Manafonistas

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Konflikt genial zusammengefasst von Liedermacher F. J. Degenhardt (1972):

Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden:

Also, Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz

Sagen Sie mal sind sie eigentlich Kommunist?

Ja, Sie dürfen sitzenbleiben – überhaupt, wir sind hier ziemlich liberal

Lange Haare, Ketten, Ringe habn wir alles schon gehabt

Aber in die Akten scheissen mögen wir hier nicht!

Marx und Engels haben Sie gelesen – sagen Sie verstehen Sie das denn? Sie habn doch bloss die Volksschule besucht?

Na, nun regen Sie sich nicht gleich auf, lesen dürfen Sie ja was Sie wolln.

Überhaupt: Hier darf jeder machen was er will. Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

Jaa, Soldat sein will heut keiner mehr, kann ich auch verstehn und ich selber hätte keine Lust, aber: Gründe haben müssen wir dafür.

Kommen Sie mir jetzt bloss nicht mit Imperialismus, den 2 Kriegen und die alte Klasse ist noch immer an der Macht , mag ja alles richtig sein, interessiert uns aber nicht.

Das ist nämlich Politik. Hier interessieren nur Gewissensgründe!

Was das ist? Hört sich zwar sehr grausam an, trifft den Nagel aber auf den Kopf: Nämlich, ob Sie töten können oder nicht.

Hier darf jeder machen was er will …

Also fangen wir mal an: In ner Kirche sind Sie nicht, auch nicht in ner anerkannten Sekte? Sehnse, da wirds schon schwierig mit Gewissensgründen!

Einen hatten wir mal hier und der machte auf Buddhist,

Warn son Typ mit Glatze, aber: Durchgekommen ist der, schlaues Kerlchen!

Also passen Sie mal auf, ich werd jetzt Ihr Gewissen prüfen:

Nehmen wir mal an Sie gehn spaziern mit Ihrer Freundin nachts im Park

Plötzlich kommt ne Horde Russen, schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park

Machen sich an Ihre Freundin ran, Sie haben ne MP dabei.

Na, was machen Sie?

Was sagen Sie? Sie verbitten sich dies Beispiel? Meinetwegen, bitte schön!

Hier darf jeder machen was er will …

Schön, die Russen und die Amis fallen also weg, die Chinesen sicher auch, und mit Negern brauch ich gar nicht erst zu kommen.

Nehmen wir ein paar normale Kriminelle, schwer bewaffnet und betrunken, nachts im Park, machen sich an ihre Freundin ran, Sie haben wieder die MP dabei. Na, was machen Sie?

Sagen Sie uns bloss jetzt nicht Sie fallen auf die Knie und beten. Denn mit sowas kommt hier keiner durch der Marx und Engels liest …

Aber bitte … hier darf jeder machen was er will …

So, jetzt wolln wir aber wissen was Sie tun? Sie sagn Sie wehren sich? Weil Sie ja in Notwehr sind?

Ätsch! Das ist aber falsch! Dürfen Sie nicht sagen!

Richtig wär die Antwort nämlich die: Ich werfe meine Waffe weg, Und dann bitte ich die Herrn mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhörn.

Was sagen Sie? Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?

Fangen Sie schon wieder an? Ist doch Politik! Hat doch mit Gewissen nichts zu tun.

Grundgesetz, ja, Grundgesetz, ja, Grundgesetz … Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz; Sagn Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?

Aber bitte, hier darf jeder machen was er will! Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

 

Und so stellt sich wieder die Menschheitsfrage: Abrüsten oder Gleichgewicht des Schreckens? Letzteres hat immerhin 70 Jahre funktioniert – bis auf die chronischen Eiterherde im nahen Osten und in der Dritten Welt. Si vis pacem para bellum … Diese Erkenntnis ist niederschmetternd und katapultiert uns zurück ins Neandertal, wer das noch nicht ins Auge fassen will, mag mit Abrüstungstransparenten losziehen – er wird nicht bekommen, was er will und als Idealist und Naivling verspottet werden, weil halt nun mal der Angegriffene nicht mehr entscheiden kann, ob er Krieg will oder nicht – er hat ihn schon. Die NATO hat ihn auch.

Aber es ist auch wichtig, die moralische Position und den Friedenswunsch aller Nichtgestörten immer wieder zu formulieren und öffentlich zu artikulieren, wenn wir irgendwann einmal später aus dem Neandertal wieder herauskommen wollen! Das innovative und an humanen Werten orientierte Potential der revoltierenden Jugend und ihre I-have-a-dream-Haltung ist eine wichtige und unter Umständen ausbalancierende Kraft in Gesellschaften, die gehört werden und Raum bekommen muss damit sich nicht zuviel Resignation einschleicht. Meine Generation hat für Frieden demonstriert, wir haben ihn nicht erreicht, aber wir haben erreicht, dass man für Frieden demonstrieren darf, ohne verhaftet zu werden, das ist ein Anfang; the times they are a’changing … nur verflucht langsam.

Wenn ich noch besser laufen könnte, würde ich – wider besseres Wissen und im Bewusstsein einer gewissen Realitätsfremdheit – mitschlurfen und immer wieder Imagine anstimmen. Und We shall overcome … Songs für die Ewigkeit … und von ungebrochener Aktualität! Joan Baez lebt ja noch … und John Lennon wird uns aus den Wolken zulächeln.

 

 

Vermutlich träume ich – ja, wahrscheinlich ist es so, Realität kann das unmöglich sein. Andererseits habe ich mich schon zu oft gezwickt, ohne in die Dreidimensionalität zurückkehren zu können, wiederum andererseits sind die Szenerien zu irreal. Gut, narzisstische Zentrifugalkräfte können sehr stark sein und die Zentripetalkräfte von Mitte und Mass aushebeln und in den Kosmos der Unwahrscheinlichkeiten hinausdriften. Das geht, wir erleben es gerade. Das Kapital – um einen antiquierten marxistischen Ausdruck zu gebrauchen, man traut sich sowas ja schon gar nicht mehr – verbrüdert sich nicht mehr verschämt in den Hinterzimmern der Lobbyisten mit den Regierungsorganen und schleust Parteispenden durch dunkle Kanäle, sondern kopuliert in aller Öffentlichkeit mit den Mächtigsten der Erde – wer wollte denn da schon gross stören? Uns kann doch keiner! Und der Mächtigste der Erde rollt mit dem Einkaufswagen einmal rund um den Globus und schaut was im Angebot ist und bald hats Bettenburgen und rotblaue Schirmchen am Gazastreifen und in den Multiplexen läuft das Leben Jesu in Dauerschleife und die Bevölkerung wird enteignet, falls sie überhaupt noch was hat, das man ihnen wegnehmen könnte … ach, ich träum ja oft recht skurril, irgendwann wach ich schon auf oder es kommt der Abspann und ich finde mich im Kinosessel wieder nach einer entgleisten Hollywood-Politparodie und der Musk auf der Leinwand macht ein Pokerface und sagt „I’ll be back!“ und man kann in Ruhe überlegen ob man sich die Fortsetzung noch antut – ja, so wird’s sein. Und es gibt bald viele Rezensenten, die finden, dass der Film zu artifiziell und irreal sei und ausgesprochen plump in seinen Effekten und man freut sich, dass es keinen Oscar für niemand gibt für diese miese Parodie. Genau … so wird’s sein … einfach ein völlig absurdes Machwerk und man kommt aus dem Kino und alles ist wieder gut … gleich kommt die Langnese-Eis-Verkäuferin … ganz sicher … keine Sorge! Die Welt ist nicht verrückt geworden, nein nein! So schnell geht das nicht, man muss nur seine Phantasie ein bisschen im Zaum halten, sonst kommt man auf die irrsten Sachen. Oder der Wecker läutet gleich … wär auch recht!

Heute Abend gibt’s ’nen Film über einen Diskurs der Kanzlerkandidaten, da ist die Weidel dabei. Als ob die ernsthaft Chancen hätte, mit ihrem Rudel Durchgeknallter in den Bundestag zu kommen … guck ich aber nicht. Unrealistisch – das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand schon!!! Wer dreht denn bloss immer einen derart abgefahrenen Scheiss? Das kann doch bloss wieder der Tarantino sein …

 

ALICE THE BRAIN

 

 
 

The Room Next Door (ES, 2024) von Pedro Almodóvar

 

Ich möchte jetzt nicht die Platitüde gebrauchen, dass ein Film über den Tod auch immer ein Film über das Leben ist (was man langsam nicht mehr hören kann) – aber ein Film über einen Übergang erzählt immer von den beiden Welten, zwischen denen gewechselt wird, das ist weniger Kunst des Regisseurs als allgemeines Gesetz, so wie es kein Ende ohne einen Anfang gibt und keine Krankheit ohne Gesundheit. So ist die Zeit der Regisseur jeden Lebens und jedes Leben ein Sichbewegen zwischen Polaritäten und Antagonismen.

Almodóvar ist offenbar dazu übergegangen, sich nun nach seiner Biographie Leid und Herrlichkeit den letzten Dingen zuzuwenden – übrigens ein Film ohne seine üblichen Ebenenwechsel und intellektuellen Verschachtelungen, die man so spannend fand, aber lebensfreundlich, blutvoll und anrührend. Jetzt geht ihm aber offenbar die Puste aus.

Das Sterben findet hier in einem luxuriösen Chalet mit zwei verdienten Hollywoodstars statt, mitten ins amerikanische Nirgendwo outgesourct und im Dialog zwischen zwei Freundinnen, von denen eine vom Krebs zum Tode verurteilt ist und die andere, die panische Angst vor dem Tod hat, sie bis zum Ende begleiten soll – schon mal ein leicht sadistisches Arrangement, das einige filmische Möglichkeiten eröffnen könnte, die dann aber nicht ausgeschöpft werden. Im Zuge dieser Sterbebegleitung gibt es noch einige Kapriolen über eine geschlossene Tür, die den Tod der Freundin durch eine finale Pille aus dem Darknet signalisieren soll, aber wohl auch mal vom Wind zugeklatscht wird und die Freundin in Panik versetzt, was die Sterbende wiederum überhaupt nicht kratzt: Anmutungen von Schulmädchentriezerei mit sadistischem Unterton, wie gesagt. Dazwischen gelegentlich halbwegs geistvolle und lebensweise, meistens aber plattitüdelige Dialoge, angesichts eines bevorstehenden Lebensendes affektlos und blutleer zwischen überkontrollierten und immer leicht untertemperierten Frauen, die keine besondere Teilnahme abnötigen und jegliches Feuer, das der Regisseur sonst in seinen Figuren zu entfachen versteht, vermissen lassen. Sic tacuisses ... oder doch wieder Penelope bemühen? Die hätte da etwas mehr Latino-Pep reingebracht. Und ein bisschen mehr Hängen-am-Leben anstatt dieses Abgeklärtheitstriefen der Hauptdarstellerin mit ihrer flotten Sidecutfrisur.

Auf jeden Fall wird dann nach circa einer Stunde Filmzeit relativ unspektakulär verstorben, die Freundin bleibt gefasst und am Ende erscheint dann die Verstorbene noch einmal als ihre verbiesterte eigene Tochter, traumatisiert durch die Tatsache, dass sie ihren Vater nicht kennt (als ob das nicht auch ein Vorteil sein könnte), eine abschliessende Begegnung, deren Sinn für das Ganze sich nicht so recht erschliessen will. Zumindest aber erspart uns der Regisseur jegliches Hollywood-Sterbesentiment einschliesslich Streichorchester mitsamt dem Erheben und Ins-Licht-wandeln des Astralkörpers aus dem Leichnam. Da ist man dann doch dankbar.

Und so ist Sterben hier vor allem eines: Gepflegte Upper-Class-Sterbenslangeweile.

 

2025 2 Feb.

Frau mit Rückgrat

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Dass ich den neuen iranischen Film als grosse Bereicherung in der Filmwelt empfinde, habe ich hier ja schon des öfteren vertreten … irgendwie können die das einfach; unterdrückende Regimes setzen anscheinend erstaunliche kreative Kräfte frei. Trotzdem wäre mir vor lauter Farhadi-Laudatio Marjane Satrapi entwischt, die mit ihrer Graphic Novel Persepolis (2007) eine ganz neue Ästhetik entwickelt hat. Natürlich sind unsere Augen seit der ersten Micky Maus 1951 comicgewöhnt, aber die Psyche stimmt sich dann doch bei Comics sehr rasch in Richtung Heiterkeit und Action ein und weniger auf Inhalte mit einer gewissen Seelenschwere wie hier: Ein subversiver Film über ein rebellisches Mädchen im Iran, ein Thema das – wie wir inzwischen wissen – aufgrund der politischen Verhältnisse eher das Potential zu einer Auf-Leben-und-Tod-Geschichte hat.

 
 

        

 
 

Die Graphic Novel versuchte Geschichten für Erwachsene in die gewohnte kindliche Bildersprache und Bewegtheit zu fassen, die dadurch erzielte Verfremdung erhöhte noch den Effekt des Makabren bei einer der ersten Graphic Novel Mouse von Art Spiegelmann 1986. Die Diskrepanz zwischen spielerischer Darbietung und ernstem Inhalt erzeugte eine Spannung, die zunächst schwer einzuordnen war – ähnlich wie bei Benignis Das Leben ist schön, beim Grossen Diktator sowie bei Mein Führer von Dany Levi. Auschwitz und Humor – geht das zusammen und welche Art von Humor ist das nun? Darf man lachen? Muss man sich hinterher deswegen schlecht fühlen? Verwirrung … ein guter Denkanstoss und oft heilsam zum Erzeugen neuer Sichtweisen. Darf man Juden als Mäuse darstellen, wenn sie vorher als Ratten apostrophiert worden waren?

 
 

 
 

Verfilmte Graphic Novels erreichen einen ähnlichen Effekt durch Eliminierung des human factors, wenn die Figuren nicht von Menschen verkörpert werden, sondern schablonenhaft – zweidimensional und plakativ bleiben, die Übertragungs- und Identifikationsprozesse verlaufen schwächer bzw in anderer Form, eher als läse man ein Buch, man ist mehr auf die Handlung zentriert als auf die Personen bzw konzentriert auf die zeichnerischen Effekte, in jedem Fall ein ungewohntes Seherlebnis. Und man bemüht stärker seine Phantasie, unterläuft seine sonstigen Sehgewohnheiten – das macht in jedem Fall wacher und man versinkt nicht so tief in die eigenen Affekte und Identifikationen mit den handelnden Schauspielern und ihren real vergossenen Tränen. Andere Regisseure sprangen auf den Zug auf mit dem computeranimierten Teheran Tabu (2017) von Ali Soozandeh, Die Sirene (2021) von Sepideh Farsi und natürlich dem hochbepreisten Waltz with Bashir von Ari Folman (2008).

 
 

                 

 
 

Computeranimierte Filme haben mit ihrem fliessenden Licht- und  Schattenverlauf noch eine andere Anmutung – als würde man die Figuren unter Wasser in einem Aquarium beobachten oder unter einem flackernden Licht. Fremde Welten, noch einmal verfremdet durch Verzicht auf die Abbildung von gewohnter Realität und Schaffung eines neuen zeichnerischen Kosmos. Keine Realität, in die wir eintauchen können, so wie Leben eben vor uns abrollt – vielmehr sehen wir etwas Gemachtes, für unsere Betrachtung Hergestelltes; für mich machte das immer einen grossen Unterschied, manchmal bekam ich dieses Gefühl auch bei Brechtschen Lehrstücken oder einem Geschichtsbuch. Satrapi hat uns eine Geschichte geschrieben, in minimalisierender Form und bedrohlichem Schwarzweiss aus einer bedrohlichen Gesellschaft mit einer simplifizierenden Haltung insbesondere zur Frau und männlichen Huren-Madonnen-Spaltungen in kranken Gehirnen. Da passt das Medium zur Botschaft – so simpel wie die Denke der Islamisten und von Satrapi karikaturistisch aufgegriffen. Die iranische Regierung protestierte vehement gegen den Film, im Libanon wurde er verboten und in Tunis wurde wegen der Darstellung Gottes als altem bärtigem Mann der Sender in Brand gesetzt. Im Januar lehnte Satrapi die Verleihung des Ordens der Ehrenlegion – Frankreichs höchste Auszeichnung – ab mit der Begründung der „scheinheiligen Haltung Frankreichs“ gegenüber der iranischen Politik und forderte konkrete Unterstützung der Revolution der iranischen Frauen. Derer mit Rückgrat …

 

2025 28 Jan.

Pizza in Auschwitz

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Anlässlich des Gedenktages der Befreiung von Auschwitz und des Todes von Danny Chanoch am 30.9.2024 hier noch einmal mein Beitrag vom 1.7.2024 …

2025 28 Jan.

Auschwitz endet nicht

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Ich wurde nach dem Krieg geboren, wusste nichts davon, fand nur die Ruinen prima zum Spielen. Niemand sprach mit uns über das nur so kurz Vergangene. In vielen Familien fehlten die Väter, die Zurückgekehrten waren nicht mehr die alten, viele tranken und hatten Wutausbrüche und Depressionen. Ich hatte Angst vor der Türklingel – bis heute schrecke ich zusammen wenn es klingelt; problematisch bei einem Beruf, bei dem stündlich einer an der Tür klingelt.

Schon als kleines Kind träumte ich, es würden fremde Männer kommen und mich mitnehmen. Oder ich würde verbannt in den „Osten“ – obwohl ich nicht wusste, was das war – und dort zugrundegehen, vermutlich erfrieren. Oder würde aus meinem Haus vertrieben und eine lange Wanderung antreten. Bis heute habe ich vor jeder kleinen Reise eine Phase mit mulmigen Gefühlen – ein Verlust an Sicherheit und ein Schritt ins Ungewisse, potentiell Gefährliche. Oder meine Mutter würde von einem Mann erstochen. Und Gefahr, die vom Himmel kommt. Und die Luft vergiftet. Lange Fussmärsche durch Eis und Schnee … furchtbar … Winterspaziergänge gehn bis heute nur unter heftigstem Sträuben. Ist mir unheimlich. Später stellte ich dann Fragen: Meine Familie (5 Generationen in einer Wohnung) hatte tatsächlich Angst vor der Türklingel – meine Urgrossmutter schimpfte ständig auf den Führer, auch in der Öffentlichkeit, alle fürchteten sich ständig vor dem Klingeln der Gestapo. Dachau war ja nicht weit. Zudem war meine in der Familie lebende Grosstante Epileptikerin – also ständig in Gefahr, abgeholt und euthanasiert zu werden. Diese Tante träumte später immer wieder, die Nazis wären wieder am Ruder und würden mich holen – ich galt damals als herzkrankes Kind – heute würde man von funktionellen Störungen sprechen. Eine Verschiebung … – oder ein Hineinnehmen in den Kosmos der eigenen Gefährdung.

Mein Grossonkel trat 1941 den langen Marsch in den russischen Winter an und ist dort gefallen. Meine Mutter – hochschwanger mit mir – wurde von einem Besatzungssoldaten mit dem Messer bedroht, weil sie das Kind eines Nazis im Leib hätte. Meine redegewandte Grossmutter machte ihm klar, dass es das Kind eines GIs wäre und er dabei sei, die kleine Familie eines Kameraden umzubringen. Ich war vermutlich damit beschäftigt, den Adrenalinschub meiner Mutter auszuhalten.

Überall eine Gefühlsgemengelage, die sensible Kinder aufsaugten wie trockene Schwämme, die traumatisierten Väter sorgten für die Weitergabe von Gewalt – gottlob hatte ich keinen, unter uns Kindern wurde das damals als Vorteil erachtet.

Am Ende der Strasse war ein Haus mit dunkelhaarigen Menschen mit schönen Nachnamen und merkwürdigen Vornamen – das Judenhaus. Ein Haus für displaced persons, die Dachau überlebt hatten. Mit den Kindern sollten wir nicht spielen, ich tat es natürlich schon. Meine Freundin Mindela vermisste ich furchtbar, als sie wegzog; sie hatte immer ein Auge auf die Kinder im Hause und schärfte ihnen ein, sich anständig zu benehmen. „Wir sind Juden, auf uns wird besonders geachtet!“ Eine Zehnjährige …

Später würden die Traumaforscher von der transgenerationalen Weitergabe von Traumata sprechen – interessanterweise traten diese Phänomene nicht nur bei den Kindern der Opfer auf, sondern auch bei den Kindern von Tätern, sie hatten die gleichen Alpträume, obwohl sie nichts wussten … oder merkwürdige Symptome. Noch später würden die Genetiker feststellen, dass Traumata und beständige Überflutungen mit Stresshormonen Veränderungen in den Genen und der DNA bewirken und damit der Sprung vom Psychischen ins Körperliche geschafft wäre – man kann Traumata und die entsprechenden Deformationen vererben.

Kein Entkommen …

 

2025 27 Jan.

coffee-to-go

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Das Gedächtnis ist faszinierend. Woher kenne ich dieses Gesicht? Nun lese ich, dass Kristin Scott Thomas mit Sechzig gern noch auf den Laufsteg geht. Hilft nichts: googeln! Aha, die zuletzt als markante Geheimdienstchefin in der fantastischen Fernsehserie Slow Horses auftretende britische Schauspielerin spielte schon Hauptrollen in honorigen Filmen wie Der Pferdeflüsterer, Der englische Patient und Vier Hochzeiten und ein Todesfall. Auch die YouTuberin, die in einem Video die Vorzüge des Gehens preist, meine ich zu kennen. Klar, vor Jahren sah ich eines über ihr Leben in einem Tiny House. Auch beim Musikhören geht es mir so: habe ich ein Album oder einen Song einmal gehört, wird er auch Jahre später als etwas Schon-Gehörtes wiedererkannt. Wenn ich mein eigenes Gehirn mein Zuhause nenne, dann kann ich meine eigene Geschichte erzählen, sie sogar variieren, ausschmücken oder in Teilen neu erzählen. Hier wird es interessant, denn wenn wir uns dem zuwenden, was Gustav Jung den Schatten nannte, gelangen wir auf Nebenpfade, verlassen die allzu festgetretenen und oft durch Narzissmus und Verdrängung (Amnesie) aufgehübschten Ich-Ideale und betreten Neuland. Für mich waren grosse Schriftsteller ebenso wie beeindruckende Philosophinnen immer solche, die auch in der Lage waren, Negatives zu explizieren. Schopenhauer, Cioran, Milan Kundera, John Steinbeck und aus jüngeren Tagen Sybille Berg. Mein in letzter Zeit maßgeblicher Leitpfaden kommt vom Arzt, Molekulargenetiker und Extremsportler Michael Nehls, der in seinen Büchern darauf hinweist, wie wichtig ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel ist und eine allgemein artgerechte Lebensweise, zu der natürlich Sport und Bewegung gehören – und das in jedem Alter. „Psychotherapie meinetwegen – aber nicht ohne Radsport“ war schon immer mein Credo, analog zu Emile Ciorans unvergesslichem „Das Nirvana ja, doch nur mit Kaffee!“

 

 
 

Hab den Donut im Auge und nicht das Loch!

 

David Lynch ist verstorben. Der obige Satz eines seiner Rezensenten hätte von ihm stammen können – schau nicht auf das Augenfällige, sondern auf das Dahinterliegende. Wenn Du Dich dort auch nicht zurechtfindest, auf das noch weiter Dahinterliegende – so baute er seine Filme auf, über die sich schon Generationen von Zuschauern und Rezensenten den Kopf zerbrochen haben, um im Labyrinth eine Logik zu finden und daran verzweifelten beziehungsweise den Fight mit dem Labyrinth verloren haben, da sich Labyrinthe an der eigenen Verschlungenheit zu begeistern pflegen und sich weniger um denjenigen scheren, der darin herumstolpert und wieder hinaus will. The medium is the message und Entwicklung entsteht auf den Wegen und nicht an den Zielen. Somit hatte er für mich immer auch eine buddhistische Anmutung.

 
 

 
 

Ich habe über Mulholland Drive etliche sehr gelehrte Vorträge gehört von unterschiedlichen Wissenschaftlern, der letzte war Lacanianer – wer jetzt einen Schweissausbruch bekommt, weiss, was ich meine – die glaubten endlich die Weltformel für dieses schillernde Machwerk gefunden zu haben … gerafft habe ich es nicht und zunehmend beschlich mich der Verdacht, es gäbe überhaupt nichts zu raffen – eine Erkenntnis die sofort eine Menge Stress wegnimmt und einem die Möglichkeit gibt, frisches Popcorn zu holen, weil man ohnehin nicht viel versäumt. Immerhin gilt Lynch als Meister des unzuverlässigen Erzählens,  einem Begriff aus der Literaturwissenschaft – heisst wirklich so. Und seit Christopher Nolan sind wir ohnehin gewöhnt, uns in Filmen mit Zeitsprüngen, Ebenenwechseln und Hyperloops nicht mehr zurechtzufinden. Wie man hörte ging es sogar seinen Schauspielern so, diCaprio hat dergleichen mal verlauten lassen, der hat auch bald nicht mehr durchgeblickt, in welchem Parallelkosmos er da gerade herumturnte.

Manche ordneten ihn (den Lynch, nicht den Leo) gern in die philosophische Strömung des Strukturalismus oder Poststrukturalismus ein, was ungefähr soviel weiterhilft wie Kamillentee bei einer Blinddarmentzündung und die Psychoanalytiker sahen in der Handlung eher die Darstellung depressiver Innenwelten, in denen es ja auch alogisch und surrealistisch zugeht und man sich wie an einer Boulderwand von einem Vorsprung zum anderen hangeln muss. Ich selbst sah mich immer in den Kosmos eines Paranoikers versetzt … eine Welt voll Verwirrung, geheimnisvoller Zeichen, die auf Anderes verweisen und das Andere wieder auf etwas Anderes. Bedrohungen, die sich verdichteten und wieder auflösten, Personen deren Identität flüchtig war wie Rauchschwaden – Tolkien hätte von Gestaltwandlern gesprochen. Neue interessante Gedankenräume tun sich auf, die man in einem ständigen Flow durcheilt, das macht mehr Spass als Boulderwände zu erklimmen – mehr wie – pardon – Geisterbahnfahren. Ähnlich – aber in tragischerer Form – schaffte das Florian Zeller mit dem Film The Father – über einen dementen Mann, in dem der Zuschauer selbst für anderthalb Stunden in den Zustand einer Demenz versetzt wird und ständig in neuen Wohnungen wohnt und neue Leute kennenlernt.

Und wer will denn schon die Wahrheit wissen? Ist doch langweilig. Bei Buñuel ist ein Vogel Strauss im Schlafzimmer eben auch ein Vogel Strauss im Schlafzimmer … und kein Vatersymbol. Bleibt im Flow, Kids! So lässt sich auch Lynch ertragen, dem wir hiermit ein gutes Ankommen in den Parallelwelten wünschen.

 

2025 18 Jan.

Rückzug der Musen

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Nach der Muse Buñuels nun auch die Muse von Almodóvar:

Marisa Paredes verstarb mit 78 Jahren in Madrid. Wir kennen Sie vor allem aus Mein blühendes Geheimnis, Alles über meine Mutter, und Die Haut in der ich wohne, aber sie spielte auch bei Roberto Benigni in Das Leben ist schön und vielen Produktionen in ihrem Heimatland. Sie war nie die kühle Blonde – eher immer die vom Leben gebeutelte Frau in einer Phase, in der sie viel Herzblut vergiessen musste, ein beliebter Mutterarchetyp des Maestro neben Penelope Cruz – herzlich, gefühlvoll, berührbar … dabei glitt sie niemals in Mutterklischees ab, ihre Mütter waren immer abgegrenzte Individuen mit einem eigenen, vom Kind unabhängigen Schicksal und trotzdem mit ihm verbunden. Diese Balance schaffte sie. Neben ihrer Filmkarriere engagierte sie sich politisch und war Präsidentin der spanischen Filmakademie.

RIP

 
 

 

2025 18 Jan.

january album listenings

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Pablo Held Trio – Plays Standards

Tyshawn Sorey – Koan

Nik Baertsch’s Ronin – Awase

Thomas Strønen – Relations

Marc Copland – And I Love Her

Pablo Held – Adventures

 

… so far, so good …


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