Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2018 4 Dez.

Vilde&Inga

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Gestern Abend traten zwei junge Norwegerinnen in der Filmwerkstatt in Düsseldorf auf. Sie waren im Rahmen der „Soundtrips NRW'“eingeladen, ein mittlerweile qualitativ hochwertiges Konzertforum.

Vilde und Inga spielen gerne mit anderen Musikern zusammen, zuhause in Oslo z.B. mit Sidsel Endresen, hier im zweiten Teil mit L. Heinz an der elektrischen Gitarre und mit der exzellenten Geigerin Gunda Gottschalk.

ECM hat sie bereits mit ihrer Cd Makrofauna bekannt gemacht, Diedrich Diederichsen ist ihnen auf dem Osloer ULTIMA FESTIVAL begegnet.

In einem kleinen Kinosaal vor 9 Zuhörern zu spielen, hebt sicherlich nicht die Stimmung. Trotzdem war den beiden die Freude am Improvisieren anzusehen. Vilde holte wirklich alles aus ihrem Klangkörper heraus, improvisierte auf Geigenteufel komm raus. Sie zauberte kratzige, reibeisenartige Töne hervor. Inga, über ihr großes Instrument gebeugt, startete mit tiefen, ruhigen Tönen, als ob sie die hektischen Schrillereien der Violine einfangen wollte, um eine harmonischere Komposition hinzukriegen. Sie schaffte es fast, Inga strich dann etwas sanfter über das Geigenkastenholz. Ein paar trotzige Woody Woodpecker Klopfgeräusche noch und dann wurde es ganz still.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Laurie Anderson, die auch in Oslo auf dem Festival auftrat, nach so einer Stille die Anwesenden zu einem kollektiven Urschrei gegen Trump und Erderwärmung aufforderte. Sie soll diese Idee umgesetzt haben, so steht es im vorletzten SPEX.

 

2018 30 Nov.

My Jeffness

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Heute kam Warm von Jeff Tweedy heraus. Auf Michaels Bestenliste steht sie schon auf Platz 17. Ich hörte mir heute auf Youtube die neuen Stücke an. Jeffs Stimme ist unverändert warm and tender und wer nicht wie ich an Songs wie „Sunken Treasure“ oder „Remember the Mountain Bed“ klebt, der wird bei den neuen Songs „I know what’s like“ oder „Let’s go rain“ ganz schnell wach. Da gibt es stille bridges, da schwingt eine Aufforderung mit, Antworten auf Fragen zu finden. „How will I find you?“
 
 

How will I find you

I don’t know

You will know

 
 
Jeff hat ein großes Talent, sofort das Publikum zu gewinnen. Unvergesslich als er in einer nüchternen Hotelhalle in Düsseldorf ein Konzert mit WILCO gab, sich umschaute und zu uns meinte, er könne hier besser einen Vortrag halten. Wir hatten verstanden und sprangen von unseren Stühlen.

Für weichere Gemüter, die z.B. eine Lektüre des Harald Welzer Buches Die smarte Diktatur nicht so gut wegstecken können, wäre es vielleicht ratsam, sich die neuen Songs mal anzuhören. Nietzsche: „Wir haben die Kunst, damit wir an der Wahrheit nicht zugrunde gehen.“ – Jeff sagt und singt es ähnlich.
 
 

Music is my savior

I was maimed by rock and roll

I was tamed by rock and roll

I got my name from rock and roll

 
 
Würde ich meine o.g. Lieblingssongs mit den neuen auf Warm synthetisch in Verbindung bringen, dann wäre es „Remember the Mountain Bed“ mit dem wärmenden „The Red Brick“ im Herbstlaub.

2018 27 Nov.

Das Flüchtlingsmädchen auf Lampedusa

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Sie saß ganz vorne am Bug. Ich sah sie sofort. Sie hatte eine rote Blume im Haar. Wie hatte sie diese Blume übers Fluchtmeer retten können? Ich stand am Strand und wartete, bis wir das Signal bekamen, die Flüchtlinge aus dem Boot zu heben. Es waren ungefähr 200 Flüchtlinge an Bord. Schwer zu sagen, woher sie kamen. Jedenfalls aus Ländern mit einer großen Sonne. Warum verließen sie alles, um hier mit nichts zu stranden?

Ich hörte das Signal: „Avanti!“ Ich begann durch das Wasser zu waten, direkt auf das kleine Mädchen zu. Ich wollte es zuerst an Land bringen. Ich hob das Nochkind vorsichtig vom Boot und trug es an Land. Es sagte nichts, es blickte geradeaus. Ich stellte es an den Strand und kümmerte mich um die anderen Flüchtlinge. Sie sahen verängstigt aus. Keiner sprach. Sie ließen sich wie Lemminge an Land bringen und saßen dann regungslos im warmen Sand.

Seltsam, ich sah das Mädchen nicht mehr. Die Blume lag am Ufer. Ich ging hin und hob sie auf. Sie war aus Plastik. Ich steckte sie in meine Jackentasche.

Zunächst vergaß ich das Mädchen. Ich ging ins Dorf und setzte mich auf eine Bank auf der Piazza. Kleine Jungs kamen zu mir und scherzten mit mir. Ich war erschöpft. Ich hatte mindestens 30 Menschen an Land getragen. Meine Arme schmerzten. Müde kickte ich den Ball, den mir die Jungs zuspielten zurück. Ich dachte an nichts. Das wars wohl für heute. Morgen würde wieder eine Menschenladung ankommen, da hieß es sich ausruhen und Kräfte sammeln.

Ich ging zu meiner Unterkunft. Es war ein scheunenartiges Haus oder eher eine Abstellkammer für Mehl. Überall liefen Mäuse hin und her. Trotzdem waren die Mehlsäcke dicht. Ich hasste diese Unterkunft. In der Mitte lag meine Matratze, auf der ich mehr wachte als schlief. Ich fürchtete mich vor Ratten. Ein Dörfler hatte mir dieses Lager überlassen. Er sagte, er zöge jetzt zu seinen Kindern, ich könnte sein Eigentum haben. Ich konnte mich nicht so richtig über seine Großzügigkeit freuen. Ich war solche Herzlichkeit nicht gewohnt. Was konnte ich ihm dafür geben? Trotzdem war ich zufrieden, dass ich für mich sein konnte.

Wenn ich an das viehische Zusammengedränge der Boatpeople dachte, war ich in bevorzugter Lage. Ich versuchte einzuschlafen. Es war eine ganze Weile still um mich herum, ich musste wohl eingeschlafen sein. Am Morgen schien die Sonne in mein Gesicht. Das Haus hatte keine Tür. Ich stand auf und ging in eine Bar auf einen Espresso. Die Leute erzählten sich, dass heute Nacht ein Mädchen ins Wasser gegangen sei und von einem Fischer zurückgebracht worden war. Ich fragte, wo das Mädchen jetzt sei, keiner wusste es.

Ich schlenderte durch den Ort, vorbei an der Grotte mit der Madonna und hoffte, dass ich herausfinden könnte, wo sich das Mädchen befindet. Dann kehrte ich um, ging gebückt in die Grotte, die Plastikblume fiel aus meiner Jackentasche. Ich legte sie vor die Madonna. Eigentlich war ich nicht gläubig.  Ich dachte und hoffte, dass das Mädchen vielleicht hierherkommen würde und die Blume mitnehmen könnte. Das wäre für mich der Beweis, dass es noch hier sei.

Ich hörte in der Ferne den Appell: „Avanti!“ Ich lief hinunter zum Strand und reihte mich in die Helferkolonne ein. Ich wusste, morgen würde mein Einsatz auf Lampedusa zu Ende sein. Sollte ich nach dem Mädchen suchen? Sollte ich es vergessen? Vergessen, nein, das ging nicht mehr. Ich entschloss mich, nach meiner Rettungsarbeit zuerst zum Flüchtlingslager zu gehen. Die Wärter am Zaun wollten mich nicht in das Camp lassen. Ich bestand darauf.

Ein unbeschreiblicher Anblick empfing mich: gedrungene schwarze Menschen saßen oder lagen wie leblos auf dem Boden. Ich ging zwischen und über sie hinweg. Ich spürte, wie sich das Suchen in mir zu einer Sehnsucht nach dem Mädchen verwandelte.

Dio mio, lass es mich finden! Ich suchte bis zur Dämmerung. Erfolglos. Am nächsten Morgen sollte ich das erste Schiff nach Agrigento nehmen. Ich hatte noch 8 Stunden Zeit.

Ich musste es finden. Ich suchte in der Grotte, ich suchte am Strand, ich suchte in den Thunfischfabriken. Ich fragte mich nach dem Fischer durch, der ein kleines Mädchen aus dem Wasser gerettet hatte. Ich beschrieb ihm die Kleine. Er schüttelte den Kopf: „Mi dispiace.“

Enttäuscht und traurig ging ich an Bord meines Schiffes. Ich ging an die Reling, um einen letzten Blick auf Lampedusa zu werfen. Unten am Ufer sah ich den Fischer stehen.

Ich hörte ihn singen …
 

Between the windows of the sea

Where lovely mermaids flow

And nobody has to think too much

About Desolation Row.

 

01. Joni Mitchell – Both sides now

02. Neil Young – Roxy tonite is the night

03. John Lennon -Julia 

04. Cat Power – Wanderer

05. Sly & Robbie meet Nils Petter Molvær – Nordub

06. Hilde Marie Holsen – Lazuli

07. Brian Eno – Installations

08. Muthspiel – Where the river goes

09. Trygve Seim – Helsinki songs

10. Mikko Innanen / Daniel Sommer – Duets

11. Art Ensemble of Chicago

12. Trilok Gurtu Solo

13. Peter Treichler –  Campane tibetane

14. Luigi Battisti –  Hegel

15. Nuova Campagna – Di Canto Popolare

16. Sergio Cammamiere – Mano Nella Mano

17. David Byrne – American Utopia

18. Funny van Dannen – Uruguay

19. Veli Kujala – Paganini Variationen

20. and forever Anton Bruckner Symphony Nr.9

 

2018 15 Nov.

Autumn

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The day becomes more solemn and serene

When noon is past; there is a harmony

In autumn, and a lustre in its sky,

Which through the summer is not heard or seen,

As if it could not be, as if it had not been!

Thus let thy power, which like the truth

Of nature on my passive youth

Descended, to my onward life supply

Its calm – to one who worships thee,

And every form containing thee,

Whom, spirit fair, thy spells did bind

To fear himself, and love all humankind.

 

 
 

 
 

2018 8 Nov.

Der Traum vom Leben

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In die späten, die kurzen,

immer kürzeren Jahre kommen,

da Gott sich zerstreut

in seine Dämonen, du kleben bleibst am

Gedanken,

dass praktisch alles, womit du so lebst,

Morgenbäume, geliebte Menschen, Bücher

und Abendfenster,

untergeht,

erwachst du im tiefen Schlaf

aus dem Traum vom Leben.

 

Erika Burkart

 

2018 6 Nov.

Oh Joni Blue

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We are only particles of change, I know

Orbiting around the sun

But how can I have that point of view

When I’m always bound and tied  

 
 

Ich hatte sie noch nicht entdeckt, ich hörte sie nur singen: „Oh I could drink a case of you, darling …“. Gleich würde sie vor mir stehen, die Lady of the Laurel Canyon. Ich lehnte oben am Hang gegen einen Nadelbaum und blickte hinab in die Horseshoebay.

Ich war mir nicht sicher, ob sie mit dieser Fähre kommen würde oder ob sie an Bord der anderen, der von Swartzbay auslaufenden, herüber nach Tsawassen fahrenden, war. Wir hatten nur den einen Tag für uns, und falls sie nicht den perfected Loop gewählt hatte, würden wir uns nie wieder in der Georgian Strait begegnen. Ich setzte also auf Nanaimo.

Und dann sah ich sie am Straßenrand stehen: lange blonde Haare, mittelgroß,  red velvet skirt. green silk shirt. black woolen hat. Die viel zu große Gitarre an den üppigeBusen  gelegt. Ihre poliokranke Hand musste geheilt sein, ich sah ihre Finger einwandfrei über die Strings gleiten.

Einige Passagiere kamen inzwischen schon die Gangway der Queen of Oakbay herunter,  aber sie war nicht dabei. „Blue, here is a song for you … you can make it through the waves …“. Offensichtlich war sie an dem Procedere für das Einchecken auf die BC Ferries gescheitert. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich ihr kein Online Ticket gekauft hatte. Ich wusste ja, dass sie keine Kreditkarte besaß. „Someone heard, she bought a one-way ticket and went west again.“

 
 
 

 
 
 

Jetzt erst erkannte ich ihre Gesichtszüge, My goodness, das war nicht Joni. I felt like „the old girl’s silent across the street. She’s silent, waiting for the wrecker’s beat. Silent, staring at her stolen name …“.

Ich setzte mich auf einen blanken Fels und sah meiner gebuchten Fähre nach. „Don’t interrupt the sorrow, I’m leaving on the 1:15.“ Ich hörte weltvergessen dieser jungen Joni zu. „I’ve looked at life from both sides now, from win and lose and still somehow , it’s life’s illusions I recall, I really  don’t know life at all.“ Ich schlug die Hände über meinem Gesicht zusammen. Sie sang mein Lieblingslied. Ich hatte Tränen in den Augen. Dann verschwand sie in einem Coffee shop.

Mit der nächsten Fähre setzte ich über nach Vancouver Island. Sie wusste,  dass ich nach Victoria wegen Alice Munroe wollte. Wir hatten uns abendelang ihre Erzählungen über Glück und Sehnsucht vorgelesen. Im Bus nach Victoria rief ich mir nochmal die Songs auf, die die junge Kanadierin gesungen hatte. „Blue“, „Borderline“, „Carey“, „Little Green“, „Both Sides Now“,  „Hejira“,  „Amelia“, „All I Want“, „Coyote“, „Sometimes I’m Happy“, „Furry sings the Blues“,  „Marie“, „The Circle Game“ …

Nach der Ankunft in Victoria ging ich direkt zu Munroe’s Buchladen. Eine Angestellte klärte mich dort auf: Alice hätte sich getrennt und würde deswegen erstmal nicht in ihren Laden kommen. „I am on a lonely road and I am traveling, looking for the key to set me free. All I want is make you feel free.“

Sie saß seitwärts in einem hellbraunen Ledersessel, einer klimtblauen Tiffanylampe zugewandt. Sie konnte mich nicht sehen. Sie war in den neuen Erzählband Ferne Verabredungen von Alice Munroe vertieft. „Oh Amelia it was just a false alarm.“ Ich trat hinaus auf die Straße. Eine grünlackierte Laterne leuchtete zum Mond hinauf. „Born with the moon in Cancer, choose her name, she will answer.“ Joni I love you.

„We can’t return, we can only look behind and go round and round and round in the circle game.“ Neil Young come on, play for Joni and me. „You can‘ t be twenty on sugarmountain.“ 

Badenweiler ist eins der Paradiese, das die Götter jedes Jahr im Oktober öffnen. Ich trat ein. Über dem großen Tor stand LITERATUR UND MYTHOS.

 
 

Raoul Schrott sah ich schon im Bühnenlicht als Safranski noch mit seiner Definition brillierte: Mythen sind Erkenntnismaschinen. 

 

Und dann begann der atemberaubende Parforce-Ritt des MythenSpezialisten Raoul Schrott. Wir sind nicht das, was wir haben, sondern das, was wir wissen. Hemdsärmelig sagte er das, die Bedeutung wird mir erst nach dem Vortrag bewusst. Er erzählte uns eine alte persische Geschichte von einem König, der drei unerfahrene Söhne hat und sie deswegen in die Welt schickt. Anhand von erstaunlichen, lustigen Schilderungen dieser Prinzen, die einem Hirten helfen, dessen Kamel entlaufen war, das Kamel zu orten, ohne es gesehen zu haben. Raoul erklärt uns, dass das Kamel das Virus ist, das durch die Jahrtausende immer wieder in Texten je nach Wirt, Zeit, Kultur und Kolorit verändert wird. Faszinierend wie er den Bogen spannt von dem persischen Dichter über Buddha, den christlichen Legenden, Turandot bis Edgar Allen Poe. Safranski strahlt am Ende des Vortrags siegesbewusst Das historische Wissen hat eine unglaubliche Aufklärungsmacht. Es ist der absolute Gegner des Fundalismus.

 
 

Film von Peter Hamm: Der schwermütige Spieler – Peter Handke – Ein Porträt. (90 Min. 2002)

 

Der sympathische, enge Freund von Handke war anwesend und zeigte den Film, den er vorwiegend in Chaville in Handke’s Haus aufgenommen hatte. Es gibt keine DVD. Handke Verehrer mussten also nach Badenweiler pilgern und viele Fans waren angereist, um diesen Film zu sehen. Freilich waren einige von ihnen bereits aus Griffen gekommen, wo es inzwischen auch ein Peter Handke Museum gibt.

Während des Films lief Beatles Musik, Paperback writer, Help … Es ist ein sinnlicher Genuß, Peter Handke beim Mäandrieren zuzusehen: er behauptet etwas, nimmt es zurück, lacht und kehrt zu seiner Erstmeinung zurück. Es geht in dem Film hauptsächlich über das epische Schreiben. Aber auch um die Illusionen, wie sie uns enttäuschen.

Es gibt ein Buch zu dem Film mit dem Titel  Es leben die Illusionen.

Für mich war interessant zu erfahren, dass es Peter Hamm war, der Handke und Hermann Lenz zusammengebracht hat – „nebendraussen“ – „au net schlecht“.

 
 

Simon Strauss – Sieben Nächte

 

Die Welt, die ich in mir trage, lebt vom gesprochenen Wort, von Austausch und Augenaufschlag. Ich brauche das Gespräch, Gesichter, die leuchten. Freiheit und Freundschaft – die Worte haben doch denselben Stamm, gehören zusammen. Noch ist es nicht zu spät, das Virtuelle mit dem Handschlag, der Umarmung zu überlisten. Noch ist Zeit, gemeinsam zu streiten, eine Gruppe zu gründen mit dem Namen ‚Neue Sinnlichkeit‘.

Da steht also der Sohn von Botho Strauß auf der Bühne vor 400 Gästen und lächelt entschuldigend herab. (Er greift in seinem Text die Rentner an, Publikumsalter ist 65+) Nein Publikumsbeschimpfung geht anders, das was er liest, ist eher eine Bekenntnisschrift eines jungen Mannes mit der Frage: Was tun? Auf dem Verwirklichungstrip ist er nicht, er will Wirklichkeit: Die Welt braucht mich jetzt.

Am Abend beim Wein beklagt er mir gegenüber die harmoniesüchtige Elterngeneration, die keine Wutbürger will, sondern, dass ihre Kinder die Elternträume verwirklichen sollten. Ich kenne diese Vorwürfe von meinen Kindern und sage: halt nein, wir lebten und leben unsere Träume. Ich frage ihn noch nach dem Befinden seines Vaters. Es gehe ihm gut.

 
 

PATRICK ROTH – JOSEPH VON NAZARETH SUNRISE

 

Patrick Roth war für mich die Entdeckung auf den Literaturtagen in Badenweiler.

Er stand in seiner Jeansjacke und Turnschuhen am Lesepult und las mit einer sonorischen Stimme in einer rhythmischen Intonation, die zumindest mich sofort in eine andere Welt mitnahm. Die Syntax so merkwürdig altertümlich, das Thema biblisch, der Titel des Buches abgedreht SUNRISE. Patrick Roth hatte erzählt, dass er lange in Los Angeles gelebt hat, dort auch Film studiert hat. Das hört man in seinen Texten heraus. Seine Bildersprache ist stark, seine Symbolik nahe an C.G. Jung, sein Drama in Hollywood gelernt. Er hatte sich immer – besonders in Träumen – gefragt, welche Rolle Joseph neben Maria und Jesu gespielt hat. Er fühle sich in ein göttliches Drama hineingezogen. Traum und Wirklichkeit gehen ineinander über. Er liest über den Corpus Christi – how weird, diese Beschreibung vom und im Felsengrab. Dann höre ich schon von weit her „… dann erwachte ich. Der Auferstandene stand vor mir.“

Rüdiger Safranski nannte ihn einen ‚Fackelträger der Erinnerungen‘, er verglich ihn mit den großen Schriftstellern, z.B. Dostojewski.

 
 

Es lasen noch Cees Noteboom („Briefe an Poseidon“), Christian Ransmayr („Die letzte Welt“) und Barbara Vinken … alles vom Blatt ab. Ermüdend. Erfrischend dagegen Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Rüdiger Safranski lobte ihr Erzähltalent und nannte ihr dickes Werk eine Liebeserklärung an Georgien.

 

Resumé: Badenweiler und Literatur ist eine lukullische Epikurmischung, die ein Literatenherz höher schlagen lässt. Britzinger Spätburgunder und Badischer Sauerbraten mit Steinpilzsauce verwöhnten ebenso wie die Gespräche am Rande der Lesungen bereicherten. Die Auftritte der Betriebssternchen hatten was Ansehnliches, das Fest kann also als empfohlen weitergesagt werden.

2018 9 Okt.

Music cities on sale

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„Leben ist üben. Wer nicht übt, ist tot.“ (P. Sloterdijk)

 

And though the earth may tremble and our fondations crack

We will all assemble and we will build them back

happy birthday Jackson Browne

 
 
 
Nach der Magical Mystery Tour in Liverpool hatte ich vor, an der Music Tour in Düsseldorf teilzunehmen. Als ich las, dass Rudi Esch der Veranstalter ist, winkte ich ab. Der Electri_City Manager und Buchautor hatte Brian Eno zu seinem Event am kommenden Samstag eingeladen, dann wieder ausgeladen, dann ein Foto mit dem „verständnisvollen“ Brian Eno in London auf seiner Website hochgeladen. Wie dumpfbackig ist das denn!

Ich dachte über die beiden Städte nach. Woher kommt die Innovationsbereitschaft von Liverpool und Düsseldorf,  woraus ist der Humus, auf dem musikalische Lokalhelden der Tourismusindustrie zum Wachstum verhelfen?

Aus Liverpool kommend wurde mir mal wieder klar, in welcher clublosen Stadt ich lebe. Wohin gehen, wenn man tanzen, singen, lachen will? Das fröhliche Treiben in den Pubs und Clubs in Liverpool ist für mich soulfood. Ich habe immer eine Clubszene in Düsseldorf vermisst. Das Frische, Freche, Frohe, das Beatles Fans in aller Welt bis zur Ohnmacht trieb, ist in Liverpool auch heutzutage fühlbar. In den alterslosen Clubs wird viel gelacht, geneckt, gejoked. Was für eine soziale Nähe.

Als Brian Epstein 1961 in einem seiner beiden Plattenläden gefragt wurde „Verkaufen Sie auch Beatles Platten?“, war schnell klar, dass er sie managen würde. Sein Wohlstand war natürlich für the poor four attraktiv. Das Geld war auf dem Liverpooler Humus eine karrieretreibende Kraft. Der Cavern das Gewächshaus. Die Freundschaft der Beatles untereinander, die gemeinsamen Themen: Musik, Schalk, Staunen auf das Neue sind aber meiner Ansicht nach ausschlagebend für ihren unvergesslichen Ruhm. Das heutige Liverpool mit seiner rising creative class, seinem Enthusiasmus für Fussball, seinen wieder entdeckten Musikern und seinen neuen macht eine Mischung aus, die das Marketing und die Tourismusindustrie befördern.

Wie gelang es bloß Kraftwerk, die Musikszene in Düsseldorf so zu revolutionieren? Auffallend im Vergleich der beiden Städte ist der hohe Stellenwert der Kunst vor Ort. Düsseldorf hat seit 1945 eine weltberühmte Kunstakademie. Große Architekten (Hentrich) bauten hier in die Höhe. Das freigiebige Mäzenatentum aus der Industrie (Henkel) hat hier Tradition. In den 80er Jahren saßen die besten Innovationsköpfe an der Heinrich Heine Universität (Frank, Hörisch). Die kühle Elektronik von Kraftwerk ist sicher auf diesem heimischen Humus gewachsen. Als der berühmte Galerist Hans Mayer seine neue Galerie am Grabbeplatz einweihte, gab Kraftwerk dort ein zwanzigminütiges Konzert.

Sie treten im elitären exklusiven Dunst auf, und verschwinden nach ihrem kühlen Musikauftritt. Welch Unterschied zu Paul McCartney, der in einen heimischen Club schlendert und den Kontakt zu seinen Fans hält. Oder Ringo, auch wenn er in Liverpool auf einem Dach spielt. Boys, was würde ich dafür geben, sein bubenhaftes Lachen zu sehen. Kraftwerk ist halt doch eine Musikmaschine. Ich glaube nicht, dass Kraftwerk als lokale Identität im neuen Marketing Konzept von Düsseldorf eine effiziente Rolle spielen kann. Auch nicht die Toten Hosen, auch nicht Krautrock. Die Düsseldorfer pilgern nicht zu deren Orten, weil sie nicht mehr lebendig sind. Und die junge Musikszene spielt sich nicht in Düsseldorf ab, sondern in Köln, Lüttich oder Amsterdam. Dort hat der DJ das Sagen.


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