Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Natürlich war der klassische Western ausschliesslich eine Männerwelt und natürlich war sein Bezug zur Realität der Besiedelung des Westens etwas geschwächt. Natürlich war sein Frauenbild in der Regel einfach strukturiert und zwiefach gespalten in herzensgut und verrucht und dieses Geschlecht diente allein der Ornamentik – schmückendes Beiwerk und romantisierendes Element am Rande des Hauptthemas: Männergesellschaften und ihre interpersonellen Spannungen. Frauen waren nicht wirklich mit dem Geschehen verbunden und ohne Funktion im Handlungsverlauf, dafür aber immer zweckmässig gewandet zum Überleben auf staubigen Kampfplätzen, in denen es immer um Leben und Tod ging. Manchmal ähnelten sie mit ihren Reifröcken den Puppen, die früher auf den rückwärtigen Ablagen in Autos sassen und eine Rolle Toilettenpapier tarnten. Charles Bronson hätte Henry Fonda auch ohne die Mitwirkung der Wuchtbrumme Claudia Cardinale zur Strecke gebracht, aber so ergaben sich doch einige prickelnde Momente im ansonsten sehr protrahierten Verlauf des Filmes und die Hoffnungsspannung auf ein glückliches pairing-end blieb bis zum Schluss, was uns aber Sergio Leone dann gottlob doch ersparte – es hätte den Mythos vom Lone Rider und damit den ganzen Film zusammengehauen, der letztlich nur davon lebte. Schmückendes Beiwerk auf Männerspielwiesen.

 

 

                 

 

 

Der berühmte ikonische Blick von hinten durch die Beine eines der beiden Duellanten auf den Gegner – also aus einer voyeuristischen Beobachterposition auf ein dyadisches Geschehen, nämlich ein Pistolenduell, erinnert an die Blickhöhe eines Kindes, das sich hinter dem Vater versteckt und die Vernichtung des Feindes voyeuristisch aus einer sicheren Position betrachtet. Womit wir bereits auf einer spielerischen Ebene gelandet wären in einer Szenerie, die zunächst alles andere als spielerisch war. Der Exodus der Europäer, bedingt durch Umstrukturierungen in den Heimatländern von agrarischen und feudalherrschaftlichen Strukturen hin zu frühkapitalistischen Produktionsformen erzeugte Unfreiheiten, wirtschaftliche Veränderungen, existenzielle Bedrohungen und eine Verunsicherung der bisherigen Identität, so dass sich viele Hoffnungen auf einen radikalen Ortswechsel in ein grosses Land richteten, das geradezu aufforderte, es in Besitz zu nehmen und seine Ressourcen zu nutzen. Frühkapitalistische Strukturen replizierten sich dann rasch erneut, sobald Grossgrundbesitzer und betuchte „Viehbarone“ ganze Kleinstädte vereinnahmten, indem sie mittels ihrer finanziellen Möglichkeiten Einfluss auf deren bescheidene Kommunalpolitik nahmen, die Gemeindevorsteher, den Friedensrichter und den Marshall schmierten, immer einen Reitertrupp von bodyguards zu ihrem Schutz im Gefolge hatten falls ungeschriebene Gesetze von Newcomern nicht eingehalten wurden und so das alte feudalherrschaftliche Staatsprinzip der alten Welt erfolgreich weiterführten. Der Mensch entkommt sich nicht, egal wie weit er übers Meer schippert.

Die Besiedelung des Westens und das Leben der Farmer, Züchter und Cowboys dürfte bei weitem nicht so aufregend gewesen sein, wie der Western es uns glaubhaft machen will, vielmehr scheint sich hier mit einer Art lautlosem Donnerschlag ein Phantasieraum aufgetan zu haben, in dem die männlich dominierte Filmwelt Hollywoods einen gigantischen Spielplatz für Verfolgungsabenteuer, latente Homoerotik und sonstige Testosteronrituale entdeckte und für sich mit Beschlag belegte, in einer Art sekundärer Kolonisation – ein virtueller Westen, der mit der realen Gegend nicht mehr viel zu tun hatte. Es errichtete die Welt eines permanenten Räuber-und-Gendarm-Spiels in einer riesigen Phantasieblase und eines beständigen Aufeinanderprallens von Outlaws und den Hütern von Recht und Ordnung mit unterschiedlichen Varianten der Sympathielenkung. Der charmante Gauner Billy the Kid hatte die Zuschauergunst eher auf seiner Seite als der furztrockene und illoyale Pat Garrett, dessen Überleben uns eher wurscht gewesen wäre. Der lässige Soundtrack von Bob Dylan brachte dann freilich Tracks für die Ewigkeit.

 

 

 

 

Ein riesiges und gewissermassen jungfräuliches Land mit reichlich verborgenen Schätzen musste erobert und den ursprünglichen Besitzern sukzessive abgejagt werden, eine stimulierende Phantasie, die die ödipale Enttäuschung des Mannes, den Körper der Mutter nicht vollständig zu besitzen, sondern zeitweise an den Vater abtreten zu müssen, zu kompensieren vermag – nicht selten werden kindliche Konflikte mit den Eltern später auf eine politische Ebene gezerrt und dort rächend oder kompensatorisch ausagiert. Jedenfalls wurden ab dem ersten grossen Western Der grosse Eisenbahnraub (1903), der bereits erste Massstäbe in Aufbau, Schnitt und Kameraführung setzte, der Markt zusehends mit kriegspielenden Jungs geflutet. Dabei stehen die Motive wahlweise der Unbezogenheit im Vordergrund (mehr oder weniger zielloses Lonely-Wulf– Herumstreunen im Gelände mit all seinen wohlweislich nicht dargestellten Mühseligkeiten, das man uns als grandiose Freiheit verkaufte) oder wahlweise die intensive Bezogenheit von Mann zu Mann oder von Männergruppe zu Männergruppe in Form von monate- bis jahrelangem Suchen und Verfolgen des irgendwie definierten Gegners (oder auch gerne aufgrund eines Rachemotivs) im Gelände als Lebensinhalt, voyeuristisches Dauerbeobachten, Spurenlesen und Anschleichen bis schliesslich zum showdown, bei dem man möglichst breitbeinig voreinanderstand, die Intimität eines langen und meist finalen Blickkontaktes genoss und zuletzt blankzog.

 

 

          

 

 

Auch der ansonsten erfrischendere und neu angelegte Spaghetti – oder später der Neowestern verzichtete keineswegs auf diese Versatzstücke, auch wenn er sie zeitweise gerne ironisch zitierte. Hier kippt der Abenteuerspielplatz in homoerotisch anmutende tableaus von sich umkreisenden Paaren, die in intensivem Blickaustausch miteinander verschmelzen um jede Regung des anderen schon im Ansatz zu bemerken – der Griff zum Colt zeige sich vorher schon im Auge des Duellanten an –  so der Mythos – und ihn dann aufs Kreuz zu legen. Das war nicht nur das Drohstarren, das wir aus der Tierwelt kennen, sondern ein intensives Sicheinfühlen – man muss geradezu in das Auge des anderen hineinkriechen, um den entscheidenden Zeitvorteil zu bekommen. Momente von Intimität und geradezu penetrierender Nähe als Kontrast zu den ständigen Distanzvergrösserungen und -verkleinerungen beim Herumreiten, Flüchten und Verfolgen. Da ist freilich kein Bedarf mehr für Frauen. Und als Charles Bronson seine lebenslange Mission beendet und Henry Fonda erledigt hatte, widmete er sich wieder dem „Jeden-Tag-Leben-mit-dem-Tod „, wie Cheyenne zitierte, den er dann auch noch palliativ wegen eines Lebersteckschusses erschiessen musste. Besonders vernünftig und lebensfreundlich klingt das alles nicht – aber – hach! … wie romantisch und wohltuend traurig …

Stories of love and hate bei den Weissen – welche Rolle wurde nun den Indigenen auf diesen Spielplätzen zugewiesen? Zunächst die der irdischen Aliens samt Auftreten in Horden gleichgeschalteter gesichtsloser Individuen, die die Siedlungen der Weissen überfielen und grausame Blutbäder anrichteten – flott dargestellt in einer nassforschen Umkehr der eigentlichen Landbesitzverhältnisse. Während die Aliens das personifizierte Fremde repräsentierten, eigneten sich die Native Americans mit ihrer Andersgläubigkeit, ihren Ritualen, Gesängen und Tänzen eher zur Verkörperung des Magischen und Irrationalen und mit den langen Haaren, ihrer überwiegend bunten Kleidung samt Schmuckzubehör auch zum Prinzip des Weiblichen, dem man ja ebenso Irrationalität und Bedrohung einer für wohlgeordnet gehaltenen Männerwelt zuschrieb. Nun ist das Weibliche für den Mann nicht nur irrational-gefährlich, sondern auch anziehend und faszinierend, demzufolge konnten sich die Macher des Westerngenres in ihrer männlichen Ambivalenz nie so ganz darüber einigen, wie sie sich zu den Natives stellen sollten – edle Wilde oder grausame Krieger und Marterpfahl-User wechselten sich in buntem Reigen und sorgfältiger Spaltung ab – bis zu den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, als der Rassenwahn der Nazis doch so manchen dazu brachte, seine Position zum Andersartigen und Andersabstammenden zu überdenken. Vielleicht auch zum Weiblichen … Der rassistische Charakter des Bildes der Indigenen zeigte sich auch in der Besetzung von Indianerrollen mit weissen Schauspielern, die ihre Charaktere nicht selten parodistisch überzeichneten, heute auch „kulturelle Aneignung“ genannt. Dieses „Redfacing“ hielt sich sehr lange im Genre.

 

 

         

 

 

Erst in den 60er-Jahren begann man die Indianer sympathischer zu sehen, wohl auch unter der Weltsicht der Hippies, die sich ihnen verbunden fühlten und gern ihr Outfit kopierten – als kontemplative und naturverbundene Gegenkultur zum zunehmend brutaler werdenden american way of life. Und die Frauen zogen die Korsetts aus (oder behielten sie als humoriges Zitat über den Reithosen an), setzten die Häubchen ab, griffen zum Gewehr und schossen besser als jeder Mann … okay … jede Bewegung kippt erstmal in ihr Gegenteil; das kommt davon, dass man viel Anlauf nehmen muss beim Durchstarten, das war nicht nur beim Feminismus so.

Auf den grossen postkolonialistischen Western, der ohne Idealisierung und Romantisierung die Besiedlung aus der Sicht der Indigenen schildert, nett mit dem Wolf tanzt und auf jegliches John-Ford-und Karl-May-Klischee einmal verzichtet, warten wir noch.

Aber wie wir wissen: Irgendeiner wartet immer.

 

 

  

 
 
 

Was macht ein Geisteswissenschaftler auf dem Oktoberfest und wenn ja wieviel und wie lange?

… wenn er (oder sie) Vegetarier ist, der kein Bier mag, keine Zuckerwatte, keine kandierten Äpfel, keinen Lärm und keine Menschenaufläufe und kein nach Schuhsohle schmeckendes Lebkuchenherz um den Hals bammeln. Höchstens gebrannte Mandeln.

Frauentechnisch macht das Fest ja was her … der Dirndlwahnsinn ist durchaus etwas fürs Auge und die Flechtfrisuren der Mädels dürften soviel Zeit in Anspruch nehmen wie das Aufbrezeln früherer Rokoko-Perücken – und einfach mal was anderes als Nickis, Hoodies, Turnschuhe und tief unterm Arschgeweih sitzende Jeans sowie zu Stricken gedrehte Haare, deren Enden in die Luft stehen, sozusagen Gamsbart urban – aber hier jetzt ein Fest der schönen Mädchen. Aber dies soll hier ja keine Kolumne werden, sondern eine Abhandlung über Magie und Dämonisches.

Man könnte da erzählen über magic moments im Kindesalter, wenn man abends durchs Fenster gegen Osten blickte und der rot gefärbte Himmel zeigte – nein, nicht dass der Krieg wieder begonnen hatte – sondern das Oktoberfest, vulgo genannt „die Wiesn“, weil es auf einer selbigen stattfindet. Und man am Samstagmittag um 12.00 beim Anzapfen den Böllerwumms erst durchs Radio hörte und mit kurzer Verzögerung durchs offene Fenster dann den gleichen nochmal. Rätsel über Rätsel und Magie für Kinderohren, was nur schlichte Physik war – damals wurde der Doppelwumms erfunden. Hat heute alles etwas an Glanz verloren angesichts von Trommelfellgefährdung, horrender Preise und Bierleichen am Hügel zu Füssen der Bavaria, vulgo auch der Kotzhügel genannt.

Nein, anziehend für mich sind auf der Wiesn die Monster in ihrer aztekischen Buntheit und Grausigkeit und ihre mimischen und gestischen Bedrohungen, der grinsende Teufel, der zähnefletschende Tod und ihre ganzen Handlanger, Vasallen und Folterknechte, kurz: Das Zitieren des Mittelalters; das Dämonische, das erschreckt und in seiner Überspitzung gleichzeitig ins Lächerliche kippt. Gebilde sadistischer Phantasien – jetzt gezeigt als das, was sie sind – Pappkameraden zum Kindererschrecken, über die Maßen bedrohlich in Zeiten, als Teufel ausgetrieben wurden und Scheiterhaufen brannten, Menschen mit körperlichen Besonderheiten zur Schau gestellt und Hinrichtungen zur Abschreckung öffentlich durchgeführt wurden.

 
 
 

                    

 
 
 

Alles nur noch ein Spiel … wie beruhigend. Das Kind jeglichen Alters des Zeitalters der Aufklärung, der Moderne und Postmoderne betrachtet das ganze Grauen mit leisem Nervenkitzel und grosser Erleichterung – endlich ist der Spiess umgedreht und Tod und Teufel sehen ganz schön lächerlich aus als Parodien und Zitate ihrer selbst. Wie gut, in der Neuzeit zu leben und die dunklen Zeiten der Menschheit unwiderruflich vorbei zu wissen.

Beim Perchtenlauf auf den Christkindlmärkten in Berchtesgaden werden allerdings durchaus noch Kinder von gehörnten und kettenrasselnden Geschöpfen geschockt, aber das sind Kollateralschäden, deshalb wird schönes altes bayrisches Brauchtum noch lange nicht aufgegeben. Und auch nicht auf 22.00 vertagt – nö, das gehört in die Dämmerstunde, wenn auch der Nikolaus kommt, den die Kinder natürlich sehen wollen – in Personalunion mit dem gruseligen Krampus, aber der tut nichts und will nur spielen, das müssen die Kinder nur erstmal kapieren. Brauchtumspflege halt … – nur Gegendämonen können die Dämonen der Rauhnächte austreiben, das ist quasi ein unverzichtbares Ritual hier in den Bergen. Wer weiss denn schon genau, was hier alles nächtens noch umgeht. Die Naturwissenschaftler können auch nicht alles wissen.

 
 
 

 
 
 

Nein, in einer säkularisierten Welt braucht man derlei Archaik nicht mehr zu fürchten. Wie schön, dass wir sicher sind.

Als ich klein war, gabs übrigens die Zuban-Schau auf dem Oktoberfest (eine Zigarettenmarke) – das Zurschaustellen von Fremd- und Andersartigem: Schwarze Menschen mit Speeren und Baströckchen zeigten traditionelle Tänze, Hulamädchen liessen die Hüften kreisen, holten dann einen Kerl aus dem Zuschauerraum, dass er es ihnen gleichtat, der dann geehrt, erfreut und etwas verschämt mithüpfte. Indianer zeigten Kriegsbemalung und Marterpfähle. Ein Menschenzoo in einem Land, an dessen Grenzen bereits das Untermenschentum begann, zumindest noch in vielen Köpfen.

 
 
 

                     

 
 
 

Dann die Magie und das Glück des ersten Luftballons, vorsorglich von der Oma an meinem Handgelenk festgeknüpft und andächtig bestaunt, rot und mit Nase und einem freundlichen Grinsen. Und dann ein besoffener junger Mann, der ihm mit der brennenden Kippe das Lebenslicht ausblies – damals durchaus gebräuchlicher Sport von Angetrunkenen, Sadismus gegenüber Kindern.

 
 

… die Horde vor einer Schlägerei flüchtender Wiesenbesucher die mich von meiner Mutter losrissen …

…der junge Mann der hinterher am Strassenrand sass und aus einer Schnittwunde blutete und dem niemand half …

… Männergewalt …

… meine Panikattacken als Kleinkind als mein Vater mit mir in ein allzu wildes Fahrgeschäft stieg in dem ich mich nicht auf den Füssen halten konnte …

… der mühsame Heimweg zu Fuss nach dem Verzehr einer Hühnersuppe, in der offensichtlich Salmonellen um die Wette schwammen und eine Begleitung, die befürchtete ich würde in die Strassenbahn reiern … Kinder sollen keine Umstände machen, also ein einstündiger Fussmarsch immer am Rande des kaltschweissigen Kollabierens … aber wenigstens kein Ärger mit Mitmenschen …

… die Schaustellerjungs, die einen am Ende der Tobogganrutsche auffingen damit man sicher auf die Beine kam und einem dabei unter den Rock grabschten …

… irgendwelche Vorrichtungen in Fahrgeschäften, die einem plötzlich den Rock hochbliesen – beschämt vor einem wiehernden Publikum … gottlob gab es bald Blue Jeans und Frau lernte besser nicht mehr mit Rock herumzulaufen. Schade um den neuen Petticoat!

 
 

Heute gibt es einen Safe Space auf der Festwiese, eine Zuflucht für Frauen und Mädchen in Bedrängnis mit Mitarbeiterinnen, die notfalls auch die Frau nach Hause bringen oder Taxigeld vorstrecken – die haben reichlich zu tun. Ist das jetzt Fortschritt oder Rückschritt dergleichen zu brauchen? Der Kotzhügel, auf dem in warmen Nächten auch die Räusche ausgeschlafen werden wird von Kennern der Szene auch mountain of rape genannt. Ein bayrischer Comedian meditierte einmal über die Sitte, Kinder nach dem Ort ihrer Zeugung zu benamsen – Diego oder Paris oder Savannah – und meinte, ein grösserer Teil der Bayern müsste dann wohl „Hinterm Bierzelt“ heissen; der Prozentsatz einvernehmlicher Sexualität ist dabei leider nicht erfasst.

Auf dem Oktoberfest 2024 wurden insgesamt über 700 Straftaten angezeigt, überwiegend Körperverletzungen, ca die Hälfte davon Sexualdelikte, vor allem das immer beliebter werdende upskirting, Nachfolger der alten Sitte, in den Damentoiletten auf Augenhöhe ein Loch Richtung Nachbarkabine zu bohren. Und andere schöne alte Bräuche …

Wie gut in der Neuzeit zu leben …

 

 

An die Bestie in Menschengestalt

 

Du hast meinen Lebensfaden

schier abgeschnitten.

Ich verfluche dich dafür

Ich spreche den Gegenfluch aus

Mögest du in Ewigkeit

wie ein halb zertretener Wurm

dich winden müssen

 

Dafür, dass du und deine Mit-Würmin

den Fluch auf mich herabgebrochen habt

mein Leben zertreten.

Meine Kraft zerbrochen habt

die Kraft für mich selbst

zu leben, zu lieben

mich unbekümmert zu freuen

 

Stattdessen habt ihr mir

falsche Schuld

falsche Scham

abgebrochenes Leben

und eure unsägliche Schuld

aufgeladen.

Mit unsäglicher Brutalität

 

Dafür spreche ich nochmals den Gegenfluch aus

 

Mögen sich die Engel von euch abwenden

die Hölle euer zuhause sein

So wie mein Leben oft die Hölle war

auf Erden

 

Ihr sollt alle Schmerzen

in Ewigkeit spüren

die ihr mir zugefügt habt

mir und meiner Tochter

mit euren späteren Henkershelfern.

 

Niemals Frieden für euch!

 

 

Liebster

 

An Dich Geliebter
mit dem goldenen Herzen
dem geheimnisvoll umhüllten
mit der zarten Blutspur.
Wie ein Hauch
und doch das Auge erschreckend.

Deine Stimme fließt in mein Ohr
wie plätscherndes Gebirgswasser
mit unterirdischen kräftigen Strudeln.

Und deine Hände
tasten sanften Augen gleich
sich behutsam in meine,
teilen das Wasser vor mir
in kräftigen Schwüngen.

Zärtlich schnupperst Du an meiner Haut
die ich sanft für Dich nur salbte.

Spür den Sommer
in meinem Mund
lass mich ihn
in Deinen hauchen

Liebe heißt das Zauberwort.

 

Marianna 2024

 

Spannung – das Erste, was mir einfällt beim Lesen dieser beiden Gedichte aus meiner Sammlung von Texten traumatisierter Menschen. Wie kann eine Seele so extreme Gegensätze erleben, erfühlen und in sich beherbergen, ohne zu zerspringen – als würde man eine extrem zusammengedrückte Sprungfeder plötzlich loslassen, so dass sie ihr Gehäuse zerreisst. Offenbar geht es – allerdings droht der Körper dieser Frau zersprengt zu werden – von extremen Schmerzen, Unverträglichkeiten und Zurückweisungen für fast alles, was man ihm auch in bester Absicht zuführt, um ihn zu ernähren, zu erhalten oder zu heilen, als ob er überall ein verborgenes Gift wittern würde, das er sofort wieder ausstossen möchte – ein körperliches Grundmisstrauen, das sich längst verselbständigt hat und ein Eigenleben führt. Oft hat man den Eindruck, dass der Körper sich verhält wie das Kind, das dieser Besitzer einmal war; er verweigert sich, er möchte ständig etwas zugeführt bekommen, um die Leere der Seele zu füllen, bei manchen Menschen schreit und lärmt er die ganze Zeit. Oft ist er so angefüllt mit Unverdaulichem dass er keine Nahrung mehr aufnehmen kann. Manchmal steht er unter einer fast unerträglichen Spannung zwischen Angst und Wunsch, möchte sich öffnen und schützend verschliessen gleichzeitig. Dann wieder wohltuend abgegrenzt und unverletzlich existieren und dann wieder mit einem anderen verschmelzend verschwinden und sich auflösen.

Du stolzes Herz! Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich. Oder unendlich elend.

Heinrich Heine wusste auch, wie weit die Seele ihre Flügel spannen kann, manchmal birgt sie in ihrem Gehäuse nur von Menschengrösse eine ganze Welt.

Und Spannung vermag vieles: Einen Pfeil abschiessen, einen Schlag versetzen, ein Gehäuse sprengen … nur ist sie eben so verdammt schwer zu ertragen, sowohl ihr Halten als auch ihre Entladungen. Ein Leben in Extremen – und kein Entkommen?

Doch, manchmal … im Malen, im Gestalten, im Schreiben …

 

 
 

Monsieur Klein (F, 1976) von Joseph Losey

Der Schauspieler und sein Film – a matched sample

 

Noch selten hat ein Schauspieler so gut zu einem Film gepasst wie hier Alain Delon zu Monsieur Klein. Der kühle, aalglatte, aber sich nie zum wirklich Bösen aufschwingende (das hätte Delon auch durchaus geschafft – seit Die Sonne war Zeuge wissen wir das) M. Klein, Kunsthändler und Bonvivant, der sich am Eigentum enteigneter Juden bereichert, ist durchaus sein Metier. Auf gebrochene Charaktere verstand er sich mit seinem Pokerface, seinen hellen Augen, bei denen man trotzdem nicht auf den Grund blicken konnte – so als hätte er eine Zwischenwand eingezogen, an der unser forschender Blick abprallte und wieder umkehren musste, bevor er das Innere erreichte. Die Seele dahinter war seine Sache, er stellte sie immer nur in Teilen zur Verfügung – für Filme reichte es, für Beziehungen nicht immer. Romy liess er – so der Text des Abschiedsbriefes – sein Herz zurück, sein Körper stand gleichzeitig Nathalie Delon zur Verfügung, was er mit der Seele machte bleibt im Ungefähren, Interviews gab er so gut wie nie. Als junger Mann arbeitete er eine Weile als Metzger, vielleicht hat er hier gelernt Organismen zu zerteilen.

Das klingt zynisch – die Psychotherapeuten würden es Balint-Effekt nennen, eine Art Übersprung vom Beschriebenen auf den Beschreiber – und Zynismus und Kälte sind auch Eigenschaften, die man Delons Filmfiguren zuschreiben kann. Sogar bei seiner Premiere – beim herzigen Leutnant Gustl in Christine (eine komplette Gegen-den-Strich-Besetzung) wehte einen immer etwas kühl an und wenn’s nur die berühmte Unmutsfalte war, die zwischen den Brauen immer wieder aufzuckte. Dafür war Romy Schneider in diesem Film noch ein letztesmal über die Maßen herzig, bevor sie ihre Karriere in Frankreich startete – dann nicht mehr herzig, aber früh gebrochen und nie mehr ganz geheilt, bis ihr die eiserne Spitze des Gitters, die den Körper ihres Kindes durchbohrte, auch das eigene Herz durchdrang. Das ist auch so eine Crux von Delon, diese Personalunion mit einer längst Verflossenen, die bei jedem Diskurs über ihn zuverlässig auftaucht, als gehörte diese Beziehung zu seiner Identität und Romy wäre sein unsichtbarer siamesischer Zwilling. Is anybody here? Da fehlt doch jemand!

Und irgendwie gab man dem Treulosen immer ein bisschen Mitschuld, dass unsere Sissi in Paris zuerst unanständige Filme drehte, dann verlassen wurde und traurig endete. Er liess Raum für Projektionen und die waren nicht immer vorteilhaft, aber machen andererseits den Schauspieler vielseitig verwendbar. An M. Klein schien ihm etwas zu liegen, er war der Produzent. Nach „Leutnant Gustl“ wusste er offenbar besser, was zu ihm passte – die tiefgekühlten Chamäleons und andere Reptiloide mit ihren Eisaugen.

Der Film beginnt auch bereits mit einer Anmutung von Kälte: Eine junge Frau wird vom Amtsarzt untersucht – ihre rassische Zugehörigkeit soll festgestellt werden und der Arzt, ein Kollaborateur, untersucht sie, als wäre sie ein Pferd, das er kaufen will; das stellt den Film bereits in seinen entsprechenden Kontext: Frankreich unter der deutschen Besatzung, Beginn der Enteignung und Deportation von Juden – dem entgegengestellt die Welt der gesellschaftlichen Elite, zu der dergleichen nicht durchdrang und die es verstand wegzuhören, wie die unvermutet auftauchende Jeanne Moreau mit den wie immer vornehm abgesenkten Mundwinkeln in ihrem Palais, bei deren Auftritt man sich fragt, warum sie sich mit dieser Minirolle zufriedengegeben hat. Da hat wohl jemand seinen Charme spielen lassen?

Zu dieser elitären Gesellschaft gehört auch M. Klein, der sich am Aufkauf von jüdischem Hab und Gut bereichert – kalt, opportunistisch, ohne Gefühlsregung, in seinen seidenen Morgenmänteln immer etwas metallisch-glänzend wirkend, als trüge er einen Echsenpanzer, das Einstecktuch gezückt in der Brusttasche, alles comme il faut, ein gentilomme, sogar noch im Schlafzimmer. Die Adresse seiner Kunden notiert er nicht mehr, er weiss sehr wohl, dass sie dort bald nicht mehr zu finden sein werden, wo sie gerade noch sind.

Der Film beginnt und endet mit einem Verkaufsgespräch, es geht um das Bild „The Analysis“ von Adriaen van Ostrade, das Bild eines Mannes bei einer chemischen Untersuchung: ein Hinweis auf die Werte der Aufklärung, Ratio, Naturwissenschaft, Humanität, Absage an das Irrationale, an die Zeit in der die Scheiterhaufen loderten – hier kontrapunktisch entgegengestellt der Anfangsszene der ärztlichen Untersuchung einer Frau gemäss den abstrusen Richtlinien der faschistischen Rassenideologie, die uns die Nazis als Wissenschaft verkauften. Das Verkaufsgespräch wird vor dem Abspann noch einmal eingeblendet, es fasst den Film ein wie ein Rahmen oder eine Klammer, ein zweimaliger Appell an Aufklärung und Vernunft; das Bild verhökert für – nein, nicht für dreissig Silberlinge – aber für 300 Francs und damit auch eine Absage an Kultur und den Werten, die sie geschaffen hat. Bald werden wieder Scheiterhaufen brennen und Kulturgut verschlingen und später auch Menschen.

Is anybody here? Oh ja …

Dazwischen erleben wir in der Filmhandlung eine Welt von Irrationaliät, geheimnisvollen Zeichen und Begebenheiten in einem fahlen, verblassten Paris, der Einführung einer unheimlichen Präsenz, die sich ins Leben von Klein drängt, eine Auslösesituation für das Erleben von Unheimlichkeit.

„Is anybody here?“ fragt die Frau im Hollywoodfilm mit ängstlichen Augen, wenn sie einen scheinbar leeren Raum betritt, in dem Fensterflügel im Wind schlagen und Vorhänge wehen samt anderer Versatzstücke und Accessoires des Grusel-Genres. Und wenn der Regisseur klug ist, lässt er uns nicht sofort die Schuhspitzen unter dem Vorhangsaum sehen, sondern zögert die Sache noch etwas hinaus; im Kinosessel geniesst man gerne die Gefährdung und Angst des anderen mit dem eigenen Hintern im Warmen, „Angstlust“ nannte es der o.g. Psychoanalytiker Balint. Das macht auch Joseph Losey in diesem Film: Gibt es eine Präsenz im Hintergrund, die zielgerichtet handelt oder ist alles nur das bunte Spiel des Zufalls und eine harmlose Verwechslung? Oder will hier jemand einem skrupellosen Schuft raffiniert an den sauberen Kragen?

Der Holocaust wird hier weiter nicht gezeigt, er existiert nur in Blicken, Schatten, Unsicherheiten, ängstlichen Augen, Männern in Trenchcoats, die etwas zu suchen scheinen – eine Art beklemmendes Hintergrundrauschen des Faschismus; immer wieder wird der Bau des Velodroms d ‚hiver in Paris eingeblendet, dem Sammelpunkt für verhaftete Juden in Paris, bevor man sie in die Züge zu den Vernichtungslagern trieb – alphabetisch geordnet in der grausamen Bürokratie der Nazis, die auch noch den grössten Massenmord der Geschichte korrekt zu verwalten wussten. Das letzte, was dem Menschen blieb, war sein Anfangsbuchstabe. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er liebt deutsche Ordnung und holt sogar die Delinquenten in der richtigen Reihenfolge ab.

 
 

 
 

Man spürt die Angst des Protagonisten aus seiner sicheren Position herauskatapultiert und zu denen sortiert zu werden, die jetzt besser fliehen sollten. Ein jüdischer Widerstandskämpfer gleichen Namens scheint sich seiner Identität zu bedienen (heutzutage als Phishing wohlbekannt), er bekommt rätselhafte Post und macht sich auf die Suche nach seinem Doppelgänger, will offenbar den Stier lieber bei den Hörnern packen als vor ihm weglaufen – oder der Justiz eine Art „wahren Übeltäter“ präsentieren, um endlich wieder aus der Schusslinie zu kommen. Die Atmosphäre wird zusehends dichter und beklemmender, als ziehe sich eine Schlinge zusammen.

Mr. K. möchte den offensichtlichen Irrtum richtigstellen, ergeht sich in Nachforschungen über die Identität des Verfolgers. Der Doppelgänger erweist sich aber umso flüchtiger, je mehr K. ihn zu fassen bekommen will – eine Handvoll trockener Sand, der der immer fester zupackenden Hand immer schneller entrinnt. Alle Spuren führen ins Nichts, alle Zeugen erweisen sich als unzuverlässig, je mehr er seine ursprüngliche Identität zu beweisen versucht, desto mehr wird der Gesuchte zum unfassbaren Phantom und desto mehr erweckt er selbst die Aufmerksamkeit der Behörden, bis er eines Tages bei seiner Suche selbst ins Velodrom gerät und in einen der Züge verfrachtet wird. Zurück bleibt sein Anwalt mit dem zu spät angekommenen arischen Nachweis, der K. hätte retten können.

Delon schafft es, ohne mimische Regung durch sein Getriebensein und seine zunehmend manische Aktivität bei der Verfolgung des followers eine sich kontinuierlich steigernde Panik auszudrücken – das muss man auch erst einmal hinkriegen, ohne eine Miene zu verziehen, das ist so ganz und gar delonkompatibel, das brauchen andere erst gar nicht zu probieren; wenn er etwas rüberbringen wollte, schaffte er das. Nebenbei wird hier auch die Binsenweisheit der Cineasten widerlegt, dass ein Film über einen Sympathieträger zur Identifikation verfügen muss, um zu funktionieren, Delon verzichtet in gewohnter elegance und nonchalance auf jegliches fishing for sympathy und gibt bis zum Schluss den Kotzbrocken, dessen Ende man auch nicht so recht betrauern kann, obwohl man weiss, was am Ende der Reise auf ihn wartet.

 
 

 
 

Wie sich in der anschliessenden Gruppendiskussion zeigte, lässt der Film mehrere unterschiedliche Lesarten zu. Zunächst ermöglicht er den Fans von Hitchcocks suspense ein Baden in dergleichen, eine Atmosphäre einer schwebenden und sich verdichtenden Unheimlichkeit, ein Pendeln zwischen Wahngewissheit und verzweifeltem Haltsuchen im bereits schwächelnden Realitätsbezug. Hitchcock hätte uns vielleicht eine Lösung, einen Täter oder zumindest irgendeine Form von showdown serviert (oder auch nicht, bei den Vögeln hat er auch darauf verzichtet, er konnte sich das leisten). Losey dagegen lässt uns hier nach einem spannenden pas de deux der Identitäten mit einer unaufgelösten Situation im Regen stehen und sorgt dafür, dass das Kopfkino noch eine Weile weiterläuft und eine „gute Gestalt“ im Sinne der Gestaltpsychologie finden möchte, hier in Form einer stimmigen Erklärung, unter der man das Ganze abheften könnte, damit es nicht unpassend und sperrig irgendwo im Neocortex herumliegt.

Erfahrungsgemäss lernt man dabei aber mehr über sich selbst, als wenn man erfahren hätte, wer der Mörder war oder warum die missgestimmten Vögel in Bodega Bay kollektiv durchdrehen oder wie die Hexe von Blair denn nun wirklich aussieht. Das open end verlieh dem Film seinerzeit Kultstatus (The Blair Witch – Project, 1999). Und ganze Generationen haben sich damit beschäftigt, ob sich Scarlett O’Hara und Rhett Butler nochmal kriegen werden, bis die entsprechenden Sequels dann noch geschrieben und abgedreht wurden und Ruhe einkehrte. Da kriegten die sich dann natürlich – aber es waren nicht mehr dieselben und die Präsenz der ursprünglichen Darsteller bekamen diese No-Names schon mal gar nicht auf die Kette. Aber Beruhigung hat auch was Unkreatives.

Oder haben wir es hier mit einem paranoiden Vexierspiel zu tun, dem Zurschaustellen eines inneren Prozesses, in dem ein unbeachteter Persönlichkeitsanteil an die Oberfläche drängt, das Persönlichkeitsgefüge bedroht und Bestrafungsangst erzeugt? Ein weiterer M.K. als der den wir gerade kennenlernten? Ein Hinweis dazu ergibt sich bei der Wohnungsbesichtigung, als K. angelegentlich mit einem herumliegenden Rasiermesser spielt und die Vermieterin in Angst versetzt. Auch das würde man ihm zutrauen. Is anybody here oder sind wir noch sicher?

Oder anders: Eine Symbolisierung des Andrängens des Faschismus in eine bisher bürgerlich-gesettelte Gesellschaft und ihre scheinbar festgefügte zivilisierte Identität, ähnlich den Brandstiftern, die ungehindert bei Biedermann eindringen und sich festsetzen und Biedermann immer noch arglos ist, obwohl schon die Hütte brennt? Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand? Max Frisch liebte auch solche Geschichten, in denen sich bisher Unbekanntes ins Leben drängt, zum Guten wie zum Bösen.

Oder noch anders: Das Ganze eine kafkaeske Parabel über anonyme Mächte und Unentrinnbarkeit als schicksalhafte Gegebenheit der menschlichen Existenz wie in „Der Prozess“ – auch hier ein Herr K., nur dass er Joseph heisst.

Beckett zeigte uns das Warten auf Godot, hier sehen wir, wie es sich anfühlt, wenn er kommt – auf eine sadistisch-verlangsamte, fast geniesserische Weise ins Leben einsickert. Beckett hätte sich im Kino sicher gefreut und seine pessimistische Sicht der Gegebenheiten des Lebens, in die der Mensch geworfen wird, in ihrer Absolutheit bestätigt gesehen.

Kafka hätte fingerschnipsend „Genauso isses!“ gesagt.

Camus hätte die Absurdität des Lebens entdeckt in einer Situation, in der man den Verfolger verfolgt und im Endeffekt das erreicht, was man verzweifelt zu vermeiden sucht, dergleichen „Blödsinn des Lebens“ war genau seine Kragenweite.

Sartre, der mit Begrenzungen nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte und wollte, hätte sich vermutlich an die Stirn getippt und noch einen Pernod bestellt, je nach Tageszeit ein paar uppers oder downers eingeworfen und das Ganze wiederholt, bis ihm schliesslich sein Körper bewies, dass man um Begrenzungen in diesem Leben halt doch nicht so einfach herumkommt und das existenzialistische Herzstück „Sich-immer -neu-in-die-Zukunft-entwerfen“ als Menschenbild irgendwann auch einmal ein Ende hat, wenn der Körper und der Sensenmann gemeinsam und reichlich verfrüht etwas anderes beschliessen. Is anybody here?

Weite Wege und Umwege gehen die Gedanken bei diesem Film, er öffnet Gedankenräume, anstatt ein stringentes Narrativ zu erzählen. Das ist das Beste, was man über einen Film sagen kann.

 

Eine retrospektive Studie über Rattenfänger und verführbare Generationen im Zustand unangebrachter Selbstgerechtigkeit

 
 

 

 

Ja, wir hielten uns für unangreifbar und resistent gegen jede Art von Gurus und Führerpersönlichkeiten, so schön hätte gar keiner die Flöte spielen können, dass wir ihm gefolgt wären – und Che Guevara hing nur über dem Bett, weil er so gnadenlos gut aussah, nicht wahr? Das hatte gar nichts mit Führersehnsucht oder Leitwolf oder Sozialromantik oder gar Vaterlosigkeit zu tun … nönö … schliesslich hatte man seinen Freud gelesen und war immun gegen dergleichen Verführungen, das war lediglich ein Logo um zu demonstrieren, dass darunter ein revolutionärer Geist sein Haupt bettete – aber keinesfalls ruhte – der wahre Revolutionär schläft nicht und hat pflichtschuldigst ein gebrochenes und durch Kritik veredeltes Verhältnis zu etwaigen Rudelführern zu pflegen, so wollte es das linke comme il faut und das war strenger als die Regeln eines wilhelminischen Mädchenpensionats. Enver Hodscha hing da nur einmal bei einem strammen Marxist/Leninisten, aber der sah auch nicht so gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.

Und die Fehler der Elterngeneration wiederholen wir ja schon gleich gar nicht, das war klar, aber sowas von … Trotzdem hätten wir ihn am liebsten geknuddelt, den Alten, so ausgehungert waren wir damals offenbar nach etwas Sonne, Tanz und Lebensfreude und so satt hatten wir unsere depressiven, kriegstraumatisierten und herumschnauzenden Väter, die sich nach der notwendigen Existenzsicherung total dem Leistungsprinzip ergaben, weil sie nicht mehr wussten, was sie sonst tun sollten und familiäre Kollateralschäden billigend in Kauf nahmen bzw überhaupt nicht bemerkten, dass sie solche anrichteten und die Kinder ihnen verlorengingen. Da konnte so ein Typ gut landen – der Strahlemann mit dem halb aufgedröselten Strickpullover und der verschwitzten Mütze, den überhaupt nichts zu kratzen schien, immer in der Dialektik zwischen Strassenköter und weisem Sokrates herumoszillierend. So wird man zum Mythos wenn man nur den Nerv der Zeit trifft. Und der so wunderbar in der Sonne tanzen konnte, dass man alles drüber vergass, sogar unsere Asshole-Familienpatriarchen, von denen wir nie wussten, ob ihre Abwesenheit nicht segensreicher war als ihr Dasein. Konterfeis von gefallenen Kriegshelden auf der Kommode können einen immensen Einfluss auf kindliche Identifikationsprozesse ausüben, vor allem bei Jungs. Da bekommt man hinter der Couch so manch Liedchen gesungen in all den Jahren …

 
 

 
 

Und da verzieh man dem übersprudelnden puer aeternus kleine Schnitzer im Plot, die bei näherem Besehen so klein doch nicht waren. Nach dem Tod seines Sohnes habe er getanzt bis zum Umfallen, um nicht verrückt zu werden, sagt er – das versteht man, die Formen des Trauerns sind sehr individuell – danach hatte er sich offenbar zum Herumstreunen entschlossen und seine Gattin musste sich wohl alleine im Olivenhain abrackern, um werweisswieviele Kinder durchzubringen. Da hat man leicht tanzen, wenn jemand anders die Windeln wäscht und die Oliven vom Baum klaubt; da könnte den Zuschauer und vor allem der Zuschauerin doch der Geist altbekannten Machotums anwehen wenn, ja wenn wir ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre für die eigenen Anachronismen und unsere eigene Verführbarkeit.

Eine alternde Prostituierte, Madame Hortense, eine griechische Kameliendame, hält er im Arm und begleitet sie mit herzschmelzenden Worten beim Sterben, um sich danach aus deren Bett zu erheben und etwas wie „alte Schlampe“ zu murmeln. Anvertrautes Geld verjubelt er im Bordell und hat darob auch keinerlei schlechtes Gewissen, vermutlich wusste er gar nicht, wie man das schreibt und sein Buddy Basil ist schon so in seiner westlichen Loyalitätsblindheit verheddert und von dieser südlichsonnigen-hellenischen Andersartigkeit so angefixt, dass er noch nicht mal sauer ist. Heute würde man dergleichen einen Co-Narzissten nennen.

Danach gibt unser Freund den Herrn Jesus und schützt eine junge Witwe mit grosser Geste und markiger Rede vor der Steinigung und verlässt nach seinem Auftritt ebenso stolz wie rasch den Schauplatz. Hinter ihm prasseln dann natürlich die Steine, klar – mit Herumtönen ist der Volkszorn noch lange nicht befriedigt – aber das ging ihm auch wieder am Hintern vorbei.

 
 

 
 

Sorbas geht unberührt durch alles Störende und Tragische hindurch, als existierte es nicht, auch wenn er die Suppe selbst angerührt hat. Das hat was! Und später manchmal auch nicht mehr, wenn man alte Filme guckt und so manches doch seine Glorie verliert und das Gucken in eine unangenehme Form der Selbsterfahrung einmünden könnte. Was hat einem bloss alles gefallen im magischen Damals und warum? Und warum ist James Dean in seiner bockigen Pubertiererei heute bloss noch peinlich, wenn wir ihm doch damals am liebsten die Füsse geküsst hätten? Und warum will der Woody-Allen-Humor so gar nicht mehr funktionieren bei dem man sich früher gekringelt hat? Und Monty Python staubt auch schon etwas ein. Der Zuschauer ist dann am Ende auch nicht mehr überrascht, als die zusammen aufgebaute Seilbahn, die die Existenz des Ich-Erzählers sichern soll (eines der mühsamen Konstrukte, das die Beziehung zusammenhält und immer wieder neu erschaffen werden muss) bei der Generalprobe grandios zusammenkracht. And then dancing on the beach as usual – was denn auch sonst? Damals ging man befriedigt aus dem Kino und natürlich sofort zum Griechen seines Vertrauens (in Würzburg war das der Theo), um die Seligkeit noch ein bisschen zu verlängern. Und spätestens dann war auch klar, wo man im nächsten Urlaub hinwollte.

Gegen den Film – klassisches buddy-movie – ist nichts zu sagen, gegen den Roman auch nicht, ausser vielleicht einer gewissen Vorhersehbarkeit – ersterer zeigt, auch durch seine Schwarzweisszeichnung, ein anderes Griechenland als sonst – karg, trocken, finster, archaisch, die Frauen in ihren schwarzen Kleidern bedrohlich als sie sich im Schlafzimmer von Madame Hortense versammeln wie Trauervögel und auf deren Tod warten, um dann in rituelles Wehklagen auszubrechen, für das sie vermutlich einige Drachmen einsacken – eine anachronistische mittelalterliche Welt im Jahre 1946, ohne Farben und mit einem grauen zurückweisenden Meer – ein Griechenland in einer reizvollen melancholischen Brechung eingefangen, die Story in kurzen und scheinbar zusammenhanglosen Episoden kollagenartig zusammengesetzt und durch ein leicht geschwärztes Glas betrachtet, da hat ein Regisseur durchaus seine atmosphärischen Hausaufgaben gemacht. Der Soundtrack war natürlich ein donnernder Erfolg und sicherte wiederum die Existenz von Theodorakis. In den Discos wurde Sirtaki getanzt bis zum Abwinken, wir schnipsten uns die Finger wund und ich wollte unbedingt eine Bouzouki, nicht um sie zu spielen sondern … ja …. ähm … zur Dekoration, ich gestehe – womit wir schon wieder im Dunstkreis des Narzissmus wären. Auf Fotos hätten wir beide sicher ein spektakuläres Paar abgegeben, wenn ich etwas irgendwie griechisch Anmutendes angezogen hätte. Der Exotenbonus war damals durchaus hilfreich auf der schlüpfrigen Piste der Erotik, by the way … am Ende war mir dat Dingens aber dann doch zu teuer.

Viele Restaurants nannten sich „Zorba“, die Kneipe im Ashram in Poona hiess „Zorba the Buddha“ – von Bhagwan/Osho gedacht als Erinnerung über dem Spirituellen die Freuden des Körpers nicht zu vergessen. Das machte den Letzteren auch so verdammt attraktiv für ausgedörrte Westler in ihren grauen Städten und ihren freudlosen Eltern und Lehrern, die ihnen gerne ein ständig dräuendes und drückendes Nichtgutgenugsein als Daueretikett in die Seele gestanzt hätten. Noch so eine Nachthemdlichtgestalt mit leicht geschwärzter Weste, der die Mitte zwischen tiefen Weisheiten und wohlfeilen Sprüchen nicht immer zu finden verstand und dem auch ziemlich wurscht war ob er sie fand. Angehimmelt wurde sowieso … Soweit alles prima mit den Übervätern – nur was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass wir offenbar nicht bemerkt haben, was für ein narzisstisches empathiefreies Windei diese Filmfigur war. Wo war dieses Loch in der eigenen Wahrnehmung und wie kam es dazu? Waren wir doch leitwolfbedürftig? Bereit alles andere – nicht nur zu verzeihen sondern sogar völlig auszublenden, nur weil einer fröhlich war und uns endlich mal zeigte wie man gut lebt? Und dem dauergrollenden Übervater über den Wolken flugs den Blitzstrahl aus der Hand fingerte? Waren wir auch in Gefahr, einem Rattenfänger hinterherzuziehen, nur weil der um 180 Grad anders gedreht war wie der vorherige? Unsere linken Gurus, für die wir Mädels … pssst … die Flugblätter tippten, was war mit denen? Hatten unsere Väter solche Skotome hinterlassen, dass wir auf  jeden Papiertiger hereinfielen, der sich auf zeitgerechte Selbstinszenierung verstand? Fragen über Fragen … Eins der grossen Verdienste dieses Filmes – er zeigt uns den inneren Zustand seiner Fans und Rezipienten – wieder einmal der Spiegel der Schneekönigin, der uns beim Reingucken das zeigt, was wir so gar nicht leiden mögen. Unsere überstürzten Idealisierungen …

Darauf einen Ouzo! And another dance ... und schon macht einem die ganze Sache viel weniger aus … selbst wenn man statt Maria Farantouri nur noch Vicky Leandros aus dem Plattenfach zu fingern imstande war. Schliesslich auch ne Griechin und Hauptsache Fingerschnipsen … jede Generation hat etwas, das sie besoffen macht – so auch wir. Und wer ist schon ganz zurechnungsfähig in seinen hellen Zwanzigern? Und bei uns ging es immerhin ohne Todesopfer und grössere Kollateralschäden. However!

Und eine neue Definition von Weihnachten hatten wir auch:

Weihnachten geht man nicht in die Kirche! Gott ging auch nicht in die Kirche, der ging zu Maria und dann wurde Christus geboren!

Was für eine lebensstrotzende Interpretation einer ansonsten blutleeren Geschichte, da hebelt einer die dröge Story vom Heiligen Geist und der Jungfernzeugung mal eben mit ein paar Worten aus – da ists wirklich langsam egal, ob der Typ bloss dämlich oder genial ist. Zitierfähig ist er allemal.

Also … Jamas und … dings … Kali nichta!

And never touch an archetypus!!

 

 

               

 
 
 

               

 
 
 

Die Glyptothek München ist mittlerweile dafür bekannt, Altes und Neues kreativ zu vermischen oder provokativ gegenüberzustellen – zuletzt mit der Ausstellung Zerklüftete Antike mit den Holzbildnissen von Andreas Kuhnlein. Geschaffen wurde ein visueller Dialog zwischen Zerstörung und Bewahrung, Zeit und Ewigkeit, Zerfall und Unberührbarkeit. Man erlebte ein essentielles Angerührtsein. Die Ausstellung  Musa von Luca Pignatelli ist eine weitere Variation dieses Ansatzes. Pignatelli ist ebenfalls ein Künstler, bei dem die Zeit in sein gesamtes Werk verwoben ist – er arbeitet mit Materialien, die bereits weggeworfen wurden, mit Abfällen und Dingen, die keine Zukunft mehr zu haben scheinen und setzt sie in einen neuen Zusammenhang.

Zwischen den antiken Plastiken der Glyptothek hängen deren zweidimensionale Abbildungen der ausgestellten Skulpturen, meist in Blau. Man spaziert durch die vertrauten Gänge, beobachtet von blicklosen Augen, von denen wir gerne wüssten, wie sie uns sehen – und plötzlich sind es viel mehr Augen als gewohnt, denen man standhalten muss. Ein seltsames Beobachtetwerden. Als wären sie aus ihren steinernen Hüllen herausgetreten und betrachteten ihre unsterblichen Körper von aussen. Flächig aufgeteilt, in andere Muster eingebettet leben sie bereits in einem anderen Kontext, stille Wächter ihres Ursprungs.

Warum „Muse“? Schutzgöttinnen der Kunst … heute würden wir sagen: der kreative Anteil eines Künstlers, der sich von Zeit zu Zeit Bahn bricht und nach aussen drängt. In der Antike gefiel offenbar der Gedanke, dann von einer Göttin geküsst worden zu sein besser – eine Art Befruchtungsakt, bei dem etwas zur Welt kommt, eine verlockende Phantasie, besser als ein einsames Gebären, bei dem einem niemand erwartungsvoll über die Schulter schaut. Der Glanz im Auge der Mutter, über den ersten selbstgebauten Turm …. ja, auch Künstler sind nicht gern allein, da greift man gern auf Mythen zurück. Wie heisst dann der gute Geist der Künstlerinnen? Musus?

Sehen die blauen Wesen überhaupt etwas mit ihren blicklosen Augen? Oder sehen sie mehr, weil sie sie geschlossen haben? Man sieht nur mit dem Herzen gut sagte der kleine Prinz – diese Geschichte konnte ich nie leiden, ein hochgejubeltes Kinderbuch mit reichlich Plattitüden, Sentiment und Wortgeklingel, aber die Welt hat offenbar beschlossen, ihn der grossen Literatur zuzuordnen. Und wie oft täuscht sich das Herz in seiner Einschätzung und täte gut daran den Verstand herbeizurufen?

Das Motiv der Doppelaugen finden wir bereits bei Cocteau, der den Dichter gerne als sehend – nichtsehend – mit auf die geschlossenen Lider aufgemalten Augen abbildet. Sie wirken unheimlich – wie alles, wovon wir nicht wissen, ob es tot oder lebendig ist, der Blick ist seelenlos. Vielleicht ist es ja auch kein Sehen – eher ein Drohstarren, das sich den anderen vom Leibe halten will, dergleichen braucht man wohl manchmal auch als Künstler – und wies dahinter aussieht, geht niemand was an. Ein guter Schutz.

 
 
 

 
 
 

Seltsame Wege gehen die Gedanken zwischen blauen Musen, die die Körper betrachten, aus denen sie geschlüpft sind. Wie ist das wohl wenn man sich von aussen sieht? Fühlt man sich wie der Schmetterling vor der Larvenhülle oder möchte man zurück in die Stabilität des Dreidimensionalen? Oder bleibt man einfach – wie der Zuschauer – in dieser dialektischen Spannung und schaut was passiert? Mit zunehmendem Alter sympathisiere ich immer mehr mit dieser Position, sie scheint mir unterhaltsamer … Superposition.

Seltsame Wege …

 

2024 12 Sep

R.I.P

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Ciao, ciao, Bambina – im Geiste sehe ich Dich noch umherstreifen, mit schwarzen Locken und buntem Röckchen unter Palmen am blauen Meer, neben Dir ein Esel mit zwei Orangenkörbchen und ein paar kleine braungebrannte Jungs mit rot-weissen Ringelpullis, begleitet von Mandolinenzirpen. Du warst nicht nur eine Sängerin, Du warst auch Trägerin eines Lebensgefühls, trugst wieder eine Spur von südlicher Sonne und Meeresbrise in die hermetisch nachkriegsverrammelten deutschen Wohnstuben, für deren Bewohner noch hinter jeglicher Grenze Feindesland lauerte und die nur Heimatfilme aus Tirol guckten. Dabei warst Du nie anrüchig, sondern immer adrett, ohne überbordende Erotik und frisch mit Kernseife gewaschen, so dass die Deutschen in ihrem neu entwickelten Waschzwang Dich gut annehmen konnten – so etwas wie die europäische Antwort auf Doris Day. Und so richtig Italienerin warst Du auch gar nicht – gebürtig in Lugano. Die Schweiz war für den Deutschen ja nie so wirklich Ausland, das machte es für uns auch leichter. Und in jedem Deiner Songs wurde die Welt wieder ein Stückchen freundlicher, begehbarer und nahbarer und schliesslich trauten sich doch die ersten mit der Isetta über den Brenner und fanden’s dort toll. Danach rückten die Filmproduzenten in Scharen ans blaue Meer aus und der Bikini war en vogue.

 

 

 

 

Ciao, Caterina – Du warst ein Stück Historie der Trivialkultur und Teil eines Mythos der die Grenzen in Kopf und Herz zu öffnen verstand für die Schönheit des gerade noch verteufelten Fremden und Ausgegrenzten, Du warst die Sirene die Odysseus dazu brachte sich vom Mastbaum wieder losbinden zu lassen und des Lebens Ruf  zu folgen, der bekanntlich niemals endet. Wenn Du drüben ankommst grüsse Vico Torriani, ihr habt zusammen verdammt gute Integrationsarbeit geleistet für ein Land im Zustand der bleiernen Zeit, der Schuld, des Heimatschwurbels und der Duldungsstarre. Freddy Quinn, der Spezialist fürs Dauerfernweh, wird halt noch ein bisschen auf sich warten lassen, dann könnt Ihr zusammen den Olymp rocken. Arrivederci!

 

 

Aus der Oldies-but-goodies-Reihe:
MASH (USA, 1970) von Robert Altman

 

Gibt es eine funny side of war? Natürlich nicht und schon gar nicht in einem mobilen Hospital in Südkorea knapp hinter den feindlichen Linien, in dem ständig Helikopter neue Verwundete anliefern. Kein Ort zum Lachen, sondern eher zum Verrücktwerden, wobei sich die Protagonisten auch oft schon reichlich dergestalt benehmen bzw eher deplaciert verhalten – so als befänden sie sich im Lausbubenalter in einem Schullandheim, um dort die permanente Grenzüberschreitung zu proben. Trotzdem wurde der seinerzeit sehr erfolgreiche Film als witzig erlebt – aber darf denn gelacht werden angesichts der Situation des Koreakrieges und des während der Drehzeit weitertobenden Vietnamkrieges, da schleicht sich bereits Unbehagen in die Vorfreude, da hätten wir schon die erste Verwerfung?

Der Film traf einen kollektiven Nerv und eine offene Wunde, das ist sicher, wie kann das bewältigt werden? Er verlangt ein starkes Sich-Einlassen auf eine Form von Komik, die man nicht sofort versteht und wenn der Regisseur nicht Altman geheissen hätte, könnte man glauben, in eine aus den Fugen gelaufene Militärklamotte geraten zu sein. Der Regisseur, der mit den narrativen Konventionen des konservativen Hollywood brach und eine neue Erzähltechnik – ein mosaikartiges Zusammensetzen von Szenen sowie den mixed dialogue – einführte, schuf mit MASH und Nashville zwei seiner meistdiskutierten Werke. Rezensenten liessen sich aus über den galligen Humor, das damals schon antiquierte Frauenbild und die Bitterkeit der Situation die zu entsprechenden Verwahrlosungserscheinungen der Soldaten führte und zu Kollisionen und Parteienbildung zwischen denen, die noch an Ordnung und Sinn dieses Krieges glaubten versus der im Zentrum des Filmes stehenden Chaostruppe, die das Klinikgelände auch mal rasch zum Footballfeld oder Golfplatz umfunktioniert und denen alles andere am Hintern vorbeigeht.

Der gleich zu Anfang eingeblendete Song „Suicide Is Painless“ wurde als ein Motiv von Todessehnsucht interpretiert, das Verhalten der Hauptfiguren von vielen Rezensenten als zynisch, desillusioniert und als kriegsbedingte Verwahrlosung und Verbitterung. Trotz dieser Ansagen gab es im Kino wenig Schaudern, es wurde vielmehr herzhaft gewiehert und danach heftig diskutiert, manche Sprüche erreichten Kultstatus. Altmans lustvolles Unterlaufen von Genrekonventionen – dafür war er bekannt – wurde vom meist jungen Publikum, das immer Abwechslung schätzte und militanten Militarismus verurteilte durchaus goutiert, man spürte dass hinter Chirurgenmetzgerei und abgestandenen Machowitzen noch etwas anderes und noch viel Schaurigeres lauerte, das noch herauszudestillieren wäre. Und der linientreue weibliche Kommißkopf Margaret O‘ Houlihan zog reichlich Aggressionen auf sich, bekam dafür ihr Fett ab als verdiente Strafe – da kamen sogar Feministinnen der ersten Generation noch ins Grinsen und verziehen dem Regisseur sogar die legendäre Duschszene. Dergleichen konterrevolutionäre Schnepfen wollte man in der Bewegung natürlich auch nicht haben – der Feminismus hatte durchaus seine eigenen Hexen zum Verbrennen.

Der Film funktionierte gut in seiner Zeit – die Zeit der erstarkenden Antikriegs – und Friedensbewegungen; der kommerzielle Erfolg und die Bepreisung mit 5 Oscars führten zur Etablierung einer Fernsehserie gleichen Namens von 1972 bis 1983 – länger schaffte es nur noch Dallas. Die Anfangssequenz mit den Helikoptern und vor allem dem Song in seiner einschmeichelnden Simon&Garfunkel-Intonierung erlebte ich für mich als massgeblich für die gesamte Filmatmosphäre – eine Art Narkotisierung, die sich während des gesamten Filmes nicht mehr so recht auflösen wollte – ich hatte nicht den Eindruck einem Kriegsfilm – auch nicht einem Antikriegsfilm – beizuwohnen, daran änderten auch die blutigen Szenen im OP nichts. Man wird von vorneherein durch den Song anders eingestimmt – die Stimmung wird beruhigend und tröstlich, als sänge eine tiefe väterliche Stimme ein Schlummerlied, das für das Kind die Schrecknisse des Tages auflöst … alles wird schon nicht so schlimm werden, selbst der Tod ist painless und davor gibt’s noch reichlich Spass. Keine Sorge, Zuschauerkind, ich geleite Dich in einen schönen Traum!

Assoziativ stellt sich Das Leben ist schön von Roberto Benigni dazu ein, in dem ein Vater seinem Kind vormacht, das Leben im KZ sei nur ein grosses Spiel und alle machten mit und am Schluss gäb’s einen Preis obendrauf, ein nach wie vor umstrittener Film und verpönt bei jenen die glauben Kintopp müsste etwas mit Realität zu tun haben. Der Song wird später nochmal eingespielt beim assistierten Suizidversuch des passager impotenten Schmerzlosen Bohrers und hat eine ähnliche spannungslösende Wirkung – man ist sicher dass es gut ausgeht. Wir werden erfolgreich sediert, genau wie der Kerl im Sarg. Altman führt hier über den Soundtrack atmosphärisch ein beruhigendes väterliches Objekt ein und der Zuschauer kann selbst dessen Wirkung erfahren – vielleicht kam der Film auch deshalb bei der „vaterlosen“ Generation der Sechziger (und ihrer ins Unbewusste hinuntergedrucksten Vatersehnsucht) so gut an.

Eine Satire auf Militarismus? Nein, Militarismus findet hier kaum statt ausser im Kopf von Frau Major, die anderen Figuren scheinen dafür bereits viel zu verlottert und aus etwaigen Kriegshandlungen bereits ausgestiegen, ihre Wahrnehmung ist auf ihre chirurgische Tätigkeit und ihre Freizeitvergnügungen eingedampft – ein Kriegsfilm in dem Krieg nicht stattfindet. Höchstens painless …

Es ist wirklich eher ein Schullandheim oder Ferienlager für Halbwüchsige, das wir hier betreten dürfen, die sich mit grösseren oder kleineren Streichen an der Grenze des guten Geschmacks die Zeit vertreiben, saufen, kiffen und Frauen aufs Kreuz legen. So weit, so … tja … auf jeden Fall wird gelacht, und viele fanden die approbierten Freaks ziemlich cool, zumal sie auch moralisch integer interagieren und für Schwächere einstehen – was für feine Kerle sind doch unsere Jungs mit ihrem Understatementhumor, da schmunzelt Uncle Sam von einem Ohr zum anderen. Kein Schaudern befällt uns wie bei Platoon, bei  Apocalypse now oder  Full Metal Jacket – nein, ein Antikriegsfilm ist es nicht, zumindest nicht im herkömmlichem Sinn. Die Empörung über Kriegsaggressivität und Kriegsverwahrlosung bleibt aus, diese wird auch gar nicht gezeigt. Always look at the bright side … der Film ist nicht davon abzubringen.

Man beginnt die jokes der Chaostruppe zu geniessen wie weiland in einem Paukerfilm aus den 70ern mit dem ebenso narkotisierenden Säuselsoundtrack eines James Last in einem ähnlichen Zustand der milden Besoffenheit angesichts der unerhörten Leichtigkeit des Seins nach den Kriegsschrecken. Auch der Nachkriegsfilm mit seiner fröhlichen Musikberieselung war eine willkommene Droge und Aufruf zur Dauerfröhlichkeit. Feuerzangenbowle in Südkorea! Und als Krönung obendrauf noch das amerikanische Footballgekasper, episch breit zelebriert in seiner ganzen Lächerlichkeit und Regression in den Infantilismus, spätestens jetzt weiss man, was es mit dieser Nation auf sich hat. Ist noch irgendwo Krieg? Wurscht! Gehts naus und spielts Fussball! (Beckenbauer in den Jahren seiner Trainerzeit beim Versuch seine Jungs vom Nachdenken abzuhalten).

Ich sehe in diesem Film vorwiegend die Dokumentierung des Schwindens eines bewährten amerikanischen Mythos und die Etablierung eines neuen, den Altman hier gut erspürt und satirisch auf die Spitze treibt – das ist ein Verdienst des Filmes.

Seit etwa 1970 registrieren wir das Verschwinden des shining hero auf der Leinwand, Typen a la Gary Cooper, Richard Widmark und John Wayne und wie die Westernhelden unserer Jugend alle so hiessen. Um 12 Uhr mittags wurden sie anscheinend sang- und klanglos zu Grabe getragen oder haben sich im eigenen Glorienschein aufgelöst – die Absetzung der Institution des Vaters als idealisierter Familienpatriarch und Exekutivorgan in dieser Zeit erforderte auch neue Leinwandhelden. Der Alte funzt nicht mehr, wie die Youngsters heute sagen würden. Ü50er bitte googeln!

Nun imponiert der smarte all american boy, der sich keineswegs vom Teufel holen lässt sondern diesem noch einen geschüttelten Martini anbietet (natürlich lugt hier James Bond, der Meister des Understatements, auch noch verschmitzt um die Ecke) und dann mit einen launigen Spruch auf den Lippen über die Styx fährt um fortan den Hades zu rocken und noch selbst das Boot rudert, nachdem er Charon k.o. geschlagen und den Zerberus über Bord gekickt hat. Wir erleben hier das Ende der patriarchalisch verankerten Grandiosität und mythischen Wucht der Heldenfigur vornehmlich im Western, die nun durch Coolness ersetzt wird. Diese etablierte sich zunächst im Neo-Western, als Paul Newman und Robert Redford „Scheisseeeeee“ brüllend in den Abgrund sprangen (Butch Cassidy and the Sundance Kid, 1969) – was Gary Cooper niemals eingefallen wäre, der hätte sich vorher höchstens noch bekreuzigt und an sein Frauchen zuhause gedacht, gemäss des damals noch herrschenden Wertecodexes.

Das Publikum fand das erfrischend und dürstete offenbar nach den neuen Heroes, niemand wollte mehr John Wayne beim Sterben zuhören, wenn er tödlich getroffen im Präriestaub lag, sein Buddy sich zu ihm herunterbeugte und seine letzten Worte vernahm wie etwa „Lebwohl, alter Freund … und grüss mir … mein gottverdammtes herrliches Mexiko … röchel… und sag..japs … Juanita, dass ich sie liebe … röchel … letzter Schnaufer, Exitus. Oder ähnlicher Sayonara-Schwurbel. Schlussakkord, Sonnenuntergang, Abspann. Heute sagen die Helden im Todeskampf: „Wie ich es hasse, immer recht zu haben!“ oder „Der alte Sack da oben will mich anscheinend sprechen!“ Der Buddy drückt dem Sterbenden die Augen zu, wuchtet die Leiche auf die Schulter mit den Worten „Ich habe immer gewusst, dass Du verdammter Hurensohn mich eines Tages hängenlässt!“ Oder vielleicht noch: „Wenn ich Dich drüben wieder treffe, polier ich Dir als erstes die Fresse!“ – und erledigt dann die noch zu vollendende Aufgabe in amerikanischer Pioniermanier mit seiner Knarre im Alleingang.

Das ist die neue Buddyzärtlichkeit und diesen Typus hat Altman hier ebenso erfolgreich wie treffend karikiert – ein fugengenaues Nachzeichnen eines neuen Archetypus, dem wir in der jungen Generation bis heute begegnen – keine Rührseligkeit, nur feuchte Augen über der OP – Maske, als Hawkeye und Duke den Marschbefehl nach Hause bekommen. Der neue Held weint nicht, der haut nur dem Kumpel zum Abschied auf die Schulter, dass der quer über den OP-Tisch fliegt. Man trennt sich schwer von Kriegsschauplätzen, will es scheinen. Irgendwie war’s doch toll mit den anderen Kids, will es auch scheinen, irgendwie wie im College – so ganz gern möchte man eigentlich doch wieder nicht nach Hause ins langweilige Familienleben, wo es mit dem Kiffen und dem Fremdgehen dann auch wieder schwieriger wird, weil die Olle immer dabei ist. Inzwischen ist der Zuschauer schon so benebelt und infantilisiert, dass er ebenso Traurigkeit verspürt dass die Kumpels sich jetzt trennen müssen – voneinander und von ihrem gemeinsamen Bolzplatz. Hasta la vista, Baby!

 

 

Die USA resp. das Pentagon pflegte sich von jeher in Filmproduktionen einzumischen, insbesondere in Form von Subventionen für Filmproduktionen die politisch erwünscht waren und auf neue Kriegshandlungen einstimmen sollten bzw wurden auch solche in Auftrag gegeben und bewährte Regisseure dafür geködert und insbesondere Werbung für die Army gemacht. Das ist nicht neu – auch unter der Herrschaft der Nazis musste sich die UFA in Deutschland nach den Vorgaben der Regierung richten, nach Kriegsende dann nach denen der amerikanischen Militärregierung die streng zensierte. Als Beispielfilm sei hier nur Top Gun (1986, von Tony Scott) genannt, die Premiere von Tom Cruise, der das lässige Army-Heldentum nonchalant zelebrierte, der Start einer grossen Karriere und die Geburt eines Prototyps – des smarten Boys und heftig menschelnden Superheros war ab da installiert, man hörte es förmlich klicken beim Einrasten.

In einigen Städten gestattete das Pentagon das Aufstellen von Ständen und Werbeveranstaltungen für die Army vor den Kinos, die den ganzen Tag Top Gun herunternudelten und andere „Unsere-coolen-Jungs“- Machwerke. Die Narkotisierung des Heldenrausches scheint funktioniert zu haben, angeblich stiegen die Eintritte in die Army danach um 500 Prozent. Unnötig zu erwähnen dass von Top Gun zahlreiche Sequels und natürlich auch eine TV-Serien Stimmung machen und aufrechterhalten. Sogar Ridley Scott, der Bruder des Top-Gun-Machers, beteiligte sich daran mit  Gladiator, einem Film der in geschickt verpackten Botschaften den Imperialismus feiert – am Vorabend des Golfkriegs. Ein Zeichen dafür dass den ganz Grossen der Filmwelt auch nicht immer zu trauen ist. Und wieder besoff sich eine Nation an sich selbst und dem Gaudi-Potential von Kriegshandlungen. Wäre interessant zu wissen, was Leni Riefenstahl dazu gesagt hätte, die Meisterin im Manipulieren, aber die hatte es noch nicht mit der Coolness, die war noch Verfechterin des Bombastischen.

Diesen Effekt der Kriegspropaganda-Narkotisierung und des lässig-gefälligen Heldentums hat Altmann aufgegriffen und bitterböse auf die Spitze getrieben – man bekommt am Ende fast Lust den nächsten Lockheed-Starfighter in den fernen Osten zu besteigen, wo all diese lustigen Dinge zwischen patenten Jungs passieren, die auch in lebensbedrohlichen Situationen nicht einknicken. Zynischer ging’s selten in einem Film dieser Zeit – Altman zeigt uns hier keineswegs nur eine Militärklamotte, sondern in der Dissoziation, in die er uns mit dieser Dystopie gekonnt führt vor allem unsere eigene Verführbarkeit für neue Helden und wie man Krieg in einer Form darstellt dass möglichst viele mitmachen. Und das haut rein und lässt einen schaudern wenn man merkt, worüber man zu lachen fähig ist – bei mir hat’s jedenfalls geklappt. Wenn’s einer nur richtig einfädelt … und der eine, der Krieg anfängt und befeuert findet sich immer. Die Cheerleaders dazu finden sich dann auch schnell. Ein Film zur Selbsterfahrung über eigene Verführbarkeit; der Spiegel der Schneekönigin, der uns zuverlässig immer unsere hässliche Seite zeigt.

 

 
 

Perfect Days (Deutschland, Japan, 2023) von Wim Wenders

 

Vorausgeschickt sei: Ich kann Filme nicht leiden, die die oft gehörte Floskel  „das Leben feiern“ oder gar „das Geschenk des Lebens“ als Botschaft beinhalten. Ich halte die Schöpfung unseres dreidimensionalen Planeten mit allem was dazugehört für eine ziemlich missglückte Sache mit durchaus sadistischen Untertönen – angefangen von der Tatsache, dass hier im Grunde jeder nur überleben kann, wenn er ein anderes Leben tötet und frisst, auch wenn wir diese Vorgänge inzwischen deutlich verfeinert haben. Das hätte man besser konstruieren können.

Von daher schon mal ein schwieriger Ansatz, der durchaus ungemütliche Phantasien eines etwaigen Schöpfers und seiner Absichten evoziert, da helfen auch all die tollen Sonnenuntergänge und rauschenden Kornfelder nicht, die wir kompensatorisch geniessen und über die Schönheit und Güte der spendenden Natur philosophieren können, die aber leider auch die Pest, die Cholera und das Basalzellkarzinom erfunden hat. Und den weissen Hai und Wladimir Putin, allein deshalb wäre der Terminus von der gütigen Mutter Natur nochmal neu zu denken.

Wenn es einem kleineren Teil der Menschheit – so wie auch uns hier – relativ gut geht, dann ist dies besonderen und weitgehend unverdienten Privilegien geschuldet, die da heissen mögen: Kein Krieg, gemässigtes Klima, hinreichend Wohlstand, Bildung, Gesundheitsversorgung und die Zugehörigkeit zu einer Schicht, in der auch intellektuelle Genüsse zur Befriedigung beitragen können, so wie neulich bei Jo und Uli beim Gitarrespielen – kurz: Auf der richtigen Seite der Weltkugel geboren zu sein. Nicht nur auf der anderen Seite der Kugel, sondern auch unter uns leben genügend, die dieses Geschenk liebend gerne zurückgeben würden und es auch tun. Soviel zum Realitätsprinzip und für dergestalte Deklamationen wird man schwerlich jemanden tauber finden als mich.

Pauschal-Lobpreiser des Lebens – gar noch des „einfachen“ Lebens habens bei mir also schwer, zumal mir niemand bisher erklären konnte, was man darunter versteht ausser weniger kaufen, weniger futtern, weniger durch die Gegend düsen und weniger Müll produzieren – zunächst eine reduktionistische Sichtweise einer minimalistischen Daseinsform, die durchaus entspannen kann, wenn man nicht im Gegenzug dauernd irgendwas reparieren muss,, weil mans ja nicht neu kaufen soll. Und das Gemüse selber anbauen und auf die Strassenbahn warten – bei dergleichen bin ich sogar immer relativ unentspannt.

Trotzdem stand ich  Perfect Days nicht von vorneherein feindlich gegenüber, obwohl mir Wim Wenders immer etwas zu sperrig war – ich hoffte dass hier langsam bei mir eine gewisse Altersmilde greift. Und ein Film mit den Kinks und Lou Reed im Soundtrack kann schon mal per se so schlecht nicht sein, egal was der Alte sonst noch damit anstellt.

Martina Weber von den flowworkers hat bei ihrer Filmbesprechung auf den Aufsatz von Georg Seeßlen „Chaos der Bilder – Ordnung des Textes?“ hingewiesen, der darauf achtet, auch die unbewussten Unterströmungen eines Filmes als gewissermassen zweiten Film oder Film im Film zu lesen, bei handlungsarmen Filmen wie dem vorliegenden immer eine nützliche Empfehlung und wo Seeßlen draufsteht ist auch Seeßlen drin. Der zweite Film läuft im eigenen Inneren. Und der dritte im Inneren dessen der neben uns sitzt.

Zunächst: Langweilig ist der Streifen nicht, zu verdanken ist das aber auch dem sympathischen und oft etwas verschmitzt agierenden Hauptdarsteller, der einen mit seiner Ausstrahlung gut durch den Film zu tragen versteht. Das Ganze hätte mit einem Unsympathen auch elend schiefgehen können.

Ich liess mich auf freie Assoziation ein und landete mit den Gedanken zunächst bei … – Ausscheidungen. Immerhin ist der Protagonist damit beschäftigt Örtlichkeiten, die deren Entsorgung dienen, zu säubern, da mag der Einfall verzeihlich sein, irgendwas wird sich Wenders dabei gedacht haben, wenn er keinen Pizzaboten zur Hauptfigur wählt, sondern jemand mit einer Tätigkeit, die wir im karriereorientierten Westen mit „ganz unten angekommen“ verbinden und schon von daher wieder interessant finden, weil er so weit von unserem Leben entfernt ist. Auch der begleitende Soundtrack (als erstes House of the Rising Sun) handelt von Menschen, die die Gesellschaft ausgestossen hat und die keinen Weg zurück mehr finden, weil sie sich in irgendeiner Form „schmutzig“ gemacht haben, ein gnadenloser Akt. Ein Rückverweis darauf die Reaktion der Mutter, die ihrem Kind die Hände desinfiziert, als es von der Toilette kommt.

Generell zeigt der Film ein sauberes Tokio, ohne Menschenmassen, Smog und überbordendem Verkehr, dafür mit traumhaften Parks und geradezu künstlerisch gestalteten Bedürfnisanstalten; es lässt sich natürlich leicht in buddhistischer Kontemplation verweilen, wenn man nicht gerade mit Atemmaske im Stau steht.

Die Art, mit der Hirayama die Toiletten reinigt – mit Liebe zum Detail und Respekt vor den Usern – integriert das Ausgestossene zurück in die Gesellschaft als etwas zum Menschen Gehöriges. Ein achtsamer und würdevoller Umgang auch mit dem Allzumenschlichen, das rührt an. Wenn Immobilien eine Würde hätten, könnte man sagen, er hätte Bedürfnisanstalten und allem was damit verbunden ist ihre Würde zurückgegeben. Das ist neu für den Westeuropäer.

Ein Unbehagen blitzt auf bei den Einwegspiegel-Klos, in denen man auf dem Thron ungestört die Umgebung betrachten kann – ein Moment der Scham und Unsicherheit – sieht man nur oder wird man nicht auch gesehen? Und wenn … so what? Das Anale gehört auch zum Menschen ebenso wie das Urethrale. In den Ashrams bei Osho konnte man die Toiletten nicht abschliessen, auch eine neue Erfahrung, die durchaus mal nicht schadet. Der Film beginnt uns zu verändern.

Dabei fliesst er wie ein Fluss, eine buddhistische Anmutung, ein Leben des Annehmens und Genießens, in dem es keinerlei Kampf gibt. Das ist neu in der aufgeregten Filmwelt, da erinnere ich zuletzt Easy Rider – aber der nahm ein schlimmes Ende. Natürlich kann ein Mensch auch gut fliessen, wenn er nicht in Beziehungen lebt – Hirayama ist freundlich aber pflegt sich auch herauszuhalten, da ist es auch leicht Buddhist zu sein, wenn man den anderen nur streift und nicht berührt oder sich plötzlich so etwas wie Leidenschaft entwickelt – was macht er dann? Gleich wieder transzendieren?

Und doch spürt man heimlichen Neid auf dieses zufriedene Leben, auch wenn sich Zweifel einschleichen mögen.In jedem Fall unterläuft der Film unsere Sehgewohnheiten und Erwartungen dramatischer Konflikte und ihrer Lösungen bzw Untergangsszenarien und im Laufe der beiden Filmstunden stellt sich der Zuschauer um auf das vom Soundtrack angebotene  hanging-around on a sunny afternoon oder eines sitting on the dock of the bay oder feed animals in the park von Lou Reed.

No Drama, no mindfucking, wir sind nur auf einer gemeinsamen Wanderung. Man wird neugierig auf die Welt, in der er lebt, warum liest er Faulkner?

Ist er wirklich so bei sich angekommen wie es den Anschein hat? Er lebt eine Haltung der Achtsamkeit (ein heutzutage viel zu breitgetretener Begriff) und Achtung, zuzeiten blitzen Zeichen seines Gewordenseins auf, familiäre Konflikte, die aber überwunden scheinen, stören kurz den Fluss der Nicht-Ereignisse. Aber mittlerweile wollen wir es auch gar nicht so genau wissen, lieber zurück in den Flow, gemeinsam mit dem Protagonisten, lassen wir weiter das Subliminale auf uns wirken, ohne es gross ergründen zu wollen. Krimi-Zuschauer werden hier schlecht bedient. Jetzt ist jetzt und früher war früher und die Zukunft kommt später.

Erst am Ende nimmt Hiyamoto Kontakt zum Zuschauer auf – lächelt, kurz kommen Tränen, dann strahlt er wieder – Jetzt kennst Du mich! Zum erstenmal wirkt er näher bezogen, gleich wird er verschwunden sein – schade eigentlich, man hat ihn ins Herz geschlossen auf der gemeinsamen Reise. Eine stille Kommunikation in einem stillen Film mit vielen Möglichkeiten, der Selbstbegegnung in einem gemächlichen Dahinbewegen. Auch so kann das Tempo des Lebens aussehen, so wohltuend kann Ereignislosigkeit sein und so viele neue Räume öffnen sich, wenn nichts passiert, auf das wir uns gleich wieder stürzen, darüber grübeln und den Erregungspegel damit wieder hochjubeln.

Eine unser Nachbarinnen veranstaltet Lama-Wanderungen hier im Gelände – ein Ausflug bei dem freundliche Tiere das Tempo und die Pausen vorgeben und sonst nicht viel passiert – so wie es Hiyamoto mit uns macht. Ob ich nicht doch mal mitgehe?

 
 

2024 19 Aug

R.I.P.

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Ich mochte ihn ja nie und musste mich fast zwingen, seine Filme zu sehen. Romy Schneider mochte ich auch nie – irgendwie kommt die ja als erste Assoziation sofort dazu – zu püppchenhaft, die Stimme zu piepsig, obwohl man anerkennen muss, dass sie ihr Sissy-Kreuz tapfer überwunden hat. Trotzdem passte die Chemie nicht. Delon war grandios in Filmen, in denen er Schönheit gepaart mit Eiseskälte und aalglattem Gangstertum zelebrieren konnte, da war er unschlagbar. Dergleichen wird auch gebraucht in der Filmwelt. Trotzdem passte die Chemie genauso wenig.

Als romantic french lover – nö! Zuwenig Wärme, geschweige denn Glut und Leidenschaft, immer ein paar Eiswürfel zuviel im Hintern, vielleicht deshalb –  obwohl Romy und er in Swimming Pool knutschten wie die Weltmeister, fünf Jahre nach ihrer Trennung. Diese Leidenschaft nahm ich ihm auch nicht ab. Ihr schon, obwohl sie immer heftig beteuerte, sie habe ihn nur professionell geküsst. Irgendwie muss man sich schützen.

Immer ein paar Skepsis-Fältchen zuviel auf der Stirn – längs und quer – die von innerem Abstand zeugten, einer Erst-mal-gucken-Haltung. So schnell kriegst Du mich nicht! Ein Gesicht zum drin lesen, als hielte er immer ein Stück von sich zurück, würde nie alles geben, sich nicht ausliefern, Sparsamkeit mit der eigenen Wärme, ein kühler Rechner – ja, vielleicht das. Und alles kriegst Du sowieso niemals!

Als Liebender vermittelte er kein Gefühl von Sicherheit – zu schön für eine Frau, man rechnete mit seinem baldigen Abschied, Aufbruch zu neuen Ufern, er liess sich nicht besitzen. „Ich gehe und lasse Dir mein Herz hier“ stand im Abschiedsbrief an Romy – ambivalenter geht’s nicht. Wohlfeiler auch nicht. Danach fuhr er mit Nathalie in den Urlaub, die er bald darauf heiratete – fünf Jahre dauerte das immerhin. Was tut man mit einem singulären Herzen, wenn der Rest mit einer anderen Frau flittert?

Romys Herz war gebrochen, hörte man – wie kann etwas brechen, das so weich ist? Viele Jahre später würde eine Eisenstange das Herz ihres Kindes durchbohren, der Anfang eines langen Endes. Als Vierjähriger kam Delon nach der Trennung seiner Eltern zu Pflegeeltern, sechs Jahre später verlor er diese durch einen Unfall – von plötzlichem Verschwinden verstand er etwas. Schwierig, hier selbst ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln und weitergeben zu können, er drehte lieber den Spiess um und verschwand selbst.

Er ging zur Mutter zurück und arbeitete zunächst im Betrieb seines Stiefvaters als – unmöglich zu erraten – Metzger. Da hat man auch mit Herzen zu tun, man zerteilt sie. Politisch war er eher rechtslastig, was ihn nicht sympathischer macht. Ein Wohlbekannter, den niemand so richtig kannte; ein Liebender, der einen frieren liess, ein Vielgeliebter, den niemand so richtig ins Herz schliessen wollte. Er lehrte uns das Schaudern bei der Liebe.

 


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