Das Jahr 2023 war spannend und es ist viel passiert. Nicht nur hier auf dem Blog, sondern auch in der Kulturwelt. Es entstanden viele wunderbare und innovative Klänge und Ideen, so dass ich hier nur eine kleine, sehr subjektive Auswahl präsentieren will, von denen aber jedes Album, jedes Buch eine besondere Rolle für mich gespielt hat. Besonders berührt hat mich Ryuichi Sakamoto’s 12 als letzte Skizzen, die doch so vollendet erscheinen, vor seinem Ableben. Immer wieder habe ich über ihn geschrieben und er war musikalisch ein wichtiger Begleiter über wenigstens vier Jahrzehnte. Seine Musik hat mir das Tor zur japanischen Pop- und Ambientmusik mehr geöffnet als jeder andere japanische Musiker.
Von meiner Bestenliste will ich drei Alben noch einmal besonders hervorheben: Da ist einmal die englische Percussionistin Bex Burch, die mit ihrem überwiegend in Chicago eingespielten Debütalbum ein beeindruckendes und sensibles, tiefgründiges Werk vorlegt. Dann ist da Volker Bertelmann a.k.a. Hauschka, der mit Philantropy seinen schon auf früheren Alben eingeschlagenen Weg in der Arbeit mit präparierten Konzertflügeln eine höchst eigenwillige Musik zu kreieren konsequent fortsetzt. Man hört hier die jahrelange Erfahrung in der Produktion von Filmmusik, für die er ja auch 2022 einen Oskar (Im Westen nichts Neues) erhielt. Seine Klangräume sind bilderzeugender, intensiver, cineastischer, ohne dass die Musik in Eigenwilligkeit und Originalität auch nur die geringsten Abstriche zeigen würde. Wunderbar. Und schließlich gibt es eine Reunion (ich stehe Wiedervereinigungen alter Bands gerne skeptisch gegenüber, weil das Reproduktionsbedürfnis hinsichtlich des alten Oeuvres meist verstörend hoch und die innovative Qualität oft eher bescheiden ist) der Krautrockband Agitation Free, die sich nur mit einem neuen Bassisten und sonst in alter Besetzung, neu erfinden und Raum für die zwischenzeitlichen musikalischen Entwicklungen der einzelnen Bandmitglieder gibt. Ein überraschendes, komplexes und vielschichtiges Album im Flow des Augenblicks – Momentum.
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- Ryuichi Sakamoto – 12
- Biosphere – Inland Delta
- Brian Eno – Top Boy
- Bex Burch – There’s Only Love And Fear
- Midori Takada & SHHE – MSCTY V&A Dundee
- Hans Joachim Roedelius/Arnold Kasar – Zensibility
- Vince Clarke – Songs Of Silence
- Hauschka – Philantrophy
- Agitation Free – Momentum
- Fabio Anile/Stephan Thelen – Music For Piano And Strings
- Kayhan Kalhor/Toumani Diabate – The Sky Is The Same Colour Everywhere
- Ami Dang – The Living World’s Demands
- Eivind Aarset & Jan Bang – Last Two Inches Of Sky
- The Gurdjieff Ensemble, Levon Eskenian – Zartir
- Fred Again.. & Brian Eno – Secret Life
- Sonar – Three Movements
- The Pitch & Jules Reidy – Neutral Star
- African Head Charge – A Trip To Bolgatanga
- Raz O’Hara – Tyrants
- Nils Økland/Sigbjørn Apeland – Glimmer
- Craven Faults – Standers
- Sebastian Rochford/Kit Downes – A Short Diary
- Alva Noto – Kinder Der Sonne
- Kai Schumacher – Tranceformer
- Ensemble 0 – Jojoni (Made To Measure, Vol. 49)
- Laurel Halo – Atlas
- John Cale – Mercy
- Peter Kruder/Roberto Di Gioia – “- – – – – – – – – -“
- Penguin Cafe – Rain Before Seven…
- Trees Speak – Mind Maze
- Grandbrothers – Late Reflections
- Eraldo Bernocchi/Hoshiko Yamane – Sabi
- Lol Tolhurst/Budgie/Jacknife Lee – Los Angeles
Dieses Mal muss es aber noch einen Unterpunkt zu meiner Best-Of-Music-Liste geben: Female Voices. Einige bemerkenswerte Alben mit sehr unterschiedlichen weiblichen Stimmen off the beaten Track … von sehr leise und intim über die wunderbare reife Stimme von Dorothy Moskowitz bis hin zu exzentrischen, sehr verwaschenen und unter die Haut gehenden Alben. Und über das Erste wurde hier schon zurecht ziemlich viel geschrieben …
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- Arooj Aftab, Vijay Iyer, Shazad Ismaily – Love In Exile
- Dorothy Moskowitz & United States Of Alchemy – Under An Endless Sky
- Yara Asmar – Synth Waltzes And Accordion Laments
- Marta & Tricky – When It’s Going Wrong
- Niecy Blues – Exit Simulation
- Lucinda Chua – YIAN
- Youmna Saba – Wishah
- Kate NV – WOW
Bei den Reissues machen die Japaner einmal wieder das Rennen, allen voran das Ambient-Album Surround von Hiroshi Yoshimura, der in seinen Liner-Notes vorschlägt, man solle es hören wie Luft, die uns umgibt, in die man eintauchen kann, irgendwo zwischen Klang und Musik, irgendwo zwischen den Geräuschen von Schritten, einer Klimaanlage und dem Klappern eines Teelöffels in einer Tasse. Nur unendlich viel schöner. Und dann mal wieder Ryuichi Sakamoto mit Ongaku Zukan, der Musikenzyklopädie, die als Illustrated Musical Encyclopedia hier im Westen 1984 erstmalig veröffentlicht wurde, damals noch mit einigen anderen Stücken wie Field Works mit Thomas Dolby. Immer noch ein Meilenstein.
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- Hiroshi Yoshimura – Surround
- Ryuichi Sakamoto – Ongaku Zukan
- David Sylvian – Do You Know Me Now?
- Satsuki Shibano – Wave Notation 3: Erik Satie 1984
- Don Cherry, Dewey Redman, Charlie Haden, Ed Blackwell – Old And New Dreams
- Nana Vasconcelos – Saudades
- Soft Cell – Non-Stop Erotic Cabaret
- Tricky – Maxinquaye (Reincarnated)
- Pauline Anna Strom – Echoes, Spaces, Lines
Schließlich bleibt die Liste meines bevorzugten Lesestoffs im letzten Jahr, wobei ich Metzingers Bewusstseinskultur auch nach kontroverser Diskussion hier auf dem Blog für die wichtigste und bedeutendste Veröffentlichung halte. Doch auch alle anderen Titel berühren Punkte in der öffentlichen und kulturellen Diskussion, die drängend und zum Wohle aller noch möglichst ausgiebig durchdacht und diskutiert werden wollen.
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- Thomas Metzinger – Bewusstseinskultur
- Kohei Saito – Systemsturz
- Manfred Spitzer – Künstliche Intelligenz
- Gregor Hasler – Higher Self
- Thomas Metzinger – Der Elefant und die Blinden
- Helena Barop – Der grosse Rausch
- Lisa Feldman Barrett – Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn
- Markus Rüther – Sinn im Leben