Nach Jahrzehnten des Wartens, endlich auf CD. Hatte schon mit dem Gedanken gespielt, den seit 20 Jahren ad acta gelegten Schallplattenspieler zu reaktivieren, weil das Original, auf „Wilhelm Reich Schallspeicher“, zu den verbliebenen 150 Vinyls in diesem Haushalt zählt. Damals an einen Nachmittag zusammen gekauft mit der Jerry Garcia Acoustic Band und Blind Idiot God. Those were the Days. Bei Erscheinen 1989 bezeichnete DD dieses 1985 eingespielte Album als die „allerseltsamste aller allerseltsamen Platten“ – und beim Wiederhören ist die alte Magie sogleich wieder da. Was war passiert: Gunter Hampel, Jürgen Gleue (39 Clocks), Matthias Arfmann (Kastrierte Philosophen), Rüdiger Klose (Exil Out) und Thomas Keyserling (Galaxie Dream Band) – eine Supergroup in jeder Hinsicht – sorgten gemeinsam für eine psychedelische Abfuhr, die sich gewaschen hat. Unerhörte Musik, unglaublicher Gesang, aber richtige Hits darunter. Über die Jahre immer wieder in unterschiedlichsten Konstellationen Leuten begegnet, die um dieses Album wussten. Lackmustest unter Eingeweihten?!! „While The Recording Engineer Sleeps“ ist ab Ende Mai wieder zu haben, jetzt auf „Staubgold“. Irgendwann 1990 spielten The Cocoon in erweiterter Besetzung in der Stuttgarter Merz Akademie, ein denkwürdiges Konzert mit einem unglaublichen Rüdiger Klose an den Drums. Mir damals wichtiger als – der Mauerfall und der Anschluss der DDR.
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2015 11 Feb
Demnächst in ihrem Theater
Ulrich Kriest | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 2 Comments
Dass man beim Lesen von „Inherent Vice“ dachte, dass dies wohl der erste Roman von Pynchon sei, den man vielleicht, abgesehen von sicherlich notwendigen Kürzungen, verfilmen könne, ohne dabei das Gesicht zu verlieren, hatte, sofern im richtigen Alter, dafür ein paar gute Gründe. Die Geschichte um den ständig bekifften und bekoksten Hippie-Privatdetektiv Larry »Doc« Sportello erinnerte schon sehr an einige Meisterstücke des „New Hollywood“ wie Altmans „The Long Goodbye“, Penns „Night Moves“, Pakulas „The Parallax View“ oder Polanskis „Chinatown“. Pynchon erzählte von Tycoons, die in Kliniken verschwinden, von einer Zahnarzt-Organisation, die Drogenhandel und Entzugskliniken in einer Hand hat, von Rockern der Arischen Bruderschaft, von Juden, die lieber Nazis wären, von einem Schiff mit roten Segeln, das Drogenzentrale oder Geisterschiff sein kann – und alles kam einem so bekannt vor, als hätte man es gerade erst im Kino gesehen. Paul Thomas Anderson, der jetzt „Inherent Vice“ kongenial verfilmt hat, ist Jahrgang 1970. Ihm ist das Jahr 1970 eine Fiktion, ein Spiel. Er schickt die Botschaft – die Gegenkultur spielt Chandler – zurück an den Absender und vergleicht seinen Film mit einer vergilbten Postkarte an der Wand. Das Timing stimmt jedenfalls: Robert Altman wäre am 20. Februar 90 Jahre alt geworden. „The Long Goodbye“ ist problemlos zu bekommen. Ein Double-Feature sei hiermit empfohlen, die Reihenfolge ist dabei ziemlich egal.
Als im Sommer 2013 in Baden-Württemberg über die Neu-Strukturierung der Musikhochschulen gestritten wurde und der davon überraschten rot-grünen Landesregierung wütende Proteste entgegenschlugen, packte der grüne Kulturstaatssekretär bei passender Gelegenheit (s)ein Zückerchen auf den Tisch. Gewiss, es müsse überall gespart werden, aber er als erklärter Jazz-Fan und früherer Konzertveranstalter habe dafür Großes im Sinn: Eberhard Weber werde zum 75. Geburtstag den Sonderpreis des Landes Ba-Wü für sein Lebenswerk erhalten, im Rahmen eines prominent besetzten Konzertes mit, so viel sei bereits verraten, Pat Metheny und anderen internationalen Stars. Die Verhandlungen liefen bereits. Vor ein paar Tagen fand es nun statt, das „Great Jubilee Concert“ für Eberhard Weber im Stuttgarter Theaterhaus, wo der Künstler, damals noch aktiv, bereits seinen 65. Geburtstag entsprechend begangen hatte. Und der Staatssekretär mit dem Sinn für Weltstars wiederholte bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz unverhohlen und schamlos, wie es zu diesem erstmals verliehenen Preis kam: „Wo ich schon mal an der Macht bin …“. Abseits der Kulturpolitik war der (erste) Abend (von zweien) musikalisch übrigens durchaus okay; vielleicht ein bisschen zu viel SWR Big Band. Aber das ist Geschmacksache. Schön war es zu beobachten, wie empathisch die anderen Musiker mit Webers stark gedrosselter Mobilität umgingen. Mal wurde er von Burton, dann wieder von Garbarek geführt. Mental war Weber jedoch nicht gehandicapt, sondern ganz der alte, scharfzüngige Lakoniker, der immer den Eindruck hinterlässt, die Jazz-Szene im Innersten zu verachten. In seiner äußerst lesenswerten und kurzweiligen Autobiografie „Résumé“ liest man kurz vor Schluss: „In jungen Jahren ist das Alter fern, unglaublich weit weg. Während meiner aktiven Zeit habe ich mich niemals mit dem Gedanken beschäftigt, mich zum Beispiel mit einer Professur für das Alter abzusichern. Heute weiß ich: Ein paar ordentliche Euros monatlich würden schon Freude aufkommen lassen nach Erreichen des Pensionsalters.“ Der Sonderpreis des Landes Ba-Wü für sein Lebenswerk ist mit 10000 € dotiert. Da kann man auch mal die Ohren für 15 Minuten auf Durchzug stellen und so tun, als bemerke man nicht, dass man zum Objekt einer absolutistischen Kulturpolitik instrumentalisiert wird.
2015 31 Jan
Von der Kneipe in die Cloud
Ulrich Kriest | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
„Ist alles keine Arbeit, aber es muss ja gemacht werden!“ Stimmt! 30 Jahre nach Herbert Grönemeyer ist es an der Zeit, mal nachzufragen, warum der Mann derart auf den Hund gekommen ist. 100 Jahre Merkel in der Politik, Rihanna, Miley und Beyoncé im Pop – und die Fussballerinnen sind auch noch sehr erfolgreich. Auftritt: Ray, George und Berthold (sic!) Mann, die sich Ende der 80er Jahre in Rotterdam trafen, viel Musik zwischen Drafi Deutscher, LX Chilton, Robert Wyatt, Kevin Ayers, Hannes Wader, The Who, Soul, Reggae und viel Velvet Underground hörten, beschlossen „die deutschen Yes“ zu werden, als sie schließlich merkten „Wir sind der Mann“. Mit Yes wurde die Latte vielleicht etwas hoch gehängt, aber zumindest Künstler wie Peter Maffay, Pur, Grönemeyer und lieb gewonnene Diskurs-Popper wie Die Sterne oder Die Türen müssen sich jetzt ganz warm anziehen, denn Wir sind der Mann schütteln nicht nur zwölf perfekte Popsongs aus dem Ärmel, sondern können auch noch textlich die ganze Klaviatur zwischen Philosophie und Klamauk zu bedienen, wenn sie die bohrenden Fragen der Gegenwart zumindest schon mal formulieren: „Wo fängt Mann an?“ Und: the first appearence of the „Reformhaus“ in German Popmusic is now! „Freudenhaus des Stuhlgangs“. Wenn das nichts ist, dann weiß ich auch nicht.
2015 17 Jan
Ich wär so gerne Timo Beil …
Ulrich Kriest | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
Gestern Nacht. Baden-Baden. Hotel. Als Absacker eine Folge „Inas Nacht“. Wiederholung? Zu Gast: eine Tagesschausprecherin mit forciert ausgestelltem Migrationshintergrund, die einen auf dicke Hose macht. Mädelsabend! Seit wann qualifiziert eigentlich das Verlesen von Nachrichten unter Zuhilfenahme technischer Geräte sich nach Mitternacht im Geronto-TV als Popstar zu gerieren? Diese Frage geht auch an dich, Judith Rakers. Beste Frage aus dem Publikum, gestern: Was muss man eigentlich können, um Nachrichtensprecherin zu werden? Gilt natürlich auch für Nachrichtensprecher, Jens!
Gestern Abend, Festspielhaus Baden-Baden. Nils Landgren und Michael Wollny haben sich ein paar Gäste eingeladen: Eva Kruse und Wolfgang Haffner, dazu als „special guest“: Katja Riemann. „ACT“-Business as usual? Nö. Landgren eröffnet den Abend mit Lennons „Imagine“, später im Programm „Fragile“ von Sting, zum Finale dann aus gegebenem Anlass der „Kanonensong“ von Brecht / Weill, der trotzdem nicht so recht passend erscheint. Kitsch? Zu billig? Ich mag keinen der Songs, aber mir gefällt an diesem Abend das konsequente Insistieren von Landgren, der sich nicht zu schade ist, hier ein „Trotz alledem“ seiner Kunst zu formulieren, das recht authentisch rüberkommt. Er bringt die passende Saite zum Klingen, tatsächlich. Er rührt. Um das Mindeste zu sagen. Zwischenzeitlich liefern die fünf Musiker brillantes Jazz-Entertainment auf hohem Niveau ab, inklusive einer feinen Version von James Taylors „Don´t let me be lonely tonite“.
Lee Scratch Perry & Friends: Open the Gate
The Congos: Heart of the Congos
Burning Speer: Marcus Garvey / Garvey´s Ghost
Prince Far I: Cry Tuff Encounter, Chapter 3
Ras Michael & The Sons of Negus: Peace & Love / Nyahbinghi
African Headcharge: My Life In A Hole In The Ground
Keith Hudson: Flesh of my Skin, Blood of my Blood
Creation Dub (Wackies)
Bim Sherman: Miracle
Fellow Travellers: Just A Visitor
Big Youth: Screaming Target
Linton Kwesi Johnson: Forces of Victory
Rhythm & Sound: s/t
Ihre erste Single wurde von Jagger/Richards komponiert. Andrew Loog Oldham wollte, dass sie, blutjung, die notorisch unzuverlässige Marianne Faithful beim „Immediate“-Label ersetzt. Es wurden weitere Songs und Demos produziert, die aber unveröffentlicht blieben. Schließlich kaufte sie sich Pferd und Kutsche und machte sich auf in Richtung Neue Hebriden, wo Donovan eine Künstlerkolonie gründen wollte. Als sie dort eintraf, war Donovan schon wieder fort. Aber sie hatte jetzt genug Songs im Gepäck, um mit Joe Boyd und Musikern der Incredible String Band „Just Another Diamond Day“ einzuspielen. Ein Flop? Ein gut gehütetes Geheimnis? Ein obskurer Klassiker mit Langzeitwirkung? 2000 wiederveröffentlicht, wurde es zur Inspiration von u.a. Joanna Newsom oder Devendra Banhart. 2005 überraschte „Prospekt Hummer“, eine Kooperation mit den Jungs von Animal Collective. Jetzt galt sie als die „Grandmother of Freak Folk“, obschon sie stets daran festhielt, als Pop-Musikerin wahrgenommen werden zu wollen. 35 Jahre nach dem Debütalbum folgte „Lookaftering“ mit 35 Minuten Musik und Gästen wie Newsom, Banhart oder Max Richter. Tolles Timing, denn zum zweiten Mal in ihrem Leben war sie Teil einer künstlerisch produktiven und angesagten Hippie-Szene. Die Songs der frühen sechziger Jahre wurden dann noch nachgereicht; tolle Geschichten ausgegraben und erzählt; Konzerte folgten. 2008 erzählte sie, dass sie gerade an einem neuen Album arbeite. Dann wurde es wieder still. Im Oktober 2014 veröffentlichte Vashti Bunyan, die irgendwann 2015 70 werden wird, ihr drittes und sehr wahrscheinlich letztes Album: „Heartleap“, diesmal einfach nur so, fast business as usual und leider auch nicht sonderlich beachtet. Weitere 35 Minuten fragiler kammermusikalischer Preziosen mit Streichern, Flöten, Klavier, Gitarren und etwas Elektronik. Zwei Singles und drei Alben in 50 Jahren, dazu ein paar Gastauftritte bei Piano Magic, Devendra Banhart und Vetiver. Und ein paar Kinder und Enkel. Ein Leben. „Every day is every day / One foot in front of the other / Learn to fall with the grace of it all / As stones skip across the water.“