Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Torsten, du bist Jazzgitarrist und Mitbegründer des Bimbache openART Festivals hier auf El Hierro. Aufgrund der Corona Pandemie fällt leider auch dein Festival in diesem Sommer aus. Welche Möglichkeiten hast du gefunden, trotzdem deine Musik aufzuführen? Du kennst vielleicht Jeff Tweedy von WILCO oder Gianna Nannini, die ebenfalls mit ihrem Tiny Home Concert einen Weg der Performance gefunden hat.

 

Torsten: Ich habe zwar dereinst Jazz-Gitarre und Komposition studiert, dazu einige Semester Psychologie und Philosophie, aber in der Praxis sind diese Schubladen eher sinnfrei … ich bin Musiker, Orchestrator, ein Suchender nach allem, was Emotion transportieren kann … und hierfür habe ich mit den Jahren einige sinnvolle Werkzeuge angesammelt. Ja, richtig, ich bin Mitinitiator des Bimbache openArt Festivals, von Anfang an vor allem als Begegnungsplattform konzipiert, obwohl es natürlich auch Konzerte und Performances gibt. Dieses Konzept setzt sich das ganze Jahr hindurch fort, ausserhalb des offiziellen Festivalzeitraums lediglich im kleineren Rahmen. In unserem Künstlerhaus CasArte finden jetzt auch Home Concerts statt, nach wie vor mit Künstlern aus aller Herren Ländern sowie lokalen Musikern, die teils traditionelle, teils zeitgenössische Gattungen repräsentieren.

Im Kontext unseres Festivals muss ich oft mehr Orakel sein als künstlerischer Leiter, mein offizieller Titel. Ich muß hier in meist sehr kurzer Zeit zwischen widersprüchlichen kulturellen Ansätzen und Arbeitsweisen vermitteln, was nur über die Intuition zu leisten ist. Das heißt, ich “fühle” und probiere im Kollektiv aus, was die Musik bereichern könnte und wo genau die Gemeinsamkeiten und Anknüfungspunkte zwischen den Traditionen liegen. Zugleich gebe ich den beteiligten Musikern den größtmöglichen Freiraum, sich spielerisch einzubringen.

 

Ich habe per Zufall eine CD von dir hier auf dem lokalen Sonntagsmarkt gefunden. Beeindruckend, mit welchen Weltmusikern du kommunizierst.

 
 


 
 

Im Booklet steht, dass Musik als internationale Sprache gelte. Wie funktioniert die Verständigung mit Musikern aus den verschiedenen Winkeln der Erde?

 

Im Booklet ist mit gemeinsamer Sprache gemeint, dass wir uns die Mühe machen sollten, Konfrontationen und Ausgrenzungen aufzuheben in der Musik wie auch generell, und mehr auf das Gemeinsame zu achten als auf das, was uns trennt. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, wo es immer zwei Lager gab. Beide fanden jeweils die Lieblingsband der anderen doof, und ihre Fans gleich mit – der tatsächliche musikalische Unterschied ging de facto gegen Null. Es war fast wie ein Zwang, ein Feinbild zu haben, anstatt aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen. Barenboim ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie man die Musik als Frieden stiftenden Prozess einsetzen kann. Mit seinem West-Eastern Diwan Orchestra engagiert er sich auf inspirierende Weise für die deutsch-israelische Aussöhnung, und ich mit. Es geht doch stets um Toleranz und echte Offenheit, aber da haben wir als Spezies noch viel Arbeit vor uns.

 

Die Bimbaches waren die vorspanischen Ureinwohner, nach ihnen ist das Festival benannt. Weisst du, ob sie ein Instrument spielten, z.B. eine Art Flöte?

 

Nein, das weiss ich leider nicht, mir sind keine diesbezüglichen Überlieferungen bekannt. Ich bin aber ein großer Fan des Gnawa und der musikalischen Traditionen der Berber nebenan auf dem marokkanischen Festland.

 

Auf deiner CD „Bimbache Jazz y Raices – Condicion Humana“ spielst du einen Tango Herreño. Was bedeutet das? Haben lateinamerikanische Einwanderer den Tango importiert?

 

Nein, Tango ist lediglich ein im spanischsprachigen Raum häufig vorkommender Begriff. Im Flamenco z. B. beschreibt er die gebräuchlichste Form des 4/4-Takts.

 

Wer kommt eigentlich immer zu dem Festival, neben den international geladenen Kûnstlern? Kommen auch viele Einheimische? Mein Eindruck von den Herreños ist, dass sie in einer geschlossenen Gesellschaft leben.

 

 

Wir betrachten es als Auszeichnung und auch als Legitimierung unserer Arbeit, daß rund 1000 lokale Zuschauer zu den großen Abschlusskonzerten kommen, sonst wäre das ja auch alles nur „preaching to the choir”. Und wir streamen diese Konzerte über rund ein Dutzend internationaler Webradio-Sender. Wie auf der CD dokumentiert führen zwischen 20 und 30 Künstler verschiedener Disziplinen die Highlights des zuvor gemeinsam Erarbeiteten auf, rund die Hälfte davon kommen von den 8 kanarischen Inseln. Unter allen, auch unter den eingeladenen ausländischen Musikern, gibt es immer wieder gewisse Anfangsschwierigkeiten, das ist auch so gewollt. Ich erinnere mich an Probleme zwischen einem Norweger und einem Musiker aus Benin, sie lebten in sehr unterschiedlichen musikalischen Welten. Am Ende half ein Jazz-Musiker mit Flamenco-Background, den Gegensatz zu überbrücken.

Die lokalen Musiker wiederum sind Hüter eines Schatzes, den sie mit den lokalen Festivalbesuchern teilen. Zum Glück kennen und schätzen die noch ihre eigene Kultur, die ist hier noch nicht zu Tode begradigt. Und sie haben noch den direkten Kontakt zu ihrer Natur, einer beeindruckend kraftvollen Natur mit therapeutischem Potential für alle, die vom Leben in einer Streichholzschachtel in einem hochgradig von Konkurrenzkampf bestimmten Alltag an ihre Grenzen geraten sind. Wir wissen ja nicht nur aus der Philosophie, sondern mittlerweile auch aus den Neurowissenschaften, dass kooperative Kultur glücklicher macht als kompetitive. Für uns alle heisst das erstmal raus aus unserer Komfortzone und rein in solche kleinen Versuchsorte, Safe Spaces, Low Judgment Zones. Zusätzlich veranstalten wir runde Tische, um mit den geladenen Gästen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft und Einheimischen auf Augenhöhe zu diskutieren. Dies findet im Ambiente der wunderschönen Insel statt. Und doch müssen wir immer achtsam bleiben, offen für Überraschungen und Unvorhergesehenes. Nicht in die Falle unseren eigenen Erfolgs tappen und Erfolgsformeln immer wieder gleich wiederholen, sondern weiter Integration praktizieren in kleinen Umbauübungen im Sinne unserer Zukunftsvision.

 
 


 
 

Du lebst auch in New York. Ist dort deine Quelle der Inspiration oder eher hier auf der stillen Vulkaninsel?

 

Das ist kein Gegensatz und informiert sich durchaus gegenseitig. Klar ist New York wie der Wizard of Oz, so wie eigentlich unsere ganze Kultur, eine gigantische Projektions- und Illusionsmaschine. Mitte der 90er Jahre, nach meiner Arbeit mit der Pat Metheny Group und diversen CDs mit Musikern aus den Kreisen um Herbie Hancock, Miles Davis und Carlos Santana, hatte ich die Nase voll und gründete dort mit Kollegen das internationale Künstlerkollektiv NYJG (New York Jazz Guerrilla). Unser Label heisst nach wie vor so. Mir ging es auch da schon um den Abbau von Feindbildern und die internationale Völkerverständigung, aber ebenso sehr um die Schaffung neuer Arbeitsstrukturen für Musiker. Das Internet war damals ganz neu und schien ein ideales Werkzeug … wir kooperierten zunehend mit ähnlichen Organisationen mit lokaler Struktur an verschiedenen Orten in der Welt, und schließlich gab es das erste Bimbache openART Festival, zu dem wir Künstler aus dem ganzen Netzwerk und bald aus fünf Kontinenten einluden.

Die Musiker aus traditionellen Stilen werden übrigens nicht aufgefordert, ihre Musik irgendwie zu verändern, wir erarbeiten statt dessen zusätzliche Räume und Klang-Layer, die mit der Substanz des Originals nicht kollidieren. Und alles zusammengefasst gelingen immer wieder kleine Wunder in der Überwindung von stilistischen Schubladen, Vorurteilen und Abwehrhaltungen, mehr, als das in New York der Fall war. Jetzt, in Coronazeiten, haben wir global und alle gemeinsam Gelegenheit, zu spüren, wie es sich anfühlt, ein paar Gänge runter zu schalten, und zu entscheiden, was davon wir bewahren möchten, statt manisch wieder in alle alten kulturellen Pathologien zurückzukehren. Ich werde weiter nach Kräften dazu beitragen, ob mit meinen Projekten wie Hattler, Idiot Savants und anderen, ob auf Tournee oder von Zuhause aus. Und im Rahmen des Festivals, wenn auch zur Zeit mit einer begrenzten Anzahl von Gästen, aber dafür mit Videomitschnitten, die wir dann hinaus in die Welt senden.

 

Danke für das schöne Gespräch.

 

(Weiterführende Links unter „Kommentare“)

 


 
 

 

„Landschaft …“, hat mal Eine gesagt, “ … ist doch nur Hintergrund für Liebe.“ Hintergrund für Liebe ist ein feiner, leicht zu lesender Sommerroman. Die große Verlegerin Helen Wolff (1906-1994) hat ihn geschrieben. Als sie auf den 20 Jahre älteren Kurt Wolff trifft, trifft sie auf Liebe, die sie so ausleben möchte, wie sie sie sich vorgestellt hat – möglichst frei. Der Mann dazu muss mitmachen oder gehen. Kurt Woll bleibt. Das „Buch eines Sommers“ hat Helen Wolff 1932/33 geschrieben. Ein leises, leidenschaftliches Werk.

 
 

Ein weiteres Buch wurde ebenfalls von einem Verleger geschrieben: es stammt von dem großen Verleger Siegfried Unseld, Gründer des Suhrkamp Verlags und hat den Titel Reiseberichte.

 
 

 
 

David Bowie war ein großartiger Verwandlungskünstler. Dass er sehr viel gelesen hat, war mir unbekannt. Davon zeugt jetzt ein Buch, das der Londoner Journalist John O‘Connell herausgebracht hat. Es basiert auf einer Liste von Bowies 100 Büchern, die ihn verändert haben / hätten. Dieses Buch macht neugierig. Erstens, weil man abhaken kann, was man auch schon gelesen hat (ohne sich verändert zu haben 😀) und zweitens, weil es ein Fundus von neuer Literatur ist. Das Buch trägt den schlichten Titel Bowies Bücher

 
 

 
 

Komm! Ins Offene, Freund!

Zugegeben, ich bin Safranski Fan: kein anderer Philosoph kann nicht nur mir die Zweifel der großen Denker besser erklären. Rüdiger Safranski hat eine Biografie über Hölderlin geschrieben. Es ist ein vergnüglich zu lesendes Buch. Es entlarvt so herrlich das gewitzte Schwäbele Hölderlin und auch den Tricksersohn Hölderlin seiner Frau Mutter gegenüber, die auf seinem Erbe sitzt. Wer jetzt noch Lust auf das Urwerk Hyperion hat, sollte das neue Buch Hölderlin von Meister Safranski dazulesen.  

 

2020 18 Aug.

Wellenalarm am Lavafeld

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„Ausgetheilet erfreut solch Gut und getauschet, mit Fremden, wirds ein Jubel …“

(Hölderlin)

Dass sich international bekannte Jazzmusiker jeden Sommer auf den Kanaren treffen, ist seit langem bekannt. Dass es jährlich ein Bimbaches Festival gibt – die Bimbaches waren die vorspanischen Einwohner der Insel El Hierro – erfuhr ich von Uli auf unserem letzten Manatreffen in Stuttgart. Er erzählte mir von einem deutschen Jazzmusiker, der auf Hierro lebt und dieses Festival ins Leben gerufen hat. Dass nun international bekannte Musiker anlässlich des 29. Jazzfestivals auf den Kanaren ihren Weg in das auf 900m Höhe gelegene, 1200 Seelen zählende Bergdorf El Pinar gefunden haben und zudem eintrittsfrei auftraten, ehrt die ganze Musikszene. In dem kahlen Raum des kleinen Kulturzentrums, das an seiner Außenwand an die unter Franco Verfolgten erinnert, waren die schwarzen Lautsprecher wie Lavabrocken auf den Vulkanfeldern lose verteilt. Der Einlass war streng, Masken das ganze Konzert über Pflicht, der Eintritt nur mit Registriernummer möglich. Es verteilten sich etwa 50 Gäste in großen Abständen, um dem Konzert zu lauschen. Es traten auf: THE NORTH SEA STRING QUARTET aus Rotterdam zusammen mit dem Gitarristen JAVIER INFANTE aus Gran Canaria. Ihr Programm nennen sie „Electric Amazigh.“ Amazigh steht für Berber. Und so hört sich auch gleich das erste Stück an, das unüberhörbar nordafrikanische Klänge aufweist. Die Spielfreude von Pablo Rodriguez ist ansteckend. Er experimentiert an seiner Geige und hat es wahrlich nicht leicht, sich gegen die hinreissenden, ECM-würdigen Klänge von Javier Infante zu behaupten. Javier spielt dann ein langes Solo auf seiner elektrischen Gitarre. Die beiden Meisjes an den Violinen sitzen zunächst etwas steif an ihren Instrumenten, entlocken ihnen aber dann aller höchste Töne, die mit dem Schrei eines Muezzin konkurrieren könnten. Das nächste Stück ist ein langes Solo von dem schon hervorgehobenen Pablo an der Geige. Er entlockt ihr hohe leise Töne. Später wird er bei der einzigen Zugabe noch seine kreativen Geist präsentieren. Mir hat das siebte Stück am besten gefallen. Javier Infante spielt zusammen mit Yanna Pelser ein stilles, zartes Stück, das sie mit leiser Vokalstimme beendet. Beim letzten Stück wirken die Musiker auf mich freier, weniger konzertant, improvisieren mehr, besonders der Cellist kommt sehr schön zum Einsatz. Die Musiker bekommen viel und lautstarken Beifall. Und stehen dann anschließend fast familiär mit uns vor dem Centro Cultural del El Pinar. Es war ein beeindruckender, schöner Musikabend auf der Insel, auf der ansonsten „El pito“, die Metallflöte, den Ton vorgibt.

 

2020 28 Juli

The Tree

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2020 21 Juli

Aus der Welt der Zufälle

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Antonio hielt den kaputten Boiler mit zwei Händen hoch über der Ablage und sang dabei ein Lied, das ich vom Text her zunächst erkannte. Es war eine alte Guanchenmelodie, die ich schon einmal in einem Park in La Laguna gehört habe. Ich war sofort von der Weichheit des Klangs beeindruckt. Sie erinnerte mich an die 69er Zeitklänge, insbesondere an den goosebumbsound von Artie Garfunkel – überirdisch. Ich ging neugierig diesem Sound  nach und wie oft, wenn ante portas, öffnet sich die Kunstwelt wie ein Schlaraffenland. Dichter, Sänger, Schriftstellerisches, Kunsttexte fand ich in alten, dicken Büchern der „Bibliotheka Canarias“ und stieß dann endlich, fast selbst schon verstaubt, auf den Urtext von dem Lied, das der Handwerker gesungen hat. Es stammt von dem Dichter und Philosophen Antonio Zerolo (1854-1923) aus Lanzarote. Ich las: “Zerolo! Simbolo, Candillo, Cantor!“ Zerolo schrieb enthusiastische Gedichte über die Kanaren und sang selbst die alten Guanchenlieder.

 

Hymne an den Vulkan / Ode an den Atlantik

 

“Wir haben das Meer, das uns umarmt, alles ist Licht und Poesie, es gibt keine Erde wie die unsrige, keine Rasse wie die unsrige …“

 
 
Wem einmal Zutritt in die Welt der Zufälle gewährt wurde, der bemerkt die Intensität der Verbindungen sogleich. Treten Sie mit ein ins wood wide web. First remember the sound of Robert Frost and enjoy it now:
 
 

“I‘d like to get away from the Earth for a while

and then come back and start it over

May no fate wilfully misunderstanding me

And half grant what I wish snatch me away

Not to return. Earth‘s the right place to love:

I don‘t know where it´s likely to go better …

 
 

(from The Birches/ Robert  Frost)

 
 

In der Welt der Vulkane gibt es eine Farbenpracht, die meist von Pilzen, Flechten oder Moosen herrührt. Sie breiten sich horizontal über lange Zeiten auf den Gesteinen aus. In dem wundervollen Buch Im Unterland erklärt ein Pilzforscher, wie schnell sich Pilze fortbewegen können und mit ihren säurehaltigen Ausscheidungen regelrecht Steine zerlegen können. Auf meiner Wanderung in einen Vulkankrater habe ich kurz nach dieser Lektüre das Wunder in der Natur entdeckt: “Du schaust auf dieses Netzwerk und das Netzwerk schaut zurück“ – das ist ein sehr beachtenswertes Zitat von diesem Pilzforscher. Parallel zu diesem Buch lese ich – oder wie Andreas Reckwitz meint: „kultiviere“ ich mein Leben also ziemlich singularistisch. Ich empfehle ebenso das Buch Die Gesellschaften der Singularitäten. Es geht in den beiden Büchern im Prinzip um das Gleiche: Wir Menschen müssen zusammenhalten, die Zukunft sieht eher schwer für uns aus. Schauen wir auf das Internet der Bäume und lasst  uns dann die richtigen kollektiven Entscheidungen treffen.

 
 

 
 

Sie hüpfte über die Mofetten wie ein junges Mädchen. Meredith Monk Zöpfe mochte sie sich aber nicht flechten, sie trug einen Pferdeschwanz wie Sandra Bullock. Überhaupt wäre sie gerne für ein paar Stunden die „Black Magic Woman“ von Deep Purple gewesen. Ihr war bei aller Beschwingtheit das Warnschild nicht entgangen. Sie würde sich jetzt konzentrieren müssen. „Akute Einsturzgefahr“ hatte sie gelesen. Verbote interessierten sie nicht. Sie würde auf jeden Fall in den Bimsstollen hineintreten. Sie hatte schliesslich einen 14km langen Fussmarsch hinter sich, allein, um dieses vulkanische Wunder zu bestaunen. Ausserdem hatte sie gelesen, dass hier eine Studentin den wunderschönen Edelstein Haüyn entdeckt hatte. Vielleicht hatte sie Glück … Für den Fall, dass sie von der Bimsschicht verschluckt werden sollte, hatte sie auf ihrem Smartphone ein paar Sprachfakten für die Nachwelt hinterlassen:

 
 

Heute ist der 12.6.2020. Die Temperatur beträgt 23 Grad, windstill, ein paar Quellwolken. Ich befinde mich in einer Bimshöhle an der Vulkanroute L3, Höhe Mending. Die ganze Welt ist von einem Virus namens Corona befallen. Die meisten Menschen fürchten sich und vergessen oder wissen einfach nicht, dass wir von vielen Viren umgeben sind, einige helfen uns sogar, weiterzuleben. Leider wurde John Prine, einfach der beste Songschreiber der Welt, von dem tödlichen Virus erwischt. Er lebt jetzt nicht mehr in Muhlenberg County, aber singt noch down by the green river, where paradise lay. Dorthin möchte ich jetzt noch nicht, ich will nach Möglichkeit noch zu den Lavafetzen und Spindelbomben und durch die Basaltdörfer wandern. When I get there, trinke ich einen Devon-S Riesling.

 

 

Es gibt den Weg in Sils, auf dem sie vom Fahrrad stürzte und es gibt den „Holzweg“, der dir Zuspruch sein soll. Auf welchem Weg Phil May vom Fahrrad fiel, ist mir nicht bekannt. Sicher ist, dass die ärztliche Fehlbehandlung bei Annemarie Schwarzenbach (1908-1942) zu ihrem Tod führte. Sicher ist auch, dass Phil May an den postoperativen Komplikationen starb. Annemarie Schwarzenbach war eine extreme Abenteurerin. Sie wagte sich mit wackligen Autos in gefährliche Gebiete (ihre Reisebücher Tod in Persien oder An den äußersten Flüssen des Paradieses zeugen davon). Stets kehrte sie unversehrt nach Sils zurück. Unfassbar, dass sie anlässlich eines harmlosen Fahrradunfalls zu Tode kam. Phil May war der wilde Frontmann meiner jugendzeitlichen Idolband The Pretty Things. „Don’t ring me down“ …  „Cry to me“ …  „Rosalyn“ –  bis heute meine Nummer Eins:  „We’ll Play House“. Can’t stand the pain.

 


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