Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Ich sprang noch schnell zu „Insch“ rein, um mir ein Buch für den Rückflug zu besorgen. „Insch“ nennen liebevoll literaturbegeisterte Italiener Inge Feltrinelli, die den großen Buchverlag nach dem mysteriösen Tod ihres Mannes Gian Feltrinelli übernommen hatte. Es gab in der Auslage nur drei deutsche Bücher. Ich griff in der Eile nach dem mir nichtssagenden Taschenbuch Orchis von Verena Stauffer. Was für ein Kunstgriff! Selten hat mich ein Roman so nachhaltig inspiriert. Hier die Geschichte: ein leidenschaftlicher Orchideenforscher fährt nach Madagaskar, um die seltene Orchideenart „Sobraliae“ zu finden. Er will sie mit in seine Heimat nehmen, um sie genauer zu studieren. Er ist überglücklich, als er sie findet und verfällt dem Wahnsinn, als er sie auf der stürmischen Rückreise im Meer versinken sieht. Seine Eltern bringen ihn in eine Psychiatrie, wo er sich nach einiger Zeit erholen kann. Wieder hört er von einer seltenen Orchideenart. Dieses Mal ist es der „Chinesische Frauenschuh“. Er bricht sofort nach China auf …

 

 

Of war and peace the truth just twists …

there are no truths outside the Gates of Eden

 

Ich nahm den frühen Flieger, um einer der ersten Besucher im botanischen Garten von Puerto de la Cruz zu sein.  Die Anlage eines botanischen Gartens auf Teneriffa ist ein sehr glücklicher Gedanke. Alexander von Humboldt hatte diesen besonderen Garten bereits Ende des 18. Jahrhunderts besucht. Er beschreibt die Vielfalt der Gewächse und die Gefahren, welche die Pflanzen auf ihrer Reise durch die salzhaltige Meerluft ausgesetzt waren und oft zu Grunde gingen. In diesem botanischen Garten konnten sie sich aufgrund von guter Pflege und geeignetem Klima oftmals erholen. Die riesigen Feigenbäume machten mich schwindelig. Meine bescheidene iPhone Kamera konnte sie nicht ganz ablichten. Auch das irritierende Wurzelwerk  konnte ich nicht einfangen. Wurzeln schienen von überall herauszuwachsen. Mich begeistern immer wieder kleine Wunder der Natur, die man auch anfassen kann. In dem Gelände entdeckte ich eine Pflanze, deren Blätter sich sofort einrollten, als ich sie berührte.

 
 


 
 
 

 
 

Ich hatte also einen Vormittag in Ataraxie verbracht. Vollkommen abgelenkt von den Ereignissen in der Welt. In dem Buch Lob der Erde: Eine Reise in den Garten gibt Byung-Chul Han anschauliche Anleitungen, wie er in seinem Berliner Garten wieder die Stille und Schönheit der Natur entdeckt und bestaunen lernt.

„Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du!“
(Gustav Mahler, Die Zweite Sinfonie)

Matthias Grünewald, Isenheimer Altar

Retten wir uns in die Kunst oder lassen wir uns von der Kunst retten.

 

Thomas Rosenlöcher bin ich in meinen Dresdner Jahren öfter begegnet. Einmal stand er über mir auf einem Podest und schrie seine Wut über das Vorhaben, eine Betonbrücke über die Elbe zu bauen, heraus. Nun ist dieser heitere, spöttische, Heimatverliebte seit 17 Stunden tot und es bräuchte 70 Jahre, um hier Jochen nicht in Schweißausbrüche zu versetzen, weil ich Gedichte von ihm hochlade. Seine Gedichte sind alle schön zu lesen. Sie haben einen Schalk mit Romanze und ein Rumpelstilzchen, das einfach seine Natur kennt, weil es ja lange genug auf einem Bein stand. Die Elbe ist mein Lieblingsfluss. Sie fließt in weichweitem Bogen durch die Auen und lässt immer einen Blick frei auf das schöne Dresden. Auch ich demonstrierte gegen die Waldschlößchenbrücke, die ja leider gebaut wurde. Kleinzschachwitz kommt immer wieder in den Gedichten von Thomas Rosenlöcher vor. Es war auch für mich ein Fahrradziel, weil der Weg an der Elbe entlangführt, vorbei an den in Weinbergen gebetteten Dresdner Schlössern bis nach Pillnitz, das sein Schloss auf der gegenüberliegenden von Kleinzschachwitz präsentiert. Dort hatte Rosenlöcher gelebt und geschrieben. Er hat es so viel besser gekonnt als Uwe Tellkamp („Der Turm“) oder Durs Grünbein, dessen Vorlesungen ich an der Kunstakademie in Düsseldorf hören konnte. Beide haben sich nicht so stark mit Dresden identifiziert, kamen deswegen in wogenden Gewässern, siehe Flüchtlingsdebatte 2015, ins Strudeln. Zum Abschied meiner drei Arbeitsjahre schenkte mir das ostdeutsche Kollegium einen Gedichtband von Thomas Rosenlöcher. Eins der Dinge, die im Möbellager in Düsseldorf auf mich wartet.

 
 

2022 9 Apr.

I am. A Magma Bici.

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Nach drei langen Jahren des Wartens durften heute die Magma Bikes auf die Wege. Bereits im Februar war die Anmeldung für diese Rallye auf El Hierro. Innerhalb von fünf Minuten waren alle Plätze ausverkauft. Man konnte wählen zwischen einer Strecke von 55 km oder 40km. Insgesamt 450 Mountainbiker rollten bei perfektem Fahrradwetter über die einmalig schöne Insel mit den 1000 Vulkanen. Die Marathonroute verläuft über ausgesuchte Strecken, die den Bikern die Vielfalt der wunderschönen Insel zeigen soll. Es ging vom 1300m hohen Malpaso durch die dichten Lorbeerwälder und den verzaubernden Märchenwald, hinunter durch den lichten Pinienwald, über die jetzt farbigen, blühenden Wiesen, über die schwarzen Lavafelder bis zum Hafenort La Restinga, wo ich wohne. Diese Rallye ist sehr beliebt, auch aus Südamerika reisen die Liebhaber des eleganten, schnellen, leichten Mountainbikes an. Das feingeschnittene Gestell hat seinen Preis: von 4000 Euro an aufwärts. Aber jeder Fahrradfahrer weiß, die Freiheit im Sattel ist unbezahlbar.

 
 

La Restinga

2022 2 Apr.

Poems for Travellers

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When you set out for Ithaka
ask that your way be long,
full of adventure, full of instruction …

 

Auf meiner Reise nach Italien hatte ich nur ein kleines, feines Büchlein im Gepäck. „Poems for Travellers“, herausgegeben von Paul Theroux in der Reihe der Macmillan Collector‘s Library.

 
 

 
 

Das Buch hat mich sehr inspiriert, erfreut und zu nachdenklichen Strandgängen bewogen. Weil ich zwischen zwei Fraueninseln reiste, entschied ich mich, hier einige Dichterinnen vorzustellen.  Auf El Hierro und auf Procida leben starke Frauen, die ihr Leben allein meistern mussten, als ihre Männer nach Kuba, Venezuela, Argentinien oder Nordamerika auswanderten. Viele Männer haben neue Familien in der Fremde gegründet und jeglichen Kontakt zu den Familien daheim abgebrochen. Selten haben die Zurückgelassenen sich neu vermählt. Sie hatten sich mit ihrem Schicksal arrangiert.

 
 

The Unexplorer

 

There was a road ran past our  house
Too lovely to explore.
I asked my mother once – she said
That If you followed  where it led
It brought you to the milkman‘s door.
(That‘s why I have not traveled  more).

 

von Edna St. Vincent Millay (1892-1950)

 
 

The Taxi

 

When I am away from you
The world beats dead
Like a stackened drum
I call out for you against the jutted stars
And shout into the ridges of the wind.
Streets coming fast;
One after the other;
Wedge you away from me;
And the lamps of the city prick my eyes
So that I can no longer  see your face
Why should I leave you;
To wound myself upon the sharp edges of the night?

 

Von Amy Lowell (1874-1925)

 
 

Up-Hill

 

Does the road wind up-hill all the way?
Yes, to the very end
Will the day‘s journey take the whole long  day
From morn to night, my friend
But is there for the night a resting -place ?
A roof for when the slow, dark hours begin,
May not the darkness hide ist from my face?
You cannot miss that inn
Shall I meet other wayfarers at night?
Those who have gone before ..
Then must I knock, or call when just in sight ?
They will not keep you waiting at that door
Shall I find comfort, travel-sore and weak?
Of labour you shall find the sum .
Will there be beds for me and all who seek?
Yes, beds for all who come

 

von Christina Rossetti (1830-1894)

 
 

If once You Have Slept on an Island

 

If once you have slept on an island
You‘ll never be quite the same
You may look as you looked  the day before
And go by the same old name,

You may  bustle about in street  and shop ,
You may sit at home and sew,
But you‘ll see blue water and wheeling gulls
Whereever your feet may go .

You may chat  with the neighbors of this and that
And close to your fire keep
But you‘ll hear ship whistle and lighthouse bell
And tides beat through your sleep.

Oh, you won‘t know why, and you can‘t say how
Such change upon you came,
But – once you have slept on an island
You‘ll never be quite the same!

 

von Rachel Field (1894-1942)

 
 

Come, my friends,
‚Tis not too late to seek a newer world.

 

2022 18 März

Im Eldorado

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Sie klingen wie Musik und schmecken nach Schlaraffenland: Lumaconi, Trofie Liguri, Paccheri, Candele, Orcchiette, Casarecce. Die Pastalandschaft in den hiesigen Supermärkten ist überbordend. Und doch sind das nur Nudeln. Es sind die Saucen, die die Pastawahl bestimmen. Hier zwei Rezepte von der Insel, wo Graziella einst kochte:

Orecchiette rucola  e patata

orecchiette di semola 500gr, patate 259gr, rucola 2 fascetti,pomodori San Marzano 750gr, oliv 2dl, alio, basilico, sale, parmigiano a piacere.

Conchiglione con funghi

conchiglione 500gr, funghi 1kg, besciamella 750gr, porschiutto cotto a dadini 200gr, parmigiano grattugiato 150gr, olio, prezzemolo.
infornali a 200 • a 15 min

 

 

 

 

In dieser schönen Villa, ehemals Pension „Eldorado“, lebte die Schriftstellerin Elsa Morante, zeitweise auch ihr Ehemann Alberto Moravia. Ob es ein Ort des geistigen Austausches war, wird nicht berichtet. „Arturo“ ist Morante‘s berühmtes Werk, das sie hier auf und über Procida schrieb. Bei dem wunderbaren Wagenbach Verlag erschien es auf Deutsch.

Procida ist eine Insel, die ähnlich wie Sils Maria, Intellektuelle anzieht. Sloterdijk, Boris Groys, Agamben, Werner Herzog, Hans Jürgen Syberberg, Enrico Morricone, Daniel Buren und viele Andere trafen sich hier, um entweder an dem jährlich stattfindenden Filmfest teilzunehmen oder an dem Literatentreffen „Procida racconta“.

 

 

 

 

Procida ist von großer Schönheit. Die vielen versteckten Gärten lassen sich nur von den großen, überhängenden Zitronen erahnen.

Hier ein Rezept für einen Limoncello:

Limoncello

alcool puro  litri 1, limoni semiacerbi non trattati 7, acqua 7 dl, zucchero 700gr.

Preparazione: tagliare le bucce dei limoni facendo attenzione a climinare la parte bianca, metterle, chiuse ermeticamente, in un contenitore Di vetro, in infusione nell‘ alcool per 7 giorni in in luogo buio. Trascorso questo periodo far bollire acqua e zucchero per circa 10•/Grad, lasciare raffreddare lo sciroppo cosi ottenuto, unire le bucce di Limone e l ‚ alcool, filtrare e imbottigliare. Vi consigliamo di far riposare Il liquore per 30 giorni.

2022 13 März

Procida Ispira

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Procida

 

Baja sperduta, non più di venti barche a vela.

Reti, parenti del lenzuoli, stese ad asciudare.

Tramento. I vecchi guardano la partita al bar.

La cala azzurra prova a farsi turchina.

Joseph Brodsky

 


 
 

Procida ist die Nachbarinsel von Capri. Sie wurde zur italienischen Kulturhauptstadt 2022 ausgewählt. Deswegen bin ich hier. Leider habe ich bisher noch keine Kultur entdeckt. Ich ging ins Rathaus, um nachzufragen. Kopfschütteln allerseits. Aber Elsa Morante, sie habe doch hier gelebt, wo eigentlich genau. Meine Frage war der Türöffner. Sie brachten Materialien, einen Stadtplan und markierten Elsa‘s Haus darauf. War Pasolini auch mal auf Procida, vielleicht bei ihr auf Besuch, sie waren ja Freunde. Si, si, no mai. Ist Pasolini noch interessant, frage ich den Kulturbeauftragten mit weißem Seidenschal. No, no. Aber ich habe im Tabakladen ein neu herausgegebenes Buch, eine Graphic Novel, über ihn gesehen. Si, no lo so, ma, ok. bene …

„Wer einmal sein Brot mit Tränen aß“ (ital. Accattone) ist mein meistgesehener Pasolini Film. Ich war damals von der Dichte der Realtätsbilder hingerissen. Pasolini hatte in einem Armenviertel von Rom mit Laiendarstellern gefilmt. Er wollte stets die Armut zum intellektuellen Thema erheben, nicht nur in seinen Filmen, auch in seinen Gedichten und Schriften (Freibeuter).

Wenn ich die vielen E-Fatbikes hier durch die engen Straßen fahren sehe, denke ich an seinen Angriff auf den Konsum, der nur zur Verblödung führe. Die beneidenswerten Besitzer einer Vespa haben sich ein Maradona-Konterfei auf ihr Schmuckstück geklebt. Pasolini war selbst aktiver Fußballer. Er trug die Nummer 11. Miroslav Klose trug die, und Timo Werner wird sie tragen. Für ihn war Fußball die einzige universelle Sprache. Ob Milo Rau auch Fußball spielt? Ich weiß es nicht. Ich würde Milo Rau als ebenbürtigen Nachfolger von Pier Paolo Pasolini durchgehen lassen. In seinem sehenswerten Film „Das Neue Evangelium“ lässt er einen Afrikaner den Jesus spielen. Einige der Schauspieler sind aus der Pasolini Crew entliehen. Die meisten Akteure sind jedoch Laiendarsteller. Das hätte Pasolini gefallen. Auch er stellte die unverbrauchten Gesichter vor die Kamera. Warum musste er so grausam sterben? Am 5.3. wäre er 100 Jahre alt geworden  

 

2022 1 März

Carnevale in Napoli

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Heute wurde auf den Straßen in Neapel Karneval gefeiert. Es gab viele Umzüge, hauptsächlich war ihr Thema: „Schützt unsere Natur und Umwelt“. Es flog viel Konfetti durch die Luft, die Familien gingen traditionell neapolitanische Lasagne essen. Für mich war das lebhafte Treiben ungewohnt. Ich wusste, dass bei uns der Karneval abgesagt war, dann fand ich aber Verständnis für den Gang des normalen Alltags. Überall stehen Plakate mit der Aufschrift „Stop Putin Stop NATO“. Ich denke nur die Russen selbst können Putin stoppen. Und natürlich der zugedrehte Geldhahn.

 

„You play with my world.“

(Masters of War / Bob Dylan)

 

Wer sich tiefer mit dem Thema „Russland und der Westen“ beschäftigen möchte, dem empfehle ich das Buch Die Erfindung Russlands von Boris Groys, erschienen im Hanser Literaturverlag. Groys ist ein russisch-deutscher Philosoph, der lange mit Sloterdijk am ZKM gelehrt hat.

Im Winter ist es ein alter russischer Brauch, ein Eisbad zu nehmen, um gereinigt das neue Jahr zu beginnen. Mir hat eine Georgierin erzählt, dass eine junge russische Mutter bei Petersburg in ein Eisloch gesprungen sei und den Weg zurück nicht mehr gefunden hätte. Man fand sie tot – 1 km entfernt vom Einstieg. Auch Putin nimmt jährlich ein Eisbad. Er hat bisher überlebt. Die russische Band AIGEL hat zu diesem Thema einen Clip gemacht, der mehrfach ausgezeichnet wurde. Der Song darin  heißt sinnigerweise „You‘re Born“. Bitte schaut das beeindruckende Video an.

Musik aus einer völlig anderen Gegend, und es ist doch die Nachbarwelt, bringt die ukrainische Gruppe DakhaBrakha, sie verknüpft Tradition und Gegenwart. Die jüngsten Ereignisse bezeugen die großen kulturellen Unterschiede in der Ukraine, einem Land, in dem sehr unterschiedliche Traditionen aufeinander treffen. Die Band DAKHABRAKHA verschmilzt traditionelle Klänge mit neuer Musik in einen hypnotisierenden Mix. Mit einer bilderreichen und hypnotisierenden Musik erweckt das Quartett ein Echo der traditionellen Volksmusik ihrer Heimat, transponiert ins Hier und Jetzt.

 

 

DakhaBrakha sind ein unbeschreibliches Quartett aus Kiew, das seine Musik als Ethno-Chaos bezeichnet. Ihr Konzept: ukrainische und andere Volksmusik vor Ort aufnehmen, verarbeiten, mit anderen musikalischen Einflüssen verbinden und das Produkt dann den Menschen vor Ort wieder zurück geben: “Geben und Nehmen” nennen sie das und das ist auch die Übersetzung ihres Band-Namens: DakhaBrakha. In diesem Video sind sie – während ihrer Tournee durch die USA – auf einem der wunderbaren Tiny Desk Konzerte zu hören.

Zum Schluss möchte ich „You Can Close Your Eyes“ von James Taylor empfehlen, in der Studioversion oder live at BBC. Es ist eins der trostvollsten Songs in der Popgeschichte.

 


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