Kafka muss man mögen, um dergleichen Filme durchzustehen – ebenso wie Beckett – und man sollte vor allem eines nicht: ihn interpretieren, auch wenn einem Gymnasiallehrer, Kunstkritiker und Professoren noch so wüst in dieser Richtung zusetzen. Es genügt, die Bilder auf der Leinwand wirken zu lassen – oder die Bilder die beim Lesen vor dem inneren Blick entstehen – jede Interpretation wäre der Versuch einer Bewältigung, bei der wir Sicherheit suchen und das liefe der Absicht des Autors zuwider, dem es nur darum ging, das Unbewältigbare zu beschreiben und ein Leben im Gefühl einer ständigen diffusen Bedrohung darzustellen und auszuhalten; obwohl er nach aussen hin ziemlich gesettelt lebte, schien ihm etwas die Axt an die Wurzel gesetzt zu haben. Seine Geschichten erzählen davon, sind eher Komposition als Narrativ.
Die Erzählung“Der Bau“ beschreibt die Geschichte eines dachsähnlichen Tieres, das vergeblich in seinem umfangreichen Bau Sicherheit sucht, aber immer von nicht zu ortenden Geräuschen beunruhigt wird. In der Verfilmung von J.A. Freydank (D,2014) ist der Dachs ein Mann namens Franz – der furios aufspielende Axel Prahl – der diese Sicherheit, mit seiner Familie in einer düsteren postapokalyptischen Welt lebend sucht – Geborgenheit in einer hermetisch abgesicherten Wohnanlage mit Panzertüren, Kameras, einer Security an der Rezeption und einem unablässig herumreparierenden Hausmeister, der den status quo einer relativen Stabilität und Alltäglichkeit erhalten soll.
Geborgenheit will aber nicht aufkommen, jedes Geräusch erschreckt ihn, es wird immer noch ein Riegel mehr an der Tür angebracht, die Angst vor einem unerwünschten Eindringen beherrscht ihn immer stärker und droht wahnhaft zu werden, bis ihn seine Familie schliesslich verlässt. Die Geräusche verbinden sich zu einer Entität genannt „Das Geräusch“ – das verfolgenden Charakter annimmt. Draussen herrschen Obdachlosigkeit und Kriminalität, auf eine geheimnisvolle Weise scheint die Welt um den „Bau“ herum zusehends zu zerfallen und zu vermüllen, nur die ursprünglichen Strukturen bleiben bestehen und rahmen das Chaos rechtwinklig ein, ohne es aufhalten zu können. Die Kamera filmt meist in Schräglage, alle Linien fallen und stürzen und unterstreichen die Instabilität dieser Lebenssituation, fragil wie das Regal, das er aufbauen möchte und das ständig zusammenbricht, obsolet wie der ganze Lebensentwurf eines zwanghaften Festhaltens. Kubistische Gemälde in Grauweiß und Khaki mit den gnadenlosen Linien eines Feininger, die die Welt in Rechtecke zerteilen. Nichts scheint mehr sicher, Wände werden durchbrochen oder zerfallen und Franz gerät immer tiefer in den Sog seiner gefühlten Bedrohung; wenn das Aussen hier das Abbild einer Seelenwelt ist dann erleben wir hier das Vollbild eines psychotischen Zusammenbruchs – aber Kafka geht ja gerne über das Individualpsychologische hinaus und hin zum Allgemeinmenschlichen, zum Menschen in seiner existenziellen Bedrohtheit und dem der Welt innewohnenden Zerfall. Eine Parabel über die conditio humana?
Oft sieht der Zuschauer das Geschehen von einem erhöhten Standpunkt – eine Kameraführung die einen glauben lässt, man selbst wäre eine Überwachungskamera oder blicke in ein Aquarium mit seltsamen Bewohnern. Die Grenzen zwischen Innen und Aussen verschwimmen zusehends, auch das Haus vermüllt und der Zuschauer weiss bald nicht mehr, wo er den unablässig umherirrenden und monologisierenden Franz noch verorten kann, der inzwischen genauso aussieht wie die, von denen er sich gerne abgrenzen würde. Sein manischer Sprachstrom – teilweise unverständlich, weil nicht an den anderen, sondern an sich selbst gerichtet – begleitet uns bis zum Ende. Eine Glaswand wird zerschlagen – und er ist draussen, läuft an den Lagern und Feuern der Obdachlosen vorbei, der Soundtrack kehrt sich ins Harmonische und Beruhigende mit Anklängen einer keltischen Flöte, signalisiert ein befreiendes Angekommensein, irgendetwas scheint plötzlich gekippt.
Schliesslich legt Franz sich auf eines der zerlumpten Nachtlager mit den Worten „Aber alles blieb unverändert!“ – eine seltsame Feststellung inmitten eines fortlaufenden Untergangs und seiner Chaosarchitektur. Irgendetwas scheint seine Konstanz bewahrt zu haben. Die Erzählung bzw das Fragment Kafkas endet mit den Worten „Aber alles blieb unverändert, das …“ – offenbar wollte er noch weiterschreiben; Max Brod, der es aufgefunden hatte, setzte hier den Punkt, um die Erzählung veröffentlichen zu können, an diesem Satz haben sich sicher Tausende von Abiturienten und Literaturwissenschaftlern abgearbeitet und vermutlich verfolgte er sie auch nächtens wie das besagte Geräusch, dessen Herkunft Franz ergründen wollte und sie schreckten auf wie dieser und meinten den Sinn gefunden zu haben. Und oft mag es sich entzogen haben wie eine Handvoll Sand. Trotzdem wirkt der Schluss seltsam beruhigend und fast tröstlich – Freedom is just another word for nothing left to lose. Anscheinend kommt der Frieden, wenn man seiner grössten Angst begegnet ist und sich in ihr niederlassen kann. Und jeder Hurrikan hat wohl sein Auge, für den der es zu finden versteht – oder dem nichts anderes übrigbleibt.