Manafonistas

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Category: Musik aus 2011

Manchmal klingen Dinge so unglaublich, als wären sie einer wilden Fantasie, einem Schabernack oder einem Kultursatiriker entsprungen. Aber sie sind wahr.
 ONIONOISE ist die dritte CD des Gemüseorchesters, eines weltweit einzigartigen Ensembles, das sich der klanglichen Erforschung von Gemüse verschrieben hat.Das 12-köpfige Kollektiv aus Wien hat sich – neben internationaler Konzerttätigkeit – über einDutzend Jahre mit instrumentenbaulichen Experimenten und dem Ausloten des vegetabilen Klanguniversums beschäftigt.
Das verwendete Instrumentarium besteht ausschliesslich aus Gemüse: Aus frischen und getrockneten vegetabilen Materialien wie Karotten, Lauch, Zellerknollen, Artischocken, Trockenkürbissen und Zwiebelschalen. Daraus werden organische Instrumente und Klangerzeuger gebaut, die meist nur für die Dauer eines Konzerts oder eines Studiotages haltbar sind. Auch die Drehbewegungen von Plattenspielern und Bohrmaschinen werden genutzt, um das Gemüse zum Klingen zu bringen.
Die Sounds der Gemüseinstrumente sind erstaunlich vielschichtig: transparent & knisternd, schrill & massiv, dunkel & hypnotisch, funky & groovy – eine heterogene Vielzahl von akustischen Kleinoden und seltsamen, unbekannten Klängen, denen ihr organischer Ursprung nicht immer gleich anzumerken ist.
Die Kompositionen sind auf die speziellen akustischen und spieltechnischen Eigenschaften der Gemüseinstrumente zugeschnitten. Stilistisch pendelt die Musik zwischen organischer Popmusik und auditiven Klangexperimenten. Inspirationen kommen aus den verschiedensten Richtungen:  Minimal Techno, Ambient, Noise, Pop, elektroakustische und Neue Musik.
Diese CD ist eine akustische Reise durch phantastische Klangkontinente und imaginäre Gärten. Vielschichtig und eigenwillig: Lebendige Musik.
Ein wichtiger Aspekt des Orchesters ist seine basisdemokratische Selbstorganisation. Sämtliche Aspekte der CD (Kompositionen, visuelle Konzeption, ökonomische und organisatorische Angelegenheiten) wurden vom Ensemble gemeinschaftlich entwickelt und beschlossen.
Dem aufwändig gestalteten 3-seitigen Digi-Pack liegt auch ein Poster bei.

 
 

 
 
 
Jetzt also eine neue, aktuelle Wasserstandsmeldung aus der Alchemistenküche –
und man kann Entwarnung geben allen Hasenfüßlern, die noch in den drögen Tälern
und klammkaltem Wäldern von MANAFON vor dem Rabbitskinner flüchteten und
aufgeregt umherirrend riefen: „What a Noisemaking and Troubleshooting!“

Die Variationen des umstrittenen, kontrovers rezipierten Erstlings kommen jetzt
in eingänglicher Form daher und bestätigen wieder mal: „Die Wahrheit ist milde“.
Denn das hört sich gar nicht mehr so sperrig und schwer verdaulich an wie die
vormals mit Improv-Ballaststoffen dargereichte Magerkost.

Trotzdem war MANAFON wichtig und unverzichtbar, denn: „Im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung“. Und nur, wer die Hohe Schule der Enthaltsamkeit erduldet,
wird die Schule der Besänftigung dann umsomehr geniessen können – das wußte
schon Altgrieche Epikur.

Auf DEAD BEES ON A CAKE gab´s ein Stück Kuchen, das besonders schmackhaft war:
der Song Alphabet Angels. Gern hätt ich mehr davon gehabt. Nun endlich die Fortsetzung dieser besonderen Art des Songwritings: I Should Not Dare – and should I dare to say
that it´s one of the best songs, that i´ve ever heard?

Aber auch A Certain Slant Of Light ist ein aussergewöhnlich schöner Song:

Sylvian, once more a creator of sublime beauty – he promised us poetry and kept to this promise. Arve Hendriksens Trompetenausklang hier: wie mit einem Stock beiläufig in Sand gezeichnete Linien eines buddhistischen Mandalas, das dann vom Winde verweht wird. Ephemere Reflektionen; flüchtiges Nebenbei; ästhetische Sensationen an den Rändern des Geschehens. Als ein mehr Song- denn Albumorientierter ist mein erster Eindruck: dies sind zwei sehr gute CDs mit zwei Liedern drauf, die Ihresgleichen suchen und nicht finden.

Manchmal mag ich es, die Welt eines andern zu verfolgen, z. B. anhand einer Fotoserie. Diese Orte, an denen ich nie weilte, sind diesem Fremden gewiss ans Herz gewachsen. Mindestens für den Moment, in dem er sie ablichtete. Man muss auch nicht immer bei Sonnenuntergängen und Regenbögen an Kitsch denken. Diese unspektakuläre Bilderreihe hat mir besonders gefallen (das Liebespaar darin hat sich sehr dezent porträtiert) – und da der Fotomacher  dazu Bill Callahans „Riding for the Feeling“ laufen lässt, gehen mir die Bilder noch viel näher. Denn hier nimmt man gleichsam auch Abschied, von Orten, an denen man nie war, an denen man kaum je sein wird.

 

“Es ist nie einfach, Goodbye zu sagen zu den Gesichtern / So selten sehen wir einander / so nah und so long / Ich fragte den Raum: habe ich genug gesagt / Niemand antwortete wirklich / Sie sagten nur: geh nicht, geh nicht / All dieses Fortgehen hört niemals auf / ich hoffte auf eine weitere Frage / oder auf jemanden, der sagt: wer denkst, wer du bist? / Sodass ich es ihnen sagen könnte  / Mit der Intensität, mit der sich ein Tropfen gesetzmässig verflüchtigt, ist, insgesamt, Fortgehen leicht, wenn du einen Ort hast, an dem du verweilen kannst. / Vor dem stummgestellten Fernseher / höre ich, auf dem Hotelbett alte Kassetten / meine, meine, meine Apokalypse / Mir wurde klar, wie wenig ich gesagt hatte über Wellen oder Räder / oder darüber zur reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl ist die schnellste Art, die Küste zu erreichen / Was, wenn ich dort, am Ende gestanden hätte und wieder und wieder gesagt hätte / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / Reiten für das Gefühl / wäre das ein angemessenes Goodbye gewesen?“

From early on, Brian Eno has been quite sceptical about words, their meanings, their ability to distract our attention from sound. So, although having written outstanding, witty, surreal lyrics for his brilliant four song albums in the seventies (“Here Come The Warm Jets”, “Taking Tiger Mountain (By Strategy)”, “Another Green World” (this perfect mélange of songs and purely atmospheric pieces) and “Before and After Science”), he had never added the lyrics.

Now I think, with the release of his collaboration with lyricist Rick Holland, every poem will be printed. An interesting problem for the master of Ambient Music: poems consist of a highly condensed language, everything within a poem requires careful attention, every syllable, every space between lines, every flow of pictures, every breath words take. Eno´s trick: everything becomes sound, the words, the silences; the listener decides for himself where to move, foreground, background, wordwise, soundwise. The music offers a broad spectrum: die-hard funk, trash jazz, exotica a la Eno, post-Kraut-electronics and drifting-sphere-music. Inspired stuff.  

Poems and music – a special affair! “Drums Between The Bells” will speak, with an open heart, to the small, big Eno community, and to people who are curious about a still quite living thing called modern poetry. Remembering the Eno-Byrne masterpiece “My Life In The  Bush Of Ghosts” (1980) with the cut-and sample approach to speaking and singing voices (mad priests, singers from the Lebanon etc), the new record leads from the “bush of ghosts” to a “theatre of voices”. Nine voices (most of them women) give life to words, sometimes these voices (including the ones of Brian and Rick) are pure realism, sometimes they are morphed and treated.   

It´s never a gimmick, it always serves the words: in the brilliant slow motion piece, “the real”, a female voice speaks about our ability to see or see not “the real in things”, full of repetitions and small changes. A sophisticated way of mixing  hypnotic induction with perception theory: solid earth suddenly feels  like murky water.  The last lines one  can (depending on your state of mind) clearly indentify tell us: “while real runs out and seems to see the real as it runs” – then the voice turns from a soft speaker to a strange species. Seductive.

What do you think, Brian Eno loves about Rick Holland´s poems? I read his little book “Story the Flowers” and found an interesting mix of careful attention to everyday life, philosophy, humour and science. Small towns, big towns, coastal areas are portrayed in a deeply sensual way (I´m  happy to leave out the word “spiritual” here). There is always an enigma that won´t be solved too soon. Something that hangs in the air. The music propels, waits, suggests, breathes, swirls, stops, penetrates. And it does a lot more.

Sometimes the words approach the singing area, but it takes a while till we discover an oldfashioned thing called song: near the end, Eno starts singing, and, you know, so many  people – nevertheless how much they love his ambient works – have just waited too long for new songs of Mr. Eno (“Wrong Way Up”, 1990, “Just Another Day On Earth”, 2005). How many of us died on the way? Now one can take a deep breath, when listening to the brilliance of ”cloud 4” – but, what´s that: a song that could last forever stops after one minute and fourtythree seconds?! We call this English humour. And remember that old saying: brevity is the essence of wit.

And then? Then comes nothing (of course a very Cagean  and uplifting nothing, by the way, 56 seconds long) – and then comes the last song, nearly as a shock: Eno delivers “Breath of Crows” with a deepness in his voice you have rarely ever heared. Robert Wyatt will send kisses! Eno sings with a vulnerability, a slowness, an intensity that is not so far away from the last Scott Walker albums. In “Story the Flowers” this piece is called “Seven Bungalow Neighborhood, Tree level, Mumbai”:

“My god is in the breath of crows,
It grows and shrinks with the elemental wish;
A fire with no link to the wish of man,
But it must be absolute, this god,
For when the mind is absolutely still,
It moves.

My god is in the breath of crows.
May I not delude a self image to think
He grows to grant my wish or wash my sin
But let me watch in wonder as he makes his work

Wonder in this.

The sounds of holy night abound
Kestrel calls and bells;

Drink the air, and the race for meaning quells.
Let it in. Let it in or the calls will sound  like hollow tin
Or gramophone circling its background dust,
It must, replaced by must, by scent and sense;
A shell peeled pupil to reveal a deeper black,
Shelled like fresh new peas, each orb of wonder.
Wonder this.“

Don´t expect some final words about the album. Or do so. You will be surprised, I think, in more than one way! Simple as that.

P.S. I will be playing three tracks from Drums Between The Bells ( a title / sounds alien / dow)  on the Klanghorizonte programm (live stream:wwwdradio.de). This will be broadcasted on Deutschlandfunk-Nachtradio in Germany, on 6th June, at 1.05 Uhr to 2.00 Uhr Germanically speaking. Which is very early in the morning. Indeed, some people might regard it as late on Sunday night, unless they are located in other parts of the world when it might count as early evening, or failing that, breakfast time

 Drums Between the Bells

a slightly different, english version of this review: click here

Brian Eno pflegte von früh an ein zwiespältiges Verhältnis zu Wörtern, ihren Bedeutungen, ihrer Fähigkeit, die Aufmerksamkeit vom Klang abzuziehen. Schwierig war es, in den Siebziger Jahren, an die Texte seiner Songs heranzukommen. Ich schickte damals einen Brief an Polydor Records, als ich Brian Eno für mich entdeckte (und ich entdeckte ihn
nicht durch die ersten zwei Roxy Music-Alben, sondern durch TAKING TIGER MOUNTAIN (BY STRATEGY)) – eine Assistentin antworte mit einem Brief, demzufolge sie lange suchen musste, und lauter blässlichen Fotokopien der surrealen Lyrics.

Jetzt erscheint, am 24. Juni, sein neues Album, und ich gehe davon aus, dass diesmal
die Gedichte von Rick Holland beiliegend abgedruckt werden. Hier stellt sich nun dem Meister der Ambient Music ein interessantes Problem: Gedichte als hochgradig verdichtete Sprache ziehen einfach die Aufmerksamkeit auf sich, jede Silbe, jeder Zwischenton.
Jede Atempause. Enos Trick: die Atempausen werden zu Musik. Und er lockt in ein
weites Feld zwischen beinhartem Funk, Trash Jazz, Postkrautelektronik und „Drifting
Sphere Music“.

Lyrik & Musik ist eine spezielle Angelegenheit, keine Marktlücke öffnet sich da, kein Bestsellerposten räumt das Feld! Dieses Album spricht weitgehend die kleine, große
Brian Eno-Gemeinde an, und sie wird nicht enttäuscht sein in diesem „Theater der Stimmen“. Manchmal nähert sich die gesprochene Sprache der Grenze zum Gesang,
meist bleibt es eine „spoken word performance“. Mit dezent eingestreuten Ohrwurm-melodien rings herum. Neun Stimmen interpretieren die Gedichte, und Brian Enos
Organ reiht sich ein in diese Schar.

Was mag Brian Eno gereizt haben an den Gedichten von Rick Holland? Ich nahm mir
sein Bändchen „STORY THE FLOWERS“ zur Hand und stiess auf feine Mischungen aus Alltagsbeobachtungen, Philosophie, Humor, plötzlichen Perspektivwechseln und meditativen Umkreisungen. Den Texten bleibt stets ein Rätsel erhalten, die Musik von „Drums Between The Bells“ untermalt nicht, sie bestreitet, verwandelt, treibt an, setzt durch, fordert, skizziert, schwingt aus. Und noch einiges mehr.

Der Clou: am Ende singt Eno (und alle, die seit dem Ausklang der Siebziger Jahre,
nach HERE COME THE WARM JETS, TAKING TIGER MOUNTAIN (BY STRATEGY), ANOTHER GREEN WORLD und BEFORE AND AFTER SCIENCE, immer viel zu lange warten mussten auf neue Song-haltige Alben des Herrn Eno, sind kurzfristig versöhnt, mit dem  melodieseligen Vortrag von „Cloud 4“. Wolken haben es leider an sich, mitunter rasch zu verschwinden, und es ist fast schon  englischer Humor, dass dieser tolle Song deutlich unter der 2-Minuten-Grenze bleibt, fast zum Fragment wird. Alles scheint vorbei zu sein, die Stille erhält noch ein paar Stromstöße, und dann (man schüttelt noch immer den Kopf ob dieses einen Traumliedes, dem man am liebsten hinterher springen möchte) – und dann?

Und dann?? Dann gibt es doch noch einen Song, kaum glaubliche, gute  sechs Minuten lang („Breath of Crows“); den Gesang zelebriert Eno mit einer noch  nie so gehörten,  tiefen Stimme, mit  einer Verwundbarkeit, einer Langsamkeit, einer Intensität, die nicht so weit vom Spätwerk eines Scott Walker entfernt ist.  Das große Erschauern, der Showdown am Ende eines sehr guten Brian Eno-Albums. Hier der Wortlaut (in „Story the Flowers“ heisst der Song „Seven Bungalows Neighourhood, Tree level, Mumbai“ – und wie Rick Holland mir mailte, sind bei der Produktion nur kleine Veränderungen am Text vorgenommen worden):  

My god is in the breath of crows,
It grows and shrinks with the elemental wish;
A fire with no link to the wish of man,
But it must be absolute, this god,
For when the mind is absolutely still,
It moves.

My god is in the breath of crows.
May I not delude a self image to think
He grows to grant my wish or wash my sin
But let me watch in wonder as he makes his work

Wonder in this.

The sounds of holy night abound
Kestrel calls and bells;

Drink the air, and the race for meaning quells.
Let it in. Let it in or the calls will sound  like hollow tin
Or grammophone circling its background dust,
It must, replaced by must, by scent and sense;
A shell peeled pupil to reveal a deeper black,
Shelled like fresh new peas, each orb of wonder.
Wonder this.

Vintage Eno, dürfte ein Engländer mit Recht sagen. Für  jedes Gedicht entsteht ein ganz anders gearteter Track, es gibt kein  Formular, keine Strophenmuster, keine Gebrauchsanweisungen. Das ist bestimmt  etwas, das Eno im Umgang mit diesen Gedichten gereizt hat. Immer wieder bei Punkt Null beginnen. Jeder Masche aus dem Weg gehen. Das Resultat: wir begegnen der scharfen Klinge – und dem fliessenden Pastell. DRUMS BETWEEN THE BELLS ist der provokante Gegenentwurf  für hochtrabende Kunst – das Album zelebriert pure Sinnlichkeit.   

HP Gundersen kennt kein Mensch hierzulande. In Norwegen ist er ein renommierter Produzent und Musikenthusiast. Seine besondere Liebe gilt dem weiten Feld der „Americana“, von den „medicine shows“ der Dreissigern bis zu Joni Mitchells Meditationen über „Blue“ in den Siebzigern. Es kommt einem tatsächlich so vor, als wäre dieser Herr Gundersen so tief in alte Lieder und Stories eingesunken, dass er, wie ein guter Archäologe, lauter seltene Objekt an die Oberfläche befördert: eine alte Gitarre von Stephen Stills, ein Nummernschild der Rostlaube von Hank Williams, oder – Sammlerstück (!) – eine verkratzte Ausgabe von Neil Youngs „Time Fades Away“. Überall dröhnt und summt und schimmert etwas; nach einiger Zeit fragt man sich, ob man tatsächlich nüchtern auf diese Reise gegangen ist. Die drei Songs, die wie ein einziger unendlicher Klangteppich daher geweht kommen, basieren auf modalen Gitarrenstimmungen, die sanfte Dröhnugen erzeugen und jede Ecke der Kompositionen mit einem Geflecht aus Raga-Sphären, Country-Flair und Pop-Finesse ausleuchten. Dabei geht alles extrem luftig und entspannt zur Sache. Die Sängerin heisst Heidi Goodbye – auf den Künstlernamen muss man erst einmal kommen. „Spiritual Non-Believers“ ist ein Kaleidoskop der Farben und Schwingungen. Deja-Vues sind wahrscheinlich, sie kommen aber immer doppelt oder bündelweise, so dass man bei jeder noch so flüchtigen Erinnerung gleichzeitig in diversen Jahrzehnten unterwegs ist. Wem das auf Dauer zu anstrengend ist, kann sich diesem „letzten Hurra“ ruhig blindlings anvertrauen. Ist ja auch nicht so wichtig, woher man die Klänge nimmt, sondern wohin man sie transportiert! (Rune Grammofon)

2011 10 Mai

Marcin Wasilewski Trio: Faithful

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Marcin Wasilewskis Rechte Hand auf das Griffbrett der eigenen Gitarre zu übertragen ist
ein ebenso angesporntes wie vergebliches Unterfangen für einen permanent Übenden.
In solche Musik kann ich mich aber reinsteigern wie einst vor Urzeiten in die Songs von John Martyn. Wir waren uns immer einig: allein das Feeling zählt, und hier zählen sowohl Martyn als auch Wasilewski zu den Großen.

Auf dem jüngst erschienenen Album FAITHFUL wird der Jazz nicht neu erfunden – muß auch nicht sein. Aber mich berührt diese Spielweise, die auch in den balladesken Stücken Gewicht und Tiefe hat, mehr als die ewigen Standards von Jarrett/Peacock/deJohnette oder das virtuos-moderne, kühle Spiel Brad Mehldau´s. Wenn Wasilewski, getragen von seinen Mitstreitern, in variantenreicher Weise Blue Notes umspielt, als wär dies, wenn
auch nicht der Sinn des Lebens, so zumindest der des Jazz – dann macht das Spass.

Vielleicht ist es diese Mischung aus Beebop-Phrasierung, folkloristischen Song-Elementen (es wurde auch Prince schon geschmackvoll gecovert) und feinen Improv-Explosionen,
um hernach dann wieder punktgenau zu stehen wie der Turner nach dem Sprung
vom Reck. Zudem klingt das Trio in seiner Gesamtheit wie aus einem Guß.

Wie sagte neulich ein befreundeter Maler: „Ein gutes Bild will nichts (mehr).“
Thats, what´s exactly happening here with these young guys playing: they just play.
So, let it be! Es ist mir eine Freude, hier keine Sterne vergeben zu müssen –
so kann ich lapidar und unbeschwert behaupten und empfehlen: Hörenswert!

MANAFON ist ein zärtliches Ungetüm, eines der wenigen Meisterwerke des jungen Jahr-tausends. DIED IN THE WOOL – THE MANAFON VARIATIONS spinnt all die Fäden fort,     die sich da anbahnten, öffnet Räume, schliesst Fenster, lässt die alten Gesänge seitwärts treiben, schiebt neue Songs hinterher. Wer vor MANAFON flüchtete, wird sich auch hier in Sicherheit bringen wollen. Was passiert hier alles mit dem Originalstoff: mal verschwindet die ganze Kulisse der frei improvisierte Gespinste, und wird durch den streng modernen Duktus eines japanischen Komponisten ersetzt, mal werden diese detailfreudigen Sound-forschungen des Ursprungsalbums subtil variiert. Das Amalgam funktioniert immer und nimmt gefangen: ob Arve Henriksens Trompete nordisch uncool die Vertonung eines Gedichts von Emily Dickinson anreichert, ob Samples aus einem Konzert von Skuli Sverisson (Kristiansand 2010) momentlang einen tonalen Untergrund bauen, wo sonst harmoniefreie Klangpartikel ins Offene entschweben, ob die Melange von Ambient Music und Song Sylvian zu einer zauberischen Ballade antreibt, die den Samen für ein ganzes Werk bilden könnte (I SHOULD NOT DARE): was durchweg verblüfft, ist die Natürlichkeit, mit der hier Neue Kammermusik, Electrionica, Sampling sogenannter Pop- und Klangspuren von manch anderen Welten eins werden. Geradzu lässig, als ginge all das Unerhörte und Dunkle leicht von der Hand.

Vom Stocken und Fließen der Lieder, so ließe sich das neue Album am besten beschreiben . TKOL setzt unbeirrbar den Weg fort, den KID A erstmalig formulierte: durchtriebene Songs mit vorzugsweise ungerader Rhythmik, sperrigem elektronischem Untergrund, undefinierbaren Gefühlslagen. Radiohead weigern sich, das Stadium der Gediegenheit zu erlangen. Die diversen Mitglieder gehen gerne mal solo: J. Greenwood (dessen akustische Gitarrenklänge, zusammen mit alten Can- Stücken, derzeit den Soundtrack einer Murakami-Verfilmung anreichern) und P. Selway (dessen letztjähriges Soloalabum mehr Nick Drake als Radiohead enthielt, und zu verzaubern wusste) finden aber immer wieder zurück zu Radiohead. Gut so.

Nach wie vor mit dabei ist der Produzent Nigel Godrich (der, das sei mal nebenbei bemerkt, das beste Paul McCartney-Album der letzten 20 Jahre produziert hat). Jetzt bringt er das Kunststück fertig, das vielleicht zugänglichste Album der Band mit so viel Finesse auszustatten, dass man beim x-ten Hören Sounds und Schichten entdeckt, die beim ersten Mal gewiss entgangen sind. Wie geschickt etwa im Eröffnungssong Bloom eine Jazzbläsereinlage (ein Hauch von Fela Kuti) tief gelegt wird, ist exzellent. Nigel Godrich ist ein Meister im Verbergen des Offensichtlichen: nichts erschöpft sich in oberflächlichen Effekten.

– I would shrink and I would disappear / I would slip into the groove / And cut me up. Thom Yorkes Stimme bleibt eine Bereicherung: mal treibt er die Selbstauflösung des Sängers voran, mit diversen Arten des Seufzens und und Summens, mal thront seine Stimme fast majestätisch über allemal unsicherem Boden: auch das ist Kunst, alles Pathos, kaum dass es sich andeutet, ins Leere laufen zu lassen, oder zumindest jedem Überschwang das triumphierende Moment zu entziehen.

Die Natur (als Unheimlichkeitsort, aber auch als Zuflucht) spielt eine Hauptrolle, ebenso das durch weite Räume driftende Ich. – There is an empty space inside my heart, / Where the weeds take root (Lotus Flower). Die Geographie ist unklar, auch die Emotion des Sängers: ein irritierendes, zugleich faszinierendes Pendeln zwischen Urängsten und Sehnsuchtsstoffen. Die karge Lyrik bereichert widerspenstige Lieder: – Good morning Mr. Magpie / How are we today? / Nou you have stolen all the magic / Took my melody, heisst es einmal. Und es ist die Aufgabe des Hörers, diese Magie (in all ihren schönen Verstecken) neu ausfindig zu machen.

2011 10 Apr

Bill Callahan: Apocalypse

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Manchmal mache ich mir einen Spass daraus, wenn ich einen Western sehe, an der Farbe des Himmels sein Erscheinungsjahr zu erraten. Die frühen Formen von Cinemascope haben nämlich bestimmte Einfärbungen und Eintrübungen. Der Himmel auf dem Cover von APOCALYPSE eröffnet schon mal eine Perspektive. Bill Callahan reitet wieder. Verkörperte Clint Eastwood nicht auch mal einen Charakter namens Callahan!? Hier aber gehört die akustische Gitarre zum Gepäck, die Fiedel, die Snare-Drum. Und da jeder Song neues Territorium erschliesst, gesellen sich andere Klangfarben dazu, mal jazzig angehauchte Flöten, mal dezente Wurlitzer-Orgel-Tupfer.

Ein Sänger sitzt in einem verblichenen Hotelzimmer, wie eine Gestalt aus einem Edward Hopper-Bild, ein stumm gestellter flackernder Fernseher, ein paar dunkle Träume winken nach dem Schlaftrunk. Zum Glück ist das Trostose nicht immer trostlos. Es gelingt unserm Troubadour ähnlich Wundervolles wie auf dem vielgerühmten Vorgänger SOMETIMES I WISH WE WERE AN EAGLE. Der neue Titel verheisst Schrecken, doch die Beobachtungen der Baritonstimme bleiben lakonisch, reflektierend, stoisch – und der leise Humor ist von angenehm schwarzer Art!

Natürlich ist Bill Callahan immer schon ein Abgrundforscher gewesen (wie sein Landsmann John Darnielle von den falbelhaften Mountain Goats), aber mindestens ebenso wichtig sind ihm die aufregenden Wege aus selbstgewählten Gefängnissen hinaus. Im letzten Song (ONE FINE MORNING) scheint sich gar das gute Gefühl eines Ritts in die Morgensonne auszubreiten. Bill Callahan spielt mit Mythen, und er mag die großen weiten Prairien seiner Heimat: – Die Landschaft ist so leer und mächtig, Menschen, die dort auftauchen, geraten automatisch in den Fokus, weil nicht viel um sie herum ist, erzählte er jüngst – und es stimmt, man denke an einzelne Szenen aus Western alter Schule von John Ford.

Ein paar Schlüsselverse belegen den trockenen Witz dieses (hier passt das Wort mal richtig gut!) Songschmiedes: – One thing about this wild, wild country / it takes a strong strong / it breaks a strong strong mind / and anything less makes me feel like I-m wasting my time (Eine Sache hat es mit diesem wilden, wilden Land auf sich: es erfordert einen starken, starken, es bricht einen starken starken Geist; und alles, was darunter liegt, fühlt sich für mich an wie verschwendete Zeit!)

Bill Callahan ist ein Drifter, ein Streunender, und dass die Räume seiner Kindheit ihre Dämmerung behalten haben, zeigte schon sein frühes Meisterwerk RED APPLE FALLS, das er noch unter dem Namen Smog aufnahm. Und wie schon auf seinen anderen beiden überragenden Smog-Alben, KNOCK KNOCK und A RIVER AIN-T TOO MUCH TO LOVE (letzteres ein absolutes Lieblingsalbum des Ex-Go-Betweens Robert Forster), gingen die Reisen von Callahan meist ins Hinterland, suchten das Weite, die Orte, wo Blicke sich verlangsamen und dehnen können. Da hilft es auch, mal mit dem Boot aufs offene Meer zu treiben – und den eigenen Untergang knochentrocken zu kommentieren: The boat burned as well / Hm! / And the punk and the lunk and the drunk and the skunk and the hunk and the monk in me all sunk.

Ein Abstecher führt nach Australien, da läuft in einer Flimmerkiste die David Letterman-Show, und unser bärbeissiger Poet besingt mit grotesk anmutendem Witz das grosse und goldene Amerika, bestückt eine Schattentarmee mit Captain Kris Kristoffersen, Sgt. Johnny Cash und anderen Geistern aus dem Tower of Song, reimt Afghanistan und Vietnam auf Native American: bitterer Sarkasmus, und doch ist der Amerikanische Traum nicht ganz totzukriegen. Die E-Gitarren zündeln Feuer am Wegesrand. Ein messerscharfer politischer Song mit einem Minimum an Analyse. Unser weltverlorener Cowboy mag es gerne skelettiert.

Seit er sich auf Platten Bill Callahan nennt, ist der Grundton etwas wärmer geworden, die Melodien eine Spur einschmeichelnder, und doch hat die Musik nichts von ihrer archaischen Kraft eingebüßt. APOCALYPSE ist eine Musik, deren diversen Abzweigungen man genau folgen muss, um die Spur nicht zu verlieren. Karg und expressiv geht es zu, selten rollen Rhythmen längere Zeit im Gleichmaß. Hier seufzt und grummelt und schnauft und singt und murmelt sich einer durch die Verslandschaft, dass es eine wahre Pracht ist, wieviele richtige falsche Töne er dabei noch trifft. Bleibt, zum Schluss, noch die Farbe des Himmels in diesen Liedern zu klären: alles ganz alte Töne, eine fein wuchernde Patina, das meiste nachgedunkelt – und vollkommen zeitlos! Michael Engelbrecht


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