Manafonistas

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Die Freiheit, frei zu sein

Hannah Arendt

 
 

Ich stehe am Ufer vom Plattensee, genauer in Balatonalmadi, da wo die Lehrstuhlnachfolgerin von Hannah Arendt, Agnès Heller, ins Wasser ging und vom Schwimmen nicht mehr zurückkehrte. 2019, Sie war 90 Jahre alt. Diese Philosophin war eine laute Stimme gegen Viktor Orban, den sie furchtlos der Lügen bezichtigte. Ich hörte dieser energischen Frau sehr gern zu. Solche kämpferischen Stimmen bräuchte es dringend.

Hier am Balaton bin ich aber nicht wegen der Philosophie, sondern wegen des Balkan:Most Projektes. Es findet in Veszprem statt. Das Städtchen (50000 Einwohner) ist u.a. zur europäischen Kulturhauptstadt ausgezeichnet worden. In Veszprem treffen sich natürlich hauptsächlich die Völker der Balkanländer, aber auch Kulturinteressierte aus dem Westen sind hier. Veczprem ist der Hammer! Die Stadt liegt nur 2,5 Stunden Bahnfahrt südwestlich von Budapest entfernt. Sie erstreckt sich auf 5 Hügeln in grüner Landschaft. Im Festivalprogramm steht, man soll zur Burg hinaufgehen, wenn man auch die dritte Bühne der Balkan:Most mitnehmen will. Aber da gibt es keine Burg, dafür einen Augenschmaus an Barock und Jugendstil. So, forget the castle

 
 
 


 
 
 

Natürlich ist es ein sinnliches Erlebnis, hier in Ungarn Balkanmusik zu hören. Hier treten die besten Musiker aus Ungarn, Rumänien, Serbien, Mazedonien, Albanien, also hier rollt/rockt der gesamte Balkanmusikexpress. Auf den Konzerten ist ausgelassene Stimmung. Alle Konzerte sind frei. Das tolle Wetter auch.

 
 
 


 
 
 

Ich habe hier alte, vergessene Lieder aus Albanien gehört von DINA E MEL. Stolze Mazedonier Loblieder auf ihre Stadt Skopje gehört von der Band BAKLAVA. Ein feines Duo aus den bulgarischen Bergen. Die FYING NOMADS verwenden in ihren Kompositionen Geräusche aus der Natur. Eine einzige Hommage an Mother Earth.Die serbische Band NAKED versetzt das Publikum in emotionale Wechselbäder. Von tieftraurig bis fröhlich ist alles dabei. Neben den südosteuropäischen Musikern treten auch Bands aus dem Westen auf. Gestern Abend brachte die französische Band LA CARAVANE PASSE das Städtchen zum Wackeln. Alle tanzten.

Heute Abend spielt zum Abschied MANU CHAO. Auf ihn freue ich mich sehr. Hoffentlich überrascht er mich nicht so wie DANIELE SEPE, den ich noch als neapolitanischen Protestsänger in Erinnerung habe. Er spielte ausschließlich am Saxophon. Aber au net schlecht.

Das Balkan:Most Projekt wird von Womex unterstützt, was ja für die Musiker vom Balkan eine tolle Gelegenheit ist, sich neu zu vernetzen. Die Konzerte sind wie gesagt frei, auch die Bahn ist für Ältere umsonst. Von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, erfuhr ich, dass sie Ungarn lieber verlassen würden. „Orban ist ein Diktator, aber Ungarn ist keine Diktatur“, sagte Agnès Heller über ihr Land.

Next Stop: … da wo die wilden Donau-Schwaben wohnen …

 

2023 12 Aug.

Auf den Sommerbühnen der finnischen Musik

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Finnen von Sinnen 

(Eilenberger)

 
 

Musikverrückt sind sie sicher. Erst Ende des 19. Jahrhunderts haben die Finnen die Anerkennung ihrer schwierigen Sprache erhalten, davor ging nur Schwedisch. Und wenn die These stimmt, dass der Mensch erst durch die Sprache zu singen begann, dann können sie ihrem intellektuellen Nationalhelden, Johan Vilhelm Snellman wirklich dankbar sein. Dieser Philosoph, ein Hegelianer, machte sich im 19. Jahrhundert viele Gedanken über die finnische Persönlichkeit und deren Nationalcharakter. Seine These war: nur mit einer gemeinsamen Sprache lässt sich etwas bewirken. Als Finnisch Amtssprache wurde, änderten einige ihren schwedischen Namen ins Finnische. Für mich ist das Schwedische, jetzt als Zweitsprache, eine große Hilfe in der öffentlichen Logistik.

Im Sommer ist Finnland für Musikliebhaber sehr attraktiv. Natürlich ist Janne Sibelius all around. Aber dieses Mal achtete ich auf andere Musikii. Im traditionsreichen Café Kappeli sitze ich immer gerne. Ihm gegenüber ist eine Bühne aufgebaut, auf der gerade das ESPANLAVA Festival läuft. Das ist ein von Kulturleuten organisiertes Jazzfestival mit hochkarätigen Jazzmusikern. Der Eintritt ist frei. Als ich vorbeikam, spielte gerade der finnische Bassist Jukka Havistoo. Ein großes Talent. Ich blieb auf den musikalischen Stühlen sitzen.

 
 


 
 

Ich besuchte Rauma, eine kleine Stadt im SW von Finnland. Aufgrund ihrer toll erhaltenen Holzhäuser wurde sie ins Weltkulturerbe aufgenommen. Jedes Jahr im August gibt es hier das FEEL GOOD BLUESFESTIVAL. Es ist eines der größten Festivals in Finnland. Hier hatten große Musiker bereits ihren Auftritt: Canned Heat, John Sebastian, Erja Lyptinen, die Finnin ist auch dieses Jahr wieder on stage. Aktuell spielen außerdem Robert Finley und die große Blueslady Nora Jean Wallace.

90 km nach Norden liegt die Jazzhauptstadt PORI. Im Juli findet dort seit 1966 eins der am besten bekannten Jazzfestivals statt. Es dauert mehrere Tage, der Eintritt zu den über die Stadt verteilten Konzerte ist frei. Über eine Fussgängerbrücke gelangt man vom Zentrum zur Hauptbühne, die auf der “Jazzinsel” Kirjurinluoto liegt. In den vielen zurück liegenden Augustii trafen sich hier die Maestros of the Music: B.B. King, Miles Davis, Carla Bley, Oscar Peterson, Terve Rypdal, Herbie Handcock. Auf dem Catwalk erlesenster Jazzmusik durften dann auch Nonjazzer auftreten: Björn, Nora Jones und in diesem Sommer Robbie Williams.

 
 


 
 

In dem herrlichen Jazzcafé Pori hatte ich in einer Zeitschrift geblättert und aus GUITAR diese Noten abfotografiert. Monatlich erscheint dieses Heft und monatlich werden 3 Gitarrenstücke zum Nachspielen veröffentlicht.  Ich wählte den Song “You never give me your Money“ von den Beatles aus, weil John Lennon lays down some funky rhythm guitar … . Das letzte Foto widme ich Robert Robertson. Ich fand es in einer Biografie über Levon Helm. Die beiden waren wie Zwillinge, heißt es da.

 
 


 
 

Wenn man in Finnland Gelegenheit hat, fernzusehen, dann fallen die vielen Musiksendungen auf. Hunderte Finnen sitzen irgendwo zusammen und singen “all sång”. Die Energie dieses Rudelsingens springt ja geradezu über aus dem Bildschirm, wie damals die Flying Toasters im Störprogramm.

 

Da dehnen sich des Nordlands

düstre Wälder.

Uralt – geheimnisvoll in wilden

Träumen:

In ihnen wohnt der Wälder großer

Gott.

Waldgeister weben

heimlich in dem Dunkel

 

(aus der sinfonischen Dichtung TAPIOLA von Jean Sibelius)

 
 

Ich bin in Tapiola, der finnischen Gartenstadt im Westen von Helsinki. Ich liebe schönes Design. Ich besitze ein paar Objekte meiner Begierde, wie z. B. den Damenfūllfederhalter von Montblanc, einige Bauhausstühle und eine Wellenvase von Alvar Aalto. In den Diskussionen mit Künstlern kommt meine Vorliebe für schönes Design immer schlecht weg. Ich denke, dass die Architektur eine hohe Kunst der Kreativität ist, vorausgesetzt, sie wurde nicht nur unter dem technischen Aspekt geschaffen. Ich bin in Tapiola, um die Perle urbanen Designs zu erkunden. Der Brite Ebenezer Howard war der Erfinder der Gartenstadt. Er verkehrte mit Ralph Waldo Emerson, der ihn genauso inspirierte wie Thoreau, der bekanntlich das Experiment WALDEN durchführte. In Howards Überlegungen ging es um die Verwirklichung einer harmonischen Verbindung von Stadt und Land. Er erfand dafür den Begriff town-country. Ein Schüler und Kollege von Alvar Aalto folgte seinen Ideen. Arno Ervi war der Chefdesigner von Tapiola. Sein Blick fiel zunächst auf die grüne Landschaft, in die er Häuser unterschiedlicher Größe und verschiedenen Materials hineinsetzte. Er schuf ein Zentrum, das wie eine Mall funktionierte, ein Kulturzentrum mit Konzertsaal, Bibliothek und Schwimmbad. In den Wäldern rund um das Towncenter entstanden Sozialwohnungen und Gebäude von hohem Niveau. Die Idee war ja, Menschen aus verschiedenen Schichten im Grünen anzusiedeln. Das urbane Design, Gebäude+ Mensch+Natur ist hier sehr gelungen. Doch es gibt Risse, die die frühen Architekten, Alvar Aalto, Arne Ervik oder auch Tolvo Paatela nicht bedacht haben. Der zunehmende Autoverkehr zerteilt die Waldlandschaft mit den breiten Autostraßen, die vielen Parkplätze können nur noch halb versteckt wahrgenommen werden. Wohin rollen die vielen Autos und Busse? Hinüber auf die andere Seite der Gartenstadt, Richtung Helsinki. Der Designerbogen hätte nicht futuristischer erfolgen können. In dem Account-Tower sitze ich im 20. Stock auf einer Terrasse des Restaurants mit dem trefflichen Namen LUCY IN THE SKY. Der weite Blick zeigt die typische finnische Landschaft: viel Wasser, viel Wald. Dazwischen ein modernes individuelles Stadtbaudesign. Die glatte Modernität, die sich an der Alvar Aalto Universal zeigt, wird von einer dreist anmutenden Architektur von Pietila gestört. Das Dipoli Gebäude besteht aus einem Steinhaufen, der die Zerbrochenheit von Design hervorhebt, außerdem benutzte er viel Kiefernholz, Kupfer und verschiedene Steine. In dem wundervoll designten Haus befindet sich ein Restaurant. Diese Architektur ist für mich eher a peaceful path to real reform.

 
 
 


 

 

 

2023 19 Juli

Baby Jane

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Wir Frauen seien alle Töchter von „La Birkin“, stand in einem der vielen Nachrufe. Ich sah sie gern, hörte sie gern und die Beauvoir las ich gern. Die BB war mir zu sexy, deswegen passte der Song von Gainsbourg viel besser zu der hoch erotischen Jane. Natürlich feierten wir das Hingehauchte „Je t’aime“, es war der vollzogene Höhepunkt der „Satisfaction“ von den Stones. Charlotte, ihre Tochter, zeigt eine etwas herbere Ausstrahlung in den Filmen, trotzdem sehe ich ihrer gelenkigen Freiheit sehr gerne zu. Dass ein Mensch so alleine stirbt wie Jane Birkin, hat mich traurig gemacht. Einige allein lebende Freunde haben begonnen, sich für den Notfall zu vernetzen. Gute Idee.

 

2023 10 Juli

Nicht nur Sommerlektüre

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Es gibt nicht nur die beste Freundin für vertrauliche Gespräche oder den vertrauten Zahnarzt für Angstpatienten, es gibt seit meiner Studentenzeit in Freiburg den mir vertrauten Wetzsteinbrief aus der Buchhandlung “Zum Wetzstein”. In den monatlichen Empfehlungen stehen für den Juli diese beiden Bücher, die ich mir sofort kaufte und die ich hier weiterempfehlen will.

 
 

 
 

Bleiben wir dem Meer treu. Dieses Mal taucht er im Namen des herausgebenden Verlages auf und spielt selbstredend in der Geschichte über Syrakus und Ortigia, die Altstadt, die auf einer Insel liegt, eine maßgebliche Rolle. Sartorius ist ein wunderbarer Dichter und ein großer Kenner und Liebhaber des tiefen europäischen Südens: z.B. der Türkei (sein Buch über Die Prinzeninseln ist ein Kleinod) und Sizilien. Auf Sizilien verbringt er, außer in Berlin, viel seiner Zeit. Er weiß zu erzählen davon, im angenehmen Plauderton, verfasst kleine Alltagsgeschichten mit geschickt darin verwobenen, höchst interessanten historischen Bezügen. Sartorius schreibt, ohne zu belehren, ohne seine immense Bildung unangenehm zur Schau zu stellen. Er schreibt nüchtern vom Leben, vom Zurechtfinden der Menschen in der Gegenwart, die immer wieder von einer großen Vergangenheit fast erdrückt werden. Getragen wird das Buch von der stupenden Kenntnis und der großen Liebe zu einem Land, einer Region und deren Orte, und zu der Kultur und den Menschen, die dort leben. „Es gibt Bauwerke, die eine Stadt und ihre Geschichte symbolisieren, in denen das Gedächtnis des Vergangenen in der physischen Substanz des Heutigen zu greifen ist und in denen Anschauung und Erinnerung mit der Schichtung des Steins einen Dialog führen. Der Dom (von Ortigia) führt diesen Dialog.“ [SB]

 
 

 
 

Weidermann schafft mit diesem Roman große Lust, Thomas Mann (wieder) zu lesen. Das Buch ist, entgegen der Ankündigung des Verlages, nicht etwas ganz Neues zu Thomas Mann und seiner großen Liebe zum Meer. Weidermann gelingt es jedoch, eine interessante, voller Wärme und sehr liebevoll geschriebene Geschichte zu erzählen, gut recherchiert und immer wieder auch mit überraschenden Details – obwohl man vieles kennt und manches weiß. Einerseits ist der Blickwinkel eng, weitet aber andererseits unter Konzentration auf diesen (Meeres)Ausschnitt das Auge des Lesers für viel Neues. Erfrischend auch, dass die beiden berühmtesten Kinder des Zauberers, Erika und Klaus, nicht wie üblich in den Mittelpunkt gerückt werden. Weidermann bleibt seinem Thema treu und konzentriert sich bei den Kindern auf Elisabeth, die Meeresforscherin. Beim umfangreichen Werk des großen Dichters: auch hier Konzentration auf wenige Romane, die Weidermann geschickt mit der Familiengeschichte des erfolgreichen und doch immer wieder zweifelnden Autors verknüpft. „Das Meer, sein Rhythmus, seine musikalische Transzendenz ist auf irgendeine Weise überall in meinen Büchern gegenwärtig, auch dann, wenn nicht, was oft genug der Fall ist, ausdrücklich davon die Rede ist.“ (Thomas Mann)

Sollten Sie Freude am erneuten Eintauchen in Thomas Manns Werke verspüren, fragen Sie uns nach den unterschiedlichen Ausgaben, in einzelnen, besonders gestalteten Bänden erschienen, oder auch nach denjenigen Bänden aus den beiden Gesamtausgaben, die im S. Fischer Verlag herausgegeben wurden. [SB]

 

 

Sie stand neben mir in den heftigen Atlantikwellen, hielt sich an mir fest und sagte unvermittelt: “Ich habe überhaupt keinen Busen.“ Ich warf schnell einen diskreten Blick auf ihren nackten Oberkörper und rief in den Wind: „Jaja, das sagen wohl die Männer zu dir.“ Sie nickte und machte sich los, um tiefer ins Wasser zu waten. Ich wartete auf sie und sah, als sie herauskam, dass ihre Nippels steif und groß von ihrem Körper wegstanden. Wenn das mal keine Lolipopeinladung für wache Männerwünsche war. Wir standen noch eine Weile gemeinsam am Ufer und sahen zu, wie eine ältere Frau, sie war nackt, aus dem tobenden Wasser wankte. Offensichtlich hatte sie beide Brüste wegoperiert bekommen. „Was denkst du, wenn du das siehst“, fragte ich die Niederländerin. Sie hob stumm die schmalen Schultern. Die Amerikanerin gesellte sich zu uns und deutete auf die Narbe der Holländerin: „What the hell happened?“ Ich übersetzte auf Englisch: ich hatte eine Lebertransplantation. „Oh, OMG. Look at my body, I had  beautiful breasts, they cut them off,  I give a shit of boops, I am an old woman.“ Die junge Frau lehnte sich jetzt an mich und flüsterte: „Jetzt mag ich plötzlich meine Brüste.“ Ich begriff sofort und drückte sie leicht.

Als die beiden Frauen sich entfernt hatten, ging ich zu dem öffentlichen Buchfenster. Dort stand nur ein Buch – dieses:

 
 

 
 

In dem Buch ist eine lange Liste von den Tugenden. Ich schlug die Seiten über TOLERANZ auf. Ich lese, dass wir beim Streit beachten sollten, dass wir ein würdevolles Wesen gegenüber haben. Und dass wir dieses ehren sollen. Dass ein Faktenstreit im Schützengraben lande und nicht zu gewinnen sei. Vielleicht meint dieser Schriftsteller, von dem ich übrigens ein kluges Buch über die unnützen Dinge besitze, mit Ehre= Respekt. Mir gefällt Ehre in diesem Kontext besser.

 

2023 18 Mai

Die Kraft der Erosionen

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2023 7 Mai

Auswanderermusik

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Das Teatro Leal ist ein prãchtiges Konzerthaus in La Laguna auf Teneriffa. Das Interieur hat vorzeigbare Wand- und Deckengemälde aus den Anfãngen des 20. Jahrhunderts. Die Logen sind golden umrahmt und öffnen sich zur Bühne hin. Hier konnte ich jetzt zwei Konzerte besuchen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die Venezuelanerin Josefina Alemán eröffnete den Konzertreigen. Mir war klar, dass das Haus ausverkauft sein würde. Es würde den Ausgewanderten und Zurückgekehrten zwei Stunden Heimat bieten. In den 50/60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatten sehr viele Kanaren ihre Inseln verlassen. Asseln hatten ihre Felder leergefressen, die Hungersnot war groß. Es hieß: Das einzige Produkt, das noch erzeugt wurde, war der Selbstmord. 1951 erhob der Gouverneur Civil von Teneriffa ein Dekret, das das Erlangen der Auswandererdokumente erleichterte, schãtzungsweise emigrierten in diesen harten Jahren mehr als 300000 Insulaner nach Venezuela, Kuba, Argentinien oder Kolumbien. Es gibt immer noch alte Frauen auf El Hierro, die mir erzählen, dass ihre Männer ausgewandert seien und sie nie wieder etwas von ihnen gehört haben. Oder manche sind nach vielen Jahren zurück in die Heimat gekehrt und wurden selbstverständlich von ihren Ehefrauen aufgenommen. Diese dulden den monatlichen Scheck, der nach Übersee zu den dort neu gegründeten Familien geht, mit bravouröser Toleranz. Die jüngeren Latinos, die wegen der korrupten Regierung in Venezuela hierherkommen sind, würden sich nicht mehr so geduldig verhalten. Für mich sind sie eine Bereicherung. Sie sind Fußball verliebt, tanzen und singen gut. An ihren Empeñadas kann ich mich nicht sonderlich erfreuen, aber an der Herzlichkeit, wie sie sie anbieten. Josefina Alemán gehört zu dieser Generation. Sie kommt in ganz großer Garderobe auf die Bühne, natürlich auf goldenen Highheels. Sie hat eine beeindruckende Stimme, gewaltig wie die Wasserfälle in ihrer Heimat. Sie singt, tanzt, lacht, stellt uns ihre Überraschungsgäste vor, es sind die besten Sänger von den kanarischen Inseln. Sie hat alle eingeladen, auch ihren Bruder, ihre Mutter und ihre beste Freundin, auch aus Venezuela, auch Sängerin. Die beiden Frauen sind sehr zärtlich zueinander, sie singen gemeinsam ihre Themen: über zerrissene Liebe, Sehnsucht und Heimweh. Und natürlich singt das Publikum längst alle Lieder mit. Mir gehen solche Kollektivgefühle jedesmal unter die Haut. Ein bisschen südamerikanische Verve, Samba, Rumba, Joropo oder Salsarhythmen täten der kargen 8 Hüpftonleiter der el pito herreńo gut. Ich gehe sehr beschwingt mit meiner kolumbianischen Kunstsammlerin hinaus in die Nacht, entlang an der ausgetrockneten Lagune.

Am nächsten Abend begegnete ich einem anderen Auswanderer. Ich hatte ihn schon auf El Hierro im Zusammenspiel mit Torsten de Winkel gehört. Unvergesslicher Auftritt. Er ist Tinterfeńo, der viel in der Welt herum emigrierte, um immer wieder auf seine Geburtsinsel Teneriffa zurückzukehren. Kike Perdomo stellte sein neues Programm “Friendship” im Leal vor. Kike ist ein weltbekannter Saxophonist, Flötist, Komponist, Filmmusiker, vereint Jazz mit Flamenco, ein umtriebiges Wesen, das mit seiner Musik und seinem Spirit viel bewegt.

Das Teatro Leal war an diesem Abend nicht ausverkauft, es hatte harte Konkurrenz, ein Latinomusikfestival spielte nebenan Open Air. Kike eröffnete das Konzert mit einem fetzigen Saxophonsolo, das einem die Ohren öffnete, weil das Trommelfell rotierte. Ein junger Gitarrist an seiner Seite gewann immer mehr meine Aufmerksamkeit. Erstaunlich, mit welcher Fingerfertigkeit er die Saiten bediente, dazu das Mitgehen seiner Gesichtsmimik. Wow, Jimi Hendrix alive. Kike erzählte, dass er Nico schon seit seinem 5. Lebensjahr kennt und ihn schlichtweg für den besten Gitarristen auf den Kanaren hält. Durch das fröhliche Orchestrieren verbreitete Kike eine heitere Stimmung auf der Bühne, die leider nicht ganz das Publikum erreichte. Nach 80 Minuten exzellenter Musik, auch der Klavierspieler, der andere Gitarrist und der Drummer, alles tolle Musiker, gab es keine Zugabe, aber sehr anhaltenden Applaus.

 
 


 
 

Dieses Mal gingen wir beglückt hinaus in die Nacht. Ich fragte meine Freundin, seit wann die Lagune ausgetrocknet sei. Wie schnell mein Kopf schon wieder frei war.

 

2023 30 Apr.

Tanz in den Mai

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2023 26 Apr.

Are You there?

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I want to know what became of the changes. Du sitzt auf dem back seat, ihr fahrt über den Ventura Highway und KPFK ist eingeschaltet. Du hörst einen Song, die Stimme gefällt dir, du lehnst dich nach vorn und fragst den driver: What’s the name of the singer? Jackson Browne.

Du googelst noch im Auto Jackson Browne, es läuft „The Pretender“. In deinem Condo hörst du den Song alleine auf deinem Dell. Merkst, dass du auf den schlanken smarten Mann an der Gitarre starrst. Wow, what a beauty! Deine Augen wandern nach links in das warme Sonnengesicht von David Crosby, neben ihm swingt der forever young man Graham Nash, former lover of Joni in Laurel Canyon days. Steven Stills and others on the strings. Nash and Crosby join in with impeccable harmonies. What a caressing voice, what a minimalist aesthetic man Jackson is.

What is a pretender? What is the meaning of his song, which he wrote, when he was 28? Morgens steht der Mann auf, geht zur Arbeit, abends: he strolls around in the streets. War’ s das? Job, Haus, Heirat, Kinder? Wo sind die Aufbrüche, wishes, visions? Vielleicht ein Girl suchen, mit dem man lachen kann? “And we’ll fill in the missing colours / in each other’s paint by number dreams.”

 

I want to know what became the changes  

 

Bin ich ein Pretender? Jahrzehntelang demonstriert für Freiheit und Frieden, und jetzt für Waffenlieferung sein? Warum haben wir nie diskutiert, dass auch Waffen einzusetzen sind, wenn es um Menschenrechte geht. Warum fällt es uns so schwer, Verhandlungen mit weitergehendem Krieg einzuleiten?

Jahrzehntelang im Kaiserstuhl gegen Atomkraft demonstriert. Jetzt sind alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Warum freue ich mich nicht wie verrückt? Warum die verhaltene Befriedigung aufgrund der Aussicht, dass nicht mehr Atommüll versteckt werden muss? Bleibt die Freiheit, ich versuche sie zu leben, insofern also kein Pretender?


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