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2024 12 Okt.

(kein) haiku

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ins gestalten kommen

 

nicht nach gestern fragen

 

(heute ist genug)

 
 

soundtrack: Nic Jones – „Farewell to the Gold“

 
 

Monsieur Klein (F, 1976) von Joseph Losey

Der Schauspieler und sein Film – a matched sample

 

Noch selten hat ein Schauspieler so gut zu einem Film gepasst wie hier Alain Delon zu Monsieur Klein. Der kühle, aalglatte, aber sich nie zum wirklich Bösen aufschwingende (das hätte Delon auch durchaus geschafft – seit Die Sonne war Zeuge wissen wir das) M. Klein, Kunsthändler und Bonvivant, der sich am Eigentum enteigneter Juden bereichert, ist durchaus sein Metier. Auf gebrochene Charaktere verstand er sich mit seinem Pokerface, seinen hellen Augen, bei denen man trotzdem nicht auf den Grund blicken konnte – so als hätte er eine Zwischenwand eingezogen, an der unser forschender Blick abprallte und wieder umkehren musste, bevor er das Innere erreichte. Die Seele dahinter war seine Sache, er stellte sie immer nur in Teilen zur Verfügung – für Filme reichte es, für Beziehungen nicht immer. Romy liess er – so der Text des Abschiedsbriefes – sein Herz zurück, sein Körper stand gleichzeitig Nathalie Delon zur Verfügung, was er mit der Seele machte bleibt im Ungefähren, Interviews gab er so gut wie nie. Als junger Mann arbeitete er eine Weile als Metzger, vielleicht hat er hier gelernt Organismen zu zerteilen.

Das klingt zynisch – die Psychotherapeuten würden es Balint-Effekt nennen, eine Art Übersprung vom Beschriebenen auf den Beschreiber – und Zynismus und Kälte sind auch Eigenschaften, die man Delons Filmfiguren zuschreiben kann. Sogar bei seiner Premiere – beim herzigen Leutnant Gustl in Christine (eine komplette Gegen-den-Strich-Besetzung) wehte einen immer etwas kühl an und wenn’s nur die berühmte Unmutsfalte war, die zwischen den Brauen immer wieder aufzuckte. Dafür war Romy Schneider in diesem Film noch ein letztesmal über die Maßen herzig, bevor sie ihre Karriere in Frankreich startete – dann nicht mehr herzig, aber früh gebrochen und nie mehr ganz geheilt, bis ihr die eiserne Spitze des Gitters, die den Körper ihres Kindes durchbohrte, auch das eigene Herz durchdrang. Das ist auch so eine Crux von Delon, diese Personalunion mit einer längst Verflossenen, die bei jedem Diskurs über ihn zuverlässig auftaucht, als gehörte diese Beziehung zu seiner Identität und Romy wäre sein unsichtbarer siamesischer Zwilling. Is anybody here? Da fehlt doch jemand!

Und irgendwie gab man dem Treulosen immer ein bisschen Mitschuld, dass unsere Sissi in Paris zuerst unanständige Filme drehte, dann verlassen wurde und traurig endete. Er liess Raum für Projektionen und die waren nicht immer vorteilhaft, aber machen andererseits den Schauspieler vielseitig verwendbar. An M. Klein schien ihm etwas zu liegen, er war der Produzent. Nach „Leutnant Gustl“ wusste er offenbar besser, was zu ihm passte – die tiefgekühlten Chamäleons und andere Reptiloide mit ihren Eisaugen.

Der Film beginnt auch bereits mit einer Anmutung von Kälte: Eine junge Frau wird vom Amtsarzt untersucht – ihre rassische Zugehörigkeit soll festgestellt werden und der Arzt, ein Kollaborateur, untersucht sie, als wäre sie ein Pferd, das er kaufen will; das stellt den Film bereits in seinen entsprechenden Kontext: Frankreich unter der deutschen Besatzung, Beginn der Enteignung und Deportation von Juden – dem entgegengestellt die Welt der gesellschaftlichen Elite, zu der dergleichen nicht durchdrang und die es verstand wegzuhören, wie die unvermutet auftauchende Jeanne Moreau mit den wie immer vornehm abgesenkten Mundwinkeln in ihrem Palais, bei deren Auftritt man sich fragt, warum sie sich mit dieser Minirolle zufriedengegeben hat. Da hat wohl jemand seinen Charme spielen lassen?

Zu dieser elitären Gesellschaft gehört auch M. Klein, der sich am Aufkauf von jüdischem Hab und Gut bereichert – kalt, opportunistisch, ohne Gefühlsregung, in seinen seidenen Morgenmänteln immer etwas metallisch-glänzend wirkend, als trüge er einen Echsenpanzer, das Einstecktuch gezückt in der Brusttasche, alles comme il faut, ein gentilomme, sogar noch im Schlafzimmer. Die Adresse seiner Kunden notiert er nicht mehr, er weiss sehr wohl, dass sie dort bald nicht mehr zu finden sein werden, wo sie gerade noch sind.

Der Film beginnt und endet mit einem Verkaufsgespräch, es geht um das Bild „The Analysis“ von Adriaen van Ostrade, das Bild eines Mannes bei einer chemischen Untersuchung: ein Hinweis auf die Werte der Aufklärung, Ratio, Naturwissenschaft, Humanität, Absage an das Irrationale, an die Zeit in der die Scheiterhaufen loderten – hier kontrapunktisch entgegengestellt der Anfangsszene der ärztlichen Untersuchung einer Frau gemäss den abstrusen Richtlinien der faschistischen Rassenideologie, die uns die Nazis als Wissenschaft verkauften. Das Verkaufsgespräch wird vor dem Abspann noch einmal eingeblendet, es fasst den Film ein wie ein Rahmen oder eine Klammer, ein zweimaliger Appell an Aufklärung und Vernunft; das Bild verhökert für – nein, nicht für dreissig Silberlinge – aber für 300 Francs und damit auch eine Absage an Kultur und den Werten, die sie geschaffen hat. Bald werden wieder Scheiterhaufen brennen und Kulturgut verschlingen und später auch Menschen.

Is anybody here? Oh ja …

Dazwischen erleben wir in der Filmhandlung eine Welt von Irrationaliät, geheimnisvollen Zeichen und Begebenheiten in einem fahlen, verblassten Paris, der Einführung einer unheimlichen Präsenz, die sich ins Leben von Klein drängt, eine Auslösesituation für das Erleben von Unheimlichkeit.

„Is anybody here?“ fragt die Frau im Hollywoodfilm mit ängstlichen Augen, wenn sie einen scheinbar leeren Raum betritt, in dem Fensterflügel im Wind schlagen und Vorhänge wehen samt anderer Versatzstücke und Accessoires des Grusel-Genres. Und wenn der Regisseur klug ist, lässt er uns nicht sofort die Schuhspitzen unter dem Vorhangsaum sehen, sondern zögert die Sache noch etwas hinaus; im Kinosessel geniesst man gerne die Gefährdung und Angst des anderen mit dem eigenen Hintern im Warmen, „Angstlust“ nannte es der o.g. Psychoanalytiker Balint. Das macht auch Joseph Losey in diesem Film: Gibt es eine Präsenz im Hintergrund, die zielgerichtet handelt oder ist alles nur das bunte Spiel des Zufalls und eine harmlose Verwechslung? Oder will hier jemand einem skrupellosen Schuft raffiniert an den sauberen Kragen?

Der Holocaust wird hier weiter nicht gezeigt, er existiert nur in Blicken, Schatten, Unsicherheiten, ängstlichen Augen, Männern in Trenchcoats, die etwas zu suchen scheinen – eine Art beklemmendes Hintergrundrauschen des Faschismus; immer wieder wird der Bau des Velodroms d ‚hiver in Paris eingeblendet, dem Sammelpunkt für verhaftete Juden in Paris, bevor man sie in die Züge zu den Vernichtungslagern trieb – alphabetisch geordnet in der grausamen Bürokratie der Nazis, die auch noch den grössten Massenmord der Geschichte korrekt zu verwalten wussten. Das letzte, was dem Menschen blieb, war sein Anfangsbuchstabe. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er liebt deutsche Ordnung und holt sogar die Delinquenten in der richtigen Reihenfolge ab.

 
 

 
 

Man spürt die Angst des Protagonisten aus seiner sicheren Position herauskatapultiert und zu denen sortiert zu werden, die jetzt besser fliehen sollten. Ein jüdischer Widerstandskämpfer gleichen Namens scheint sich seiner Identität zu bedienen (heutzutage als Phishing wohlbekannt), er bekommt rätselhafte Post und macht sich auf die Suche nach seinem Doppelgänger, will offenbar den Stier lieber bei den Hörnern packen als vor ihm weglaufen – oder der Justiz eine Art „wahren Übeltäter“ präsentieren, um endlich wieder aus der Schusslinie zu kommen. Die Atmosphäre wird zusehends dichter und beklemmender, als ziehe sich eine Schlinge zusammen.

Mr. K. möchte den offensichtlichen Irrtum richtigstellen, ergeht sich in Nachforschungen über die Identität des Verfolgers. Der Doppelgänger erweist sich aber umso flüchtiger, je mehr K. ihn zu fassen bekommen will – eine Handvoll trockener Sand, der der immer fester zupackenden Hand immer schneller entrinnt. Alle Spuren führen ins Nichts, alle Zeugen erweisen sich als unzuverlässig, je mehr er seine ursprüngliche Identität zu beweisen versucht, desto mehr wird der Gesuchte zum unfassbaren Phantom und desto mehr erweckt er selbst die Aufmerksamkeit der Behörden, bis er eines Tages bei seiner Suche selbst ins Velodrom gerät und in einen der Züge verfrachtet wird. Zurück bleibt sein Anwalt mit dem zu spät angekommenen arischen Nachweis, der K. hätte retten können.

Delon schafft es, ohne mimische Regung durch sein Getriebensein und seine zunehmend manische Aktivität bei der Verfolgung des followers eine sich kontinuierlich steigernde Panik auszudrücken – das muss man auch erst einmal hinkriegen, ohne eine Miene zu verziehen, das ist so ganz und gar delonkompatibel, das brauchen andere erst gar nicht zu probieren; wenn er etwas rüberbringen wollte, schaffte er das. Nebenbei wird hier auch die Binsenweisheit der Cineasten widerlegt, dass ein Film über einen Sympathieträger zur Identifikation verfügen muss, um zu funktionieren, Delon verzichtet in gewohnter elegance und nonchalance auf jegliches fishing for sympathy und gibt bis zum Schluss den Kotzbrocken, dessen Ende man auch nicht so recht betrauern kann, obwohl man weiss, was am Ende der Reise auf ihn wartet.

 
 

 
 

Wie sich in der anschliessenden Gruppendiskussion zeigte, lässt der Film mehrere unterschiedliche Lesarten zu. Zunächst ermöglicht er den Fans von Hitchcocks suspense ein Baden in dergleichen, eine Atmosphäre einer schwebenden und sich verdichtenden Unheimlichkeit, ein Pendeln zwischen Wahngewissheit und verzweifeltem Haltsuchen im bereits schwächelnden Realitätsbezug. Hitchcock hätte uns vielleicht eine Lösung, einen Täter oder zumindest irgendeine Form von showdown serviert (oder auch nicht, bei den Vögeln hat er auch darauf verzichtet, er konnte sich das leisten). Losey dagegen lässt uns hier nach einem spannenden pas de deux der Identitäten mit einer unaufgelösten Situation im Regen stehen und sorgt dafür, dass das Kopfkino noch eine Weile weiterläuft und eine „gute Gestalt“ im Sinne der Gestaltpsychologie finden möchte, hier in Form einer stimmigen Erklärung, unter der man das Ganze abheften könnte, damit es nicht unpassend und sperrig irgendwo im Neocortex herumliegt.

Erfahrungsgemäss lernt man dabei aber mehr über sich selbst, als wenn man erfahren hätte, wer der Mörder war oder warum die missgestimmten Vögel in Bodega Bay kollektiv durchdrehen oder wie die Hexe von Blair denn nun wirklich aussieht. Das open end verlieh dem Film seinerzeit Kultstatus (The Blair Witch – Project, 1999). Und ganze Generationen haben sich damit beschäftigt, ob sich Scarlett O’Hara und Rhett Butler nochmal kriegen werden, bis die entsprechenden Sequels dann noch geschrieben und abgedreht wurden und Ruhe einkehrte. Da kriegten die sich dann natürlich – aber es waren nicht mehr dieselben und die Präsenz der ursprünglichen Darsteller bekamen diese No-Names schon mal gar nicht auf die Kette. Aber Beruhigung hat auch was Unkreatives.

Oder haben wir es hier mit einem paranoiden Vexierspiel zu tun, dem Zurschaustellen eines inneren Prozesses, in dem ein unbeachteter Persönlichkeitsanteil an die Oberfläche drängt, das Persönlichkeitsgefüge bedroht und Bestrafungsangst erzeugt? Ein weiterer M.K. als der den wir gerade kennenlernten? Ein Hinweis dazu ergibt sich bei der Wohnungsbesichtigung, als K. angelegentlich mit einem herumliegenden Rasiermesser spielt und die Vermieterin in Angst versetzt. Auch das würde man ihm zutrauen. Is anybody here oder sind wir noch sicher?

Oder anders: Eine Symbolisierung des Andrängens des Faschismus in eine bisher bürgerlich-gesettelte Gesellschaft und ihre scheinbar festgefügte zivilisierte Identität, ähnlich den Brandstiftern, die ungehindert bei Biedermann eindringen und sich festsetzen und Biedermann immer noch arglos ist, obwohl schon die Hütte brennt? Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand? Max Frisch liebte auch solche Geschichten, in denen sich bisher Unbekanntes ins Leben drängt, zum Guten wie zum Bösen.

Oder noch anders: Das Ganze eine kafkaeske Parabel über anonyme Mächte und Unentrinnbarkeit als schicksalhafte Gegebenheit der menschlichen Existenz wie in „Der Prozess“ – auch hier ein Herr K., nur dass er Joseph heisst.

Beckett zeigte uns das Warten auf Godot, hier sehen wir, wie es sich anfühlt, wenn er kommt – auf eine sadistisch-verlangsamte, fast geniesserische Weise ins Leben einsickert. Beckett hätte sich im Kino sicher gefreut und seine pessimistische Sicht der Gegebenheiten des Lebens, in die der Mensch geworfen wird, in ihrer Absolutheit bestätigt gesehen.

Kafka hätte fingerschnipsend „Genauso isses!“ gesagt.

Camus hätte die Absurdität des Lebens entdeckt in einer Situation, in der man den Verfolger verfolgt und im Endeffekt das erreicht, was man verzweifelt zu vermeiden sucht, dergleichen „Blödsinn des Lebens“ war genau seine Kragenweite.

Sartre, der mit Begrenzungen nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte und wollte, hätte sich vermutlich an die Stirn getippt und noch einen Pernod bestellt, je nach Tageszeit ein paar uppers oder downers eingeworfen und das Ganze wiederholt, bis ihm schliesslich sein Körper bewies, dass man um Begrenzungen in diesem Leben halt doch nicht so einfach herumkommt und das existenzialistische Herzstück „Sich-immer -neu-in-die-Zukunft-entwerfen“ als Menschenbild irgendwann auch einmal ein Ende hat, wenn der Körper und der Sensenmann gemeinsam und reichlich verfrüht etwas anderes beschliessen. Is anybody here?

Weite Wege und Umwege gehen die Gedanken bei diesem Film, er öffnet Gedankenräume, anstatt ein stringentes Narrativ zu erzählen. Das ist das Beste, was man über einen Film sagen kann.

 

2024 6 Okt.

„silent inflammation“

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audio

 
 

 

Im Banne des Musculus constrictor cerebri: Der Testsieger, Double-Take. Wir holen aus Allem das Beste raus. Besonders aus Dir. Void, big void. Hat da wer Weiterentwicklung gesagt? Triff Dein Zunkunfts-Ich! Wir wollen, dass ihr den Richtigen findet. Oder gleich Viele. Doppelgänger. Wo bist Du, schöner Unbekannter? Ein netter Begleiter? Erzähl mir, was Du weißt! Der hippe Chinese sonnt nur seinen Rücken und träumt von Manifestation. Die Magie von Freiheit, Luxus und Eleganz. Porn. It‘s just porn, Mum.

 
 

 
 

Food Porn? Or a seriously better trip? Cannibal‘s Delight. The World‘s one and only finest chopped Brain Masala – hot and spicy. Cast the net and look out for your world wide favourite Brain Masala receipe. I‘m not kidding, dear reader. Just say hello to a bright future and excessivly enjoy your personal Brain Masala till your darkest expectations have exceeded.

Note: May contain nature-identical happiness hormones and several strong mascones. Excessive intake can lead to spontaneous mutations.

 

2024 27 Sep.

Charismatischer Vollpfosten

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Eine retrospektive Studie über Rattenfänger und verführbare Generationen im Zustand unangebrachter Selbstgerechtigkeit

 
 

 

 

Ja, wir hielten uns für unangreifbar und resistent gegen jede Art von Gurus und Führerpersönlichkeiten, so schön hätte gar keiner die Flöte spielen können, dass wir ihm gefolgt wären – und Che Guevara hing nur über dem Bett, weil er so gnadenlos gut aussah, nicht wahr? Das hatte gar nichts mit Führersehnsucht oder Leitwolf oder Sozialromantik oder gar Vaterlosigkeit zu tun … nönö … schliesslich hatte man seinen Freud gelesen und war immun gegen dergleichen Verführungen, das war lediglich ein Logo um zu demonstrieren, dass darunter ein revolutionärer Geist sein Haupt bettete – aber keinesfalls ruhte – der wahre Revolutionär schläft nicht und hat pflichtschuldigst ein gebrochenes und durch Kritik veredeltes Verhältnis zu etwaigen Rudelführern zu pflegen, so wollte es das linke comme il faut und das war strenger als die Regeln eines wilhelminischen Mädchenpensionats. Enver Hodscha hing da nur einmal bei einem strammen Marxist/Leninisten, aber der sah auch nicht so gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.

Und die Fehler der Elterngeneration wiederholen wir ja schon gleich gar nicht, das war klar, aber sowas von … Trotzdem hätten wir ihn am liebsten geknuddelt, den Alten, so ausgehungert waren wir damals offenbar nach etwas Sonne, Tanz und Lebensfreude und so satt hatten wir unsere depressiven, kriegstraumatisierten und herumschnauzenden Väter, die sich nach der notwendigen Existenzsicherung total dem Leistungsprinzip ergaben, weil sie nicht mehr wussten, was sie sonst tun sollten und familiäre Kollateralschäden billigend in Kauf nahmen bzw überhaupt nicht bemerkten, dass sie solche anrichteten und die Kinder ihnen verlorengingen. Da konnte so ein Typ gut landen – der Strahlemann mit dem halb aufgedröselten Strickpullover und der verschwitzten Mütze, den überhaupt nichts zu kratzen schien, immer in der Dialektik zwischen Strassenköter und weisem Sokrates herumoszillierend. So wird man zum Mythos wenn man nur den Nerv der Zeit trifft. Und der so wunderbar in der Sonne tanzen konnte, dass man alles drüber vergass, sogar unsere Asshole-Familienpatriarchen, von denen wir nie wussten, ob ihre Abwesenheit nicht segensreicher war als ihr Dasein. Konterfeis von gefallenen Kriegshelden auf der Kommode können einen immensen Einfluss auf kindliche Identifikationsprozesse ausüben, vor allem bei Jungs. Da bekommt man hinter der Couch so manch Liedchen gesungen in all den Jahren …

 
 

 
 

Und da verzieh man dem übersprudelnden puer aeternus kleine Schnitzer im Plot, die bei näherem Besehen so klein doch nicht waren. Nach dem Tod seines Sohnes habe er getanzt bis zum Umfallen, um nicht verrückt zu werden, sagt er – das versteht man, die Formen des Trauerns sind sehr individuell – danach hatte er sich offenbar zum Herumstreunen entschlossen und seine Gattin musste sich wohl alleine im Olivenhain abrackern, um werweisswieviele Kinder durchzubringen. Da hat man leicht tanzen, wenn jemand anders die Windeln wäscht und die Oliven vom Baum klaubt; da könnte den Zuschauer und vor allem der Zuschauerin doch der Geist altbekannten Machotums anwehen wenn, ja wenn wir ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre für die eigenen Anachronismen und unsere eigene Verführbarkeit.

Eine alternde Prostituierte, Madame Hortense, eine griechische Kameliendame, hält er im Arm und begleitet sie mit herzschmelzenden Worten beim Sterben, um sich danach aus deren Bett zu erheben und etwas wie „alte Schlampe“ zu murmeln. Anvertrautes Geld verjubelt er im Bordell und hat darob auch keinerlei schlechtes Gewissen, vermutlich wusste er gar nicht, wie man das schreibt und sein Buddy Basil ist schon so in seiner westlichen Loyalitätsblindheit verheddert und von dieser südlichsonnigen-hellenischen Andersartigkeit so angefixt, dass er noch nicht mal sauer ist. Heute würde man dergleichen einen Co-Narzissten nennen.

Danach gibt unser Freund den Herrn Jesus und schützt eine junge Witwe mit grosser Geste und markiger Rede vor der Steinigung und verlässt nach seinem Auftritt ebenso stolz wie rasch den Schauplatz. Hinter ihm prasseln dann natürlich die Steine, klar – mit Herumtönen ist der Volkszorn noch lange nicht befriedigt – aber das ging ihm auch wieder am Hintern vorbei.

 
 

 
 

Sorbas geht unberührt durch alles Störende und Tragische hindurch, als existierte es nicht, auch wenn er die Suppe selbst angerührt hat. Das hat was! Und später manchmal auch nicht mehr, wenn man alte Filme guckt und so manches doch seine Glorie verliert und das Gucken in eine unangenehme Form der Selbsterfahrung einmünden könnte. Was hat einem bloss alles gefallen im magischen Damals und warum? Und warum ist James Dean in seiner bockigen Pubertiererei heute bloss noch peinlich, wenn wir ihm doch damals am liebsten die Füsse geküsst hätten? Und warum will der Woody-Allen-Humor so gar nicht mehr funktionieren bei dem man sich früher gekringelt hat? Und Monty Python staubt auch schon etwas ein. Der Zuschauer ist dann am Ende auch nicht mehr überrascht, als die zusammen aufgebaute Seilbahn, die die Existenz des Ich-Erzählers sichern soll (eines der mühsamen Konstrukte, das die Beziehung zusammenhält und immer wieder neu erschaffen werden muss) bei der Generalprobe grandios zusammenkracht. And then dancing on the beach as usual – was denn auch sonst? Damals ging man befriedigt aus dem Kino und natürlich sofort zum Griechen seines Vertrauens (in Würzburg war das der Theo), um die Seligkeit noch ein bisschen zu verlängern. Und spätestens dann war auch klar, wo man im nächsten Urlaub hinwollte.

Gegen den Film – klassisches buddy-movie – ist nichts zu sagen, gegen den Roman auch nicht, ausser vielleicht einer gewissen Vorhersehbarkeit – ersterer zeigt, auch durch seine Schwarzweisszeichnung, ein anderes Griechenland als sonst – karg, trocken, finster, archaisch, die Frauen in ihren schwarzen Kleidern bedrohlich als sie sich im Schlafzimmer von Madame Hortense versammeln wie Trauervögel und auf deren Tod warten, um dann in rituelles Wehklagen auszubrechen, für das sie vermutlich einige Drachmen einsacken – eine anachronistische mittelalterliche Welt im Jahre 1946, ohne Farben und mit einem grauen zurückweisenden Meer – ein Griechenland in einer reizvollen melancholischen Brechung eingefangen, die Story in kurzen und scheinbar zusammenhanglosen Episoden kollagenartig zusammengesetzt und durch ein leicht geschwärztes Glas betrachtet, da hat ein Regisseur durchaus seine atmosphärischen Hausaufgaben gemacht. Der Soundtrack war natürlich ein donnernder Erfolg und sicherte wiederum die Existenz von Theodorakis. In den Discos wurde Sirtaki getanzt bis zum Abwinken, wir schnipsten uns die Finger wund und ich wollte unbedingt eine Bouzouki, nicht um sie zu spielen sondern … ja …. ähm … zur Dekoration, ich gestehe – womit wir schon wieder im Dunstkreis des Narzissmus wären. Auf Fotos hätten wir beide sicher ein spektakuläres Paar abgegeben, wenn ich etwas irgendwie griechisch Anmutendes angezogen hätte. Der Exotenbonus war damals durchaus hilfreich auf der schlüpfrigen Piste der Erotik, by the way … am Ende war mir dat Dingens aber dann doch zu teuer.

Viele Restaurants nannten sich „Zorba“, die Kneipe im Ashram in Poona hiess „Zorba the Buddha“ – von Bhagwan/Osho gedacht als Erinnerung über dem Spirituellen die Freuden des Körpers nicht zu vergessen. Das machte den Letzteren auch so verdammt attraktiv für ausgedörrte Westler in ihren grauen Städten und ihren freudlosen Eltern und Lehrern, die ihnen gerne ein ständig dräuendes und drückendes Nichtgutgenugsein als Daueretikett in die Seele gestanzt hätten. Noch so eine Nachthemdlichtgestalt mit leicht geschwärzter Weste, der die Mitte zwischen tiefen Weisheiten und wohlfeilen Sprüchen nicht immer zu finden verstand und dem auch ziemlich wurscht war ob er sie fand. Angehimmelt wurde sowieso … Soweit alles prima mit den Übervätern – nur was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass wir offenbar nicht bemerkt haben, was für ein narzisstisches empathiefreies Windei diese Filmfigur war. Wo war dieses Loch in der eigenen Wahrnehmung und wie kam es dazu? Waren wir doch leitwolfbedürftig? Bereit alles andere – nicht nur zu verzeihen sondern sogar völlig auszublenden, nur weil einer fröhlich war und uns endlich mal zeigte wie man gut lebt? Und dem dauergrollenden Übervater über den Wolken flugs den Blitzstrahl aus der Hand fingerte? Waren wir auch in Gefahr, einem Rattenfänger hinterherzuziehen, nur weil der um 180 Grad anders gedreht war wie der vorherige? Unsere linken Gurus, für die wir Mädels … pssst … die Flugblätter tippten, was war mit denen? Hatten unsere Väter solche Skotome hinterlassen, dass wir auf  jeden Papiertiger hereinfielen, der sich auf zeitgerechte Selbstinszenierung verstand? Fragen über Fragen … Eins der grossen Verdienste dieses Filmes – er zeigt uns den inneren Zustand seiner Fans und Rezipienten – wieder einmal der Spiegel der Schneekönigin, der uns beim Reingucken das zeigt, was wir so gar nicht leiden mögen. Unsere überstürzten Idealisierungen …

Darauf einen Ouzo! And another dance ... und schon macht einem die ganze Sache viel weniger aus … selbst wenn man statt Maria Farantouri nur noch Vicky Leandros aus dem Plattenfach zu fingern imstande war. Schliesslich auch ne Griechin und Hauptsache Fingerschnipsen … jede Generation hat etwas, das sie besoffen macht – so auch wir. Und wer ist schon ganz zurechnungsfähig in seinen hellen Zwanzigern? Und bei uns ging es immerhin ohne Todesopfer und grössere Kollateralschäden. However!

Und eine neue Definition von Weihnachten hatten wir auch:

Weihnachten geht man nicht in die Kirche! Gott ging auch nicht in die Kirche, der ging zu Maria und dann wurde Christus geboren!

Was für eine lebensstrotzende Interpretation einer ansonsten blutleeren Geschichte, da hebelt einer die dröge Story vom Heiligen Geist und der Jungfernzeugung mal eben mit ein paar Worten aus – da ists wirklich langsam egal, ob der Typ bloss dämlich oder genial ist. Zitierfähig ist er allemal.

Also … Jamas und … dings … Kali nichta!

And never touch an archetypus!!

 

 

               

 
 
 

               

 
 
 

Die Glyptothek München ist mittlerweile dafür bekannt, Altes und Neues kreativ zu vermischen oder provokativ gegenüberzustellen – zuletzt mit der Ausstellung Zerklüftete Antike mit den Holzbildnissen von Andreas Kuhnlein. Geschaffen wurde ein visueller Dialog zwischen Zerstörung und Bewahrung, Zeit und Ewigkeit, Zerfall und Unberührbarkeit. Man erlebte ein essentielles Angerührtsein. Die Ausstellung  Musa von Luca Pignatelli ist eine weitere Variation dieses Ansatzes. Pignatelli ist ebenfalls ein Künstler, bei dem die Zeit in sein gesamtes Werk verwoben ist – er arbeitet mit Materialien, die bereits weggeworfen wurden, mit Abfällen und Dingen, die keine Zukunft mehr zu haben scheinen und setzt sie in einen neuen Zusammenhang.

Zwischen den antiken Plastiken der Glyptothek hängen deren zweidimensionale Abbildungen der ausgestellten Skulpturen, meist in Blau. Man spaziert durch die vertrauten Gänge, beobachtet von blicklosen Augen, von denen wir gerne wüssten, wie sie uns sehen – und plötzlich sind es viel mehr Augen als gewohnt, denen man standhalten muss. Ein seltsames Beobachtetwerden. Als wären sie aus ihren steinernen Hüllen herausgetreten und betrachteten ihre unsterblichen Körper von aussen. Flächig aufgeteilt, in andere Muster eingebettet leben sie bereits in einem anderen Kontext, stille Wächter ihres Ursprungs.

Warum „Muse“? Schutzgöttinnen der Kunst … heute würden wir sagen: der kreative Anteil eines Künstlers, der sich von Zeit zu Zeit Bahn bricht und nach aussen drängt. In der Antike gefiel offenbar der Gedanke, dann von einer Göttin geküsst worden zu sein besser – eine Art Befruchtungsakt, bei dem etwas zur Welt kommt, eine verlockende Phantasie, besser als ein einsames Gebären, bei dem einem niemand erwartungsvoll über die Schulter schaut. Der Glanz im Auge der Mutter, über den ersten selbstgebauten Turm …. ja, auch Künstler sind nicht gern allein, da greift man gern auf Mythen zurück. Wie heisst dann der gute Geist der Künstlerinnen? Musus?

Sehen die blauen Wesen überhaupt etwas mit ihren blicklosen Augen? Oder sehen sie mehr, weil sie sie geschlossen haben? Man sieht nur mit dem Herzen gut sagte der kleine Prinz – diese Geschichte konnte ich nie leiden, ein hochgejubeltes Kinderbuch mit reichlich Plattitüden, Sentiment und Wortgeklingel, aber die Welt hat offenbar beschlossen, ihn der grossen Literatur zuzuordnen. Und wie oft täuscht sich das Herz in seiner Einschätzung und täte gut daran den Verstand herbeizurufen?

Das Motiv der Doppelaugen finden wir bereits bei Cocteau, der den Dichter gerne als sehend – nichtsehend – mit auf die geschlossenen Lider aufgemalten Augen abbildet. Sie wirken unheimlich – wie alles, wovon wir nicht wissen, ob es tot oder lebendig ist, der Blick ist seelenlos. Vielleicht ist es ja auch kein Sehen – eher ein Drohstarren, das sich den anderen vom Leibe halten will, dergleichen braucht man wohl manchmal auch als Künstler – und wies dahinter aussieht, geht niemand was an. Ein guter Schutz.

 
 
 

 
 
 

Seltsame Wege gehen die Gedanken zwischen blauen Musen, die die Körper betrachten, aus denen sie geschlüpft sind. Wie ist das wohl wenn man sich von aussen sieht? Fühlt man sich wie der Schmetterling vor der Larvenhülle oder möchte man zurück in die Stabilität des Dreidimensionalen? Oder bleibt man einfach – wie der Zuschauer – in dieser dialektischen Spannung und schaut was passiert? Mit zunehmendem Alter sympathisiere ich immer mehr mit dieser Position, sie scheint mir unterhaltsamer … Superposition.

Seltsame Wege …

 

2024 22 Sep.

postcard from ithaka

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„Wohin geht die Fahrt?“ fragt Odysseus den Steuermann. Der guckt verdutzt: „Richtung Altern, Alter – müsstest du doch wissen!“ Ob wir denn ein gutes Buch dabei hätten? Ja, von Elke Heidenreich – und falls das nicht gefiele, auch das alt bewährte von Carl Amery. Revolte ja, doch für Resignation sei es noch zu früh. An diesem Morgen hielten sich die Nebelschwaden zäh, die Sonne würde wie am Vortag schon, erst gegen Mittag mit ihren Strahlen wärmen, dann allerdings recht stechend und die Wespen lockend. Zunächst mal legte der Steuermann ein Stück von David Sylvian auf den Plattenteller der Bordanlage: “ … all set for sail … little girl dream taking the veil …“ erklang es gutgelaunt aus den Backbord-Boxen. Auch akustisch reichlich Proviant an Bord – und was die Playlist alles hergab: Florian Weber, Mary Halvorson, die Silly Sisters, Nic Jones und vor allem die wunderbaren Milton und Esperanza im Duett. „Das macht Hoffnung“, meinte der Meister der Heldenreise, König von Ithaka – „Fahren wir nach Europa?“ Nein, dort sei die Lage kritisch, Krieg und Klimawandel, neue Nazis sässen dort am Kabinettstisch, polterten des Nachts durch enge Gassen, marode Brücken stürzten ein. Man sei besonders in Germania im Wirtschaftwunder-Wahn gefangen, aber kein Nachwuchs käme nach mit protestantischem Arbeitsethos, Arbeit und Leben seien in Disbalance geraten. Ob die denn keine trojanischen Pferde hätten? Eher zuviele, das sei ja das Problem: Einwanderer mit anderen Werten brächten orientalische Gebräuche in Gegenden, wo sie nicht hingehörten. „Ja, heiliger Sarrazin, das ist ja zum Haare raufen!“

 

2024 12 Sep.

R.I.P

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Ciao, ciao, Bambina – im Geiste sehe ich Dich noch umherstreifen, mit schwarzen Locken und buntem Röckchen unter Palmen am blauen Meer, neben Dir ein Esel mit zwei Orangenkörbchen und ein paar kleine braungebrannte Jungs mit rot-weissen Ringelpullis, begleitet von Mandolinenzirpen. Du warst nicht nur eine Sängerin, Du warst auch Trägerin eines Lebensgefühls, trugst wieder eine Spur von südlicher Sonne und Meeresbrise in die hermetisch nachkriegsverrammelten deutschen Wohnstuben, für deren Bewohner noch hinter jeglicher Grenze Feindesland lauerte und die nur Heimatfilme aus Tirol guckten. Dabei warst Du nie anrüchig, sondern immer adrett, ohne überbordende Erotik und frisch mit Kernseife gewaschen, so dass die Deutschen in ihrem neu entwickelten Waschzwang Dich gut annehmen konnten – so etwas wie die europäische Antwort auf Doris Day. Und so richtig Italienerin warst Du auch gar nicht – gebürtig in Lugano. Die Schweiz war für den Deutschen ja nie so wirklich Ausland, das machte es für uns auch leichter. Und in jedem Deiner Songs wurde die Welt wieder ein Stückchen freundlicher, begehbarer und nahbarer und schliesslich trauten sich doch die ersten mit der Isetta über den Brenner und fanden’s dort toll. Danach rückten die Filmproduzenten in Scharen ans blaue Meer aus und der Bikini war en vogue.

 

 

 

 

Ciao, Caterina – Du warst ein Stück Historie der Trivialkultur und Teil eines Mythos der die Grenzen in Kopf und Herz zu öffnen verstand für die Schönheit des gerade noch verteufelten Fremden und Ausgegrenzten, Du warst die Sirene die Odysseus dazu brachte sich vom Mastbaum wieder losbinden zu lassen und des Lebens Ruf  zu folgen, der bekanntlich niemals endet. Wenn Du drüben ankommst grüsse Vico Torriani, ihr habt zusammen verdammt gute Integrationsarbeit geleistet für ein Land im Zustand der bleiernen Zeit, der Schuld, des Heimatschwurbels und der Duldungsstarre. Freddy Quinn, der Spezialist fürs Dauerfernweh, wird halt noch ein bisschen auf sich warten lassen, dann könnt Ihr zusammen den Olymp rocken. Arrivederci!

 

2024 12 Sep.

If I was a painter …

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2024 9 Sep.

Richters Richtung

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Der Filmemacher Pepe Danquart begleitete den Maler Daniel Richter über einen längeren Zeitraum und herausgekommen ist ein spannendes Porträt, zumindest für einen Kunst-Sozialisierten, wie ich es bin. Ja ich, der wahrscheinlich nicht den Mut, vielleicht auch nicht die Reife oder auch das Können hatte, mich ernsthaft der Frage auszusetzen, was ich von der Kunst will und was die Kunst von mir. „Kunstgeschichte machen“ meinten Studienkollegen auf dem Weg ins Atelier, ein Selbstverständnis, das unsereins nie hatte („Vielleicht war es einfach nicht dein Ding!“) – dafür aber umso mehr die Bewunderung und das Interesse, spannend wie ein Thriller dies, wie andere diese Herausforderung meisterten. Zu ihnen gehört gewiss auch Daniel Richter, und in der kurzweiligen knapp zweistündigen Dokumentation wird vieles davon aufgezeigt: was es heisst für einen zeitgenössischen Maler, sich der weissen Leinwand auszusetzen, wo ein einziger unbedacht ausgeführter Strich die Arbeit von Tagen zunichte macht. Dann gilt es zu übermalen, ausradieren, neu anfangen. Neben dem mythenhaften Sisyphos sitzen dem Maler oft zwei Papageien auf der Schulter wie der Schalk, scheint’s, schauen ihm beim Malen zu. Auch Daniels Freund Jonathan Meese kommt im Film zur Geltung und es würde mich wirklich mal interessieren (Wink mit dem Zaunpfahl), wie eine gestandene Psychoanalytikerin den inzestuösen Mutterkult des erfolgreichen Tausendsassas interpretierte. Die Kunst der Vaterlosen, Schizo-Wege? Zumindest scheint das Reich der Freiheit hier eine neue Nuance zu bekommen, denn nicht alles von Meese ist Käse. Zurück zu Richter: ich kann seine Formsuche gut nachvollziehen und finde seine Bilder, in denen Assoziationen zu Miro, Strawinsky, Punk und Political Art entstehen, höchst ästhetisch. Apropos Strawinsky: allein der Soundtrack dieses Films – was der Daniel so hört beim Malen – ist aller Ehren wert und ich möchte nicht wissen, was diese da Boxen kosten, die zwischen seinen Bildern stehen. Soviel wie das für knapp eine Million Pfund versteigerte fantastische, überdimensionale Bild „Tarifa“ gewiss nicht, das im oberen Bildrand Flüchtlinge im Boot in der spanischen Meerenge bei Gibraltar zeigt. Politik trifft hier auf Kunst – und die so oft auf Kapital. Richter weiss das, er ist links. Ja, was denn sonst!

 


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