so manchem, der mir bös gesinnt, die Hand zu drücken,
zu gähnen still und leis aus Sterbensmüdigkeit …

 

 

Jewdokija Rostoptschina: Die Menschenfeindin. Herausgegeben und übertragen von Alexander Nitzberg (Klever Verlag, 2019)
Die Welt ist viel zu trist, mich Träumende zu trösten. –

 

 

Ein Bilderbuch bei dem man (bzw. Kinder) mit- und weitermalen kann – diese Idee ist einfach genial und funktioniert großartig, wie man mit dem Geburtstagsbuch Für … zum Geburtstag von mir von Annika Thamm selbst ausprobieren kann. Man sieht beispielsweise auf der rechten Seite eine leere Blumenvase, die nur darauf wartet, mit wunderschönen selbstgemalten Blumen gefüllt zu werden, und liest auf der linken Seite:

 

 

… in der Zwischenzeit
pflücke ich dir einen
Blumenstrauß …

 

 

Annika Thamm: Für … zum Geburtstag von mir (Schaltzeitverlag, 2018)
für dich von mir…

 

 

Lydia Haider, the one and only. Von ihr habe ich ein Buch rezensiert, bei dem der Titel schon Programm ist: Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang. Es handelt sich dabei um eine Schimpftirade, die ihresgleichen sucht, über alles Denkbare und Undenkbare, die, sobald sie einmal begonnen hat ohne ein einziges Atemholen loswütet um dann schlussendlich mit den folgenden Worten zu enden:

 

 

da kannst du gleich hingehen zum Fenster und dich raushaun in deinem Elend, den Kopf kannst du dann ins Backrohr legen und den Gashahn aufdrehn, dir ein Feuer machen du Trottel, ja geh ins Wasser, ersäuf dich, schneide dich auf, erschieß dich, leg dich aufs Gleis, erstick dich, zerreiß dich, zersetz dich doch.

 

 

Lydia Haider: Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang (redelsteiner dahimène edition, 2018)
du grenzdebiler Nasenbluter du

 

 

Das Jahr begann mit Triumph der Farben von Oswald Egger, dem diesjährigen Jandl-Preisträger. Auf dem Einband sieht man einen überbunten gespiegelten Harlekin, wie auf einer Spielkarte, der eine Farbenkugel zwischen seinen Fingern dreht. Die Eggersche Sprache dreht und verdreht sich gleichsam, schlägt Purzelbäume und Räder. Man kommt sich vor wie in einem Kaleidoskop, das sich bei jeder Bewegung ändert und verändert.

 

 

Das Gesehene ist nicht etwa bildlich klar und entsteht mir aus einer Umdeutung der Lichtpunkte am Fenster. Ich kann z. B. auf dem Fenstervorhang, der einzelne Lichtpunkte zeigt, alles Mögliche sehen, was er schildert, so lange ich will.

 

 

Oswald Egger: Triumph der Farben (Lilienfeld Verlag, 2018)
Über die Umdeutung der Lichtpunkte am Fenster

 

 

Veranstaltungstechnisch waren die beiden poetischen Höhepunkte des Jahres in Wien das Lyrikfestival Dichterloh in der Alten Schmiede und die dreitägige Poesiegalerie im November. Über beide habe ich berichtet, auch das lässt sich auf fixpoetry nachlesen.

 

 

DICHT, DICHTER, DICHTERLOH

Poesiegalerie 2019

Poesiegalerie 2019, Tag3

 

 

Das war mein literarisches 2019! Obwohl noch nicht ganz: Denn jetzt gerade lese und rezensiere ich Jan Röhnert: Breughels Affen (Elif Verlag, 2019) und Julia Grinberg: kill-your-darlinge (gutleut verlag, 2019).

 

Als Rezensentin blickt man immer nur nach vorne: auf den immer viel zu hohen Stapel der erst-noch-zu-rezensierenden Bücher, auf die Verlagsvorschauen und die Bücher, die im nächsten Frühjahr erscheinen werden, etc., etc. Der musikalische Jahresrückblick von Michael Engelbrecht hat mir vor Augen geführt, dass Rückblicke im Literaturbetrieb ganz unüblich sind, aber vielleicht gerade deswegen besonders spannend wären. Ich habe mir daher einmal angesehen, welche Bücher und wie viele ich eigentlich im Laufe des Jahres nahezu ausschließlich für fixpoetry.com rezensiert habe und bin auf die doch recht beachtliche Zahl von 23 gekommen, von Oswald Egger bis Ilma Rakusa, das war mein 2019. Ich möchte nun mein literarisches 2019 an dieser Stelle noch einmal im Schnelldurchlauf revuepassieren lassen, und zwar querfeldein und nach Herzenslust über den grün-grünen Rasen rennend …

 

Martina Weber: Du hast dich auf eine ganz besondere Art von Interviews spezialisiert, die du auch Nicht-Interviews nennst. Seit November 2014 publizierst du auf dem Poesie- und Literaturportal fixpoetry.com, das von Julietta Fix aus Hamburg gemanagt wird, literarische Selbstgespräche. Auf deiner Webseite erklärst du den Begriff des literarischen Selbstgesprächs so: „Dabei dürfen die Künstlerinnen und Künstler frei drauflos sprechen, während ich ihnen aufmerksam zuhöre, nicht unterbreche und keine einzige Frage stelle.“ Wie bist du auf die Idee gekommen, auf diese Weise Künstlerinnen und Künstler zu Wort kommen zu lassen?

 

Astrid Nischkauer: Eigentlich waren es zwei Momente, die dazu geführt haben, dass ich die Form des literarischen Selbstgesprächs als Experiment mit offenem Ausgang erfunden und entwickelt habe und auf fixpoetry verwirklichen konnte. Zum einen gab mir die Aussage eines Autors – „Aber ich habe ja gar nichts gesagt“ – nach einer Lesung mit Autorengespräch zu denken. Und dann stellte ich fest, dass man oft viel mehr und interessantere Dinge erfährt, wenn man einfach nur zuhört. Fragen schränken ja immer auch ein, geben einen gewissen Weg oder zumindest eine Richtung vor. Julietta Fix hat dann die Umsetzung meiner Idee auf fixpoetry ermöglicht, wo die Reihe bis heute erscheinen kann, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Ohne sie und fixpoetry gäbe es die Reihe nicht.

 

MW: Auf fixpoetry.com habe ich 39 Interviews bzw. Nicht-Interviews gefunden, die du bisher geführt hast. Darunter Friederike Mayröcker, Marcel Beyer und Clemens J. Setz. Die meisten Interviewten sind Schriftsteller/innen bzw. Lyriker/innen. Welche anderen Kunstsparten finden sich bei deinen Selbstinterviews?

 

AN: Mit heutigem Stand, Mitte Februar 2019, habe ich 39 Selbstgespräche und ein Interview auf fixpoetry veröffentlicht. Das nächste Selbstgespräch erscheint in Kürze und viele weitere sind in Arbeit, Vorbereitung oder Planung. Friederike Mayröcker habe ich auch zu einem literarischen Selbstgespräch eingeladen, aber sie wollte nicht ganz frei sprechen, hat sich stattdessen lieber Fragen gewünscht. Und Friederike Mayröcker kann man einfach keinen Wunsch abschlagen, deswegen habe ich bei ihr eine Ausnahme gemacht und kein Selbstgespräch, sondern mein erstes und bisher einziges Interview mit ihr geführt.

 

Und ja, mein Schwerpunkt liegt ganz eindeutig auf Literatur, insbesondere auf Lyrik, die Reihe erscheint ja auch auf fixpoetry. Die Grenzen lassen sich da aber nicht immer so genau ziehen, viele Autoren und Autorinnen sind ja in unterschiedlichen Gattungen tätig, Fiston Mwanza Mujila zum Beispiel schreibt sowohl Lyrik und Romane, als auch Theaterstücke. Aber trotz des Literaturschwerpunkts wollte ich die Reihe von Anfang an offen für andere Kunstsparten halten. Bisher sind auch schon viele Selbstgespräche von Bildenden Künstlern und Künstlerinnen erschienen, darunter Linde Waber, Tomoyuki Ueno oder Ute Langanky. Und mit Klaus Fischedick habe ich auch einen Gärtner dabei, den Gärtner der Museumsinsel und Raketenstation Hombroich.

 

MW: Wie funktioniert so ein Selbstinterview? Wird das Treffen mit einer gewissen Vorbereitungszeit geplant oder funktioniert es auch spontan? Musst du dich auf ein Selbstinterview vorbereiten? Arbeitest du dich in das Werk des Interviewten ein?

 

AN: Im Prinzip ist es ganz einfach. Es gibt einige wenige Regeln, die da sind: Das Selbstgespräch wird während eines persönlichen Treffens geführt, also in Form eines tatsächlichen Gesprächs. Wann das Aufnahmegerät eingeschaltet und wieder ausgeschaltet wird, entscheide nicht ich, sondern der jeweilige Künstler oder die jeweilige Künstlerin. Einer der großen Vorteile einer online-Publikation ist, dass uns dadurch theoretisch beliebig viel Platz zur Verfügung steht. Und während das Aufnahmegerät läuft, sage ich dann wirklich nichts, stelle keine Fragen, unterbreche nicht, sondern höre schlicht und einfach aufmerksam zu. Im Anschluss daran transkribiere ich alles Gesagte möglichst genau und ohne einzugreifen, also ohne es zu glätten. Dann schicke ich es den jeweiligen Künstlern und Künstlerinnen nochmals zu und sie dürfen Korrekturen vornehmen, Dinge ergänzen oder auch wieder streichen, wenn sie das möchten.

 

Die Konzeption der Reihe verlangt einiges an Planung, ich betrachte die Reihe als ein Ganzes und setze immer wieder verschiedene Schwerpunkte, schaue zugleich auf Ausgewogenheit und Abwechslung. Ich bin sehr involviert im Literaturgeschehen, bin selbst Autorin, Übersetzerin, Rezensentin und gehe regelmäßig zu Literaturveranstaltungen. Das alles kann als Vorbereitung für die Selbstgespräche betrachtet werden. Ich überlege mir sehr genau, wen ich einlade. Und ja, ich setze mich mit dem Werk der Autoren und Autorinnen auseinander, viele davon habe ich auch rezensiert, im Vorfeld oder im Anschluss daran. Manche Autoren und Autorinnen begleite ich bereits Jahre lesend und zuhörend. Aus dieser Situation heraus ist es durchaus möglich, dass ich auch ganz spontan Einladungen ausspreche. Ich bin eigenverantwortlich für die Reihe. Julietta Fix hat mir von Anfang an das größte Vertrauen entgegen gebracht und ich bin völlig frei, wen ich einlade. Anders ginge das auch gar nicht.

 

MW: Würde ein Selbstinterview auch funktionieren, wenn du dich spontan mit einer Künstlerin / einem Künstler treffen würdest, die oder den du gar nicht kennst, eventuell sogar aus einer Kunstbranche, in der du dich nicht auskennst?

 

AN: Ja. Einige kannte ich vorher noch nicht persönlich, nur ihr Werk. Wie viel Vorlaufzeit es gibt hängt ganz von den Umständen ab und vor allem von den jeweiligen Künstlern und Künstlerinnen. Von den Umständen deswegen, weil mir kein Reisebudget zur Verfügung steht, das heißt, ich führe Selbstgespräche mit anderswo lebenden Künstlern und Künstlerinnen dann, wenn sie beispielsweise eine Lesung in Wien haben, oder wenn ich zufällig auf der Durchreise vorbei komme oder wenn wir uns anderswo begegnen, beispielsweise auf einer Buchmesse. Das Selbstgespräch von und mit Clemens J. Setz haben wir in einem Bahnhofscafé geführt, als ich am Bahnhof in Graz umsteigen musste und ein wenig Zeit war.

 

Wie viel Vorbereitungszeit die Künstler und Künstlerinnen brauchen ist unterschiedlich. Auf manche Selbstgespräche warte ich Jahre. Es gibt aber auch Selbstgespräche darunter, die ganz spontan geführt wurden, wenn es sich einfach aus einer Situation oder einer Begegnung heraus ergeben hat.

 

Die Kunstbranche spielt keine Rolle. Es ist ja ganz offen, worüber gesprochen wird, das heißt, es kann über egal was gesprochen werden, es muss überhaupt nichts mit der Arbeit oder dem Werk des Künstlers, oder der Künstlerin zu tun haben. Und es kann auch ohne weiteres über etwas gesprochen werden, womit ich mich kaum auskenne, oder was mich wenig interessiert. Fußball zum Beispiel hatten wir noch nicht, aber es wäre denkbar.

 

Es muss allerdings in einer Sprache geführt werden, die ich verstehe. Es würde nämlich schon einen Unterschied machen, wenn ich kein einziges Wort verstehen würde und nur so tun müsste, als würde ich aufmerksam zuhören. Und ich transkribiere dann ja auch alles selbst, das geht nur bei Sprachen, die ich verstehe. Beispielsweise ist die Muttersprache von Sarita Jenamani Odia und die von Aftab Husain ist Urdu. Beide haben ihre Selbstgespräche auf Englisch geführt und wir haben sie dann sowohl auf Englisch als auch in deutscher Übersetzung von mir veröffentlicht.

 

MW: Das Erstaunliche an deinen Selbstgesprächen ist, dass sie oft ganz ausgezeichnet funktionieren. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Personen, mit denen du dich zusammensetzt und denen du einfach zuhörst, sehr schnell zum Wesentlichen kommen, zum Kern ihrer Arbeit, ihres Denkens. Und oft habe ich den Eindruck, dass mit der gleichen Person ein sehr gut vorbereitetes konventionelles Frage-Antwort-Interview nicht zu dieser gedanklichen Tiefe kommen würde. Wie erklärst du dir das?

 

AN: Es gehört viel Mut dazu, sich einem Selbstgespräch zu stellen und ganz ohne Fragen drauflos zu sprechen. Fragen können ein Geländer sein, auf das man sich stützen kann. Zugleich können Fragen mitunter aber schon auch sehr ablenkend sein. Ich biete mit meiner Reihe eine Möglichkeit an, sagen zu können, was man immer schon gefragt werden hätte wollen, was einem ein großes Anliegen ist. Ein gutes Interview zu führen ist eine Kunst für sich, davor habe ich größten Respekt. Es bedarf einer sehr tiefgreifenden Recherchearbeit im Vorfeld und eines guten Einfühlungsvermögens, um die richtigen Fragen zu stellen. Ich möchte meine Reihe nicht als Kritik an der herkömmlichen Form des Interviews verstanden wissen, sondern als eine eigene Form, die auch ganz eigene Möglichkeiten eröffnet.

 

MW: Die Idee eines Selbstinterviews fand ich zufällig (man kann es auch als Zeichen der Synchronizität sehen) neulich in dem in Hongkong angesiedelten Film „Chinese Box“ aus dem Jahr 1997 (Regie: Wayne Wang). Ein britischer Journalist will eine ihm interessant erscheinende Frau darüber, wie sie die Zeit kurz vor der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China erlebt und welche Lebensgeschichte sie hat, interviewen und dabei filmen. In Minute 42 gibt es folgenden Dialog:

 
 

Frau: Da wäre noch eins, ich beantworte nicht gerne Fragen.

Journalist: Das ist ein echtes Problem. Ein Interview besteht nun einmal daraus, dass ich Fragen stelle und Sie Fragen beantworten. Das ist das Wesen des Interviews.

Frau: Nicht unbedingt. Die Story wird besser, wenn Sie mir die Kamera geben und ich alles aufnehme. Die ganze Geschichte.

 
 

AN: Die Idee ist eine ähnliche und doch grundverschieden. Der Impuls ist nämlich ein anderer. Würde man das Beispiel aus dem Film auf meine Selbstgesprächs-Situation umlegen, würde das so aussehen: Ich habe mir Fragen vorbereitet, treffe einen mir interessant erscheinenden Künstler oder eine Künstlerin, beginne damit ihm / ihr meine Fragen zu stellen und halte ihm / ihr mein Aufnahmegerät hin, das mir der oder diejenige aber aus der Hand nimmt und sagt: „Die Story wird besser, wenn Sie mir das Aufnahmegerät geben und ich die Fragen stelle. Die ganze Geschichte.“ Worauf ich damit hinaus will: Der Impuls zum Selbstgespräch geht nicht von den Sprechenden aus, sondern von mir. Ich ermuntere mein Gegenüber dazu, frei zu Sprechen und das Ruder selbst in die Hand zu nehmen.

 

MW: Wolf Schneider und Paul-Josef Raue schreiben in ihrem Handbuch des Journalismus, in ihrem Kapitel zum Interview: „Zunächst bedeutet das französische entrevue und das englische interview (davon abgeleitet) nur, daß zwei Personen sich sehen, wahrscheinlich auch miteinander reden wollen. Sprachlich kurios sind demnach das Telefon-Interview (…), und das Interview mit schriftlich gestellten Fragen und geschriebenen Antworten, wie Diktatoren es bevorzugen, weil sie Angst vor peinlichen Fragen oder spontanen Reaktionen haben.“ Schneider und Raue weisen außerdem darauf hin, dass ein gedrucktes Interview immer ein Kunstprodukt ist, das mindestens 30 Prozent von Notizen oder Tonbandaufzeichnungen abweicht. Ich beziehe mich hier auf die Auflage aus dem Jahr 1998. Seit dieser Zeit hat sich die Interviewkultur durch die Möglichkeiten des Internets insbesondere im Literaturbereich insofern sehr verändert, als das schriftlich geführte Interview sehr akzeptiert und geradezu üblich geworden ist. Insofern ist deine Art des literarischen Selbstgespräches eine Technik, die sich zurück bewegt zu den Wurzeln eines Interviews, dem Sich-Sehen.

 

AN: Die tatsächliche Begegnung, das sich Zeit-nehmen und Zuhören sind der Kern der literarischen Selbstgespräche. Das größte Geschenk, das man einem Menschen machen kann, ist, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören.

 

Es stimmt, dass heute die meisten Interviews schriftlich geführt werden und diese Praktik so selbstverständlich geworden ist für uns, dass sie gar nicht mehr hinterfragt wird. Ein schriftliches Interview hat seine Vorteile, nicht nur für Diktatoren, es geht dabei aber auch sehr viel verloren, gerade auch an Individualität. Es geht ja nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch darum, wie gesprochen wird. Mündlichkeit ist etwas ungemein Faszinierendes.

 

MW: Es gibt auch Personen, mit denen ein Selbstinterview nicht funktioniert. Die Äußerungen von Peter Waterhouse bei eurem Treffen bestanden aus einigen „mmmh“s, Fragezeichen, Querstrichen, Klammern, aus einigen zusammenhangslosen Wörtern und einem vorbeifahrenden Auto. Barbara Köhler hat einen kleinen Essay zur Reflexion der Methode eines literarischen Selbstgesprächs und dessen Schwierigkeiten und Grenzen geliefert. Welche Voraussetzungen muss eine Künstlerin / ein Künstler für ein literarisches Selbstgespräch mit dir mitbringen?

 

AN: Wenn man Regeln aufstellt – auch wenn es noch so minimale Regeln wie bei mir sind, die nur einige formale Rahmenbedingungen betreffen, wie dass es in mündlicher Form geführt werden muss – so laden diese Regeln immer dazu ein, unterlaufen zu werden. Ich denke, Peter Waterhouse und Barbara Köhler hatten wohl beide Vorbehalte gegenüber der radikalen Mündlichkeit der Selbstgespräche. Ich transkribiere ja alles ohne es zu glätten.

 

Bisher habe ich drei Selbstgespräche aufgenommen und transkribiert, welche die Autoren dann schlussendlich doch nicht veröffentlichen wollten. Das ist immer eine Option, die Autoren und Autorinnen dürfen auch ganz am Schluss noch sagen, dass sie es lieber doch nicht veröffentlichen wollen. Das Risiko trage ich allein.

 

Und es gibt eine Voraussetzung, ohne die es gar nicht geht: Vertrauen. Viele reagieren zögerlich und ausweichend auf meine Einladung, bekunden prinzipiell Interesse, weswegen ich sie dann fix einplane, und erst nach sehr langer Zeit geben sie zu, dass sie sich doch nicht trauen und lieber keines machen möchten. Das macht die Planung zusätzlich schwierig.

 

MW: Für die Heftpräsentation der Wiener Zeitschrift Triëdere #13 (2/2015) mit dem Schwerpunktthema (Auto)Poetologien hast du eine Collage aus deinen Interviewtexten zusammengestellt. Hier findet sich der Satz „Also auch der Zuhörer beeinflusst ja eigentlich das, was ich spreche.“ Das bedeutet, dass die bei einem Selbstinterview anwesende Person einen enormen Einfluss auf das Gesagte hat.

 

AN: Der Satz stammt aus dem Selbstgespräch von und mit Wanda Koller, einer jungen Künstlerin, die ich auf der Raketenstation Hombroich kennen lernen durfte. Sie hat das sehr richtig erkannt. Ich sage nichts, aber meine Anwesenheit, mein Zuhören, hat sehr wohl einen großen Einfluss auf das Gesagte. Es kommt da ganz viel hinzu, Alter und Geschlecht spielen eine Rolle, aber auch, wie gut mich mein Gegenüber kennt. Autoren und Autorinnen, die ich im Vorfeld bereits rezensiert hatte, wie Marcel Beyer oder Ilma Rakusa, brachten mir dann beim Selbstgespräch ein sehr großes Vertrauen entgegen, auch wenn wir uns davor persönlich noch nicht gekannt hatten.

 

MW: Es bedeutet auch, dass jemand in einem Selbstinterview in Anwesenheit einer völlig anderen Persönlichkeit als dir höchstwahrscheinlich über etwas völlig anderes sprechen würde.

 

AN: Ja. Ort und Zeit spielen auch eine große Rolle. Und selbst wenn ich mit ein und derselben Person ein weiteres, zweites Selbstgespräch aufnehmen würde, wäre es komplett anders. Die Selbstgespräche sind immer auch eine Momentaufnahme und dadurch nicht wiederholbar sondern immer neu.

 

MW: Die Selbstinterviews sind mit einer Menge Arbeit verbunden. Du tippst die Gespräche, die keine zeitliche Grenze haben und teilweise ziemlich lang sind, ab, du lässt sie vom Sprechenden Korrektur lesen, arbeitest Änderungswünsche ein. Was reizt dich daran? Was für eine Motivation, welches Erkenntnisinteresse steckt dahinter?

 

AN: Ja, es steckt ein ungeheurer Aufwand dahinter. Vorbereitung und Nachbereitung sind sehr zeitaufwändig. Manchmal kommt auch noch zusätzlich hinzu, dass das Selbstgespräch auf Englisch oder Französisch geführt wird und ich es dann auch noch übersetze. Und das Transkribieren ist ein Knochenjob, vor allem, wenn man das Selbstgespräch irgendwo unterwegs aufnimmt, in einem Café zum Beispiel und die Hintergrundgeräusche zu laut werden, weil sich dann währenddessen jemand an den Nebentisch setzt und ein lautes Gespräch führt, oder wenn auf der Straße plötzlich die Kirchenglocken zu läuten beginnen und nicht mehr aufhören. Und man glaubt es nicht, aber aufmerksames Zuhören ohne etwas sagen zu dürfen ist auch sehr anstrengend. Die längsten Selbstgespräche dauerten rund eine Stunde am Stück, das ist nicht ohne. Ein normales Gespräch ist so aufgebaut, dass sich Sprechen und Zuhören im besten Fall abwechseln, man kann unterbrechen, widersprechen, nachfragen, selbst etwas sagen, oder sprechend Nachdenkpausen einlegen. Aber sobald das Aufnahmegerät läuft, habe ich die Zügel ganz aus der Hand gegeben und bin damit auch bis zu einem gewissen Grad selbst ausgeliefert, weil ich eben nichts mehr sagen darf.

 

Mich fasziniert an den Selbstgesprächen, dass es jedes Mal aufs Neue ein Experiment mit offenem Ausgang ist. Jeder und jede reagiert anders auf die Situation und die Nicht-Fragestellung. Ich sehe die Reihe als einen Freiraum, den ich geschaffen habe und mit dem jeder und jede umgehen kann, wie sie möchten. Der Motor hinter allem ist meine Neugier, mein Interesse und die große Wertschätzung, die ich meinen Künstlerkollegen und –kolleginnen entgegen bringe. Wie ich Julietta Fix schrieb, als auch der letzte Förderantrag für fixpoetry.com im Jahr 2018 ohne nähere Angabe von Gründen abgeschmettert wurde und sie sehr verzweifelt war: „Wir haben nichts, aber wir können trotzdem etwas geben. Sehr viel sogar.“

 
 

Über diesen Link finden sich alle literarischen Selbstgespräche auf Fixpoetry.com, bei denen Astrid Nischkauer keine Fragen stellte.

Die literarischen Selbstgespräche finden sich auch auf der Homepage von Astrid Nischkauer.

 
 
 

 

Oben rechts steht es: wer sich auf diese Seiten einlässt, findet sich beyond mainstream wieder. Wer aber glaubt, bei den Manafonistas endlich einem mainstream entronnen zu sein, irrt vielleicht.

 


 
 
 

Ein snowflake – passend zum Vorweihnachtsabend. Es zeigt, wie es sich mit Mainstreams verhalten kann. Die Struktur des Großen kommt im Kleinen erneut zum Vorschein. Nach meiner Wahrnehmung hat ECM einen gehörigen Anteil am musical mainstream des manafonistischen Blogs. Die abgebildete Schneeflocke ist ein sog. Koch Snowflake. Es ist also an der Zeit, in Richtung Uli Kochs Beitrag abzubiegen.

Ich empfehle den Lesenden bei Ulis Beiträgen die Augen zu spitzen, denn nicht selten führen sie in Gefilde beyond the manafonistic mainstream, derart, dass ein Leser einst die Frage stellte „lieber Uli, wie kommst du nur zu solchen Platten?“ Ohne Ulis Seitenblicke hätte ich folgende Perlen – um nur einige zu nennen – nicht wahrgenommen:

 

Salyu

Midori Takada

Japanese Jewels

Erik Truffaz

 

Jetzt darf ich Sven Kacirek und Olith Ratego hinzufügen, zwei Namen, die mir erst am 20. Dezember bekannt geworden sind. Zum Album ODD OKODDO hat Uli das Wesentliche gesagt. Kacireks Anteil an diesem Album ist bemerkenswert. Die Sounds sind nicht elektronisch generiert. Es handelt sich um Samples, die oft zu Loops werden. Die rhythmischen Patterns sind von elegant groovender Leichtigkeit, nichts Maschinenhaftes merkt man ihnen an – erstaunlich. Dass Sven Kacirek der Musik Olith Rategos mit hohem Respekt begegnet, spürt man bei jedem Stück des Albums. Die Klanggewänder, die er um die Gesänge Oliths webt, sind voller afrikanischer Muster.

 

Sven Kacirek entwickelt seine Musik immer mit den Trommelstöcken in der Hand. In Kacireks Stücken hören wir jedoch kaum noch das klassische Drumset, stattdessen trommelt, schlägt und reibt er auf kleinen, leisen Dingen wie Papier, Holz und Glas. Sein Sound besteht dabei aus mehr als nur präsenten Beats: Sämtliche Elemente eines Stücks bis hin zur Melodie sind aus kleinen perkussiven Mustern zusammengesetzt, die lässig geschichtet werden. Obwohl er dabei keinerlei Synthesizer verwendet, klingt das bisweilen so elektronisch, dass man für Sven Kacirek den eigentlich widersinnigen Stilbegriff Akustische Elektronika erfinden könnte. Viele seiner Ideen entstehen aus Live Konzerten, in denen er sich selbst mit Samplern multipliziert, voller Ruhe improvisiert und sehr elaborierte Patterns generiert. Bei solch einer Liebe zur Perkussion ist es nur nachvollziehbar, dass er mehrfach nach Kenia reist, um dort mit lokalen Musikern und deren Instrumenten zusammen zu arbeiten.

Quelle: www.pingipung.de

 

Dieses Jahr hatte ich zwei weitere beeindruckende Begegnungen mit Musik aus Afrika. Am 23. Oktober hörte ich Habib Koité live bei den Kulturwelten. Die Besetzung: Gesang, Banjo, Gitarre, African Percussion, Keyboard (vorzugsweise als Balafon-Ersatz). Koité spielte Musik, die sich Einflüssen westlicher Popmusik weitgehend verweigerte.

Just am 19. Dezember, einen Tag bevor Ulis Beitrag erschienen ist, lernte ich den Banjo-Spieler Béla Fleck kennen. Nein, nicht persönlich, sondern auf Grund einer mir zufällig über den Weg laufenden Rezension. Dem Banjo, besser gesagt der Musik, die sein bevorzugter Lebensraum ist, konnte ich nie viel abgewinnen. Vielleicht kann Lajla etwas beitragen, vielleicht ist ihr Béla Fleck kein Unbekannter.

 
 


 

 

I like Bela Fleck’s music, originality and eclecticism very much, but this one stretched me just too far. Whilst I don’t doubt the authenticity of the pieces on this CD, they clash too much with my west European ears.

Quelle: Kundenrezension Amazon

 

So ergeht es sog. Weltmusik, wenn sie sich nicht dem westlichen Geschmack unterwirft. Was diesen einen Hörer abschreckt, zieht mich magisch an. Nach kurzem Anhören bei Spotify habe ich das CD-Album bestellt und einen Tag später bereits erhalten. Obwohl es schon im Jahr 2009 veröffentlicht wurde, ist es mein Album des Jahres 2019. Aber seit Astrid Nischkauers Rehabiltitierung des „Rückblicks“ habe ich meine spärlichen Bedenken vollends abgelegt. Mit der CD – nicht über Streaming Dienste! – erhält man ein umfangreiches Booklet, welches den Wert der Edition erheblich steigert.

 

First, I’d like to welcome you all to this, the most ambitiuos and complex project I have attempted to date.

The idea has been residing in my subconscious for so long. I don’t even know exactly when it started. Perhaps it was when I discovered where the banjo originally came from, and from hearing field recordings throughout the years – of tantalizingly beautiful music from Africa.

I developed the suspicion that some of the greatest acoustic music on earth is hidden in the small villages in Africa. Somehow it didn’t seem to be making it out into my world, and even when amazing field recordings were made, how could I find out about them?

Quelle: Béla Fleck, aus Booklet Album Throw Down Your Heart

 

Man hat inzwischen sicherlich erkannt, was Sven Kacirek und Béla Fleck verbindet. Beide bereisten Afrika, beide zollen der Musik, die sie dort kennenlernten höchste Bewunderung, beiden gelingt es, nicht wenig von der Seele und den Strukturen dieser Musiken zu begreifen. Béla Flecks Banjo klingt, als hätte er nie etwas anderes als afrikanische Musik gemacht.

Flecks Reise nach Ost- und Westafrika ist dokumentiert in einem auf DVD erschienenen Film. Die DVD ist vergriffen und nur noch sündhaft teuer erhältlich. Mag sein, dass die Tonqualität der CD eine bessere ist. Ein besonderes Erlebnis ist es jedoch, den Musikern bei ihrer Arbeit zuzusehen.

„Abbey Road“ wird dieses Jahr bestimmt nicht das letzte Mal in einer „Neuausgabe“ erschienen sein. In 50 Jahren legt uns die Musikindustrie vermutlich eine weitere Jubiläums-Ausgabe auf den Ladentisch. Ob da noch jemand „Throw Down Your Heart“ gedenkt?

 

BEYOND beyond mainstream MAINSTREAM

 
Addenda in comment#1

2019 8 Apr.

Einladung für zwei Nächte

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Am 20. April ist es wieder soweit, über alle Horizonte hinweg, eine Nacht im Radio, live. Es wird unerhörte Töne geben, von jungen Jazzwilden aus England, Stephan Micus erforscht Duduk und Kalimba, Areni Agbabian wird für manchen eine Entdeckung sein. Auf diversen Zeitreisen geht es mit Chick Corea durch die frühen Siebziger, und, u.a. mit „Music for Nine Postcards“, durch seltsame japanische Lebenswelten der Achtziger Jahre. Ich erinnere an Scott Walker und Mark Hollis, und wenn unerwartet ein Klavierstück von Franz Schubert erklingt (auf einem uralten Wiener Konzertflügel aufgenommen), dann wird das so einleuchtend sein wie „In A Sentimental Mood“ von Duke Ellington. Gedichte von Will Burns erhalten feinsinnige Übersetzungen von Martina Weber und Astrid Nischkauer.

 

 

 

 

Und gleich noch eine Einladung hinterher, zu den „Klanghorizonten“ am 15. Juni. Hier, in aller Kürze, ein paar Namen zu jener Sommernacht – es wird eine Trioaufnahme zu hören sein von Michele Rabbia, Gianluca Petrella und Eivind Aarset, in der Nahaufnahme geht es um „ECM und die Stunde der Bassisten (1969 – 2019)“ – Solowerke von Barre Phillips, Dave Holland, Gary Peacock, Larry Grenadier, Eberhard Weber und Björn Meyer. Steve Swallow aber auch, in einem Duo mit Gary Burton. Später dann, aus der Zeit, als Reisen noch wilde Abenteuer waren, Musik von der Third Ear Band, Bernie Worrell („one track establishes the mode beautifully from jump, a regal formament of classical and jazz held aloft by XFiles synths and funk brass. It could be the perfect soundtrack to a surreal, funky afterlife“) – und Weltenbummler David Attenborough („While I was theoretically looking for pythons, in the evenings I would record different types of music“). Fred Möpert, my old friend, you should drive the streets of Berlin after midnight then, and look for the moon in June!

Music set to poems, and vice versa, that‘s the program of Chalk Hill Blue. The album is a collaboration of Will Burns, Hannah Peel, and Erland Cooper. When I sent my questions to Will, I hadn’t heard a single note of the music, his poems were my starting point, and a fascinating one. I  let the  lines work on my mind, my unconscious, strolling, roaming, meandering, and  kept asking  myself how they all would sound when surrounded by music. Knowing Hannah Peel for some of her sensitive arrangements of other people’s music, and from her own solo work, especially the fantastic Mary Casio – Journey to Cassiopeia, my fantasies grew wild,  besides I was looking for some pictures of Will‘s surroundings in Derbyshire. Now that I got his answers (and one from Hannah), I‘m even more grateful for some translations of the poems by German and Austrian poets Martina Weber („February“) and Astrid Nischkauer (the other ones). Four poems will be part of my next radio night at the Deutschlandfunk on April 20. Meanwhile the music had arrived. In the evening I turned the lights down low, a glass of red wine, and then, some deep listening. What an aural delight, even in its darker moments – the whole thing a consciousness-jolting affair! This album, earthbound and elevating, will find its place on my shelf in the good neighbourhood of Darren Hayman‘s immersive hinterland journeys of „Thankful Villages“. Chalk Hill Blue will be released on Friday. 

 
 
 

 
 
 
 

Frühlingserwachen auf der meschuggenen Meile

 

Noch lässt sich der Tag nicht

nach dem Wetter bestimmen.

Keine Helligkeit oder kein struktureller

Schatten verrät

den Umriss oder Körper von etwas–

vom Wald, dem Fluss, dem Gästehaus.

Man könnte vom Vorhang

und dem Luftzug über den Rücken träumen,

vom Freien, der Hitze.

Oder vom Vogelgesang, der scheinbar

überall ist, und von einem Gefühl

des Unbekannten erzählt, mit welchem

diese Stunde allein beladen ist. Es breitet sich aus

wie ein Ausfließen, das zu einem Dröhnen wird.

 
 
 

Michael Engelbrecht: The modus operandi seems to be that Hannah Peel used your poems as inspiration for the music. But at the very beginning Hannah had some music that suggested a poem to you. Is „Spring Dawn on Mad Mile“ such a piece – some motives from the „aural field“ at least suggest that. Whatever, can you tell something about the relation of sounds and words here?

 

Will Burns: Well I think with that piece, Hannah and Erland had started to create some sounds, I think they had a synthesiser going, and there was just something about the mood that suggested that poem to me – an oppressive quality, maybe. That was how we started with a few of the recordings. But after that, we would try reading the poem over the top of the synth or drum machine or whatever it was, and figure out how the music of the poem itself could work with or against the compositions that Hannah was creating. Were there moments of harmony? Moments of tension? Did they make sense? That was the process really – and also how the words and music established a relationship.

 

Is the cover of the album a kind of „signifier“ for the landscapes that inspired the album, and can you describe your personal relationship to that special landscape – I don‘t know if England‘s famous literary wanderer, Robert MacFarlane, ever crossed this area?

 

Yes the cover is very much a representation of that place, but also of the slightly blurred or murky quality the place has. It’s not a wild place, it’s not urban, it’s not really suburban either. There are aspects of the place that feel very rural – the farming, the forestry, but you can feel the commuter-ness of it all as well. There are people around my village with proper old Bucks accents (like my Grandad), but also lots of London overspill and that kind of placeless Southern Englandness to it as well. That’s the tension that keeps pulling me into the place, I suppose, in the work. I think Robert walked the Ridgeway a couple of years ago and was in the area. I’d be surprised if he hadn’t been there a number of times.

 
 
 

 
 
 

How did Hannah Peel approach the landscape, primarily through your poems – or did you two take some free time for wandering around. You might have memories about common walks, the exchange of stories, the sharing of silence …

 

Hannah and Erland both came out to visit, along with Chris Turner, who shot the artwork imagery, and we walked a section of the Ridgeway. It was the start of that hot summer last year, and we’d recorded some stuff already but I think having all three of us in the landscape focused what we were doing somewhat. I think Hannah saw the hills, the pub, the woods and maybe it gave the stories and poems some extra colour somehow. A good walk is never a bad thing, I don’t think.

 

You mention some „echo spaces“ of the music, sort of distant cousins, for example Roedelius „kosmische reverie“. Do you have favourite albums by Roedelius or Cluster who indeed, were good examples for going back to nature in the mid-70‘s celebrating a more meditative lifestyle …

 

Well I think Hannah might be best placed to talk about that. For me, I’ve liked lots of electronic music and certainly Neu! and Kraftwerk and bits of Can, but I think I was most excited about the Daphne Oram and Delia Derbyshire references really. And when Hannah first sent me the mixes they’d done with the bits of woodwind on, that took me back to listening to Peter and the Wolf as a child. My Dad played the David Bowie version a lot and the flutes sort of stuck with me.

 
 
 

Februar

 

An Abenden wie diesem könnte ich alles vergessen –

Namen, Adressen, sogar die Art, wie wir zueinander standen.

All das könnte aufgenommen werden

von den Lichtern der Stadt bei diesem Wetter.

Der Vorgang hat etwas mit den Gebäuden zu tun,

ihrer Bauweise aus Quarz und Ziegelgestein,

aber es geht auch um die Belange der Menschen.

Wie viele es sind … können wir´s wissen? Den Daten trauen?

Die Grenzhunde, die es auflecken,

sie werden ihre Gründe haben.

Und es gibt überall Hunde, wo eine Linie gezogen wird.

Die Anzeige auf meinem Smartphone sagt mir  (nicht nur, wo ich bin,)

sondern dass ich in 15 Minuten anfangen kann mit meinem ersten Drink.

Und das sind alle Neuigkeiten, mit denen ich umgehen kann.

 
 
 

„February“ catches up a special evening atmosphere. On the one hand reflecting borders, on the other a more immersive experience with that funny line about the drink at the end. Was there a special inspiration for the poem, or is it more a condensation of a certain mood?

 

One of those rare things that comes to you out of nowhere, almost in one go… I was walking through London at the time in fact, and almost certainly felt a mood descend that seemed to want to be dealt with, however one attempts to try and deal with that sort of thing. Sometimes it’s by writing. I suppose I’d been thinking a lot about borders – who hasn’t the last few years? – and what they mean, how they work imaginatively, on maps or in our psyche. The phone, the map itself is a kind of border too I suppose. They both mediate our experience of place.

 

What was the special role and contribution of musician and producer Erland Cooper for the album? Was he suggesting a certain sound, did he add musical colours, ideas, or was his role like more defined by shaping the tracks into a coherent whole?

 

I think Erland added a real urgency to the pace of the work, he got things recorded quickly, didn’t allow us to worry unduly about things until we needed to, so that the project evolved rather than being set out in too prescriptive a way at the outset. He had musical ideas, definitely … he and Hannah would be in dialogue about the sounds and layers. And then he’d agree about a poem if I thought one might work, or the opposite of course. And then sequencing, mixing, mastering. He was a vital part of the process.

 

„The Night Life“ sounds quite surreal, one of the poems here I think have to use a dictionary to get closer to the gist. Can you shed some light on this one?

 

That’s definitely one where Hannah made some music first, which we sort of worked out of. I think it’s a drum machine she used to create that unrelenting, slightly frightening rhythm. It just sounded instantly to me like the poem I had tried to write. It’s about that sense you have at certain times in your life that things are getting out of hand. And most of the time when you look at what’s going on in those periods, perhaps try and analyse what’s happening a bit, you see that things had got out of hand a while ago in fact but you somehow missed the signs.

 
 


 
 

Looking back on the album, what can you say about Hannah Peel‘s contribution: did she offer new insights from a reader‘s / musician‘s perspective, did she enhance certain moods? From my point of view, as someone who has been reading the lyrics, but not heard any of the tracks, I imagine she has worked in a more ambient mood, with a very ascetic use of rhythm or groove.

 

That’s spot on, rhythm is quite a difficult aspect of the music in this kind of project because language has such a strong rhythm of its own when being spoken rather than sung. So the music had to sit alongside the syllabic rhythm of the poems, which I think pushes it towards the ambient, or the textural. Hannah would have the language to talk about it more accurately I’m sure, but for my part, I felt that she just had a very astute understanding of the poems on a musical level, she almost worked with them as if they were an instrument, which of course is one way that poems do their work. And yet she’s also got a very keen ear for poetry conceptually as well, she might only have said a few words about it after hearing a poem for the first time, but those words always suggested to me that she’d read the poem in interesting ways.

 

„A Summer Blues“ is one that appeals to me on first sight. It‘s a bit like a short story disguised as a poem. Such lines as „… and guitar strings that might rust to blue or ring forever …“ create a mood that is really a bit blues-like, but even in these night moods some magic seems to be hidden, in spite of „youtube clips“.

 

That’s very kind, thank you. I suppose it belongs in the same family as „The Night Life“ in some ways. An appraisal of where one is at a certain time. What kind of a mess one’s made of things …

 

Do you have favorite spoken word albums that may once upon a time had, or still have, a deep impact on you? The Books, Brian Eno, Laurie Anderson, Jan Bang and Erik Honoré, quite some artists have worked in this area in recent years …

 

Well I’ve mentioned Peter and the Wolf. I suppose I should also say that I grew up listening to lots of what are now called audio books. At the time they were just tapes that I loved as much as music. BBC radio adaptions – obviously the Hitchhikers Guide to the Galaxy, but also PG Wodehouse and Tolkien – loads of other stuff. I think that’s meant I’ve always carried the idea that literature is something that lives on the breath as well as the page. I have a huge admiration for Alice Oswald, whose work in some ways seems to refute the tyranny of print – posits the idea of the poem as something spoken and heard at least as much as something read on paper. She’s a fantastic poet. But in terms of recordings, I’m not sure I’ve got any favourite records that are similar really, which is one of the reasons I was so excited to make the recordings with Hannah and Erland. It felt as if I was living on my nerves creatively and completely free from what can sometimes become comfortable reference points.

 
 
 

Im Freien

 

Wir kannten den Sonnenaufgang als Gelsenzeit,

die sich selbst erschöpft

im dampfigen Wald,

und den tatsächlichen Wahnsinn

eines aufgenommenen Morgenchors.

Wir machten unsere Feldaufnahmen

um nichts davon zu verlieren.

Später, als ich sein Haus ausräumte,

fand ich das Aufnahmegerät.

Ich drückte auf den Startknopf und sah zu,

wie sich das Magnetband durch die Rollen spulte,

das Band straff am Tonkopf,

der Bandantrieb funktionierte immer noch,

war perfekt im Takt.

Wöchentlich eine Stunde verbringe ich

nun damit, die sich verändernden Grüntöne

im Garten seines Pflegeheimes zu beobachten.

Er versteht nicht mehr, was es ist,

das ich ihm da vorspiele,

wie die Aufnahme des Vogelgesangs

sich in den Räumen ausbreitet,

die sich zwischen uns auftun, während wir

dasitzen in diesem, seinem letzten erleuchteten Raum.

 
 
 

 
 
 

Looking back at the project, Hannah Peel wrote these lines: „A thrill from coming to make art together with no preconceptions, just a pure admiration for another artist‘s work and sensing a deep urge to create something to compliment that. There wasn’t many challenges when making the album, under the watchful hands and ears of producer Erland Cooper he was able to capture exactly the mood of the room, the poetry, the synths, drum machines and atmospheres I was turning to instinctively and embellished them with added tape loops, delays and his own processes. As the album was made so reactively towards each other in the room, the biggest challenge has been to take that live on stage and how to re-create that magic, impulses and connection so an audience can feel like they are in the room with us observing the process!“

 

 

Will and Hannah will be performing „Chalk Hill Blue“ live:

 

30.03.19 – Caught By The River Calder at The Trades Club – HEBDEN BRIDGE

04.04.19 – Cecil Sharp House – LONDON

05.05.19 – Cathedral Quarter Arts Festival – BELFAST

11.05.19 – Queens Hall – EDINBURGH

24.05.19 – Sea Change Festival – TOTNES

28.07.19 – Port Eliot Festival – ST GERMANS

01.11.19 – The Civic, Assembly Room – BARNSLEY

 

 

 

 

 

Ridgeway 

 

It could be the dogs announce

       your visit. It could be her birds.

       However it happens, she knows—

       understanding that has come unmoored.

       She opens red wine, puts out a bowl.

       Outside in the fields the second 

       hay crop is cut and turned again, 

       a faded day, dirt that might have been

       yours to own. An inheritance, like so much

       taken on faith, held in seed.

 

2012 30 Dez.

„The Ship“ – eine Besprechung und eine Story

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PROLOG
Eine Spätsommernacht in der fernen Zukunft. Wenn es noch Leben gibt, wird es auch Radiostationen geben! In diesem Fall ein wiederaufgebauter Leuchtturm auf der einsamen überlaufenen amerikanischen Westküste, unweit von San Diego. In ihrer beliebten Sendung „Abseitige Klang-Abenteuer“ nimmt DJ Mireia Mehroderweniger – klug im Ausdruck, hoch im Stöckeln, berauschend lässig in ihrer Überlegenheit – die Zuhörer mit auf einen Spaziergang durch die britische Musikgeschichte zwischen 1975 und 2020.
Innerhalb von fünf Stunden spielt sie viele Klassiker. Ein kurzer Blick auf ihre Playlist enthüllt, neben anderen Edelsteinen:
Talk Talks „Laughing Stock“
Scott Walkers „Bish Bosch“
John Cales „Music For A New Society“
PJ Harveys „Let England Shake“
Robert Wyatts „Cuckooland“
Gavin Bryars „The Sinking of the Titanic“
Portisheads „Third“
Brian Enos „The Ship“
National Jazz Trio of Scotland: Standards, Vol. IV
The Ship wird in der Mitte der Nacht ausgestrahlt, noch in 2135 bezeichneten die Leute diese Aufnahme als „unheimlich“, insbesondere „Fickle Sun (i)“. Es war die erste Aufnahme gewesen, die sie je von Brian Eno gehört hatte, ihr Großvater spielte sie eines Nachts, sie war auf einem Soundfile mit Gustav Mahler drauf. Gemeinsam mit The Dead Kennedys, Squarepusher, Nick Drake, John Lennon, Hamish Imlach, Ivor Cutler, Fugazi, Arvo Pärt, und einigen ostindischen Jugendaufnahmen seines Mojo „Album des Jahres 2020“.
BÜHNENSETTING
Ah…ja – die Eröffnungsszene von „The Ship“. Gelinde genügt. Es passiert nicht viel, Blick aufs Meer, „Musik für tote Häfen“, keine Menschen sind involviert, keine Figuren in der Landschaft. Noch nicht. Nach Minuten entfalten sich die Dinge langsam – das Hier und Jetzt wird die unausweichliche Qualität des lange, längst durch und durch Vergangenen erlangen.
Das Leben – was davon übrig ist – erwacht langsam. Das Schiff driftet weiter ab, mit Brian Enos tiefer Stimme, die das tiefe C trifft, und verkündet, was geschieht, wobei sie eine Sisyphus- / Lazarus-Arbeit ausführt und ihr Bestes gibt, dem Stoizismustest standzuhalten. Das ist der Aufstieg und der Fall und die Brandung und das Verklingen. Die Ebbe und die Flut. Früher oder später werden sich andere Stimmen in Hörweite versammeln – über den Äther, Megahertz-Radiotratsch: Geisterstimmen, entkörperte Intonationen, die sich selbst versichern, dass sie leben. Lebendig sind.
Jegliche Kontinuität zerbricht: eine postmoderne Parodie eines griechischen Chores. Ein Aufbrechen, ein Auseinanderfallen, herein kommt „Fickle Sun (i)“ eine weitere dämmrig düstere Welt…
„und damit ist die triste Arbeit getan
die leeren Augen, das Ende fingen an
keiner mehr bewegt die Ruder…
…verlassen fern von jedem Ufer.“
Schon im ersten Augenblick von „Fickle Sun (i)“ ändert sich der Tonfall. Eine Tour-de-Force ohne Vergleich in Enos Werken. Diese 17 Minuten sehen zu, wie alles zu Staub und Schutt wird. Wenn es kein unbewusstes Channeling ist, legt Enos schwergewichtiger Gesang während der Eröffnungspassage einiges an ernsthafter Quellenforschung von Matrosenliedern und maritimen Kneipengesang von Northumbrien bis hinunter nach Ostanglien nahe. Lieder aus vergleichbar verzweifelten, erdigeren Zeiten.
Enos Stimme mit all ihren Bearbeitungsweisen beschenkt uns. Hier haben die leidenschaftlich ausgeführten Linien ihre eigene Färbung und zurückhaltende Farben und Formen – an einer Stelle gleich entfernten Cousins von The Unthanks – Spezialisten bei zeitgenössischen Fassungen alter Volks- und Matrosenlieder, mit ihren immer währenden Zyklen von Liebe, Hass und Unglück.
Ahh, Lieder vom Meer.
– Schlimmere Dinge geschehen auf See, Vladimir.
– Das stimmt. Aber du weißt, wo wir sind, Estragon, nicht wahr? Ja?
– Nein, ich denke, also,…nicht wirklich. Wo sind wir?
– Auf dem Meer, Estragon. Wir treiben auf dem Meer. Hörst du die Wellen nicht lüstern schlagen? Oder den Schrei der Möwen – die ihr heftiges Bedauern herausschreien, dass keine Sardinen ins Meer geworfen werden sollen.
– Ja, Vladimir. Obwohl, ehrlich gesagt, nein. Ich dachte der Lärm wären nur Störenfriede! Aber der Boden rollt, und, naja, wir stehen auf etwas, das wie ein Vorderdeck aussieht.
– Richtig.
– Richtig…
– Erinnerst du dich an die Lieder?
– Ich erinnere mich an die Karten des Heiligen Landes.
EINE BREITWAND-LEERE
Das Meer ist ein wiederkehrendes Motiv im Werk Enos: voller Sehnsucht in „Julie and I“, humorvoll in „Backwater“, unermesslich und gewaltig in „Dunwich Beach, Autumn 1960“. Träge, mit leicht gebrochenem Herzen, grün und brillant in „Becalmed“. Das Element der Aufgabe war immer die gängige Bedrohung gewesen, aber bis jetzt war dieses Thema noch nicht mit solch einer Trostlosigkeit umgesetzt worden. Ein sternloses, bibelschwarzes Fries. Eine Breitwand-Leere.
Diese Arbeit vermittelt einem die alltägliche Dunkelheit von Kriegszeiten. Und dem Schwellenraum, in dem jeder letzte Atemzug ein weiter Sprung in Zeitlupe ist, auf dauerhafte Erlösung von Schmerz und Trauma zu. Und in diesem Schwellenraum ist die Tasse nicht zerbrochen, aber so knapp davor zerbrochen zu sein, dass weder „zerbrochen“ noch „unzerbrochen“ ganz stimmt. Eine Stelle, an der die Sprache, fürs erste, nicht mehr funktioniert, ihr semantischer Fluss unterbrochen.
Aus dem Nichts heraus, in diesem Album permanenter Verluste und unerwarteter Auftritte, heult plötzlich eine E-Gitarre schmerzerfüllt auf, bevor sie verschwindet, mit der Zeit, ins Vergessen. Dieses alte Instrument ist ein unerwarteter Gast an dieser Stelle (gerade mit seiner Geschichte und mit ihm verbundenen Assoziationen. Gänsehaut und Schockwirkung garantiert. Christian Fennesz hätte es an dieser Stelle nicht besser machen können. Edgard Varèse auch nicht).
Dann kommt in diesen überwältigenden symphonischen Mikrokosmos der Scott-Walker-Moment – fünfzig oder mehr mehr heiße Blechbläserschüsse, da, Daa, DAAA. Höchst effektvoll in ihrer augenscheinlichen Einfachheit. (und, ja, phonetische Annäherungen sind lächerlich, wenn du versuchst zu beschreiben, wie dir der Atem an dieser Stelle weg bleibt). Denk es dir als Anti-Kriegs-Gedicht von Ernst Jandl: ta Taaa TAAA.
Wieder&wieder&wieder&WIEDER. Crescendozeit. Schieß mich ans Ende der Nacht.
Danach (der Höhepunkt vom Track – tatsächlich der Höhepunkt des ganzen Albums) wird das Lied zu einer sehr einfühlsamen Studie des Verfalls, oder, genauer gesagt, zu einem Klagelied: „Alle Jungs fallen / fallen auf den Boden nieder“. Falls ein Lehrbuch je die Parallelen zwischen den Werken Gustav Mahlers und zeitgenössischer Musik zwischen 1970 und 2020 abdecken sollte, würde sich ein eigenes Kapitel darin mit „Fickle Sun (i)“ befassen.
DIE ILLUSION VON KONTROLLE
Nicht dass wir wüssten, dass Eno den österreichischen Komponisten verehrt hätte, aber der Punkt ist einfach – während die Anhänger Wagners gern Emotionalität und gespieltes Heldentum ausschütteten, lässt Mahler jeglichen Pathos versickern, die Eisberge großer musikalischer Gesten werden immer zusammengeschmolzen auf die Textur von Ödland – verloren gegangene Illusionen von Kontrolle.
Das macht Eno hier in den abschließenden Augenblicken. Einzelne Vokallinien verharren. Gemurmel der Sterbenden (,…als ich ein junger Soldat war…,). Aber niemand sieht ein Licht auf der anderen Seite, oder pulsierende Engel in den Ecken des Rahmens. Das Fehlen tanzender Photonen im peripheren Sehen hat schon etwas. Vielleicht ist es am besten, gar nicht im Detail zu beschreiben zu versuchen, was da im finalen Abschnitt vor sich geht, in dem der Echoraum der Stimmen übernimmt – weil es leicht nach einem lysergsäuregetränkten Moment aus einem Philip K. Dick Romanklingen könnte.
Überm Wasserfall. Das ist eine einfache Art, es auszudrücken.
GESTERN WAR DAS NETZ GESTORBEN
„Fickle Sun (ii)“ ist ein von einem Meer an Aufruhr, Unruhe, Entropie, seltsamer Schönheit und unerbittlichem Verlust umschlossenes stilles Plätzchen. Im Anschluss an zwei lange Kompositionen, die sich mit dem Preis der Hybris und der Einsamkeit des Sterbens befassen, ist das Auftauchen dieses Tracks wie ein Nachbeben. Alles ist still, aber die Erde bebt weiter und die zentralen Themen des Albums schnellen herum wie semantische UFOS im Gedankenhimmel: „Die Stunde ist schmal / Trafalgar Square ist ruhig / Vögel und kalt schwarz dunkel / Der unwiderrufliche Hunger einer sündhaften Sonne…
Gesprochen vom Schauspieler Peter Serafinowicz mit einer Stimme, die Drama und Distanz trotzt, und begleitet von einer delikaten, minimalistischen Pianofigur die weiß, an welchen Stellen der Atem anzuhalten ist, bringt das Stück die Gedanken der Zuhörer zum Herumwandern und sich Wundern – mit all seinen Versen, Zitaten und Zeilen, die zurückzuführen sind auf den „Markovschen Ketten-Generator“: „Und das Netz, das gestern starb / Ich war eine Hartkopiefassung / Ich richtete meine Augen direkt auf den Hass
Mit der Verwendung einer Mischung an computergenerierten Zufallsprinzipien und dem letzten Feinschliff eines menschlichen Wesens ist diese „Mensch-Maschine“ das perfekte Bindeglied zwischen dem, was zuvor kam und dem, was danach kommen wird. Es ist eine Klärung von Gedanken ohne dass diese Gedanken in eine bestimmte Richtung gelenkt werden würden. Kurz und knapp wie dieser Track erscheint, erzeugt er einen wahrhaft surrealen mentalen Raum: „Erschöpft von dem, was die Welt bislang zu Wege brachte / Mit Frauen, die zum Krieg aufrufen“.
AUF DEM BODEN ROLLEND
Das ganze Biest ist ein zeitgenössisches Lamento höchster Klasse und schließt mit einem Jukebox-Lied, dem du unmöglich wiederstehen kannst, darin verloren zu gehen. Klingt seltsam? Ja. Brian Eno sucht oft nach einer Lösung, einer Erlösungspassage, auf den letzten Tracks seiner Arbeiten und hat das seit HERE COME THE WARM JETS und TAKING TIGER MOUNTAIN (BY STRATEGY) so gemacht.
Auch wenn es keine Regel ist, die er nicht von Zeit zu Zeit gebrochen hätte (denk nur an ANOTHER DAY ON EARTH mit dem erschreckenden Ende „Bonebomb“, einem Lieblingstrack von David Bowie), bietet Eno mit seiner Version des alten Velvet-Underground-Tracks „I’m Set Free“ einen Zustand vorrübergehender Glücksseligkeit an. Der düstere Existentialismus des Originals wird zu einem gospelgetönten, zukünftigen „Evergreen“, mit anschwellendem Streicherklang und selbst Steine zum Schmelzen bringendem Gesang.
Nach der langen und versunkenen Reise, zu welcher dieses Meisterwerk (ja, das ist es!) dich zuvor eingeladen hat (ein Wahnsinnsritt, ausgeführt zu gleichen Teilen mit Leidenschaft, Stoizismus und Traurigkeit, klanglich durch und durch abenteuerlich), ist man vielleicht leichte Beute für diese Hymne auf ihren Weg zu den Grundlagen des Rocks, oder zu des Himmels rettender Anmut, bis zur allerletzten, sterbenden Note – ohne die Unterströmung der Melancholie zu überhören:
…Nun bin ich freigelassen /
freigelassen /
freigelassen, eine neue Illusion zu finden…“
EPILOG
Das schwache Schießpulverblau
Das schwache Schießpulverblau des frühen Morgenlichts spiegelt sich in ihren Pupillen, als DJ Mireia Mehroderweniger tief einatmet und ausatmet. Sie schließt ihren Marathon britischer Avant-Größen alter Zeiten mit Robert Wyatts „Sea Song“ und einer verschlungenen Erzählung über eine große Welle von Ivor Cutler. Diese Nächte in der Leuchtturm-Radiostation sind ihr die liebste Art der Zeitreise – aber nun, unter einem postmodernen kalifornischen Himmel, ist sie einfach froh, ihre Cyborg-Geliebte Kasumi im Eingangsbereich in einem karmesinroten Austin Mini Hydrogen auf sie warten zu sehen. Ein sanfter Kuss und Kasumi lächelt dem Anblick im Beifahrersitz breit zu.
Au Pont de Neuilly
Lass uns hier eine kleine Pause einlegen, weil du möglicherweise mehr über Mireia erfahren willst. Wenn sie ein Typ ist, dann ist sie die Frau, die du gelegentlich in der Pariser Metro siehst. Sie sieht dich nicht. Vielleicht ist sie auf ihrem Weg nach Pont de Neuilly, mittels Umstieg zur Linie 1. Idioten starren sie an. Du nicht, und das brauchst du auch gar nicht,  weil ihre beiläufige Überlegenheit wie Mondstrahlen in eine Billion Richtungen schießt, und diese Mondstrahlen auch im peripheren Sehen ein kosmischer Segen sind.
Die Zeit selbst kann entkommen
Das Geheimnis ist ganz einfach – sie hat nie erkannt, dass die Welt ihr zu Füßen liegt. Ihr Vater war ein Uhrmacher gewesen, der ein Tourbillon erfand, mit dem man die Effekte der Schwerkraft so gut ausgleichen konnte, das die Zeit selbst ihrer Verengung innerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums entkommen konnte. Ihre Mutter war eine Krankenschwester. Für sie ist ein DJ zu sein eine bescheidene Beschäftigung.
Schmeicheleikugeln
Die Leute schießen ständig Schmeicheleikugeln in ihre Richtung. Und verfehlen sie jedes einzelne Mal. Aber eines Tages, schon bald, wird sie ihr Gegenüber finden. Und das Leben wird sich zögernd im Licht bewegen, eine Sekunde lang, während in einer anderen Hemisphäre tausende Sterne vom Himmel fallen werden und entlang kurzer Vektoren von ihrem Ursprung in einem Fragezeichen auf ihr Schicksal in Staub und Nichtigkeit zurasen, das nirgendwo liegt und endlos ist.
Nachtflüge über Los Angeles
Sie begegnete Kasumi erstmals in einem Supermarkt in Carmel, irgendwann im Laufe eines einwöchigen Frühherbst-Surfausflugs. Es brauchte nicht lange, sich zu registrieren. Sie haben so viele gemeinsame Interessen – abseitige Musik, Jukebox-Kultur, exotische Autoreisen, französische Küche, tantrischer Sex, Hubschraubernachtflüge über Los Angeles, Geister, Flüsse, Steinkreise, Hochlandburgen, Curly, Larry, Moe, Shemp, Klarträume, Tee, Wolken, Regen.
Zeitlupenwirrwarrwildnis
Das Musikprogramm der Nacht war durchdringend gewesen, aber da ist keine Spur von Müdigkeit. Mireias Sinne sind immer noch im fünften Gang. Zu Hause, in ihrem winzigen Strandhaus, lieben sie sich gegenseitig, heute in ihrem „Zeitlupenwirrwarrwildnis“-Modus, der nur wenig Bewegung verlangt. Danach schläft Mireia nahezu sofort ein, und als sie vier Stunden später wieder aufwacht, erinnert sie sich an einen Traum mit einer hölzernen Jukebox und ihrem Großvater, der ihr erzählt, dass es im frühen 21. Jahrhundert ein Jukebox-Revival gegeben hatte.
Coq au Vin
Sie schlägt die Augen auf und sieht, wie Kasumi Coq au Vin für den Abend vorbereitet. Nachdem sie eine kurze Runde im Meer geschwommen ist, geht sie durchs Wohnzimmer und legt eine Vinylplatte auf ihren Plattenspieler, ein alter „VPI Prime Forward iii“, entworfen von Maschinen in Japan und hergestellt von weiteren Maschinen in New Jersey in 2055. Sie legt eines ihrer Evergreen-Alben aus der Ära der Reise der letzten Nacht durchs alte Britannien auf, Brian Enos „Oblique Collection of Antique Jukebox Adventures“, ein Verkaufsschlager in 2019.
Ironie des Schicksals
Der Kerl der einst den Begriff der Ambient Music prägte, hatte seinen größten kommerziellen Erfolg (Ironie des Schicksals) mit einer Sammlung herzerweichender und dennoch seltsamer Fassungen klassischer und bizarrer Popsongs. Eno hatte einst eine A-Capella-Gruppe (rein aus Freude am Singen), und eine der Regeln war, keine der Dinge zu veröffentlichen, die sie im gemütlichen Raum seines Studios machten. Aber dann dachte er nochmals darüber nach.
Django Rheinhardt
Wer covert seine Covers in Ehre? Johnny Cash schaffte das (und brillant in seinen letzten Jahren), Bryan Ferry schaffte das, Patti Smith schaffte das, Cat Power schaffte das, Willie Nelson schaffte das. Kasumi nicht. Sie improvisiert Texte zu knacksenden Bakelit-Django-Rheinhardt-Lieblingen wie „Minor Swing“ und „The World Is Waiting For The Sunrise“, singt sie aber nur ohne Begleitung, unter der Dusche.
Eno listete Lieder auf, die er sehr mochte, und fokussierte sich auf jene, bei denen er sich sicher genug fühlte, eine weitere unbekannte Schicht zu ergänzen. Und natürlich hatte seine Endauswahl zu seiner Art des (sehr britischen) Singens zu passen, mit dünnen Stimmen und ohne dickem Pinselstrich.
801
Mireia blickte auf die Tracklist während das erste Lied lief: eine dunkle Ohrpralinenversion von Ray Davies „Rainy Day In June“ gefolgt von einer neuen Version von The Beatles „Tomorrow Never Knows“, Eno selbst sang einmal auf Phil Manzaneras „801 Live“. Eine wirklich besondere Sammlung, die zwei Klassiker der Everly Brothers enthält, The New Vaudeville Bands „Winchester Cathedral“, Scott Walkers „It’s Raining Today“, Tom Waits Spoken-Word-Stück „What’s He Building“ und The Doors „People Are Strange“.
Auflösung
Als das Lied der Doors schlussendlich erklang, tauchte Kasumi auf. Sie legte ihre Arme um Mireia und sie sangen beide gemeinsam zu Enos Gesang:
„Menschen sind fremd, wenn du ein Fremder bist
Gesichter sehen hässlich aus, wenn du alleine bist
Frauen scheinen böse, wenn du unerwünscht bist
Straßen sind uneben, wenn du am Boden liegst
Wenn du fremd bist, tauchen Gesichter aus dem Regen auf
Wenn du fremd bist, merkt sich keiner deinen Namen“
– geschrieben von Michael Engelbrecht, mit Ian McCartney,
aus dem Englischen übersetzt von Astrid Nischkauer, nun aber noch immer in Arbeit, was Szenen, Bilder, Nuancen betrifft, leicht verwandelt von Michael Engelbrecht

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