Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Die Haut in der ich wohne (Spanien, 2011) von Pedro Almodóvar

 

… die passt einem manchmal verdammt schlecht, diese Pelle, als Topos des Spürens, der Lust, der Abgrenzung, der Verletzung, des Schutzes und der Scham, viel mehr als nur eine Folie von aneinanderhängenden Eiweissverbindungen – und ein Thema mit dem der grosse Alte sicher etwas anzufangen wusste beim Aufwachsen als Schwuler im ländlich – katholischen und faschistischen Spanien, da möchte man sicher öfter aus derselbigen fahren und erhofft sich mit einem Wechsel des Körpers auch einen Wechsel unwillkommener oder gesellschaftlich nicht akzeptierter Bedürfnisse. Aber wer kann schon aus seiner Haut?

Den Körper sukzessive in einer quälenden Prozedur durch Hautverpflanzung stückchenweise zu verändern ist auch das Thema dieses Films; die Protagonisten scheinen in ein seltsames sadomasochistisches Beziehungsgeflecht verwoben in dem libidinöse und aggressive Bestrebungen untrennbar verschmolzen scheinen. Ein Chirurg, der sich mit Hauttransplantationen beschäftigt und eine unzerstörbare Variante unser äusseren Begrenzung erschaffen möchte lebt eine Pygmalion – Phantasie aus und transplantiert einer jungen Frau, die er gefangen hält neue Hautschichten offenbar in dem Bestreben eine Gestalt nach seinen Wünschen zu erschaffen, was seine medizinischen Forschungsvorhaben zusehends transzendiert und noch etwas dunklere Hintergründe erahnen lässt die über das Pygmalion-Narrativ weit hinausgehen.

 

 

 

 

Dass dieses Geschöpf zusehends Penelope Cruz ähnelt, die in diesem Film rätselhafterweise nicht mitwirkt, nimmt man schmunzelnd als netten Sidekick zur Kenntnis und hofft dass die beiden inséparables zu dieser Zeit nicht gerade verzofft waren. Aber die platonischen Lieben sind ja bekanntlich die stabilsten …

Der Chirurg – Robert – schnippelt sich also zunehmend die gewünschte Gefährtin zusammen und gerät in einen sich steigernden Zustand von Obsession, während sein Opfer – Vera – offenbar dem Stockholm-Syndrom erliegt, jedenfalls kommt es zu leidenschaftlichen und einvernehmlich anmutenden Liebesszenen. So weit so gut!

Zunächst macht also Almodóvar business as usual – mit leichter Hand und grosser Spielfreude konstruiert und verflicht der Maestro seine Handlungsstränge, mischt die Karten immer wieder neu, zwingt uns Zeitkapseln zu besteigen, ohne uns zu informieren, in welchem Parallelkosmos wir gleich landen werden (zuletzt genossen in Mala educación und Todos sobre mi madre) und wenn wir am Ende glauben, die Zusammenhänge erfasst zu haben … ätsch! Noch ein Joker im Ärmel, der das Spiel noch einmal wendet und neues Sortieren – das beherrscht keiner besser, da kann sogar ein David Lynch einpacken und Christopher Nolan schafft es zwar, das Publikum zu verwirren, aber nicht, es bei der Stange zu halten und pflegt die fehlende Stringenz kontraproduktiv durch zunehmende Action zu ersetzen. Dafür verzeiht man Almodóvar auch seine Camp-Ästhetik, sein Dauerzugpferd Penelope, die Kopfschmerzen, mit denen wir danach wegen neocortikaler Überanstrengung aus dem Kino taumeln und die Fragezeichen in den Augen derer, denen wir den Film hinterher erklären sollen, obwohl wir ihn selbst nicht verstanden haben, aber gerne so täten, als hätten wir; schliesslich hat der Cineast auch einen Ruf zu verlieren. Aber wenigstens wird’s nie langweilig und mit seinen Filmen ist’s ohnehin wie beim Walzertanzen – sobald man anfängt, auf die Schrittfolgen zu achten, klappt’s nicht mehr, Loslassen und Hingabe ist da eher angesagt.

Was fasziniert an diesem Film ausser dem Herumstolpern in einem bunten Irrgarten in der Hoffnung auf Orientierung und dem Begehren nach einer ebenso kathartischen wie verdaubaren Auflösung? Sicher für’s Erste die Konstruktion einer grandiosen (männlichen?) Omnipotenzphantasie: des Erschaffens eines Objektes, das schlechthin alle Bedürfnisse eines traumatisierten Mannes befriedigt. Robert – so erfahren wir – hat seine Frau verloren, sie trug nach einem Unfall schwere Verbrennungen davon und nahm sich nach einem Blick in den Spiegel das Leben – hier hat seine Kunst versagt, ein Schuldthema. Seine Tochter suizidierte sich nach einer Vergewaltigung.

Das Thema des verlorenen Liebesobjektes beschäftigte A. insbesondere nach dem Tod seiner Mutter 1999, demgemäss ist Sprich mit ihr (2002) ein Film über Trauern und Trauerbewältigung beziehungsweise deren wahnhafte Verleugnung, wenn der Pfleger Benigno mit der im Koma liegenden Alicia eine Beziehung unterhält, als wäre diese im Wachzustand und sie schliesslich schwängert und heiraten will. Auch hier das Bild der aggressiven Bemächtigung eines Körpers zur Abwehr von Trauer und Verlust, ein Ersatz für die verlorene Familie, die Wiedergutmachung zur Tilgung einer Schuld, die omnipotente Phantasie, alles wieder selbst erschaffen zu können, was genommen wurde, ein megalomaner perverser Akt und ein gewaltiges Unternehmen bei dem (Spoiler!) noch hinzukommt, dass es sich bei Vera ursprünglich nicht um eine Frau handelt, sondern um den Vergewaltiger seiner Tochter. Die in dessen Körper eingeschriebene Geschichte, wovon die Vergewaltigung ein Teil ist, wird damit ausgelöscht – ein Akt der Vernichtung und der Rache und durch die real erfolgte Kastration auch der zusätzlichen Demütigung des Täters, eine schlussendliche Täter-Opfer-Umkehr mit der tragischen Variante, dass Robert den Körper, durch den seine Tochter Gewalt erfuhr, zusehends leidenschaftlich begehrt – schräger geht’s eigentlich kaum noch.

In der modernen Privatklinik – einer Weiterentwicklung des Frankenstein-Labors – wird also nicht nur Neues geschaffen und libidinös besetzt, sondern auch alte Traumata gelöscht, bis nichts mehr von ihnen übrig ist, glaubt zumindest der Operateur in seinem Zustand des Konkretismus. Eine derart gebündelte Triebbefriedigung in einem einzigen, wenn auch langwierigen Akt zu erreichen, kann als pervertiertes Kunstwerk gesehen werden. Ein anything-goes, das eine gewisse Art Bewunderung erzeugt – allerdings ist die Rolle mit Antonio Banderas, seines Zeichens Latin Lover und Sympathieträger, etwas ungeschickt besetzt, die aalglatte Kälte und Gefühlsentfremdung will bei ihm nicht so recht in den Zuschauerraum sickern – nicht auszudenken, was ein Christoph Waltz oder Willem Dafoe in dieser Rolle ausgelöst hätte, aber dann würde der Film wohl gänzlich ins Horrorgenre kippen und nicht mehr so gut die Spannung halten zwischen Grusel und einer Studie über die Seelennot eines mad scientist und seinem Modus der Problemlösung.

Am Ende kehrt Vera, die sich befreien konnte, zurück an ihren Arbeitsplatz, einen Kleiderladen (Kleid hier definiert als zweite Haut und Indikator der Geschlechtszugehörigkeit), trifft dort ihre Mutter und ihre Kollegin, sie erkennen sie/ ihn nicht mehr – mit dem männlichen Körper hat man sie auch ihrer Vergangenheit, Zukunft und aller ihrer Beziehungen beraubt.

Müssen wir A. nun des male gaze bezichtigen? Der Pygmalion-Mythos ist zunächst einmal ein zutiefst männliches Thema, das ständige voyeuristische Spähen durch reale und virtuelle Fenster und auf Bildschirme ist es auch, trotzdem scheint A. sich immer auf die Seite der Frauen geschlagen zu haben in seiner Kritik an und Persiflierung von Heteronormativität und dem In-Szene-Setzen von aggressiver und toxischer Inbesitznahme von Frauenkörpern durch den Heteromann, ein tragendes Thema in den meisten seiner Filme – aber er zeigt auch Frauen, die Gefallen daran finden (Fessle mich!); eine zweischneidige Botschaft: Einerseits könnte hier der bekannte Beifall von der falschen Seite kommen, andererseits wird der Frau damit auch ein Recht auf individuelle Perversion und ihr lustvolles Ausleben zugestanden.

Ein female gaze? Ich bin nicht sicher beziehungsweise denke eher, man sollte ebensowenig wie bei der Sexualität eingeschränkt polar-langweilig denken und in male and female gazes unterteilen – vielleicht hat der Pedro einfach einen queer gaze. Oder, noch besser: Ein auf den male gaze gerichteter queer gaze, der deswegen aber nicht gleich zum female gaze wird.

So passts … und bei dieser fortgesetzten drögen Frau-Mann-Einteilung hält man sich künftig am besten überhaupt raus.

 

 
 

Wenn ich früher meine Grossmutter fragte, was es zu essen gäbe, kam regelmässig die Antwort: „Für a Fünferl a Durcheinander!“. Der Satz drängt sich mir heute auf nach Betrachtung von Kevin Costners Mammutprojekt Horizon, in das er als finales Alterswerk angeblich sein gesamtes Vermögen gesteckt hat – der erste Teil ist nach kurzer Kinolaufzeit streambar für 17,- € Blutgeld, drei weitere ebenfalls dreistündige Teile warten noch.

Zunächst und vor allem: Wer heute noch einen Western drehen will, muss verdammt früh aufstehen oder zumindest Coen heissen … dieses Genre ist sowas von auserzählt, mehr geht nicht mehr, da braucht es mehr als nur einen originellen neuen Ansatz, damit man zwischen all den optischen und akustischen Klischees, mit denen wir massenhaft die unschuldige Prärie besudelt haben, noch einen Reitstiefel auf den Boden bekommt. Trotzdem setzte Kevin Costner zum legendären Sprung über den Abgrund an mit seinem Alterswerk, in dem er die ultimative Geschichte der Besiedelung des Westens in epischer Breite erzählen will. Dass ich in meinem Thread über den Western das Fehlen eines solchen Werks (auch bitte unter Einbeziehung der Sicht der indigenen Bevölkerung) bedauert habe, reut mich jetzt schon wieder, so manches bliebe vielleicht doch besser unabgedreht.

Gelobt wird bei diesem Werk vor allem das In-Szene-setzen der Landschaft – wirklich hübsch, aber dafür genügt auch eine einstündige Doku – und eines stimmungsvollen Soundtracks, aber da könnte man auch Karl May gucken. Die Tableaus und Shots sind bewährt – man steht hinter dem indianischen Späher auf einem Felsplateau und späht mit ihm auf ein Tal mit Siedlern, die ihrerseits zu wenig gespäht haben und denen es deshalb gleich an den Kragen gehen wird, während die Adlerfeder im Wind weht – mit Trommelbegleitung oder wahlweise Indioflötengefiepe etc etc und die sich im Fluss waschende Schöne und ihr heimlicher Betrachter fehlen ebenso wenig, wie die resolute Seniorin, die ständig alle mit dem Regenschirm verdrischt und die anrüchige, aber herzensgute Prostituierte im Saloon, die ständig grundlos zetert und ein Baby herumschleppt, von dem man auch nicht weiss, wohin es gehört und das bei allen Strapazen nie weint oder quengelt – und zuletzt der Lone Rider, der Regisseur selbst, der von irgendwoher kommt, irgendwohin will und irgendeine Mission verfolgt, die man dann erst im vierten Teil am Ende hoffentlich erfährt, was in approximativ 10 Jahren sein dürfte, wobei Costner anscheinend ganz zwanglos davon ausgeht, dass man den Inhalt der vorherigen Teile dann noch weiss bzw nochmal guckt, was ich für eine gewaltige Selbstüberschätzung halte. Dazwischen hübsche Frauen – trotz langem Planwagenaufenthalt in gepflegtem, fleckenlosem Outfit und wohlfrisiert und eine hinreissend schöne indigene Hauptdarstellerin – also alles an Realitätsfremdheit, was einem beim klassischen Western schon immer geärgert hat. Wenigstens spielt keiner Mundharmonika.

 
 

                  

 

 
 

Zum Plot ist zu sagen, dass den offenbar bisher keiner verstanden hat, vermutlich auch die nicht, die die grossartige Fotografie loben, aber über die Handlung diskretes Schweigen breiten. Bisher konnte nach langem Netzgestöber keiner mir erklären, wer hier wo, warum und mit wem so verfährt, wie er es tut. Die Personen sind unverortbar, ständig erscheinen neue Figuren und sind auch schnell wieder tot, es werden unverbundene Handlungsstränge angelegt und nicht zu Ende geführt, oder – wie gesagt – erst in zehn Jahren, immerhin sind die Drehbücher schon geschrieben. Sogar Wikipedia beschränkt sich im Gegensatz zu sonst in der Handlungbeschreibung auf drei Zeilen, die darauf hinweisen dass es sich halt um die Besiedelung des Westens handelt. Haben wir allerdings auch schon gemerkt. So bleibt ein verwirrendes Epos, das am Ende auch – noch verwirrender – übergangslos in eine Trailershow als Cliffhanger übergeht, die auf den zweiten Teil hinweisen soll und noch mehr Hirnkonfusion anrichtet; plötzlich findet man sich in einer Skalpjagd wieder und weiss erneut nicht, wer mit wem und gegen wen und warum überhaupt, aber vielleicht ist Skalpjagd ja ein l’art pour l’art-Zeitvertreib. Appetitlich ist das nicht, also Minuspunkt für die Indianer.

So bleibt eine Aneinanderreihung von Archetypen und Versatzstücken des Genres, ohne originelles eigenes Konzept, ohne neuen Ansatz, ohne die ironischen Brechungen und absurden Volten der Coens, ohne die geniale Art des Feierns von Klischees eines Tarantino, oder wenigstens den hinterkünftigen Witz eines George Roy Hill, der immerhin mit mit Butch Cassidy und Der Clou eine neue Ära eingeleitet hat, neben Sam Peckinpah und seinem guten Händchen für interpersonelle Konflikte und Dramen (Pat Garrett …).

Ja, es ging gut weiter mit dem Western mit No country for old men, das mit allen Klischees bricht, das passt in die Gegenwart bis … ja bis Costner zum Sprung über den Abgrund ansetzte und jetzt sehen wir, wie das Pferd mit den Vorderbeinen am gegenseitigen Rand ankommt und verzweifelt versucht mit den Hufen irgendeinen Halt zu finden. Was für ein Cliffhanger … Ob’s klappt erfahren wir dann im zweiten Teil in ein paar Jahren, bis dahin sind Pferd und Reiter ohnehin in den Gewässern der Lethe versunken.

Aber nachdem der Film ja gute Absichten hat und auch eine Stimme für die Indigenen sein möchte, gibt’s vermutlich eher eine schweineteure Oscar-Nacht (genannt die Nacht der Rührmaschinen) in einer schweineteuren Location, in der ein schweineteurer Preis überreicht wird und das Publikum in schweineteuren Fummeln mit feuchten Augen Standing Ovations entbietet – (die kurzlebige westliche Event-Rührung, ohne weitere Folgen abheilend und die postmoderne Art Trauer und Teilnahme zu zeigen), und sich danach am schweineteuren Büffet wiedertrifft – und der Hochbepreiste zieht sich in seine X-Millionenvilla in den Hills zurück, um den Gewinn in das nächste Millionenprojekt zu stecken – die Hauptdarsteller desgleichen; alles schon geübt. Und die Indigenen in ihren verelendeten Reservaten sehen natürlich keinen Cent davon, die müssen nur für die Rührung herhalten. Schon bei Killers of the Flower Moon – eine flammende Anklage gegen kolonialistische Ausbeutung – gab’s so eine verheulte Oscarnacht und man hat auch nicht vernommen, dass Scorsese auch nur einen Cent herausgerückt hätte für die, deren tragisches Schicksal gerade beheult wurde und ihm so wahnsinnig am Herzen liegt.

Auch eine Form von kultureller postkolonialistischer Ausbeutung und eine besonders scheinheilige Art davon.

 

 

Vom Suchen und Finden der Liebe (D, 2004) von Helmut Dietl …

 

… und von deren Verlieren – müsste es noch heissen, denn damit beschäftigt sich der Regisseur (in süddeutschen Landen wohlbekannt durch BR – Serien wie Monaco Franze und  Münchner Gschichten), wohl unter dem Eindruck der Trennung von seiner Entdeckung Veronica Ferres, mit der er dann als erstes  Schtonk und dann Rossini drehte und die ihm nach neun Jahren davonlief woran er lange knabberte bis er den Komplementärtypus dazu fand ( und damit Tucholskys weisen Worten folgte „…man möchte immer eine grosse Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke…cèst la vie!“) und ehelichte und bis zu seinem Ende wohlverdiente Ruhe im Karton hatte. Also auch eine Beziehungsaufarbeitung, das gefällt uns professionellen Haubentauchern im Meer der Gefühle ja immer.

Neben einigen Knallern und Fontänen drehte er auch einige Rohrkrepierer wie sein grosses Alterswerk  Zettl, wohl eine Anspielung auf Arno Schmidts Alterswerk Zettels Traum, wiederum eine Anspielung auf eine Figur aus dem Sommernachtstraum; und im Gegensatz zu Schmidt und Shakespeare hat er sich bei der Flut von Anspielungen und Träumereien gewaltig verzettlt und letztlich konnte trotz Starbesetzung mit diesem Film niemand mehr viel anfangen; die Münchner Schickeria lässt sich eben nicht so leicht nach Berlin verpflanzen. Und bei den sogenannten Alterswerken lässt sich ja meistens eine verstärkte Portion Grössenwahn finden wie uns Kevin Costner mit Horizon gerade wieder bewies. Gott möge mich bewahren irgendwann ein Alterswerk verfassen zu wollen, ich wäre gern alles Mögliche aber nicht peinlich.

Das  Suchen und Finden der Liebe ist Dietls am wenigsten bekannter Film und floppte in den Kinos, was in der Regel ein Zeichen ist dass man ihn sich – vor allem wenn es in München passiert – unbedingt ansehen sollte, wie der ortskundige Cineast weiss. Der einzige Film übrigens, den ich mir zweimal unmittelbar hintereinander angeguckt habe, das ist auch schon eine Art Diplom.

Der Plot ist eigentlich ein trauriger und im Grunde banal: Ein Liebespaar schafft es  – bereits nach dem lautlosen Donnerschlag der ersten Begegnung – immer wieder aufs neue seine Beziehung zu vergeigen und Trennung und Kummer herbeizuführen. Dabei wird der Orpheus-verliert-Eurydike-Mythos mit leichter Hand eingewebt – eine Geschichte über eine Inbesitznahme durch den Blick. Als Verstorbene ist Eurydike Eigentum von Hades und Persephone, Orpheus bekommt sie zurück wenn er zeigt dass er sich beherrschen kann und Hades bestimmmen lässt ab wann sie wieder ihm gehört.

Das Ganze ähnelt der europäischen Sitte bei welcher der Brautvater die Tochter zum Altar geleitet und dort dem Bräutigam übergibt,und ich hatte schon immer den Verdacht dass das ganze nur eingeführt wurde damit die Frau nicht zwischen zwei Gefangenschaften noch schnell ausbüchsen kann.

However…Orpheus besteht den Test nicht – ein verfrühter Blick. Hier in der pfiffigen Variante dass Orpheus beim Verlassen des Hades, wo er durch Suizid gelandet ist, hinter Eurydike herläuft, die ihn wiederhaben will und sie diejenige ist die sich bis zum gateway nicht umdrehen darf, aber der Herr sie dann mit uncharmanten Bemerkungen über ihren Hintern letztlich doch dazu bringt und damit die endgültige Trennung herbeiführt.

 

 

 

Der zwiegeschlechtliche und pansexuelle Hermes, seines Zeichens Götterbote und Gestaltwandler im Goldlamé-Fummel, ist hocherfreut, ihn wieder mit in den Hades nehmen zu dürfen und weitere Verführungsversuche zu starten ( ja, ist nicht woke, ich weiss, aber vor 20 Jahren ging das noch was heute Schreikrämpfe zeitigt, da assen wir ja auch noch Negerküsse ohne Gewissensqualen) – Heino Ferch hier mal nicht tiefernsten pokerfacigen Kommissarenmief verbreitend sondern flott gegen den Strich besetzt und offensichtlich froh über zu betretendes darstellerisches Neuland in dem er sogar mal grinsen darf. Daneben als Buffopärchen Uwe Ochsenknecht und Anke Engelke als terminüberflutetes Workoholikerpaar, das sein spärliches Sexualleben nur noch mit Hilfe des Terminkalenders regeln kann, bis es schliesslich gar nichts mehr gibt was noch zu regeln wäre.

Die Stars kamen wenn Dietl rief, winkte ihnen doch ein kurzer Ausbruch aus manchmal angeranzten Rollenklischees, die man ihnen sonst zum gefälligen Herunternudeln in ausgefahrenen Gleisen anvertraute. Ochsenknecht reist sodann als eine Art moderner Odysseus nach Griechenland – wo sich alle Protagonisten treffen, weil da logischerweise der Eingang zum Hades lokalisiert ist. Er strandet bei der Hirtin Kalypso, züchtet fortan Schafe und lernt etwas über Sexualleben ohne Terminkalender.

Das ist alles frischfröhlich witzig erzählt und eine Erholung für den deutschsprachigen Konsumenten von vorhersehbaren Komödien, ihren Knallchargen von gutaussehenden aber charmant-trotteligen Helden, toughen Emanzen oder emanzenwerdenwollenden Damen, gschnappigen Kindern und Kreationen von neuen Tiergattungen wie Hasen ohne Ohren und Küken mit deren zwei sowie anderen Stereotypen und cineastischen Perseverationen – und vor allem den sich  dauernd wiederholenden Mustern:  Von Exgeliebten, die dem Charmebolzen das gemeinsame Kind vor die Tür stellen, von dem er im übrigen nichts weiss und die jetzt Karriere machen wollen oder Hausfrauen, die mit dem Ehemann die Rollen tauschen müssen, aufgrund weiblicher Intuition aber sonst ohne Ahnung dessen Konzern erfolgreich leiten während er sich zuhause beim Wickeln dämlich anstellt weil er ja schliesslich ein Mann ist – und andere Varianten die langsam zu kulturellen Codes werden … wat hamwa jelacht!

          Dass sich jeder dämlich anstellt wenn er etwas zum erstenmal macht ist natürlich kein Thema – das

ist wieder so ein deutscher Männer-Bashing-Humor, der Frauen wohltun soll während die

zuschauenden Herren gequält mitwiehern damit man sie nicht für hoffnungslose Machos hält.

Das schafft auch keinen Frieden zwischen den Geschlechtern und fährt gutgemeinte feministische

Ideen gleich wieder gegen die Wand.

Und die Konsumentin macht sich nun ein paar warme Gedanken, was wohl eine gute Komödie ausmacht und landet zunächst bei Altmeister Shakespeare … wo denn auch sonst wenn’s um Komödien geht? Der liess nie einen Zweifel daran, dass ein Spiel ein Spiel ist und in der Schlussszene sorgte er dafür, dass der finale Schauspieler oder der Narr das Verweilen in Phantasieräumen beendete und wieder für die nötige Realitätsanbindung sorgte. Da schüttelte man sich dann immer ein bisschen – und der Regen, er regnet jeglichen Tag, wir wissen’s schon, haben’s nur kurz mal vergessen. Aber wie schön war es vergessen zu dürfen…..

Das Liebespaar (wenn sie nicht als mythologische Figuren agieren heissen sie Mimi und Venus) hat sich verloren. Mimi bekommt einen mehrstündigen Ausgang aus dem Hades, wo ihn vermutlich Hermes noch immer mit Beschlag belegt, und trifft Venus – anmutig ergraut – bei einem ihrer Konzerte in dem sie von ihm komponierte Lieder singt: Wohin geht die Liebe wenn sie geht? – eine durchaus berechtigte Frage, denn nach den Gesetzen der Naturwissenschaft kann ja schlechthin nichts so einfach verschwinden, sondern eher seine Gestalt wandeln oder in irgendeiner gemütlichen Entropie enden. Sie erkennen sich, lassen es sich aber nicht anmerken und gehen nach kurzem Smalltalk wieder auseinander – sie haben erkannt, dass von der Liebe nichts mehr geblieben ist als eine milde Sympathie und es nichts mehr aufzukochen gibt. Auch manchem Ende wohnt ein Zauber inne…..

 

 

So weit, so gut – nur: Wie bekommt man diese seltsam schwebende, beschwingte Atmosphäre hin und hält sie während des gesamten Plots durch selbst dann, wenn der Humor platt zu werden droht und es dann doch nicht wird? Wie vereinbart man die Leichtigkeit des Erzählens mit der Schwere einer schiefgelaufenen Liebe, bei Gott kein beschwingtes Thema? Eine Männerstimme kommentiert aus dem Off, schafft eine leise ironische Brechung und einen Rahmen, der die Distanz hält.

By the way bin ich auch ein Fan von Billy Wilder und seinem knallenden Wortwitz, konnte mit der nouvelle vague zuerst nicht so wahnsinnig viel anfangen (inzwischen schon besser) obwohl ich froh war dass sich etwas veränderte – die hatte auch diese leise eingewobene melancholische Textur im Gewebe und die sanfte Verzweiflung die mich so anzog – keine grossen Stories, keine Dramen sondern die Komik und Tragik des ganz Alltäglichen subtil herausgearbeitet und auf leisen Sohlen serviert – alles immer nur halb so schön wie man’s gern hätte – aber auch gottlob nur halb so wild, alles nur Maya, wie die Hindus sagen würden, ein graues Wölkchen, das auch wieder vorbeizieht.

Das Halten dieser Spannung und Ausbalancieren zwischen den Polen ist hier die Kunst und das Sichwiederfinden in der Durchschnittlichkeit und Uneindeutigkeit des Lebens und der Alltäglichkeit des Scheiterns – nicht der grandiosen Beziehungsweltuntergänge, sondern all der kleinen Nadelstiche und subliminalen Gemeinheiten, die das Leben uns und wir uns untereinander zufügen und die eine ganz eigene Komik entwickeln unter einem distanziert, aber wohlwollend betrachtenden Auge. Man muss Menschen mögen wenn man dergleichen dreht, andernfalls gelangt man schnell ins Fassbindern. Ein „Ja-so-ist-der-Mensch-halt-in-seiner-Kleinheit“ – mir auch schon passiert. Mach was dran …

Eine Erholung vom ganzen Blockbusterkrach mit seinen rauschenden Showdowns, die an einem vorbeidonnern, oft so wenig mit einem selbst zu tun haben und eher erschlagen als auf eine andere Schwingungsfrequenz bringen.

Und so ist alles im Fluss, auf dem die nächste Tragödie dann … auch wieder vorbeischwimmt.

 

 

 

Natürlich war der klassische Western ausschliesslich eine Männerwelt und natürlich war sein Bezug zur Realität der Besiedelung des Westens etwas geschwächt. Natürlich war sein Frauenbild in der Regel einfach strukturiert und zwiefach gespalten in herzensgut und verrucht und dieses Geschlecht diente allein der Ornamentik – schmückendes Beiwerk und romantisierendes Element am Rande des Hauptthemas: Männergesellschaften und ihre interpersonellen Spannungen. Frauen waren nicht wirklich mit dem Geschehen verbunden und ohne Funktion im Handlungsverlauf, dafür aber immer zweckmässig gewandet zum Überleben auf staubigen Kampfplätzen, in denen es immer um Leben und Tod ging. Manchmal ähnelten sie mit ihren Reifröcken den Puppen, die früher auf den rückwärtigen Ablagen in Autos sassen und eine Rolle Toilettenpapier tarnten. Charles Bronson hätte Henry Fonda auch ohne die Mitwirkung der Wuchtbrumme Claudia Cardinale zur Strecke gebracht, aber so ergaben sich doch einige prickelnde Momente im ansonsten sehr protrahierten Verlauf des Filmes und die Hoffnungsspannung auf ein glückliches pairing-end blieb bis zum Schluss, was uns aber Sergio Leone dann gottlob doch ersparte – es hätte den Mythos vom Lone Rider und damit den ganzen Film zusammengehauen, der letztlich nur davon lebte. Schmückendes Beiwerk auf Männerspielwiesen.

 

 

                 

 

 

Der berühmte ikonische Blick von hinten durch die Beine eines der beiden Duellanten auf den Gegner – also aus einer voyeuristischen Beobachterposition auf ein dyadisches Geschehen, nämlich ein Pistolenduell, erinnert an die Blickhöhe eines Kindes, das sich hinter dem Vater versteckt und die Vernichtung des Feindes voyeuristisch aus einer sicheren Position betrachtet. Womit wir bereits auf einer spielerischen Ebene gelandet wären in einer Szenerie, die zunächst alles andere als spielerisch war. Der Exodus der Europäer, bedingt durch Umstrukturierungen in den Heimatländern von agrarischen und feudalherrschaftlichen Strukturen hin zu frühkapitalistischen Produktionsformen erzeugte Unfreiheiten, wirtschaftliche Veränderungen, existenzielle Bedrohungen und eine Verunsicherung der bisherigen Identität, so dass sich viele Hoffnungen auf einen radikalen Ortswechsel in ein grosses Land richteten, das geradezu aufforderte, es in Besitz zu nehmen und seine Ressourcen zu nutzen. Frühkapitalistische Strukturen replizierten sich dann rasch erneut, sobald Grossgrundbesitzer und betuchte „Viehbarone“ ganze Kleinstädte vereinnahmten, indem sie mittels ihrer finanziellen Möglichkeiten Einfluss auf deren bescheidene Kommunalpolitik nahmen, die Gemeindevorsteher, den Friedensrichter und den Marshall schmierten, immer einen Reitertrupp von bodyguards zu ihrem Schutz im Gefolge hatten falls ungeschriebene Gesetze von Newcomern nicht eingehalten wurden und so das alte feudalherrschaftliche Staatsprinzip der alten Welt erfolgreich weiterführten. Der Mensch entkommt sich nicht, egal wie weit er übers Meer schippert.

Die Besiedelung des Westens und das Leben der Farmer, Züchter und Cowboys dürfte bei weitem nicht so aufregend gewesen sein, wie der Western es uns glaubhaft machen will, vielmehr scheint sich hier mit einer Art lautlosem Donnerschlag ein Phantasieraum aufgetan zu haben, in dem die männlich dominierte Filmwelt Hollywoods einen gigantischen Spielplatz für Verfolgungsabenteuer, latente Homoerotik und sonstige Testosteronrituale entdeckte und für sich mit Beschlag belegte, in einer Art sekundärer Kolonisation – ein virtueller Westen, der mit der realen Gegend nicht mehr viel zu tun hatte. Es errichtete die Welt eines permanenten Räuber-und-Gendarm-Spiels in einer riesigen Phantasieblase und eines beständigen Aufeinanderprallens von Outlaws und den Hütern von Recht und Ordnung mit unterschiedlichen Varianten der Sympathielenkung. Der charmante Gauner Billy the Kid hatte die Zuschauergunst eher auf seiner Seite als der furztrockene und illoyale Pat Garrett, dessen Überleben uns eher wurscht gewesen wäre. Der lässige Soundtrack von Bob Dylan brachte dann freilich Tracks für die Ewigkeit.

 

 

 

 

Ein riesiges und gewissermassen jungfräuliches Land mit reichlich verborgenen Schätzen musste erobert und den ursprünglichen Besitzern sukzessive abgejagt werden, eine stimulierende Phantasie, die die ödipale Enttäuschung des Mannes, den Körper der Mutter nicht vollständig zu besitzen, sondern zeitweise an den Vater abtreten zu müssen, zu kompensieren vermag – nicht selten werden kindliche Konflikte mit den Eltern später auf eine politische Ebene gezerrt und dort rächend oder kompensatorisch ausagiert. Jedenfalls wurden ab dem ersten grossen Western Der grosse Eisenbahnraub (1903), der bereits erste Massstäbe in Aufbau, Schnitt und Kameraführung setzte, der Markt zusehends mit kriegspielenden Jungs geflutet. Dabei stehen die Motive wahlweise der Unbezogenheit im Vordergrund (mehr oder weniger zielloses Lonely-Wulf– Herumstreunen im Gelände mit all seinen wohlweislich nicht dargestellten Mühseligkeiten, das man uns als grandiose Freiheit verkaufte) oder wahlweise die intensive Bezogenheit von Mann zu Mann oder von Männergruppe zu Männergruppe in Form von monate- bis jahrelangem Suchen und Verfolgen des irgendwie definierten Gegners (oder auch gerne aufgrund eines Rachemotivs) im Gelände als Lebensinhalt, voyeuristisches Dauerbeobachten, Spurenlesen und Anschleichen bis schliesslich zum showdown, bei dem man möglichst breitbeinig voreinanderstand, die Intimität eines langen und meist finalen Blickkontaktes genoss und zuletzt blankzog.

 

 

          

 

 

Auch der ansonsten erfrischendere und neu angelegte Spaghetti – oder später der Neowestern verzichtete keineswegs auf diese Versatzstücke, auch wenn er sie zeitweise gerne ironisch zitierte. Hier kippt der Abenteuerspielplatz in homoerotisch anmutende tableaus von sich umkreisenden Paaren, die in intensivem Blickaustausch miteinander verschmelzen um jede Regung des anderen schon im Ansatz zu bemerken – der Griff zum Colt zeige sich vorher schon im Auge des Duellanten an –  so der Mythos – und ihn dann aufs Kreuz zu legen. Das war nicht nur das Drohstarren, das wir aus der Tierwelt kennen, sondern ein intensives Sicheinfühlen – man muss geradezu in das Auge des anderen hineinkriechen, um den entscheidenden Zeitvorteil zu bekommen. Momente von Intimität und geradezu penetrierender Nähe als Kontrast zu den ständigen Distanzvergrösserungen und -verkleinerungen beim Herumreiten, Flüchten und Verfolgen. Da ist freilich kein Bedarf mehr für Frauen. Und als Charles Bronson seine lebenslange Mission beendet und Henry Fonda erledigt hatte, widmete er sich wieder dem „Jeden-Tag-Leben-mit-dem-Tod „, wie Cheyenne zitierte, den er dann auch noch palliativ wegen eines Lebersteckschusses erschiessen musste. Besonders vernünftig und lebensfreundlich klingt das alles nicht – aber – hach! … wie romantisch und wohltuend traurig …

Stories of love and hate bei den Weissen – welche Rolle wurde nun den Indigenen auf diesen Spielplätzen zugewiesen? Zunächst die der irdischen Aliens samt Auftreten in Horden gleichgeschalteter gesichtsloser Individuen, die die Siedlungen der Weissen überfielen und grausame Blutbäder anrichteten – flott dargestellt in einer nassforschen Umkehr der eigentlichen Landbesitzverhältnisse. Während die Aliens das personifizierte Fremde repräsentierten, eigneten sich die Native Americans mit ihrer Andersgläubigkeit, ihren Ritualen, Gesängen und Tänzen eher zur Verkörperung des Magischen und Irrationalen und mit den langen Haaren, ihrer überwiegend bunten Kleidung samt Schmuckzubehör auch zum Prinzip des Weiblichen, dem man ja ebenso Irrationalität und Bedrohung einer für wohlgeordnet gehaltenen Männerwelt zuschrieb. Nun ist das Weibliche für den Mann nicht nur irrational-gefährlich, sondern auch anziehend und faszinierend, demzufolge konnten sich die Macher des Westerngenres in ihrer männlichen Ambivalenz nie so ganz darüber einigen, wie sie sich zu den Natives stellen sollten – edle Wilde oder grausame Krieger und Marterpfahl-User wechselten sich in buntem Reigen und sorgfältiger Spaltung ab – bis zu den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, als der Rassenwahn der Nazis doch so manchen dazu brachte, seine Position zum Andersartigen und Andersabstammenden zu überdenken. Vielleicht auch zum Weiblichen … Der rassistische Charakter des Bildes der Indigenen zeigte sich auch in der Besetzung von Indianerrollen mit weissen Schauspielern, die ihre Charaktere nicht selten parodistisch überzeichneten, heute auch „kulturelle Aneignung“ genannt. Dieses „Redfacing“ hielt sich sehr lange im Genre.

 

 

         

 

 

Erst in den 60er-Jahren begann man die Indianer sympathischer zu sehen, wohl auch unter der Weltsicht der Hippies, die sich ihnen verbunden fühlten und gern ihr Outfit kopierten – als kontemplative und naturverbundene Gegenkultur zum zunehmend brutaler werdenden american way of life. Und die Frauen zogen die Korsetts aus (oder behielten sie als humoriges Zitat über den Reithosen an), setzten die Häubchen ab, griffen zum Gewehr und schossen besser als jeder Mann … okay … jede Bewegung kippt erstmal in ihr Gegenteil; das kommt davon, dass man viel Anlauf nehmen muss beim Durchstarten, das war nicht nur beim Feminismus so.

Auf den grossen postkolonialistischen Western, der ohne Idealisierung und Romantisierung die Besiedlung aus der Sicht der Indigenen schildert, nett mit dem Wolf tanzt und auf jegliches John-Ford-und Karl-May-Klischee einmal verzichtet, warten wir noch.

Aber wie wir wissen: Irgendeiner wartet immer.

 

 

  

 
 
 

Was macht ein Geisteswissenschaftler auf dem Oktoberfest und wenn ja wieviel und wie lange?

… wenn er (oder sie) Vegetarier ist, der kein Bier mag, keine Zuckerwatte, keine kandierten Äpfel, keinen Lärm und keine Menschenaufläufe und kein nach Schuhsohle schmeckendes Lebkuchenherz um den Hals bammeln. Höchstens gebrannte Mandeln.

Frauentechnisch macht das Fest ja was her … der Dirndlwahnsinn ist durchaus etwas fürs Auge und die Flechtfrisuren der Mädels dürften soviel Zeit in Anspruch nehmen wie das Aufbrezeln früherer Rokoko-Perücken – und einfach mal was anderes als Nickis, Hoodies, Turnschuhe und tief unterm Arschgeweih sitzende Jeans sowie zu Stricken gedrehte Haare, deren Enden in die Luft stehen, sozusagen Gamsbart urban – aber hier jetzt ein Fest der schönen Mädchen. Aber dies soll hier ja keine Kolumne werden, sondern eine Abhandlung über Magie und Dämonisches.

Man könnte da erzählen über magic moments im Kindesalter, wenn man abends durchs Fenster gegen Osten blickte und der rot gefärbte Himmel zeigte – nein, nicht dass der Krieg wieder begonnen hatte – sondern das Oktoberfest, vulgo genannt „die Wiesn“, weil es auf einer selbigen stattfindet. Und man am Samstagmittag um 12.00 beim Anzapfen den Böllerwumms erst durchs Radio hörte und mit kurzer Verzögerung durchs offene Fenster dann den gleichen nochmal. Rätsel über Rätsel und Magie für Kinderohren, was nur schlichte Physik war – damals wurde der Doppelwumms erfunden. Hat heute alles etwas an Glanz verloren angesichts von Trommelfellgefährdung, horrender Preise und Bierleichen am Hügel zu Füssen der Bavaria, vulgo auch der Kotzhügel genannt.

Nein, anziehend für mich sind auf der Wiesn die Monster in ihrer aztekischen Buntheit und Grausigkeit und ihre mimischen und gestischen Bedrohungen, der grinsende Teufel, der zähnefletschende Tod und ihre ganzen Handlanger, Vasallen und Folterknechte, kurz: Das Zitieren des Mittelalters; das Dämonische, das erschreckt und in seiner Überspitzung gleichzeitig ins Lächerliche kippt. Gebilde sadistischer Phantasien – jetzt gezeigt als das, was sie sind – Pappkameraden zum Kindererschrecken, über die Maßen bedrohlich in Zeiten, als Teufel ausgetrieben wurden und Scheiterhaufen brannten, Menschen mit körperlichen Besonderheiten zur Schau gestellt und Hinrichtungen zur Abschreckung öffentlich durchgeführt wurden.

 
 
 

                    

 
 
 

Alles nur noch ein Spiel … wie beruhigend. Das Kind jeglichen Alters des Zeitalters der Aufklärung, der Moderne und Postmoderne betrachtet das ganze Grauen mit leisem Nervenkitzel und grosser Erleichterung – endlich ist der Spiess umgedreht und Tod und Teufel sehen ganz schön lächerlich aus als Parodien und Zitate ihrer selbst. Wie gut, in der Neuzeit zu leben und die dunklen Zeiten der Menschheit unwiderruflich vorbei zu wissen.

Beim Perchtenlauf auf den Christkindlmärkten in Berchtesgaden werden allerdings durchaus noch Kinder von gehörnten und kettenrasselnden Geschöpfen geschockt, aber das sind Kollateralschäden, deshalb wird schönes altes bayrisches Brauchtum noch lange nicht aufgegeben. Und auch nicht auf 22.00 vertagt – nö, das gehört in die Dämmerstunde, wenn auch der Nikolaus kommt, den die Kinder natürlich sehen wollen – in Personalunion mit dem gruseligen Krampus, aber der tut nichts und will nur spielen, das müssen die Kinder nur erstmal kapieren. Brauchtumspflege halt … – nur Gegendämonen können die Dämonen der Rauhnächte austreiben, das ist quasi ein unverzichtbares Ritual hier in den Bergen. Wer weiss denn schon genau, was hier alles nächtens noch umgeht. Die Naturwissenschaftler können auch nicht alles wissen.

 
 
 

 
 
 

Nein, in einer säkularisierten Welt braucht man derlei Archaik nicht mehr zu fürchten. Wie schön, dass wir sicher sind.

Als ich klein war, gabs übrigens die Zuban-Schau auf dem Oktoberfest (eine Zigarettenmarke) – das Zurschaustellen von Fremd- und Andersartigem: Schwarze Menschen mit Speeren und Baströckchen zeigten traditionelle Tänze, Hulamädchen liessen die Hüften kreisen, holten dann einen Kerl aus dem Zuschauerraum, dass er es ihnen gleichtat, der dann geehrt, erfreut und etwas verschämt mithüpfte. Indianer zeigten Kriegsbemalung und Marterpfähle. Ein Menschenzoo in einem Land, an dessen Grenzen bereits das Untermenschentum begann, zumindest noch in vielen Köpfen.

 
 
 

                     

 
 
 

Dann die Magie und das Glück des ersten Luftballons, vorsorglich von der Oma an meinem Handgelenk festgeknüpft und andächtig bestaunt, rot und mit Nase und einem freundlichen Grinsen. Und dann ein besoffener junger Mann, der ihm mit der brennenden Kippe das Lebenslicht ausblies – damals durchaus gebräuchlicher Sport von Angetrunkenen, Sadismus gegenüber Kindern.

 
 

… die Horde vor einer Schlägerei flüchtender Wiesenbesucher die mich von meiner Mutter losrissen …

…der junge Mann der hinterher am Strassenrand sass und aus einer Schnittwunde blutete und dem niemand half …

… Männergewalt …

… meine Panikattacken als Kleinkind als mein Vater mit mir in ein allzu wildes Fahrgeschäft stieg in dem ich mich nicht auf den Füssen halten konnte …

… der mühsame Heimweg zu Fuss nach dem Verzehr einer Hühnersuppe, in der offensichtlich Salmonellen um die Wette schwammen und eine Begleitung, die befürchtete ich würde in die Strassenbahn reiern … Kinder sollen keine Umstände machen, also ein einstündiger Fussmarsch immer am Rande des kaltschweissigen Kollabierens … aber wenigstens kein Ärger mit Mitmenschen …

… die Schaustellerjungs, die einen am Ende der Tobogganrutsche auffingen damit man sicher auf die Beine kam und einem dabei unter den Rock grabschten …

… irgendwelche Vorrichtungen in Fahrgeschäften, die einem plötzlich den Rock hochbliesen – beschämt vor einem wiehernden Publikum … gottlob gab es bald Blue Jeans und Frau lernte besser nicht mehr mit Rock herumzulaufen. Schade um den neuen Petticoat!

 
 

Heute gibt es einen Safe Space auf der Festwiese, eine Zuflucht für Frauen und Mädchen in Bedrängnis mit Mitarbeiterinnen, die notfalls auch die Frau nach Hause bringen oder Taxigeld vorstrecken – die haben reichlich zu tun. Ist das jetzt Fortschritt oder Rückschritt dergleichen zu brauchen? Der Kotzhügel, auf dem in warmen Nächten auch die Räusche ausgeschlafen werden wird von Kennern der Szene auch mountain of rape genannt. Ein bayrischer Comedian meditierte einmal über die Sitte, Kinder nach dem Ort ihrer Zeugung zu benamsen – Diego oder Paris oder Savannah – und meinte, ein grösserer Teil der Bayern müsste dann wohl „Hinterm Bierzelt“ heissen; der Prozentsatz einvernehmlicher Sexualität ist dabei leider nicht erfasst.

Auf dem Oktoberfest 2024 wurden insgesamt über 700 Straftaten angezeigt, überwiegend Körperverletzungen, ca die Hälfte davon Sexualdelikte, vor allem das immer beliebter werdende upskirting, Nachfolger der alten Sitte, in den Damentoiletten auf Augenhöhe ein Loch Richtung Nachbarkabine zu bohren. Und andere schöne alte Bräuche …

Wie gut in der Neuzeit zu leben …

 

 

An die Bestie in Menschengestalt

 

Du hast meinen Lebensfaden

schier abgeschnitten.

Ich verfluche dich dafür

Ich spreche den Gegenfluch aus

Mögest du in Ewigkeit

wie ein halb zertretener Wurm

dich winden müssen

 

Dafür, dass du und deine Mit-Würmin

den Fluch auf mich herabgebrochen habt

mein Leben zertreten.

Meine Kraft zerbrochen habt

die Kraft für mich selbst

zu leben, zu lieben

mich unbekümmert zu freuen

 

Stattdessen habt ihr mir

falsche Schuld

falsche Scham

abgebrochenes Leben

und eure unsägliche Schuld

aufgeladen.

Mit unsäglicher Brutalität

 

Dafür spreche ich nochmals den Gegenfluch aus

 

Mögen sich die Engel von euch abwenden

die Hölle euer zuhause sein

So wie mein Leben oft die Hölle war

auf Erden

 

Ihr sollt alle Schmerzen

in Ewigkeit spüren

die ihr mir zugefügt habt

mir und meiner Tochter

mit euren späteren Henkershelfern.

 

Niemals Frieden für euch!

 

 

Liebster

 

An Dich Geliebter
mit dem goldenen Herzen
dem geheimnisvoll umhüllten
mit der zarten Blutspur.
Wie ein Hauch
und doch das Auge erschreckend.

Deine Stimme fließt in mein Ohr
wie plätscherndes Gebirgswasser
mit unterirdischen kräftigen Strudeln.

Und deine Hände
tasten sanften Augen gleich
sich behutsam in meine,
teilen das Wasser vor mir
in kräftigen Schwüngen.

Zärtlich schnupperst Du an meiner Haut
die ich sanft für Dich nur salbte.

Spür den Sommer
in meinem Mund
lass mich ihn
in Deinen hauchen

Liebe heißt das Zauberwort.

 

Marianna 2024

 

Spannung – das Erste, was mir einfällt beim Lesen dieser beiden Gedichte aus meiner Sammlung von Texten traumatisierter Menschen. Wie kann eine Seele so extreme Gegensätze erleben, erfühlen und in sich beherbergen, ohne zu zerspringen – als würde man eine extrem zusammengedrückte Sprungfeder plötzlich loslassen, so dass sie ihr Gehäuse zerreisst. Offenbar geht es – allerdings droht der Körper dieser Frau zersprengt zu werden – von extremen Schmerzen, Unverträglichkeiten und Zurückweisungen für fast alles, was man ihm auch in bester Absicht zuführt, um ihn zu ernähren, zu erhalten oder zu heilen, als ob er überall ein verborgenes Gift wittern würde, das er sofort wieder ausstossen möchte – ein körperliches Grundmisstrauen, das sich längst verselbständigt hat und ein Eigenleben führt. Oft hat man den Eindruck, dass der Körper sich verhält wie das Kind, das dieser Besitzer einmal war; er verweigert sich, er möchte ständig etwas zugeführt bekommen, um die Leere der Seele zu füllen, bei manchen Menschen schreit und lärmt er die ganze Zeit. Oft ist er so angefüllt mit Unverdaulichem dass er keine Nahrung mehr aufnehmen kann. Manchmal steht er unter einer fast unerträglichen Spannung zwischen Angst und Wunsch, möchte sich öffnen und schützend verschliessen gleichzeitig. Dann wieder wohltuend abgegrenzt und unverletzlich existieren und dann wieder mit einem anderen verschmelzend verschwinden und sich auflösen.

Du stolzes Herz! Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich. Oder unendlich elend.

Heinrich Heine wusste auch, wie weit die Seele ihre Flügel spannen kann, manchmal birgt sie in ihrem Gehäuse nur von Menschengrösse eine ganze Welt.

Und Spannung vermag vieles: Einen Pfeil abschiessen, einen Schlag versetzen, ein Gehäuse sprengen … nur ist sie eben so verdammt schwer zu ertragen, sowohl ihr Halten als auch ihre Entladungen. Ein Leben in Extremen – und kein Entkommen?

Doch, manchmal … im Malen, im Gestalten, im Schreiben …

 

 
 

Monsieur Klein (F, 1976) von Joseph Losey

Der Schauspieler und sein Film – a matched sample

 

Noch selten hat ein Schauspieler so gut zu einem Film gepasst wie hier Alain Delon zu Monsieur Klein. Der kühle, aalglatte, aber sich nie zum wirklich Bösen aufschwingende (das hätte Delon auch durchaus geschafft – seit Die Sonne war Zeuge wissen wir das) M. Klein, Kunsthändler und Bonvivant, der sich am Eigentum enteigneter Juden bereichert, ist durchaus sein Metier. Auf gebrochene Charaktere verstand er sich mit seinem Pokerface, seinen hellen Augen, bei denen man trotzdem nicht auf den Grund blicken konnte – so als hätte er eine Zwischenwand eingezogen, an der unser forschender Blick abprallte und wieder umkehren musste, bevor er das Innere erreichte. Die Seele dahinter war seine Sache, er stellte sie immer nur in Teilen zur Verfügung – für Filme reichte es, für Beziehungen nicht immer. Romy liess er – so der Text des Abschiedsbriefes – sein Herz zurück, sein Körper stand gleichzeitig Nathalie Delon zur Verfügung, was er mit der Seele machte bleibt im Ungefähren, Interviews gab er so gut wie nie. Als junger Mann arbeitete er eine Weile als Metzger, vielleicht hat er hier gelernt Organismen zu zerteilen.

Das klingt zynisch – die Psychotherapeuten würden es Balint-Effekt nennen, eine Art Übersprung vom Beschriebenen auf den Beschreiber – und Zynismus und Kälte sind auch Eigenschaften, die man Delons Filmfiguren zuschreiben kann. Sogar bei seiner Premiere – beim herzigen Leutnant Gustl in Christine (eine komplette Gegen-den-Strich-Besetzung) wehte einen immer etwas kühl an und wenn’s nur die berühmte Unmutsfalte war, die zwischen den Brauen immer wieder aufzuckte. Dafür war Romy Schneider in diesem Film noch ein letztesmal über die Maßen herzig, bevor sie ihre Karriere in Frankreich startete – dann nicht mehr herzig, aber früh gebrochen und nie mehr ganz geheilt, bis ihr die eiserne Spitze des Gitters, die den Körper ihres Kindes durchbohrte, auch das eigene Herz durchdrang. Das ist auch so eine Crux von Delon, diese Personalunion mit einer längst Verflossenen, die bei jedem Diskurs über ihn zuverlässig auftaucht, als gehörte diese Beziehung zu seiner Identität und Romy wäre sein unsichtbarer siamesischer Zwilling. Is anybody here? Da fehlt doch jemand!

Und irgendwie gab man dem Treulosen immer ein bisschen Mitschuld, dass unsere Sissi in Paris zuerst unanständige Filme drehte, dann verlassen wurde und traurig endete. Er liess Raum für Projektionen und die waren nicht immer vorteilhaft, aber machen andererseits den Schauspieler vielseitig verwendbar. An M. Klein schien ihm etwas zu liegen, er war der Produzent. Nach „Leutnant Gustl“ wusste er offenbar besser, was zu ihm passte – die tiefgekühlten Chamäleons und andere Reptiloide mit ihren Eisaugen.

Der Film beginnt auch bereits mit einer Anmutung von Kälte: Eine junge Frau wird vom Amtsarzt untersucht – ihre rassische Zugehörigkeit soll festgestellt werden und der Arzt, ein Kollaborateur, untersucht sie, als wäre sie ein Pferd, das er kaufen will; das stellt den Film bereits in seinen entsprechenden Kontext: Frankreich unter der deutschen Besatzung, Beginn der Enteignung und Deportation von Juden – dem entgegengestellt die Welt der gesellschaftlichen Elite, zu der dergleichen nicht durchdrang und die es verstand wegzuhören, wie die unvermutet auftauchende Jeanne Moreau mit den wie immer vornehm abgesenkten Mundwinkeln in ihrem Palais, bei deren Auftritt man sich fragt, warum sie sich mit dieser Minirolle zufriedengegeben hat. Da hat wohl jemand seinen Charme spielen lassen?

Zu dieser elitären Gesellschaft gehört auch M. Klein, der sich am Aufkauf von jüdischem Hab und Gut bereichert – kalt, opportunistisch, ohne Gefühlsregung, in seinen seidenen Morgenmänteln immer etwas metallisch-glänzend wirkend, als trüge er einen Echsenpanzer, das Einstecktuch gezückt in der Brusttasche, alles comme il faut, ein gentilomme, sogar noch im Schlafzimmer. Die Adresse seiner Kunden notiert er nicht mehr, er weiss sehr wohl, dass sie dort bald nicht mehr zu finden sein werden, wo sie gerade noch sind.

Der Film beginnt und endet mit einem Verkaufsgespräch, es geht um das Bild „The Analysis“ von Adriaen van Ostrade, das Bild eines Mannes bei einer chemischen Untersuchung: ein Hinweis auf die Werte der Aufklärung, Ratio, Naturwissenschaft, Humanität, Absage an das Irrationale, an die Zeit in der die Scheiterhaufen loderten – hier kontrapunktisch entgegengestellt der Anfangsszene der ärztlichen Untersuchung einer Frau gemäss den abstrusen Richtlinien der faschistischen Rassenideologie, die uns die Nazis als Wissenschaft verkauften. Das Verkaufsgespräch wird vor dem Abspann noch einmal eingeblendet, es fasst den Film ein wie ein Rahmen oder eine Klammer, ein zweimaliger Appell an Aufklärung und Vernunft; das Bild verhökert für – nein, nicht für dreissig Silberlinge – aber für 300 Francs und damit auch eine Absage an Kultur und den Werten, die sie geschaffen hat. Bald werden wieder Scheiterhaufen brennen und Kulturgut verschlingen und später auch Menschen.

Is anybody here? Oh ja …

Dazwischen erleben wir in der Filmhandlung eine Welt von Irrationaliät, geheimnisvollen Zeichen und Begebenheiten in einem fahlen, verblassten Paris, der Einführung einer unheimlichen Präsenz, die sich ins Leben von Klein drängt, eine Auslösesituation für das Erleben von Unheimlichkeit.

„Is anybody here?“ fragt die Frau im Hollywoodfilm mit ängstlichen Augen, wenn sie einen scheinbar leeren Raum betritt, in dem Fensterflügel im Wind schlagen und Vorhänge wehen samt anderer Versatzstücke und Accessoires des Grusel-Genres. Und wenn der Regisseur klug ist, lässt er uns nicht sofort die Schuhspitzen unter dem Vorhangsaum sehen, sondern zögert die Sache noch etwas hinaus; im Kinosessel geniesst man gerne die Gefährdung und Angst des anderen mit dem eigenen Hintern im Warmen, „Angstlust“ nannte es der o.g. Psychoanalytiker Balint. Das macht auch Joseph Losey in diesem Film: Gibt es eine Präsenz im Hintergrund, die zielgerichtet handelt oder ist alles nur das bunte Spiel des Zufalls und eine harmlose Verwechslung? Oder will hier jemand einem skrupellosen Schuft raffiniert an den sauberen Kragen?

Der Holocaust wird hier weiter nicht gezeigt, er existiert nur in Blicken, Schatten, Unsicherheiten, ängstlichen Augen, Männern in Trenchcoats, die etwas zu suchen scheinen – eine Art beklemmendes Hintergrundrauschen des Faschismus; immer wieder wird der Bau des Velodroms d ‚hiver in Paris eingeblendet, dem Sammelpunkt für verhaftete Juden in Paris, bevor man sie in die Züge zu den Vernichtungslagern trieb – alphabetisch geordnet in der grausamen Bürokratie der Nazis, die auch noch den grössten Massenmord der Geschichte korrekt zu verwalten wussten. Das letzte, was dem Menschen blieb, war sein Anfangsbuchstabe. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er liebt deutsche Ordnung und holt sogar die Delinquenten in der richtigen Reihenfolge ab.

 
 

 
 

Man spürt die Angst des Protagonisten aus seiner sicheren Position herauskatapultiert und zu denen sortiert zu werden, die jetzt besser fliehen sollten. Ein jüdischer Widerstandskämpfer gleichen Namens scheint sich seiner Identität zu bedienen (heutzutage als Phishing wohlbekannt), er bekommt rätselhafte Post und macht sich auf die Suche nach seinem Doppelgänger, will offenbar den Stier lieber bei den Hörnern packen als vor ihm weglaufen – oder der Justiz eine Art „wahren Übeltäter“ präsentieren, um endlich wieder aus der Schusslinie zu kommen. Die Atmosphäre wird zusehends dichter und beklemmender, als ziehe sich eine Schlinge zusammen.

Mr. K. möchte den offensichtlichen Irrtum richtigstellen, ergeht sich in Nachforschungen über die Identität des Verfolgers. Der Doppelgänger erweist sich aber umso flüchtiger, je mehr K. ihn zu fassen bekommen will – eine Handvoll trockener Sand, der der immer fester zupackenden Hand immer schneller entrinnt. Alle Spuren führen ins Nichts, alle Zeugen erweisen sich als unzuverlässig, je mehr er seine ursprüngliche Identität zu beweisen versucht, desto mehr wird der Gesuchte zum unfassbaren Phantom und desto mehr erweckt er selbst die Aufmerksamkeit der Behörden, bis er eines Tages bei seiner Suche selbst ins Velodrom gerät und in einen der Züge verfrachtet wird. Zurück bleibt sein Anwalt mit dem zu spät angekommenen arischen Nachweis, der K. hätte retten können.

Delon schafft es, ohne mimische Regung durch sein Getriebensein und seine zunehmend manische Aktivität bei der Verfolgung des followers eine sich kontinuierlich steigernde Panik auszudrücken – das muss man auch erst einmal hinkriegen, ohne eine Miene zu verziehen, das ist so ganz und gar delonkompatibel, das brauchen andere erst gar nicht zu probieren; wenn er etwas rüberbringen wollte, schaffte er das. Nebenbei wird hier auch die Binsenweisheit der Cineasten widerlegt, dass ein Film über einen Sympathieträger zur Identifikation verfügen muss, um zu funktionieren, Delon verzichtet in gewohnter elegance und nonchalance auf jegliches fishing for sympathy und gibt bis zum Schluss den Kotzbrocken, dessen Ende man auch nicht so recht betrauern kann, obwohl man weiss, was am Ende der Reise auf ihn wartet.

 
 

 
 

Wie sich in der anschliessenden Gruppendiskussion zeigte, lässt der Film mehrere unterschiedliche Lesarten zu. Zunächst ermöglicht er den Fans von Hitchcocks suspense ein Baden in dergleichen, eine Atmosphäre einer schwebenden und sich verdichtenden Unheimlichkeit, ein Pendeln zwischen Wahngewissheit und verzweifeltem Haltsuchen im bereits schwächelnden Realitätsbezug. Hitchcock hätte uns vielleicht eine Lösung, einen Täter oder zumindest irgendeine Form von showdown serviert (oder auch nicht, bei den Vögeln hat er auch darauf verzichtet, er konnte sich das leisten). Losey dagegen lässt uns hier nach einem spannenden pas de deux der Identitäten mit einer unaufgelösten Situation im Regen stehen und sorgt dafür, dass das Kopfkino noch eine Weile weiterläuft und eine „gute Gestalt“ im Sinne der Gestaltpsychologie finden möchte, hier in Form einer stimmigen Erklärung, unter der man das Ganze abheften könnte, damit es nicht unpassend und sperrig irgendwo im Neocortex herumliegt.

Erfahrungsgemäss lernt man dabei aber mehr über sich selbst, als wenn man erfahren hätte, wer der Mörder war oder warum die missgestimmten Vögel in Bodega Bay kollektiv durchdrehen oder wie die Hexe von Blair denn nun wirklich aussieht. Das open end verlieh dem Film seinerzeit Kultstatus (The Blair Witch – Project, 1999). Und ganze Generationen haben sich damit beschäftigt, ob sich Scarlett O’Hara und Rhett Butler nochmal kriegen werden, bis die entsprechenden Sequels dann noch geschrieben und abgedreht wurden und Ruhe einkehrte. Da kriegten die sich dann natürlich – aber es waren nicht mehr dieselben und die Präsenz der ursprünglichen Darsteller bekamen diese No-Names schon mal gar nicht auf die Kette. Aber Beruhigung hat auch was Unkreatives.

Oder haben wir es hier mit einem paranoiden Vexierspiel zu tun, dem Zurschaustellen eines inneren Prozesses, in dem ein unbeachteter Persönlichkeitsanteil an die Oberfläche drängt, das Persönlichkeitsgefüge bedroht und Bestrafungsangst erzeugt? Ein weiterer M.K. als der den wir gerade kennenlernten? Ein Hinweis dazu ergibt sich bei der Wohnungsbesichtigung, als K. angelegentlich mit einem herumliegenden Rasiermesser spielt und die Vermieterin in Angst versetzt. Auch das würde man ihm zutrauen. Is anybody here oder sind wir noch sicher?

Oder anders: Eine Symbolisierung des Andrängens des Faschismus in eine bisher bürgerlich-gesettelte Gesellschaft und ihre scheinbar festgefügte zivilisierte Identität, ähnlich den Brandstiftern, die ungehindert bei Biedermann eindringen und sich festsetzen und Biedermann immer noch arglos ist, obwohl schon die Hütte brennt? Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand? Max Frisch liebte auch solche Geschichten, in denen sich bisher Unbekanntes ins Leben drängt, zum Guten wie zum Bösen.

Oder noch anders: Das Ganze eine kafkaeske Parabel über anonyme Mächte und Unentrinnbarkeit als schicksalhafte Gegebenheit der menschlichen Existenz wie in „Der Prozess“ – auch hier ein Herr K., nur dass er Joseph heisst.

Beckett zeigte uns das Warten auf Godot, hier sehen wir, wie es sich anfühlt, wenn er kommt – auf eine sadistisch-verlangsamte, fast geniesserische Weise ins Leben einsickert. Beckett hätte sich im Kino sicher gefreut und seine pessimistische Sicht der Gegebenheiten des Lebens, in die der Mensch geworfen wird, in ihrer Absolutheit bestätigt gesehen.

Kafka hätte fingerschnipsend „Genauso isses!“ gesagt.

Camus hätte die Absurdität des Lebens entdeckt in einer Situation, in der man den Verfolger verfolgt und im Endeffekt das erreicht, was man verzweifelt zu vermeiden sucht, dergleichen „Blödsinn des Lebens“ war genau seine Kragenweite.

Sartre, der mit Begrenzungen nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte und wollte, hätte sich vermutlich an die Stirn getippt und noch einen Pernod bestellt, je nach Tageszeit ein paar uppers oder downers eingeworfen und das Ganze wiederholt, bis ihm schliesslich sein Körper bewies, dass man um Begrenzungen in diesem Leben halt doch nicht so einfach herumkommt und das existenzialistische Herzstück „Sich-immer -neu-in-die-Zukunft-entwerfen“ als Menschenbild irgendwann auch einmal ein Ende hat, wenn der Körper und der Sensenmann gemeinsam und reichlich verfrüht etwas anderes beschliessen. Is anybody here?

Weite Wege und Umwege gehen die Gedanken bei diesem Film, er öffnet Gedankenräume, anstatt ein stringentes Narrativ zu erzählen. Das ist das Beste, was man über einen Film sagen kann.

 

Eine retrospektive Studie über Rattenfänger und verführbare Generationen im Zustand unangebrachter Selbstgerechtigkeit

 
 

 

 

Ja, wir hielten uns für unangreifbar und resistent gegen jede Art von Gurus und Führerpersönlichkeiten, so schön hätte gar keiner die Flöte spielen können, dass wir ihm gefolgt wären – und Che Guevara hing nur über dem Bett, weil er so gnadenlos gut aussah, nicht wahr? Das hatte gar nichts mit Führersehnsucht oder Leitwolf oder Sozialromantik oder gar Vaterlosigkeit zu tun … nönö … schliesslich hatte man seinen Freud gelesen und war immun gegen dergleichen Verführungen, das war lediglich ein Logo um zu demonstrieren, dass darunter ein revolutionärer Geist sein Haupt bettete – aber keinesfalls ruhte – der wahre Revolutionär schläft nicht und hat pflichtschuldigst ein gebrochenes und durch Kritik veredeltes Verhältnis zu etwaigen Rudelführern zu pflegen, so wollte es das linke comme il faut und das war strenger als die Regeln eines wilhelminischen Mädchenpensionats. Enver Hodscha hing da nur einmal bei einem strammen Marxist/Leninisten, aber der sah auch nicht so gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.

Und die Fehler der Elterngeneration wiederholen wir ja schon gleich gar nicht, das war klar, aber sowas von … Trotzdem hätten wir ihn am liebsten geknuddelt, den Alten, so ausgehungert waren wir damals offenbar nach etwas Sonne, Tanz und Lebensfreude und so satt hatten wir unsere depressiven, kriegstraumatisierten und herumschnauzenden Väter, die sich nach der notwendigen Existenzsicherung total dem Leistungsprinzip ergaben, weil sie nicht mehr wussten, was sie sonst tun sollten und familiäre Kollateralschäden billigend in Kauf nahmen bzw überhaupt nicht bemerkten, dass sie solche anrichteten und die Kinder ihnen verlorengingen. Da konnte so ein Typ gut landen – der Strahlemann mit dem halb aufgedröselten Strickpullover und der verschwitzten Mütze, den überhaupt nichts zu kratzen schien, immer in der Dialektik zwischen Strassenköter und weisem Sokrates herumoszillierend. So wird man zum Mythos wenn man nur den Nerv der Zeit trifft. Und der so wunderbar in der Sonne tanzen konnte, dass man alles drüber vergass, sogar unsere Asshole-Familienpatriarchen, von denen wir nie wussten, ob ihre Abwesenheit nicht segensreicher war als ihr Dasein. Konterfeis von gefallenen Kriegshelden auf der Kommode können einen immensen Einfluss auf kindliche Identifikationsprozesse ausüben, vor allem bei Jungs. Da bekommt man hinter der Couch so manch Liedchen gesungen in all den Jahren …

 
 

 
 

Und da verzieh man dem übersprudelnden puer aeternus kleine Schnitzer im Plot, die bei näherem Besehen so klein doch nicht waren. Nach dem Tod seines Sohnes habe er getanzt bis zum Umfallen, um nicht verrückt zu werden, sagt er – das versteht man, die Formen des Trauerns sind sehr individuell – danach hatte er sich offenbar zum Herumstreunen entschlossen und seine Gattin musste sich wohl alleine im Olivenhain abrackern, um werweisswieviele Kinder durchzubringen. Da hat man leicht tanzen, wenn jemand anders die Windeln wäscht und die Oliven vom Baum klaubt; da könnte den Zuschauer und vor allem der Zuschauerin doch der Geist altbekannten Machotums anwehen wenn, ja wenn wir ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre für die eigenen Anachronismen und unsere eigene Verführbarkeit.

Eine alternde Prostituierte, Madame Hortense, eine griechische Kameliendame, hält er im Arm und begleitet sie mit herzschmelzenden Worten beim Sterben, um sich danach aus deren Bett zu erheben und etwas wie „alte Schlampe“ zu murmeln. Anvertrautes Geld verjubelt er im Bordell und hat darob auch keinerlei schlechtes Gewissen, vermutlich wusste er gar nicht, wie man das schreibt und sein Buddy Basil ist schon so in seiner westlichen Loyalitätsblindheit verheddert und von dieser südlichsonnigen-hellenischen Andersartigkeit so angefixt, dass er noch nicht mal sauer ist. Heute würde man dergleichen einen Co-Narzissten nennen.

Danach gibt unser Freund den Herrn Jesus und schützt eine junge Witwe mit grosser Geste und markiger Rede vor der Steinigung und verlässt nach seinem Auftritt ebenso stolz wie rasch den Schauplatz. Hinter ihm prasseln dann natürlich die Steine, klar – mit Herumtönen ist der Volkszorn noch lange nicht befriedigt – aber das ging ihm auch wieder am Hintern vorbei.

 
 

 
 

Sorbas geht unberührt durch alles Störende und Tragische hindurch, als existierte es nicht, auch wenn er die Suppe selbst angerührt hat. Das hat was! Und später manchmal auch nicht mehr, wenn man alte Filme guckt und so manches doch seine Glorie verliert und das Gucken in eine unangenehme Form der Selbsterfahrung einmünden könnte. Was hat einem bloss alles gefallen im magischen Damals und warum? Und warum ist James Dean in seiner bockigen Pubertiererei heute bloss noch peinlich, wenn wir ihm doch damals am liebsten die Füsse geküsst hätten? Und warum will der Woody-Allen-Humor so gar nicht mehr funktionieren bei dem man sich früher gekringelt hat? Und Monty Python staubt auch schon etwas ein. Der Zuschauer ist dann am Ende auch nicht mehr überrascht, als die zusammen aufgebaute Seilbahn, die die Existenz des Ich-Erzählers sichern soll (eines der mühsamen Konstrukte, das die Beziehung zusammenhält und immer wieder neu erschaffen werden muss) bei der Generalprobe grandios zusammenkracht. And then dancing on the beach as usual – was denn auch sonst? Damals ging man befriedigt aus dem Kino und natürlich sofort zum Griechen seines Vertrauens (in Würzburg war das der Theo), um die Seligkeit noch ein bisschen zu verlängern. Und spätestens dann war auch klar, wo man im nächsten Urlaub hinwollte.

Gegen den Film – klassisches buddy-movie – ist nichts zu sagen, gegen den Roman auch nicht, ausser vielleicht einer gewissen Vorhersehbarkeit – ersterer zeigt, auch durch seine Schwarzweisszeichnung, ein anderes Griechenland als sonst – karg, trocken, finster, archaisch, die Frauen in ihren schwarzen Kleidern bedrohlich als sie sich im Schlafzimmer von Madame Hortense versammeln wie Trauervögel und auf deren Tod warten, um dann in rituelles Wehklagen auszubrechen, für das sie vermutlich einige Drachmen einsacken – eine anachronistische mittelalterliche Welt im Jahre 1946, ohne Farben und mit einem grauen zurückweisenden Meer – ein Griechenland in einer reizvollen melancholischen Brechung eingefangen, die Story in kurzen und scheinbar zusammenhanglosen Episoden kollagenartig zusammengesetzt und durch ein leicht geschwärztes Glas betrachtet, da hat ein Regisseur durchaus seine atmosphärischen Hausaufgaben gemacht. Der Soundtrack war natürlich ein donnernder Erfolg und sicherte wiederum die Existenz von Theodorakis. In den Discos wurde Sirtaki getanzt bis zum Abwinken, wir schnipsten uns die Finger wund und ich wollte unbedingt eine Bouzouki, nicht um sie zu spielen sondern … ja …. ähm … zur Dekoration, ich gestehe – womit wir schon wieder im Dunstkreis des Narzissmus wären. Auf Fotos hätten wir beide sicher ein spektakuläres Paar abgegeben, wenn ich etwas irgendwie griechisch Anmutendes angezogen hätte. Der Exotenbonus war damals durchaus hilfreich auf der schlüpfrigen Piste der Erotik, by the way … am Ende war mir dat Dingens aber dann doch zu teuer.

Viele Restaurants nannten sich „Zorba“, die Kneipe im Ashram in Poona hiess „Zorba the Buddha“ – von Bhagwan/Osho gedacht als Erinnerung über dem Spirituellen die Freuden des Körpers nicht zu vergessen. Das machte den Letzteren auch so verdammt attraktiv für ausgedörrte Westler in ihren grauen Städten und ihren freudlosen Eltern und Lehrern, die ihnen gerne ein ständig dräuendes und drückendes Nichtgutgenugsein als Daueretikett in die Seele gestanzt hätten. Noch so eine Nachthemdlichtgestalt mit leicht geschwärzter Weste, der die Mitte zwischen tiefen Weisheiten und wohlfeilen Sprüchen nicht immer zu finden verstand und dem auch ziemlich wurscht war ob er sie fand. Angehimmelt wurde sowieso … Soweit alles prima mit den Übervätern – nur was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass wir offenbar nicht bemerkt haben, was für ein narzisstisches empathiefreies Windei diese Filmfigur war. Wo war dieses Loch in der eigenen Wahrnehmung und wie kam es dazu? Waren wir doch leitwolfbedürftig? Bereit alles andere – nicht nur zu verzeihen sondern sogar völlig auszublenden, nur weil einer fröhlich war und uns endlich mal zeigte wie man gut lebt? Und dem dauergrollenden Übervater über den Wolken flugs den Blitzstrahl aus der Hand fingerte? Waren wir auch in Gefahr, einem Rattenfänger hinterherzuziehen, nur weil der um 180 Grad anders gedreht war wie der vorherige? Unsere linken Gurus, für die wir Mädels … pssst … die Flugblätter tippten, was war mit denen? Hatten unsere Väter solche Skotome hinterlassen, dass wir auf  jeden Papiertiger hereinfielen, der sich auf zeitgerechte Selbstinszenierung verstand? Fragen über Fragen … Eins der grossen Verdienste dieses Filmes – er zeigt uns den inneren Zustand seiner Fans und Rezipienten – wieder einmal der Spiegel der Schneekönigin, der uns beim Reingucken das zeigt, was wir so gar nicht leiden mögen. Unsere überstürzten Idealisierungen …

Darauf einen Ouzo! And another dance ... und schon macht einem die ganze Sache viel weniger aus … selbst wenn man statt Maria Farantouri nur noch Vicky Leandros aus dem Plattenfach zu fingern imstande war. Schliesslich auch ne Griechin und Hauptsache Fingerschnipsen … jede Generation hat etwas, das sie besoffen macht – so auch wir. Und wer ist schon ganz zurechnungsfähig in seinen hellen Zwanzigern? Und bei uns ging es immerhin ohne Todesopfer und grössere Kollateralschäden. However!

Und eine neue Definition von Weihnachten hatten wir auch:

Weihnachten geht man nicht in die Kirche! Gott ging auch nicht in die Kirche, der ging zu Maria und dann wurde Christus geboren!

Was für eine lebensstrotzende Interpretation einer ansonsten blutleeren Geschichte, da hebelt einer die dröge Story vom Heiligen Geist und der Jungfernzeugung mal eben mit ein paar Worten aus – da ists wirklich langsam egal, ob der Typ bloss dämlich oder genial ist. Zitierfähig ist er allemal.

Also … Jamas und … dings … Kali nichta!

And never touch an archetypus!!

 

 

               

 
 
 

               

 
 
 

Die Glyptothek München ist mittlerweile dafür bekannt, Altes und Neues kreativ zu vermischen oder provokativ gegenüberzustellen – zuletzt mit der Ausstellung Zerklüftete Antike mit den Holzbildnissen von Andreas Kuhnlein. Geschaffen wurde ein visueller Dialog zwischen Zerstörung und Bewahrung, Zeit und Ewigkeit, Zerfall und Unberührbarkeit. Man erlebte ein essentielles Angerührtsein. Die Ausstellung  Musa von Luca Pignatelli ist eine weitere Variation dieses Ansatzes. Pignatelli ist ebenfalls ein Künstler, bei dem die Zeit in sein gesamtes Werk verwoben ist – er arbeitet mit Materialien, die bereits weggeworfen wurden, mit Abfällen und Dingen, die keine Zukunft mehr zu haben scheinen und setzt sie in einen neuen Zusammenhang.

Zwischen den antiken Plastiken der Glyptothek hängen deren zweidimensionale Abbildungen der ausgestellten Skulpturen, meist in Blau. Man spaziert durch die vertrauten Gänge, beobachtet von blicklosen Augen, von denen wir gerne wüssten, wie sie uns sehen – und plötzlich sind es viel mehr Augen als gewohnt, denen man standhalten muss. Ein seltsames Beobachtetwerden. Als wären sie aus ihren steinernen Hüllen herausgetreten und betrachteten ihre unsterblichen Körper von aussen. Flächig aufgeteilt, in andere Muster eingebettet leben sie bereits in einem anderen Kontext, stille Wächter ihres Ursprungs.

Warum „Muse“? Schutzgöttinnen der Kunst … heute würden wir sagen: der kreative Anteil eines Künstlers, der sich von Zeit zu Zeit Bahn bricht und nach aussen drängt. In der Antike gefiel offenbar der Gedanke, dann von einer Göttin geküsst worden zu sein besser – eine Art Befruchtungsakt, bei dem etwas zur Welt kommt, eine verlockende Phantasie, besser als ein einsames Gebären, bei dem einem niemand erwartungsvoll über die Schulter schaut. Der Glanz im Auge der Mutter, über den ersten selbstgebauten Turm …. ja, auch Künstler sind nicht gern allein, da greift man gern auf Mythen zurück. Wie heisst dann der gute Geist der Künstlerinnen? Musus?

Sehen die blauen Wesen überhaupt etwas mit ihren blicklosen Augen? Oder sehen sie mehr, weil sie sie geschlossen haben? Man sieht nur mit dem Herzen gut sagte der kleine Prinz – diese Geschichte konnte ich nie leiden, ein hochgejubeltes Kinderbuch mit reichlich Plattitüden, Sentiment und Wortgeklingel, aber die Welt hat offenbar beschlossen, ihn der grossen Literatur zuzuordnen. Und wie oft täuscht sich das Herz in seiner Einschätzung und täte gut daran den Verstand herbeizurufen?

Das Motiv der Doppelaugen finden wir bereits bei Cocteau, der den Dichter gerne als sehend – nichtsehend – mit auf die geschlossenen Lider aufgemalten Augen abbildet. Sie wirken unheimlich – wie alles, wovon wir nicht wissen, ob es tot oder lebendig ist, der Blick ist seelenlos. Vielleicht ist es ja auch kein Sehen – eher ein Drohstarren, das sich den anderen vom Leibe halten will, dergleichen braucht man wohl manchmal auch als Künstler – und wies dahinter aussieht, geht niemand was an. Ein guter Schutz.

 
 
 

 
 
 

Seltsame Wege gehen die Gedanken zwischen blauen Musen, die die Körper betrachten, aus denen sie geschlüpft sind. Wie ist das wohl wenn man sich von aussen sieht? Fühlt man sich wie der Schmetterling vor der Larvenhülle oder möchte man zurück in die Stabilität des Dreidimensionalen? Oder bleibt man einfach – wie der Zuschauer – in dieser dialektischen Spannung und schaut was passiert? Mit zunehmendem Alter sympathisiere ich immer mehr mit dieser Position, sie scheint mir unterhaltsamer … Superposition.

Seltsame Wege …

 

2024 12 Sep

R.I.P

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Ciao, ciao, Bambina – im Geiste sehe ich Dich noch umherstreifen, mit schwarzen Locken und buntem Röckchen unter Palmen am blauen Meer, neben Dir ein Esel mit zwei Orangenkörbchen und ein paar kleine braungebrannte Jungs mit rot-weissen Ringelpullis, begleitet von Mandolinenzirpen. Du warst nicht nur eine Sängerin, Du warst auch Trägerin eines Lebensgefühls, trugst wieder eine Spur von südlicher Sonne und Meeresbrise in die hermetisch nachkriegsverrammelten deutschen Wohnstuben, für deren Bewohner noch hinter jeglicher Grenze Feindesland lauerte und die nur Heimatfilme aus Tirol guckten. Dabei warst Du nie anrüchig, sondern immer adrett, ohne überbordende Erotik und frisch mit Kernseife gewaschen, so dass die Deutschen in ihrem neu entwickelten Waschzwang Dich gut annehmen konnten – so etwas wie die europäische Antwort auf Doris Day. Und so richtig Italienerin warst Du auch gar nicht – gebürtig in Lugano. Die Schweiz war für den Deutschen ja nie so wirklich Ausland, das machte es für uns auch leichter. Und in jedem Deiner Songs wurde die Welt wieder ein Stückchen freundlicher, begehbarer und nahbarer und schliesslich trauten sich doch die ersten mit der Isetta über den Brenner und fanden’s dort toll. Danach rückten die Filmproduzenten in Scharen ans blaue Meer aus und der Bikini war en vogue.

 

 

 

 

Ciao, Caterina – Du warst ein Stück Historie der Trivialkultur und Teil eines Mythos der die Grenzen in Kopf und Herz zu öffnen verstand für die Schönheit des gerade noch verteufelten Fremden und Ausgegrenzten, Du warst die Sirene die Odysseus dazu brachte sich vom Mastbaum wieder losbinden zu lassen und des Lebens Ruf  zu folgen, der bekanntlich niemals endet. Wenn Du drüben ankommst grüsse Vico Torriani, ihr habt zusammen verdammt gute Integrationsarbeit geleistet für ein Land im Zustand der bleiernen Zeit, der Schuld, des Heimatschwurbels und der Duldungsstarre. Freddy Quinn, der Spezialist fürs Dauerfernweh, wird halt noch ein bisschen auf sich warten lassen, dann könnt Ihr zusammen den Olymp rocken. Arrivederci!

 


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