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2024 9 Sep.

con fusion

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„two in one“

 
 

 

Aus der Oldies-but-goodies-Reihe:
MASH (USA, 1970) von Robert Altman

 

Gibt es eine funny side of war? Natürlich nicht und schon gar nicht in einem mobilen Hospital in Südkorea knapp hinter den feindlichen Linien, in dem ständig Helikopter neue Verwundete anliefern. Kein Ort zum Lachen, sondern eher zum Verrücktwerden, wobei sich die Protagonisten auch oft schon reichlich dergestalt benehmen bzw eher deplaciert verhalten – so als befänden sie sich im Lausbubenalter in einem Schullandheim, um dort die permanente Grenzüberschreitung zu proben. Trotzdem wurde der seinerzeit sehr erfolgreiche Film als witzig erlebt – aber darf denn gelacht werden angesichts der Situation des Koreakrieges und des während der Drehzeit weitertobenden Vietnamkrieges, da schleicht sich bereits Unbehagen in die Vorfreude, da hätten wir schon die erste Verwerfung?

Der Film traf einen kollektiven Nerv und eine offene Wunde, das ist sicher, wie kann das bewältigt werden? Er verlangt ein starkes Sich-Einlassen auf eine Form von Komik, die man nicht sofort versteht und wenn der Regisseur nicht Altman geheissen hätte, könnte man glauben, in eine aus den Fugen gelaufene Militärklamotte geraten zu sein. Der Regisseur, der mit den narrativen Konventionen des konservativen Hollywood brach und eine neue Erzähltechnik – ein mosaikartiges Zusammensetzen von Szenen sowie den mixed dialogue – einführte, schuf mit MASH und Nashville zwei seiner meistdiskutierten Werke. Rezensenten liessen sich aus über den galligen Humor, das damals schon antiquierte Frauenbild und die Bitterkeit der Situation die zu entsprechenden Verwahrlosungserscheinungen der Soldaten führte und zu Kollisionen und Parteienbildung zwischen denen, die noch an Ordnung und Sinn dieses Krieges glaubten versus der im Zentrum des Filmes stehenden Chaostruppe, die das Klinikgelände auch mal rasch zum Footballfeld oder Golfplatz umfunktioniert und denen alles andere am Hintern vorbeigeht.

Der gleich zu Anfang eingeblendete Song „Suicide Is Painless“ wurde als ein Motiv von Todessehnsucht interpretiert, das Verhalten der Hauptfiguren von vielen Rezensenten als zynisch, desillusioniert und als kriegsbedingte Verwahrlosung und Verbitterung. Trotz dieser Ansagen gab es im Kino wenig Schaudern, es wurde vielmehr herzhaft gewiehert und danach heftig diskutiert, manche Sprüche erreichten Kultstatus. Altmans lustvolles Unterlaufen von Genrekonventionen – dafür war er bekannt – wurde vom meist jungen Publikum, das immer Abwechslung schätzte und militanten Militarismus verurteilte durchaus goutiert, man spürte dass hinter Chirurgenmetzgerei und abgestandenen Machowitzen noch etwas anderes und noch viel Schaurigeres lauerte, das noch herauszudestillieren wäre. Und der linientreue weibliche Kommißkopf Margaret O‘ Houlihan zog reichlich Aggressionen auf sich, bekam dafür ihr Fett ab als verdiente Strafe – da kamen sogar Feministinnen der ersten Generation noch ins Grinsen und verziehen dem Regisseur sogar die legendäre Duschszene. Dergleichen konterrevolutionäre Schnepfen wollte man in der Bewegung natürlich auch nicht haben – der Feminismus hatte durchaus seine eigenen Hexen zum Verbrennen.

Der Film funktionierte gut in seiner Zeit – die Zeit der erstarkenden Antikriegs – und Friedensbewegungen; der kommerzielle Erfolg und die Bepreisung mit 5 Oscars führten zur Etablierung einer Fernsehserie gleichen Namens von 1972 bis 1983 – länger schaffte es nur noch Dallas. Die Anfangssequenz mit den Helikoptern und vor allem dem Song in seiner einschmeichelnden Simon&Garfunkel-Intonierung erlebte ich für mich als massgeblich für die gesamte Filmatmosphäre – eine Art Narkotisierung, die sich während des gesamten Filmes nicht mehr so recht auflösen wollte – ich hatte nicht den Eindruck einem Kriegsfilm – auch nicht einem Antikriegsfilm – beizuwohnen, daran änderten auch die blutigen Szenen im OP nichts. Man wird von vorneherein durch den Song anders eingestimmt – die Stimmung wird beruhigend und tröstlich, als sänge eine tiefe väterliche Stimme ein Schlummerlied, das für das Kind die Schrecknisse des Tages auflöst … alles wird schon nicht so schlimm werden, selbst der Tod ist painless und davor gibt’s noch reichlich Spass. Keine Sorge, Zuschauerkind, ich geleite Dich in einen schönen Traum!

Assoziativ stellt sich Das Leben ist schön von Roberto Benigni dazu ein, in dem ein Vater seinem Kind vormacht, das Leben im KZ sei nur ein grosses Spiel und alle machten mit und am Schluss gäb’s einen Preis obendrauf, ein nach wie vor umstrittener Film und verpönt bei jenen die glauben Kintopp müsste etwas mit Realität zu tun haben. Der Song wird später nochmal eingespielt beim assistierten Suizidversuch des passager impotenten Schmerzlosen Bohrers und hat eine ähnliche spannungslösende Wirkung – man ist sicher dass es gut ausgeht. Wir werden erfolgreich sediert, genau wie der Kerl im Sarg. Altman führt hier über den Soundtrack atmosphärisch ein beruhigendes väterliches Objekt ein und der Zuschauer kann selbst dessen Wirkung erfahren – vielleicht kam der Film auch deshalb bei der „vaterlosen“ Generation der Sechziger (und ihrer ins Unbewusste hinuntergedrucksten Vatersehnsucht) so gut an.

Eine Satire auf Militarismus? Nein, Militarismus findet hier kaum statt ausser im Kopf von Frau Major, die anderen Figuren scheinen dafür bereits viel zu verlottert und aus etwaigen Kriegshandlungen bereits ausgestiegen, ihre Wahrnehmung ist auf ihre chirurgische Tätigkeit und ihre Freizeitvergnügungen eingedampft – ein Kriegsfilm in dem Krieg nicht stattfindet. Höchstens painless …

Es ist wirklich eher ein Schullandheim oder Ferienlager für Halbwüchsige, das wir hier betreten dürfen, die sich mit grösseren oder kleineren Streichen an der Grenze des guten Geschmacks die Zeit vertreiben, saufen, kiffen und Frauen aufs Kreuz legen. So weit, so … tja … auf jeden Fall wird gelacht, und viele fanden die approbierten Freaks ziemlich cool, zumal sie auch moralisch integer interagieren und für Schwächere einstehen – was für feine Kerle sind doch unsere Jungs mit ihrem Understatementhumor, da schmunzelt Uncle Sam von einem Ohr zum anderen. Kein Schaudern befällt uns wie bei Platoon, bei  Apocalypse now oder  Full Metal Jacket – nein, ein Antikriegsfilm ist es nicht, zumindest nicht im herkömmlichem Sinn. Die Empörung über Kriegsaggressivität und Kriegsverwahrlosung bleibt aus, diese wird auch gar nicht gezeigt. Always look at the bright side … der Film ist nicht davon abzubringen.

Man beginnt die jokes der Chaostruppe zu geniessen wie weiland in einem Paukerfilm aus den 70ern mit dem ebenso narkotisierenden Säuselsoundtrack eines James Last in einem ähnlichen Zustand der milden Besoffenheit angesichts der unerhörten Leichtigkeit des Seins nach den Kriegsschrecken. Auch der Nachkriegsfilm mit seiner fröhlichen Musikberieselung war eine willkommene Droge und Aufruf zur Dauerfröhlichkeit. Feuerzangenbowle in Südkorea! Und als Krönung obendrauf noch das amerikanische Footballgekasper, episch breit zelebriert in seiner ganzen Lächerlichkeit und Regression in den Infantilismus, spätestens jetzt weiss man, was es mit dieser Nation auf sich hat. Ist noch irgendwo Krieg? Wurscht! Gehts naus und spielts Fussball! (Beckenbauer in den Jahren seiner Trainerzeit beim Versuch seine Jungs vom Nachdenken abzuhalten).

Ich sehe in diesem Film vorwiegend die Dokumentierung des Schwindens eines bewährten amerikanischen Mythos und die Etablierung eines neuen, den Altman hier gut erspürt und satirisch auf die Spitze treibt – das ist ein Verdienst des Filmes.

Seit etwa 1970 registrieren wir das Verschwinden des shining hero auf der Leinwand, Typen a la Gary Cooper, Richard Widmark und John Wayne und wie die Westernhelden unserer Jugend alle so hiessen. Um 12 Uhr mittags wurden sie anscheinend sang- und klanglos zu Grabe getragen oder haben sich im eigenen Glorienschein aufgelöst – die Absetzung der Institution des Vaters als idealisierter Familienpatriarch und Exekutivorgan in dieser Zeit erforderte auch neue Leinwandhelden. Der Alte funzt nicht mehr, wie die Youngsters heute sagen würden. Ü50er bitte googeln!

Nun imponiert der smarte all american boy, der sich keineswegs vom Teufel holen lässt sondern diesem noch einen geschüttelten Martini anbietet (natürlich lugt hier James Bond, der Meister des Understatements, auch noch verschmitzt um die Ecke) und dann mit einen launigen Spruch auf den Lippen über die Styx fährt um fortan den Hades zu rocken und noch selbst das Boot rudert, nachdem er Charon k.o. geschlagen und den Zerberus über Bord gekickt hat. Wir erleben hier das Ende der patriarchalisch verankerten Grandiosität und mythischen Wucht der Heldenfigur vornehmlich im Western, die nun durch Coolness ersetzt wird. Diese etablierte sich zunächst im Neo-Western, als Paul Newman und Robert Redford „Scheisseeeeee“ brüllend in den Abgrund sprangen (Butch Cassidy and the Sundance Kid, 1969) – was Gary Cooper niemals eingefallen wäre, der hätte sich vorher höchstens noch bekreuzigt und an sein Frauchen zuhause gedacht, gemäss des damals noch herrschenden Wertecodexes.

Das Publikum fand das erfrischend und dürstete offenbar nach den neuen Heroes, niemand wollte mehr John Wayne beim Sterben zuhören, wenn er tödlich getroffen im Präriestaub lag, sein Buddy sich zu ihm herunterbeugte und seine letzten Worte vernahm wie etwa „Lebwohl, alter Freund … und grüss mir … mein gottverdammtes herrliches Mexiko … röchel… und sag..japs … Juanita, dass ich sie liebe … röchel … letzter Schnaufer, Exitus. Oder ähnlicher Sayonara-Schwurbel. Schlussakkord, Sonnenuntergang, Abspann. Heute sagen die Helden im Todeskampf: „Wie ich es hasse, immer recht zu haben!“ oder „Der alte Sack da oben will mich anscheinend sprechen!“ Der Buddy drückt dem Sterbenden die Augen zu, wuchtet die Leiche auf die Schulter mit den Worten „Ich habe immer gewusst, dass Du verdammter Hurensohn mich eines Tages hängenlässt!“ Oder vielleicht noch: „Wenn ich Dich drüben wieder treffe, polier ich Dir als erstes die Fresse!“ – und erledigt dann die noch zu vollendende Aufgabe in amerikanischer Pioniermanier mit seiner Knarre im Alleingang.

Das ist die neue Buddyzärtlichkeit und diesen Typus hat Altman hier ebenso erfolgreich wie treffend karikiert – ein fugengenaues Nachzeichnen eines neuen Archetypus, dem wir in der jungen Generation bis heute begegnen – keine Rührseligkeit, nur feuchte Augen über der OP – Maske, als Hawkeye und Duke den Marschbefehl nach Hause bekommen. Der neue Held weint nicht, der haut nur dem Kumpel zum Abschied auf die Schulter, dass der quer über den OP-Tisch fliegt. Man trennt sich schwer von Kriegsschauplätzen, will es scheinen. Irgendwie war’s doch toll mit den anderen Kids, will es auch scheinen, irgendwie wie im College – so ganz gern möchte man eigentlich doch wieder nicht nach Hause ins langweilige Familienleben, wo es mit dem Kiffen und dem Fremdgehen dann auch wieder schwieriger wird, weil die Olle immer dabei ist. Inzwischen ist der Zuschauer schon so benebelt und infantilisiert, dass er ebenso Traurigkeit verspürt dass die Kumpels sich jetzt trennen müssen – voneinander und von ihrem gemeinsamen Bolzplatz. Hasta la vista, Baby!

 

 

Die USA resp. das Pentagon pflegte sich von jeher in Filmproduktionen einzumischen, insbesondere in Form von Subventionen für Filmproduktionen die politisch erwünscht waren und auf neue Kriegshandlungen einstimmen sollten bzw wurden auch solche in Auftrag gegeben und bewährte Regisseure dafür geködert und insbesondere Werbung für die Army gemacht. Das ist nicht neu – auch unter der Herrschaft der Nazis musste sich die UFA in Deutschland nach den Vorgaben der Regierung richten, nach Kriegsende dann nach denen der amerikanischen Militärregierung die streng zensierte. Als Beispielfilm sei hier nur Top Gun (1986, von Tony Scott) genannt, die Premiere von Tom Cruise, der das lässige Army-Heldentum nonchalant zelebrierte, der Start einer grossen Karriere und die Geburt eines Prototyps – des smarten Boys und heftig menschelnden Superheros war ab da installiert, man hörte es förmlich klicken beim Einrasten.

In einigen Städten gestattete das Pentagon das Aufstellen von Ständen und Werbeveranstaltungen für die Army vor den Kinos, die den ganzen Tag Top Gun herunternudelten und andere „Unsere-coolen-Jungs“- Machwerke. Die Narkotisierung des Heldenrausches scheint funktioniert zu haben, angeblich stiegen die Eintritte in die Army danach um 500 Prozent. Unnötig zu erwähnen dass von Top Gun zahlreiche Sequels und natürlich auch eine TV-Serien Stimmung machen und aufrechterhalten. Sogar Ridley Scott, der Bruder des Top-Gun-Machers, beteiligte sich daran mit  Gladiator, einem Film der in geschickt verpackten Botschaften den Imperialismus feiert – am Vorabend des Golfkriegs. Ein Zeichen dafür dass den ganz Grossen der Filmwelt auch nicht immer zu trauen ist. Und wieder besoff sich eine Nation an sich selbst und dem Gaudi-Potential von Kriegshandlungen. Wäre interessant zu wissen, was Leni Riefenstahl dazu gesagt hätte, die Meisterin im Manipulieren, aber die hatte es noch nicht mit der Coolness, die war noch Verfechterin des Bombastischen.

Diesen Effekt der Kriegspropaganda-Narkotisierung und des lässig-gefälligen Heldentums hat Altmann aufgegriffen und bitterböse auf die Spitze getrieben – man bekommt am Ende fast Lust den nächsten Lockheed-Starfighter in den fernen Osten zu besteigen, wo all diese lustigen Dinge zwischen patenten Jungs passieren, die auch in lebensbedrohlichen Situationen nicht einknicken. Zynischer ging’s selten in einem Film dieser Zeit – Altman zeigt uns hier keineswegs nur eine Militärklamotte, sondern in der Dissoziation, in die er uns mit dieser Dystopie gekonnt führt vor allem unsere eigene Verführbarkeit für neue Helden und wie man Krieg in einer Form darstellt dass möglichst viele mitmachen. Und das haut rein und lässt einen schaudern wenn man merkt, worüber man zu lachen fähig ist – bei mir hat’s jedenfalls geklappt. Wenn’s einer nur richtig einfädelt … und der eine, der Krieg anfängt und befeuert findet sich immer. Die Cheerleaders dazu finden sich dann auch schnell. Ein Film zur Selbsterfahrung über eigene Verführbarkeit; der Spiegel der Schneekönigin, der uns zuverlässig immer unsere hässliche Seite zeigt.

 

 
 

Perfect Days (Deutschland, Japan, 2023) von Wim Wenders

 

Vorausgeschickt sei: Ich kann Filme nicht leiden, die die oft gehörte Floskel  „das Leben feiern“ oder gar „das Geschenk des Lebens“ als Botschaft beinhalten. Ich halte die Schöpfung unseres dreidimensionalen Planeten mit allem was dazugehört für eine ziemlich missglückte Sache mit durchaus sadistischen Untertönen – angefangen von der Tatsache, dass hier im Grunde jeder nur überleben kann, wenn er ein anderes Leben tötet und frisst, auch wenn wir diese Vorgänge inzwischen deutlich verfeinert haben. Das hätte man besser konstruieren können.

Von daher schon mal ein schwieriger Ansatz, der durchaus ungemütliche Phantasien eines etwaigen Schöpfers und seiner Absichten evoziert, da helfen auch all die tollen Sonnenuntergänge und rauschenden Kornfelder nicht, die wir kompensatorisch geniessen und über die Schönheit und Güte der spendenden Natur philosophieren können, die aber leider auch die Pest, die Cholera und das Basalzellkarzinom erfunden hat. Und den weissen Hai und Wladimir Putin, allein deshalb wäre der Terminus von der gütigen Mutter Natur nochmal neu zu denken.

Wenn es einem kleineren Teil der Menschheit – so wie auch uns hier – relativ gut geht, dann ist dies besonderen und weitgehend unverdienten Privilegien geschuldet, die da heissen mögen: Kein Krieg, gemässigtes Klima, hinreichend Wohlstand, Bildung, Gesundheitsversorgung und die Zugehörigkeit zu einer Schicht, in der auch intellektuelle Genüsse zur Befriedigung beitragen können, so wie neulich bei Jo und Uli beim Gitarrespielen – kurz: Auf der richtigen Seite der Weltkugel geboren zu sein. Nicht nur auf der anderen Seite der Kugel, sondern auch unter uns leben genügend, die dieses Geschenk liebend gerne zurückgeben würden und es auch tun. Soviel zum Realitätsprinzip und für dergestalte Deklamationen wird man schwerlich jemanden tauber finden als mich.

Pauschal-Lobpreiser des Lebens – gar noch des „einfachen“ Lebens habens bei mir also schwer, zumal mir niemand bisher erklären konnte, was man darunter versteht ausser weniger kaufen, weniger futtern, weniger durch die Gegend düsen und weniger Müll produzieren – zunächst eine reduktionistische Sichtweise einer minimalistischen Daseinsform, die durchaus entspannen kann, wenn man nicht im Gegenzug dauernd irgendwas reparieren muss,, weil mans ja nicht neu kaufen soll. Und das Gemüse selber anbauen und auf die Strassenbahn warten – bei dergleichen bin ich sogar immer relativ unentspannt.

Trotzdem stand ich  Perfect Days nicht von vorneherein feindlich gegenüber, obwohl mir Wim Wenders immer etwas zu sperrig war – ich hoffte dass hier langsam bei mir eine gewisse Altersmilde greift. Und ein Film mit den Kinks und Lou Reed im Soundtrack kann schon mal per se so schlecht nicht sein, egal was der Alte sonst noch damit anstellt.

Martina Weber von den flowworkers hat bei ihrer Filmbesprechung auf den Aufsatz von Georg Seeßlen „Chaos der Bilder – Ordnung des Textes?“ hingewiesen, der darauf achtet, auch die unbewussten Unterströmungen eines Filmes als gewissermassen zweiten Film oder Film im Film zu lesen, bei handlungsarmen Filmen wie dem vorliegenden immer eine nützliche Empfehlung und wo Seeßlen draufsteht ist auch Seeßlen drin. Der zweite Film läuft im eigenen Inneren. Und der dritte im Inneren dessen der neben uns sitzt.

Zunächst: Langweilig ist der Streifen nicht, zu verdanken ist das aber auch dem sympathischen und oft etwas verschmitzt agierenden Hauptdarsteller, der einen mit seiner Ausstrahlung gut durch den Film zu tragen versteht. Das Ganze hätte mit einem Unsympathen auch elend schiefgehen können.

Ich liess mich auf freie Assoziation ein und landete mit den Gedanken zunächst bei … – Ausscheidungen. Immerhin ist der Protagonist damit beschäftigt Örtlichkeiten, die deren Entsorgung dienen, zu säubern, da mag der Einfall verzeihlich sein, irgendwas wird sich Wenders dabei gedacht haben, wenn er keinen Pizzaboten zur Hauptfigur wählt, sondern jemand mit einer Tätigkeit, die wir im karriereorientierten Westen mit „ganz unten angekommen“ verbinden und schon von daher wieder interessant finden, weil er so weit von unserem Leben entfernt ist. Auch der begleitende Soundtrack (als erstes House of the Rising Sun) handelt von Menschen, die die Gesellschaft ausgestossen hat und die keinen Weg zurück mehr finden, weil sie sich in irgendeiner Form „schmutzig“ gemacht haben, ein gnadenloser Akt. Ein Rückverweis darauf die Reaktion der Mutter, die ihrem Kind die Hände desinfiziert, als es von der Toilette kommt.

Generell zeigt der Film ein sauberes Tokio, ohne Menschenmassen, Smog und überbordendem Verkehr, dafür mit traumhaften Parks und geradezu künstlerisch gestalteten Bedürfnisanstalten; es lässt sich natürlich leicht in buddhistischer Kontemplation verweilen, wenn man nicht gerade mit Atemmaske im Stau steht.

Die Art, mit der Hirayama die Toiletten reinigt – mit Liebe zum Detail und Respekt vor den Usern – integriert das Ausgestossene zurück in die Gesellschaft als etwas zum Menschen Gehöriges. Ein achtsamer und würdevoller Umgang auch mit dem Allzumenschlichen, das rührt an. Wenn Immobilien eine Würde hätten, könnte man sagen, er hätte Bedürfnisanstalten und allem was damit verbunden ist ihre Würde zurückgegeben. Das ist neu für den Westeuropäer.

Ein Unbehagen blitzt auf bei den Einwegspiegel-Klos, in denen man auf dem Thron ungestört die Umgebung betrachten kann – ein Moment der Scham und Unsicherheit – sieht man nur oder wird man nicht auch gesehen? Und wenn … so what? Das Anale gehört auch zum Menschen ebenso wie das Urethrale. In den Ashrams bei Osho konnte man die Toiletten nicht abschliessen, auch eine neue Erfahrung, die durchaus mal nicht schadet. Der Film beginnt uns zu verändern.

Dabei fliesst er wie ein Fluss, eine buddhistische Anmutung, ein Leben des Annehmens und Genießens, in dem es keinerlei Kampf gibt. Das ist neu in der aufgeregten Filmwelt, da erinnere ich zuletzt Easy Rider – aber der nahm ein schlimmes Ende. Natürlich kann ein Mensch auch gut fliessen, wenn er nicht in Beziehungen lebt – Hirayama ist freundlich aber pflegt sich auch herauszuhalten, da ist es auch leicht Buddhist zu sein, wenn man den anderen nur streift und nicht berührt oder sich plötzlich so etwas wie Leidenschaft entwickelt – was macht er dann? Gleich wieder transzendieren?

Und doch spürt man heimlichen Neid auf dieses zufriedene Leben, auch wenn sich Zweifel einschleichen mögen.In jedem Fall unterläuft der Film unsere Sehgewohnheiten und Erwartungen dramatischer Konflikte und ihrer Lösungen bzw Untergangsszenarien und im Laufe der beiden Filmstunden stellt sich der Zuschauer um auf das vom Soundtrack angebotene  hanging-around on a sunny afternoon oder eines sitting on the dock of the bay oder feed animals in the park von Lou Reed.

No Drama, no mindfucking, wir sind nur auf einer gemeinsamen Wanderung. Man wird neugierig auf die Welt, in der er lebt, warum liest er Faulkner?

Ist er wirklich so bei sich angekommen wie es den Anschein hat? Er lebt eine Haltung der Achtsamkeit (ein heutzutage viel zu breitgetretener Begriff) und Achtung, zuzeiten blitzen Zeichen seines Gewordenseins auf, familiäre Konflikte, die aber überwunden scheinen, stören kurz den Fluss der Nicht-Ereignisse. Aber mittlerweile wollen wir es auch gar nicht so genau wissen, lieber zurück in den Flow, gemeinsam mit dem Protagonisten, lassen wir weiter das Subliminale auf uns wirken, ohne es gross ergründen zu wollen. Krimi-Zuschauer werden hier schlecht bedient. Jetzt ist jetzt und früher war früher und die Zukunft kommt später.

Erst am Ende nimmt Hiyamoto Kontakt zum Zuschauer auf – lächelt, kurz kommen Tränen, dann strahlt er wieder – Jetzt kennst Du mich! Zum erstenmal wirkt er näher bezogen, gleich wird er verschwunden sein – schade eigentlich, man hat ihn ins Herz geschlossen auf der gemeinsamen Reise. Eine stille Kommunikation in einem stillen Film mit vielen Möglichkeiten, der Selbstbegegnung in einem gemächlichen Dahinbewegen. Auch so kann das Tempo des Lebens aussehen, so wohltuend kann Ereignislosigkeit sein und so viele neue Räume öffnen sich, wenn nichts passiert, auf das wir uns gleich wieder stürzen, darüber grübeln und den Erregungspegel damit wieder hochjubeln.

Eine unser Nachbarinnen veranstaltet Lama-Wanderungen hier im Gelände – ein Ausflug bei dem freundliche Tiere das Tempo und die Pausen vorgeben und sonst nicht viel passiert – so wie es Hiyamoto mit uns macht. Ob ich nicht doch mal mitgehe?

 
 

2024 23 Aug.

Schwelle und Rückstau

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„I can give it, but can you take it?“ war die Replik eines Gurus auf die Frage eines Schülers, ob man Erleuchtung übertragen könne. Wäre dies nicht eine Situation, wie sie auf vielerlei Wechselbeziehungen zuträfe? Die Regeln von Produktion und Rezeption. Es brauchte seine Zeit, bis ich wieder drin war im Ritual des Albumhörens nach ein paar Tagen Pause. Zunächst dachte ich, das Equipment sei kaputt – nein, etwas Geduld ist erforderlich. Auch wenn man ins kalte Wasser geht, benetzt man ja zunächst die Haut. Anlässlich einer Hifi-Recherche im vergangenen Winter meinte ein Fachhändler auf YouTube, beim Kauf von Boxen solle man sich vor Spontankäufen hüten, denn das Hörvermögen sei von der Tagesform abhängig. Aha – noch andere Faktoren sind also maßgeblich als nur die Dicke des Geldbeutels! Na klar, die Sinne spielen stets ihr eigenes Spiel. Daher vielleicht die Schwellenangst: kann ich das überhaupt verdauen, was mir dargeboten wird? Von der Schwelle nun zum Rückstau: Mir fiel oft auf, wenn ich die Gitarre zur Hand nehme, dass ich stets verdutzt bin von der Schönheit des Klanges und der Faszination, eigene Töne hervorzubringen zu können. Ich bin sofort im fragenden Dialog mit der Klangwelt, je einfacher, je besser. Ein E-Moll Akkord, bewusst gespielt, eröffnet einen Kosmos. Dann jedoch wird’s heikel: man will zuviel, schliesst den Rekorder an, dazu Effektgeräte, Spur wird auf Spur gelegt, man ist berauscht. Der Backlash aber: alles schon gehabt, mediokres Zeugs, baden in Klischees. Nee, dann lieber einen Mollakkord anschlagen, Schuster bleib bei deinen Leisten, das kurze Hier und Jetzt. Ein John McLaughlin wirst du eh nicht mehr. Und doch, die Klangwelt folgt mir wie ein Schatten. „Ich bin, weil ich Gitarre spiele“ – das sagte schon Descartes, wenn ich mich nicht irre. Oder war’s Karl May?

 

2024 19 Aug.

R.I.P.

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Ich mochte ihn ja nie und musste mich fast zwingen, seine Filme zu sehen. Romy Schneider mochte ich auch nie – irgendwie kommt die ja als erste Assoziation sofort dazu – zu püppchenhaft, die Stimme zu piepsig, obwohl man anerkennen muss, dass sie ihr Sissy-Kreuz tapfer überwunden hat. Trotzdem passte die Chemie nicht. Delon war grandios in Filmen, in denen er Schönheit gepaart mit Eiseskälte und aalglattem Gangstertum zelebrieren konnte, da war er unschlagbar. Dergleichen wird auch gebraucht in der Filmwelt. Trotzdem passte die Chemie genauso wenig.

Als romantic french lover – nö! Zuwenig Wärme, geschweige denn Glut und Leidenschaft, immer ein paar Eiswürfel zuviel im Hintern, vielleicht deshalb –  obwohl Romy und er in Swimming Pool knutschten wie die Weltmeister, fünf Jahre nach ihrer Trennung. Diese Leidenschaft nahm ich ihm auch nicht ab. Ihr schon, obwohl sie immer heftig beteuerte, sie habe ihn nur professionell geküsst. Irgendwie muss man sich schützen.

Immer ein paar Skepsis-Fältchen zuviel auf der Stirn – längs und quer – die von innerem Abstand zeugten, einer Erst-mal-gucken-Haltung. So schnell kriegst Du mich nicht! Ein Gesicht zum drin lesen, als hielte er immer ein Stück von sich zurück, würde nie alles geben, sich nicht ausliefern, Sparsamkeit mit der eigenen Wärme, ein kühler Rechner – ja, vielleicht das. Und alles kriegst Du sowieso niemals!

Als Liebender vermittelte er kein Gefühl von Sicherheit – zu schön für eine Frau, man rechnete mit seinem baldigen Abschied, Aufbruch zu neuen Ufern, er liess sich nicht besitzen. „Ich gehe und lasse Dir mein Herz hier“ stand im Abschiedsbrief an Romy – ambivalenter geht’s nicht. Wohlfeiler auch nicht. Danach fuhr er mit Nathalie in den Urlaub, die er bald darauf heiratete – fünf Jahre dauerte das immerhin. Was tut man mit einem singulären Herzen, wenn der Rest mit einer anderen Frau flittert?

Romys Herz war gebrochen, hörte man – wie kann etwas brechen, das so weich ist? Viele Jahre später würde eine Eisenstange das Herz ihres Kindes durchbohren, der Anfang eines langen Endes. Als Vierjähriger kam Delon nach der Trennung seiner Eltern zu Pflegeeltern, sechs Jahre später verlor er diese durch einen Unfall – von plötzlichem Verschwinden verstand er etwas. Schwierig, hier selbst ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln und weitergeben zu können, er drehte lieber den Spiess um und verschwand selbst.

Er ging zur Mutter zurück und arbeitete zunächst im Betrieb seines Stiefvaters als – unmöglich zu erraten – Metzger. Da hat man auch mit Herzen zu tun, man zerteilt sie. Politisch war er eher rechtslastig, was ihn nicht sympathischer macht. Ein Wohlbekannter, den niemand so richtig kannte; ein Liebender, der einen frieren liess, ein Vielgeliebter, den niemand so richtig ins Herz schliessen wollte. Er lehrte uns das Schaudern bei der Liebe.

 

2024 16 Aug.

Martin Brambach

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Der Mann ist die Show – unter anderem zu bewundern im aktuellen Dresden-Tatort. Ein Typ, von dem man den Anschein hat, dass er permanent übergriffig wird, vor allem (aber nicht nur) gegenüber Frauen. Seine beiden Kommissar-Kolleginnen haben es nicht einfach mit ihrem Chef, dem Paradebeispiel für die Generation des alten weissen Mannes mit längst abgelaufener Halbwertszeit und Sugar-Daddy Attitüde. Beim Verhör schreit er unvermittelt, stets dem cholerischen Ausbruch innig verbunden, so wie dem Kutscher permanent die Pferde durchgehen, eine junge Schülerin an, dabei mit dem Gesicht ganz nah dran: „Ja, merken Sie denn nicht, junges Frollein, dass wir hier auf Ihrer Seite sind!“ Er bekommt dann auch schnell den Platzverweis: „Chef, Sie gehen am besten mal raus und wir machen das hier weiter.“ Keiner kann so akurat den Lodenmantel an den Haken hängen, dabei die Untergebenen zur Drecksarbeit delegieren, derweil er sich ja um „die Presse“ oder andere höhere Aufgaben kümmern muss. Seit langem kennt man den aus Funk und Fernsehen bekannten deutschen Schauspieler, genial in der Darstellung des Unsympathen. Ich sah in mal in einer Talkshow und war verwundert, dass er privat das Gegenteil zu sein scheint, was er in seinen Rollen darstellt: ein mitfühlender und sensibler Typ, der wahrscheinlich Rockmusik hört, Yoga macht und sich vegetarisch ernährt. Besteht nicht auch darin der Reiz des Schauspielerberufs, dass man seine Schattenseiten kennenlernt und darstellen kann: der Jekyll & Hyde Effekt? Jede Wette, dass es dem Brambach einen Mords-Spass macht, was er spielt. Als Zuschauer jedenfalls kommt unsereins auf seine Kosten: her mit den Dresden-Tatorts!

 

 

Für die Zeit der Hochbetagtheit habe ich mir vorgenommen, noch einmal Karl May zu lesen, als stolze Besitzerin aller 70 Bände in der formschönen Ausgabe des verdienten Bamberger Verlags mit dem kuschelig-altmodischen Golddruckoutfit. Man riecht förmlich den ehrwürdigen Staub, den man aus ihnen herausschütteln kann und in diesen Nebeln und Gerüchen findet sich ein Stück Vergangenheit/ Kindheit kurzfristig wieder – dusty hours.

Wie ich die Anschaffung mit meinem knappen Taschengeld geschafft habe, ist mir bis heute ein Rätsel, ich hoffe ich habe keines geklaut, das hätte der grosse Mayster nicht gutgeheissen, die Kindererziehung lag ihm sehr am Herzen, obwohl er keine hatte – kein Wunder bei 14 Geschwistern, da hat man die Nüstern voll. Heute kann man die gesammelten Werke bei Amazon für 7,99 erstehen, ein Zeichen dafür, dass die beste Zeit des Autors wohl vorbei und jegliches Verfallsdatum abgelaufen ist.

Die Verfilmungen in den Jahren ab 1962 aufwärts brachten noch einmal eine kurze Renaissance, die auch den Büchermarkt triggerte, bis die anschwellende Popkultur mit einer ganz neuen Bildsprache und neuen Themen das brave Bravo-Nachkriegsjugend-Eiapopeia (immerhin bekam die Jugend jetzt eine eigene Kultur, Mode und Musik) unter sich begrub. Da konnte auch der hoffnungslos gutaussehende Pierre Brice nicht mehr viel dagegen machen – der sich im übrigen als alter Sauertopf erwies und stinkebeleidigt war, als Bully Herbig sein Schuh-des-Manitou-Gekaspere auf die Leinwand bannte und alle den schwulen Winnetouch plötzlich besser fanden als die holzgeschnitzte Originalfigur mit maximal drei Gesichtsausdrücken, die er uns immer ablieferte (betroffen, nicht betroffen, sehr betroffen) und was wiederum alles Hohe und Hehre der May-Welt endgültig in die Gewässer der Lethe schwemmte, die bekanntlich alles vergessen lässt damit es einem im Hades dann besser gefällt.

Zugegeben: die Storys sind schwarzweiss und trivial und die Figurenzeichnung ein Sammelsurium an shining heroes, aalglatten Gangstern und skurril-schrägen Typen, auch von der Darstellung von geschlechtlich uneindeutigen oder transvestitisch sich gebärdenden Zeitgenossen schreckte May nicht zurück, gegen Crossdresser hatte er offenbar nichts.

Ein Kessel Buntes und nicht wirklich fesselnd für alle die das Kindesalterverfallsdatum überschritten haben. Wer aber glaubt, es handle sich hier um Wildwestgeschichten und Reiseerzählungen, der irrt gewaltig – der May’sche Mikrokosmos ist wesentlich komplexer und durchaus wert, dass sich Literaturwissenschaftler und Psychologen mit ihm beschäftigen. Taten auch viele.

Faszinierend zunächst der Mann selbst: Ein schwächliches Kind einer armen Weberfamilie in Sachsen, vorübergehend vermutlich aufgrund Mangelernährung erblindet. Daher nicht fähig, am Webstuhl zu malochen und der Grossmutter zur Obhut anvertraut, die ihn lehrte, dass man in der Welt der Märchen und Phantasien besser beheimatet ist als im Reich der Schwerkraft, der störrischen Materie und der ungestillten körperlichen Bedürfnisse. Der Vater, ein durchaus schlauer Kopf, der den Sohn an die Bücher brachte – immerhin das – aber ihn und seine Geschwister (er war das fünfte von vierzehn Kindern, von denen aber neun in den ersten Lebensmonaten verstarben) gnadenlos mit der Rute (genannt der „Birkene Hans“, hier also bereits die Fetischisierung eines Folterinstrumentes) verprügelte.

Die Anhäufung von Waffen ganz besonderer Art und ihre phallische Symbolik findet sich im gesamten Oeuvre Mays: Sam Hawkens hatte seine treffsichere Liddy, wenn eine Schiesserei drohte, freute die sich offenbar bereits im Vorfeld und er bemerkte „dass Liddy Hochzeitsgedanken hat.“ Was immer man sich darunter jetzt vorstellen mag. Old Shatterhand hat natürlich gleich zwei Schiessprügel, klaro.

Die Mutter Mays war eine depressive Dulderin – das damals übliche Ehegespann eines saufenden Cholerikers, diese Konstellation in Verbindung mit Armut und Kinderarbeit ergibt nicht immer unkomplizierten Nachwuchs – das war auch die Konstellation in der Hitler und Stalin aufwuchsen. Beim Vater der Sklave, bei der Mutter der gescheiterte Retter (Frauen aus der Gewalt von Monstern zu befreien ist im Werk ebenso ein oft aufzufindendes Motiv), bei der Oma der Märchenprinz – ein integriertes realistisches Selbstbild darf man bei diesem mismatch ohnehin nicht erwarten, da konnte nichts wachsen und wieder gesundschrumpfen um zu einer Mitte zu finden die ein geglücktes Leben ermöglicht und jede Demütigung zieht sofort die kompensatorische Reaktivierung von Grössenphantasien und dementsprechende Manifestationen (im Angeben war er unschlagbar!) nach sich und dies ist wiederum ein Anreiz für die Umwelt ihn weiter zu deckeln.

Aus dieser Spirale fand er nie mehr heraus, denn unsere Verwerfungen im Selbstbild spiegelt uns recht zuverlässig die Umwelt wieder: Man wird auf den Thron gehoben und wieder gestürzt und durchgeprügelt – manchmal sogar hintereinander von den gleichen Leuten und hat den Eindruck dass die Vergangenheit nie endet. Die Errichtung eines Armes-Opfer-verkanntes-Genie-Selbstbildes, von bösen Neidern umzingelt, rettet hier vor dem narzisstischen Zusammenbruch.

Die Gut-Böse-Spaltung zieht sich durch sein gesamtes Werk, in den früheren Jahren begann er mit Kolportage-Fortsetzungsromanen in katholischen Familienzeitschriften (Waldröschen, Erzgebirgische Dorfgeschichten), mit reichlich wackeren deutschen Helden und viel traulichem Waldesrauschen – und sich durch das gesamte Oeuvre ziehenden sadistischen Entladungen. Hadschi Halefs treffsichere Peitsche, die „die Haut aufplatzen lässt“ und sich sodann „tief ins Fleisch des Schurken wühlt“, hatte auch schon ihre Vorläufer dort im Erzgebirgischen und wurde ebenso oft wie später im Orient hervorgeholt.

 

 

Die Volten, Kapriolen und sonstigen Versuche eines unterbezahlten, kränklichen Dorfschullehrers und späteren Gefängnisinsassen sich durch Hochstapelei und überbordende Phantasietätigkeit vor der Ärmlichkeit und Banalität des Lebens zu retten und stets mit einem Bein jenseits der Realitätsschranke in grandiosen Traumwelten zu herumzuspazieren und dort in hochidealisierten Beziehungen mit perfekten Menschen sein Herz zu erwärmen sind lesens- und studierenswert. Er schaffte es, diese Traumwelten immer stärker in sein Leben zu integrieren, sich immer häufiger als das Ideal-Ich zu präsentieren, das im Westen wie im Orient grandiose Siege erfocht.

In seinem Privatmuseum Villa Shatterhand  liess er die Träume sich materialisieren, allerlei Völkerkundliches sammelte sich an und sogar die legendäre Silberbüchse und Haare vom Haupte Winnetous konnten besichtigt werden – gemäss späterer Überprüfungen handelte es sich um Pferdehaar – und May sah sich gezwungen seine Geschichten zu korrigieren die besagten dass Winnetou mit Ross und Silberbüchse in den Gros-Ventre-Bergen unter einem Erdhügel begraben wurde. Offenbar hat Old Shatterhand dann Leichenfledderei begangen – natürlich nur um seinerseits ebensolches der schurkischen Komantschen zu verhindern – und die Waffe der starren Hand entwunden sowie noch ein Haarbüschel für die staunende Nachwelt sichergestellt. Wenn man Mays Gedankenpfade weiterdenkt kommt man rasch ins Bizarre wenn nicht gleich ins Lächerliche.

Arno Schmidt amüsierte die Leserwelt mit der Analyse der unterschwelligen Sexualbotschaften und – landschaften im Oeuvre. Dass sich Old Shatterhand und Winnetou (der Herr mit der unpraktischen Damenfrisur, der auch nach dem grössten Schlachtgetümmel noch untadelig sauber und gebügelt in seinen weissen Lederklamotten aussieht und der vermutlich morgens am Teich sitzt, sich die Klapperschlangenhaut in die Flechten flicht und die Leggins wäscht – ich sage ja, man kommt schnell ins Bizarre) ständig umarmen und auch küssen, sei jetzt dahingestellt, ebenso das Kommunizierende-Röhren-Getue („Was mein weisser Bruder fühlt, das fühlt auch Winnetou!“), das die Seelenverwandtschaft unterstreichen soll, ist dabei nur ein Augenzwinkern wert, sadomasochistische Entgleisungen meinethalben auch, Schmidts besonderes Interesse galt den sexualisierten Darstellungen von Landschaften. Fasten seat belts!

 

 

Es wird in offenbar haufenweise vorhandene senkrecht sich öffnende und dicht bewaldete Felsspalten, aus denen ein Bächlein rieselnd hervorspringt, eingedrungen und ebenso oft in kreisrunde und bewachsene Talkessel abgestiegen, aus denen üble Dünste dampfen, man bricht auf zum „Loch der alten Frau“, Winnetou ruht in den Gros-Ventre-Bergen (der Tod als Rückkehr in den Bauch der Mutter Erde – okay, kann man so stehen lassen), ein Häuptling nennt sich Lata Nalga, was etwa mit Konservenhintern zu übersetzen wäre.

Und so geht es ähnlich charmant und sanft hügelig weiter. Kriemhild – so Arno Schmid, der Meister der Wortspiele – sei ja nicht nur eine Prinzessin gewesen, sondern cream hilled sei ja auch eine Eigenschaft jedweder Miss Germania, dem gemäss treiben sich die Protagonisten auch gerne zwischen Hügeln mit im Abendrot rosa leuchtenden Spitzen herum und erkunden anmutig begraste Felsritzen, in denen es dann beim Eindringen recht spannend wird und so mancher verborgene Schatz zu finden ist.

By the way: Wenn sich eine Frau an Shatterhand oder Winnetou anpirscht, ist klar, dass ihr kein langes Leben beschert ist und der Meuchelmörder bereits lauert, um sie um die Ecke zu bringen und die hochidealisierte Beziehung zwischen den männlichen Protagonisten störungsfrei aufrechtzuerhalten. Deutschgetümelt wurde natürlich weiterhin – Old Shatterhand ist ja Sachse, trifft im Westen auch rätselhafterweise immer wieder auf Sachsen und der weisse Lehrer von Winnetou, den es auch in den Westen verschlagen hat, stammt aus … raten Sie mal.

Die Sachsen sind natürlich alle feine Kerle und so wird mit dem Wörtchen deutsch das bekannte chauvinistische Schindluder getrieben. Weiter scheint auch in der Maywelt eine besondere Form von Fulfilling-Department zu existieren: Wenn irgendein Gauner den kuriosen Schwur tut, ein Grizzly solle ihm das Gehirn herausfressen, wenn er nicht die Wahrheit sage … etc … etc … – kann man sicher sein, dass Meister Petz schon um die Ecke auf ihn und sein bisschen Grips wartet.

Laut Schmidts Analyse sah er sogar in dem quirligen und immer etwas aufgeregten, sein eigenes Ding verfolgenden und mit einem Bart gesegneten (der aus sieben Haaren bestand – drei rechts, vier links, wenn ich mich recht erinnere) Hadschi Halef Mays eigenen Penis. Schwer zu bändigen war der anscheinend – nu ja, nu ja! So weit so kindlich!

Jedenfalls nahm man dem Alten seine Hochstapelei sowie auch die „unmoralischen Züge“ seiner Kolportageromane  – etwas Sterileres als diese war sogar in der damaligen Zeit schwer aufzufinden – äusserst übel und er sah sich zu einem Kurswechsel gezwungen und verkündete häufig und ex cathedra, dass seine Reiseerzählungen, mit denen er es zu Popularität und bescheidenem Wohlstand gebracht habe, nur Vorstudien gewesen seien und sein eigentliches Werk jetzt im Alter beginne: der Ich-Erzähler (also Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi) nun der suchende Mensch sei, der versuche, die „Menschheitsfrage“ zu lösen – also irgendwie eben den Kampf zwischen Gut und Böse zu gewinnen und das Niederringen des eigenen Schweinehundes hinzukriegen, wie man das heute nennen würde.

 

 

Damit wurde es endgültig beklemmend …

Illustriert wurden die Bücher dieser Ära nun vom Kunstprofessor Sascha Schneider, einem Maler, der sich damals schon als homosexuell geoutet hatte, folglich wimmelte es von da ab im Oeuvre reichlich von nackten Kerlen in anmutigen Posen.

 

      

 

 

Auch manch anderer Illustrator einer niedrigeren Kaste wurde Opfer des gleichen Sogs und bildete Winnetou mit Ohrring, kessem Hüftschwung und neckischem Pferdeschwänzchen ab.

 

 

Handlungsmässig ging es nun eher spirituell-jenseitig zur Sache und die Geschichten handelten von Ardistan und Dschinnistan (das Reich des Bösen, Triebhaften und Erdgebundenen contra … das Gegenteil halt!) und das Pendant von Winnetou war im Orient eine ebenso betagte wie moralisch hoch und höchst stehende Dame – vermutlich ein Abbild der idealisierten Grossmutter der May hier ein charmantes Denkmal setzte – und die Kara Ben Nemsi zu seinem ursprünglichen Ziel führte das „Edelmenschentum“ zu erreichen.

 

 

Marah Durimeh!
Tusch, Trommelwirbel!

Lesen wollte das nun mittlerweile niemand mehr, verlegt wurde es weiterhin und Vortragsabende und Lesungen gab es auch weiterhin, angeblich soll auch Adolf Hitler gelegentlich im Auditorium gehockt haben, um etwas über den Edelmenschen zu hören. Da hat ihm sicher vieles gefallen.

Die Identität des Weitgereisten beliess May weiter im wohligen Dunkel der Halbverdrängung und liess sich, klein und schmächtig wie er war, mit Indianergewand, Lasso und Silberbüchse als Old Shatterhand ablichten, auch als ihm schon keiner mehr den berüchtigten Prankenhieb Richtung feindlicher Schläfe zutraute. Irgendwie ja auch eine Leistung! Oder wahlweise Frechheit, abgrundtiefe Arglosigkeit und stabilisierender Grössenwahn – die Realitätsgrenze war bei ihm jedenfalls zeitlebens sehr unscharf gezogen.
Nebenbei hatte er sich immer wieder mit Gerichten, Verlegern, Moralaposteln und anderen Nattern auseinanderzusetzen, was seine Gesundheit zusehends schwächte, um seine Feinde war er wahrlich auch nicht zu beneiden.

In seinen letzten Jahren, bereits altersgebrechlich, besuchte er doch einmal – erstmalig – den Wilden Westen, lebte und speiste in einem gepflegten Hotel. An seiner Seite seine zweite Ehefrau Klara, die den Rest seines Lebens treu ergeben vor ihm auf den Knien lag, (nachdem er die erste – die Emma – vom Typ her eher ein berechnendes Luder – losgeworden war, dergleichen schaffte er durchaus) und der er ebenfalls in seinen Büchern ein gebührendes Denkmal gesetzt hatte: Die schöne Kurdin Schakara, die morgens wie weiland Winnetou ihre schwarzen Flechten am Teich ordnete – womit die Sexualüberschreibung von männlich zu weiblich im höheren Alter offenbar vollzogen war. Die Frauen bekamen zunehmend das zahlenmässige Übergewicht und die stärkere moralische Macht im Oeuvre und bar jeder Selbstreflexion hat er auch sicher nicht gemerkt, dass dies zeitlich mit dem Eingehen seiner zweiten Ehe in etwa zusammenfiel.

Als er einige Tage in den Staaten verschwunden beziehungsweise für die Presse nicht zu sprechen war – man vermutet Unpässlichkeit – erklärte seine Schakara den Reportern, er sei wohl mal eben rasch zu seinen Apachen gefahren deren Ehrenhäuptling (das gibt’s anscheinend – Häuptling h.c.) er ja immer noch sei. In einem späteren Interview bekannte sie das alles nicht mehr so genau zu wissen, auch ihr Mann sei sich nicht mehr sicher wohin ihn seine Ausflüge geführt hatten. Somit hielt sie das gemeinsam gewobene narzisstische Konstrukt aufrecht und konnte weiterhin – anstatt mit einem Schullehrer und Kleinkriminellen von sehr instabiler psychischer Struktur – mit Old Shatterhand verheiratet sein. Da lohnt sich dergleichen Drüberschwurbeln.

Ob das Ganze ein Vorbild für die Jugend gewesen ist, sei jetzt mal dahingestellt und ist im übrigen völlig irrelevant; wenn ich die Bände jetzt auf dem Flohmarkt anbieten würde, käme sicher von den youngsters lediglich die Frage, wo ich denn meine Zeitkapsel geparkt hätte.

 

Summary:

Das Werk ist künstlerisch wenig interessant. Das Leben des Autors und seine Fähigkeit des Selbst- und Fremdbetrugs und das durchaus geschickte Hangeln über immer wieder auftauchende Abgründe in seiner unruhig gezogenen Lebensspur und das Aufhalten in intermediären Räumen, bis keiner mehr wusste, was wie wo wann und mit wem und ob überhaupt oder eher doch nicht passiert war, ist sehr wohl ein Kunstwerk ganz eigener Art und unverzichtbarer Stoff für Psychiatrie-Seminare. Das Wilkomirski-Syndrom nennt man’s heute – eine Form von Pseudologia phantastica.

Wie ich überhaupt zu diesem Thema komme?

Ich war in Berchtesgaden, hab’s ja nicht weit dahin, und habe mal wieder das Lattengebirge bewundert und die schlafende Hexe.

Very cream hilled!
Eiverbibbsch!!

 

2024 9 Aug.

Den Kopf verlieren

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„Was kostet den Kopf?“ lautete der Titel einer Jubiläums-Festschrift zu Ehren des Soziologen Dietmar Kamper, dessen Bücher ich einst sammelte wie andere Leute Schallplatten und eigenmächtig zum Kultstatus erhob. Nun, die Zeiten ändern sich, aber der Terror der Bilder und die parasitäre Bemächtigung des Körpers durch den Geist, auf die ja auch der vom Bürgertum vielgescholtene Osho alias Bhagwan Shree Rajnesh einst hinwies, ist immer noch am wirken, stärker als je zuvor. Allerdings, in psychotherapeutischen Kreisen inzwischen bekannt, besteht eine konstruktive Wechselwirkung: der Körper formt den Geist (bottom-up) und der Geist den Körper (top-down). Die Eingangsfrage des geschätzten Soziologen, der ja auch Leistungssportler war in frühen Tagen, zielt wohl eher auf Letzteres und tatsächlich wies er immer wieder darauf hin, auf welch perfide Weise der Körper zugunsten des Geistes das Nachsehen hat. Deshalb werde ich auch nicht müde, meinen Lieblingswitz wiederholt zu zitieren, in dem Jemand einen verlorenen Schlüssel unter der Laterne sucht, obwohl er ihn im dunklen Gebüsch weiter abseits verloren hat. Aber dort sind weder Licht noch Ratio. So ist der Kopf, hat er einmal feste Vorstellungen gefasst, nur schwerlich davon abzubringen. Ich habe es mir mittlerweile abgewöhnt, die Glaubenssätze anderer Menschen anzugreifen, diesem Minenfeld weiche ich aus, soweit es gelingt, behalte meinen Widerspruch für mich. Denn paart sich Sturheit mit Narzissmus, heisst es: die Flucht ergreifen.

 

 

                      

 

Notturno (Ö, 1986), Fritz Lehner

 

Wenn ich die bevorzugten und individuellen Klangqualitäten grosser Komponisten Revue passieren lasse, würde ich Beethoven das Donnergrollen zuordnen – irgendwie konnte er das am besten, Mozart das Leuchten und Strahlen, Schumann das Abgründige und Schubert die Sehnsucht und die Wehmut – dieser Mann sehnte sich das Herz aus dem Leibe.

Eine Biographie über ihn, die mir vor Jahrzehnten in die Hände fiel, war betitelt als „Musikgewordenes Heimweh“, vom Sprachlichen her etwas verstolpert – aber passt!

Fremd zieh ich wieder aus – zwischen diesen beiden Polen spannt sich das Leben von Franz Schubert auf, hier in einem Biopic von Fritz Lehner mit dem kongenialen Gernot Roll als Kameramann in einem Dreiteiler, fürs Fernsehen produziert; der Regisseur bekam dafür 1986 den Bundesfilmpreis.

Der kommerzielle Erfolg im deutschsprachigen Raum blieb dem Film versagt, er wurde fürs Kino auf einen dreistündigen Zweiteiler eingedampft (das heisst einige der besten Momente fehlen bzw der ganze Mittelteil), englisch synchronisiert und im Ausland vertrieben womit sich wieder das Muster konstellierte, dass der Prophet im eigenen Lande nicht viel gilt. Falls Schubert hätte hellsehen können, hätte er sich darüber nicht weiter gewundert und ein eigenes Lebensmuster darin wiedererkannt.

Sowohl der Zwei – als auch der fünfstündige Dreiteiler Mit meinen heissen Tränen sind mittlerweile als DVD erhältlich und ein gutes Zeichen dafür dass Produzenten vernunftbegabt sind und Potentiale erkennen und fördern können.

Der Film beschreibt das Leben des Hofkompositeurs Franz Schubert im Jahr 1828; es ist sein letztes Lebensjahr und bereits verdunkelt durch eine schwere Erkrankung, die ihn bald töten wird, die er zeitweise noch zu verleugnen sucht, bis sie am Ende zum finalen und nicht mehr zu verleugnenden Prankenhieb ansetzt, wahrlich eine Reise in den Winter auf die man uns mitnimmt.

Zunächst sehen wir ihn im Kreise seiner Freunde – junge Künstler aus den besseren Kreisen Wiens – Moritz von Schwind, Franz von Schober, Johann Strauss – und deren Entourage von hübschen Mädchen zum Feiern und Hörner-Abstossen, bevor eine gutbürgerliche Jungfrau geehelicht wird.

Alles smarte Jungs – wie man heute sagen würde – unter denen Schubert, den sie liebevoll aber auch abschätzig „Schwammerl“ nannten, sicher das grösste Talent sein eigen nennt, aber auf gesellschaftlichem Parkett eher unsicher und tapsig wirkt und auf Prostituierte zur Befriedigung angewiesen ist. Hart genug für einen Romantiker, der die Mutter verlor und als dreizehntes Kind der Eltern entsprechend emotional ausgehungert war. Als seine Ansteckung mit Syphilis langsam ruchbar wird, geht die Umgebung zusehends auf Abstand.

 

 

Der Film legt wenig Schwerpunkt auf äussere Handlung, ist fokussiert auf die Darstellung innerer Prozesse und Entwicklungen, die vom Regisseur in die szenische Gestaltung symbolisierend eingewoben werden und eine ganz eigene Textur bilden – ein gelähmter Bettler, der ihn verfolgt und seine Freundschaft sucht als Verkörperung des Elends das ihn nicht loslässt, grüne Äpfel, die unvollendet im Sturm vom Baum gefegt werden, gefangene Tiere, denen kurz die Freiheit geschenkt wird als Symbole eines eingesperrten Trieblebens, eine verfallende überwucherte Kirche, von der die Natur wieder kraftvoll und zunehmend Besitz ergreift in einer Phase eines kurzen Aufblühens von zupackender Männlichkeit des Protagonisten, freilich von kurzer Dauer.

Ein von einem Feuerwerkskörper getroffener niederbrennender Baum als Bild für die ultimative narzisstische Katastrophe, als er bemerkt dass das Mädchen, das sich für ihn interessiert, von seinen Freunden eben dafür bezahlt wurde. Im Hintergrund dieses Bildes einer Zerstörung die grandiosen Ejakulationen eines Feuerwerks, die darauf schliessen lassen, dass seine Freunde nach den oralen Befriedigungen eines Gartenfestes nun zu Freuden anderer Art übergegangen sind, von Moritz von Schwind in Skizzen festgehalten, die Schubert am nächsten Morgen auf der hagelverwüsteten Festtafel vorfindet.

Wir sehen Gesichter und Blicke in teils quälend langen Einstellungen – die Kamera bleibt stets nahe bei den Protagonisten und lässt sie nicht aus den Augen – sie erzählen die Geschichte einer Liebessuche, von Neid und Eifersucht und schliesslich einer Agonie, die ganze Umgebung in ihren fahlen Farben scheint davon infiziert zu sein, projektiv gesehen durch das Auge des Protagonisten in seinem körperlichen und seelischen Zugrundegehen.

Das Ganze geschickt plaziert ins Dulijöh – Wien der Biedermeierzeit, hinter aller Postkutschengemütlichkeit ein brutaler Polizeistaat (häufig eingeblendete berittene Polizei mit allen Insignien von Macht und Gewalt ausgestattet erzählen davon und schlagen assoziativ den Bogen zum Stock des brutalen Vaters, mit denen er seine Kinder und seine Schulklasse in Schach hält) mit ausgedehnten Ghettos für den verarmten Teil der Bevölkerung in denen Prostitution, Kriminalität und Krankheiten gedeihen.

Die im düsteren Hintergrund häufig eingeblendeten Postkutschen erinnern eher an Charon, der Menschen dorthin befördert, wo sie nicht hinwollen oder Nietzsches dramatisches Gedicht vom Tod Beethovens. Eine melancholische Fin-de-siecle-Stimmung, nur hundert Jahre früher, aber man sagt ja, dass die Jahrhundertwenden immer mit Melancholie und Depression vergesellschaftet seien. Warum auch immer … die Kunst hat diesen Phasen jedenfalls viel zu verdanken.Somit bildet die Umgebung eine Folie für den Protagonisten und spiegelt ihm zurück, was er erlebt, Innen und Aussen verschmelzen zu einer Einheit und wir haben in der Zusammenschau Teil an Verfall, Untergang und kurzzeitigem Aufleuchten und Wiederverlöschen.

Der Regisseur versteht es auch, Ambivalenzen herauszuarbeiten – die des narzisstischen Poseurs Franz von Schober und dessen Neid auf den Begabteren und seine Schuldgefühle, weil er ihn zu erotischen Eskapaden mitnahm und dem Schubert letztlich seine Krankheit verdankt. Auch so kann man ein Neidobjekt beseitigen, aber die Reue versteht noch ihn einzuholen, die hat flinke Beine und erwischt so manchen Hallodri doch noch am Ende und sorgt für eine Weiterentwicklung zum Besseren. Seine Tränen am Krankenbett sind ehrlich. Und die Frauen die von seiner gefühlvollen Musik tief bewegt werden, sich aber körperlich nicht von ihm angezogen fühlen und deshalb Schuld und Mitleid verspüren – das rührt auch das Herz der Käuflichen – ebenfalls eine anstrengende Mischung und schwer zu ertragen, da hält man Abstand und der Liebesansturm des Ausgehungerten endet in Peinlichkeit und Scham.

Und Johann Strauss spielt furios auf, schlägt alle in seinen Bann und seine depressiv – versteinerte Miene konterkariert alle fröhlichen Walzer und hellt sich erst auf als er einer Violinsonate von Schubert lauscht – man versteht sich, erkennt sich als im Leid verbunden und merkt, dass Depression auch vor den “ Feschen“ nicht haltmacht – und dass man nicht allein ist. Das Andeuten ansonsten unsichtbarer Beziehungen durch Blicke und Mimik ist eine der Stärken des Filmes.

Aber es gibt noch eine Abendröte vor dem grossen Dämmern: Schubert, in einer kleinen Kammer in der Wohnung seines Bruder untergebracht (und zeitweise sogar eingesperrt) komponiert seinen letzten Liederzyklus, die „Winterreise“, die er voll Freude als Fortschritt in seiner musikalischen Entwicklung erlebt und es spinnen sich feine Liebesfäden zwischen ihm und seiner jüngeren Schwester (oder Halbschwester) Josefa; sie betreut ihn, wäscht ihn und als sich erste kognitive Ausfälle zeigen hilft sie ihm sich zu strukturieren und an seiner Komposition weiterzuarbeiten.

Es kommt zu einer zwar nicht genitalen aber inzestuösen Begegnung, die Schubert noch einmal neue Kräfte verleiht – er kleidet sich an und möchte ausgehen, nimmt Kontakt zu einer Nachbarin auf, die er schon länger beobachtet – ein letztes – und wohl auch einziges Mal tanzt er mit einer Frau – vielleicht auch nur in der Phantasie, mehr geht nicht. Vorher erblickt er seinen Doppelgänger vor dem Haus – ein mythisch-kryptischer Hinweis auf den nahen Tod; Freud interpretierte ihn als das Gegenteil bzw als Abwehrkonstrukt: Ein Doppelgänger sichert das Überleben dessen, der ihn phantasmisch erschafft – einer bleibt also übrig – ein infantil anmutendes Rechenexempel, aber wenn sich Freud vom Klinischen entfernte und in kulturell – mythologischen Bereichen herumzudenken begann, wurde es oft recht seltsam, da wäre man versucht ihn ans Krankenbett zurückzupfeifen.

Bruder und Schwester Schubert also wirken zusammengeschmiedet im nonverbalen Kontakt und einer Art primordialem Raum in dem wortloses Verstehen herrscht. Das Mädchen spricht nicht, scheint verstummt – vielleicht angesichts der Gewalttätigkeit des Vaters, der mit seiner Zeugungswut zwei Ehefrauen verschliss – er hatte insgesamt 19 Kinder – und sich wohl auch wenig darum scherte, wenn die Kinder die sogenannte „Urszene“ auch mitbekamen. Der alte Pfiffikus aus der Berggasse hätte sich darauf natürlich wieder freudig gestürzt.

Zusammen mit ihrem Bruder, der in seiner Musik ausdrückte, was er realen Frauen nicht sagen konnte, webt Josefa ein Netz von hoher Dichte aus Blicken, Gesten und wortlosem Verständnis, das erst der Tod zu zerreissen versteht. Das letzte was wir von Schubert sehen, ist der panische Blick, als man sie aus dem Sterbezimmer führt und die Tür sich hinter ihr schliesst und Schubert, nun aller freundlichen Objekte beraubt, weiss in seiner Umnachtung doch noch genau wer als nächstes durch diese Tür eintreten und ihn endgültig fortführen wird.

Vorher hat sich der Kranke noch verzweifelt gewehrt gegen den Priester, der ihm die „Letzte Ölung“ – wie man das damals noch nannte – verpassen wollte – ein Terminus, der mich immer eher an Nahrungszubereitung oder den Bereich der Mechanik erinnerte als an das was es vorgab zu sein, aber vielleicht braucht man ja wirklich Schmiermittel für die Reise in die Ewigkeit, dann würde dergleichen ja Sinn machen – Schmiergelder gabs in diesem Kontext ja auch schon reichlich zu Zeiten des Ablasshandels.

In seinem Violinkonzert „Der Tod und das Mädchen“, das häufig eingeblendet wird, hat Schubert diesem gefürchteten Gesellen ein musikalisches Motiv zugeordnet das eine dunkel-tröstliche, mütterliche Klangfärbung sein eigen nennt, bei ihm wissen wir das Mädchen geborgen. „Bin Freund und komme nicht zu strafen“ – wie es im Text von Matthias Claudius heisst. Dem Sterbenden wünschen wir dasselbe auch – so wie er es sich beim Komponieren ersehnt haben mag – ein letztes Liebesobjekt das der quälenden Reise ein Ende setzt und bei dem man endlich zur Ruhe kommen kann und ein Entkommen vor einer Welt die ihm nie Zuhause war.

Diesen Schluss versagt uns der Film – wir verlassen Schubert in einem Moment der Panik und des Verlustes und der Regisseur verzichtet dankenswerterweise auf wohlfeilen Trost des Publikums und jegliches andere Sentiment und lässt die Grausamkeit dieses Schicksals und dieses Todes als das stehen was sie ist und mutet sie dem Zuschauer ungefiltert zu, der ebenso abrupt aus dem Film geworfen wird wie Schubert aus seinem Leben. Eine letzte Zeugenschaft, ein Bleiben an seiner Seite und eine Verbeugung vor einem der ganz Grossen.

 

2024 27 Jul.

Delicate Bitches

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Under the Bridge gehört zu den TV-Serien, die durch eine ruhige Erzählart brillieren. Und deshalb freut es mich, doch noch hineingefunden zu haben nach anfänglichen Widerständen – im Gegensatz zu der vielgelobten Serie The Bear. Was bitteschön soll sehenswert sein an einer aufgeheizten Küchenatmosphäre, in der sich alle permanent anschreien? And so I dropped it with a kick. Nee – unter, über und rund um die Brücke läuft’s anders. Einige Teenies aus der amerikanischen Unterschicht wollen Mafia spielen, dabei kommt es zum Tod (unter der Brücke) eines Mädchens, deren Eltern indischer Abstammung zu den Zeugen Jehovas gehören. Die Tochter nimmt Reissaus aus dieser ebenso gottesfürchtigen wie lebensfeindlichen Welt (das eine schliesst das andere oftmals nicht aus, im Gegenteil). Doch ihre Buddy-Bitches erweisen sich als fataler Rettungsanker. Die Serie lehnt an einen Roman an, dessen Autorin in der Serie eine Frau spielt, die in ihr Heimatdorf zurückkehrt, um genau diesen Roman zu schreiben (the trick of the tail). Sie ist noch immer in lesbischer Liebe ihrer Jugendfreundin zugetan, die als Cop mit der Aufklärung des Todesfalls zu tun hat. Beide sind darin verwickelt. Die Spannung der Serie bleibt erträglich – umso besser, denn der Geist kann sich entspannt der Entwicklung von Handlung und Charakteren hingeben. Vielfach ruhige Bilder, Rückblenden, Gespräche, kein unnötiges Puschen mit Reiz-Effekten. Schöne Bilder: I love Amerika, but yet was never there. Jaja, die Drehorte, gern geht man auf televisionäre Reisen. Der Soundtrack ist so gut (beispielsweise auf der Schulabschlussfeier), dass man sich an alte Verliebtheiten zurückerinnert und dabei jeweils den Monoschalter auf Stereo stellt. Auch eine Art Switch (while watching the bitches): es leben die Kontraste.

 


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