Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2021 29 Jan.

Seltsame Berührungen

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„Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir …“

(Kant)

 

Mutter nahm mich selten an die Hand. Sie ging meistens singend neben mir her und wenn sie nicht sang, erklärte sie mir die Welt.

An einem hellen Tag spazierten wir durch eine fremde Stadt. Vor einem weissbraunen, im portugiesischen Stil erbauten Haus blieb Mutter stehen. Sie griff nach meiner kleinen Hand, ich war wohl sechs oder sieben Jahre alt und sagte leise: „Da gehen wir jetzt hinein.“ Am Eingang stand eine blauuniformierte Frau. Sie winkte uns hinein. „Bitte berühren Sie nichts!“ Wir stiegen eine steile, mit rotem Bastteppich belegte Treppe hinauf. Mutter machte selbst das Licht in dem dunklen Raum an. Sie bewegte sich selbstsicher über den alten Teppich, so als ob sie schon oft hier gewesen war. „Du stellst dich jetzt an den Treppenabsatz. Wenn jemand kommt, gibst du mir ein Zeichen.“ Ich nickte und folgte ihr mit neugierigem Blick. Was sie wohl vorhatte! Sie blieb vor einem braunen Lederkasten stehen und starrte ihn an. Mutter erzählte mir später, dass es ein Highlight ihres Lebens gewesen sei, damals im Museum vor dem Grammophon von Alexander von Humboldt gestanden zu haben. Sie knipste geräuschlos das Messingschloss auf und schob den schweren Deckel nach hinten. Sie sah kurz zu mir herüber. Ich winkte aufgeregt mit beiden Armen. Sie schloss sofort den Kasten. Ich grinste, streckte die Zunge raus und signalisierte: Fehlalarm. Sie schüttelte den Kopf und öffnete erneut den Musikkoffer. Aus einer eingenähten Tasche nahm sie vorsichtig eine Schallplatte heraus. Sie war sehr neugierig auf die Musik, die Alexander von Humboldt damals in der unentdeckten Welt gehört hatte, sagte sie später. Das Label war von Brunswick. Sie stutzte kurz. Da stand „Made in England“. Sie kannte Brunswick nur den USA zugehörig. Brunswick Records zählte Ende des 19. Jhdts zu den „Big Three“, mit Columbia Records und Viktor Talking Machine Company. Später verkaufte Brunswick an Warner Brothers. Aber England? Mutter drehte die Schallplatte in Ihren gespreizten Händen.
 
 

 
 
Später erzählte sie mir, dass sie mit gemischten Gefühlen auf den Titelsong reagiert hatte.  „Don‘t cry Joe. Let her go, let her go, let her go.“ Mutter hatte sich vor Kurzem von Vater getrennt. Sie steckte die Schellackplatte behutsam in die Stofftasche und verschloss den Lederkoffer. Dann kam sie zu mir, nahm meine Hand, drückte sie und hielt mich fest. So verließen wir das Museum. Unterwegs sagte sie zu mir: “Wenn man nichts berührt, erweckt man auch nichts.“

Ich verstand damals nicht, was sie meinte. Wenn ich heute Johnny Cash oder Little Richard oder Buddy Holly höre, dann denke ich an sie. Ich sehe sie am Orinoko stehen, mit Blick auf das Grammophon, die glänzende Schellack in den Händen.

Let her go, let her go, let her go.

2021 9 Jan.

When Music Is Sailing

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In seiner Neujahrsansprache hat der Inselpräsident der Kanaren, Angel Torres, aus dem Werk des kanarischen Schriftstellers, Benito Perres Galdós, zitiert: „Alles segelt, alles ist ein stetiger Kampf, eine große Aufwengung von Mühe, Kunst und Mut, um nicht zu ertrinken.“ Es war eine große Rede, die er an sein Inselvolk hielt. Das Ausbleiben der Touristen führt zu zunehmender Arbeitslosigkeit, gleichzeitig muss der Flüchtlingsstrom aus Afrika bewältigt werden.

Nun gibt es zum Glück auch Wunderbares aus der Atlantikwelt zu erzählen. Auf der Nachbarinsel La Gomera gibt es eine Piano Bar, die dem Lockdown zum Trotz geöffnet ist.

„Well I went to a dance and I wore out my shoes, wake up this morning  wishing I could lose them jumpin‘ the honky tonk blues …“ (Hank Williams)

Als ich am späten Abend in die Bar ging, hatte ich die Vision, dass gleich John Prine auf die Bühne jumpen würde. Ich staunte nicht wenig, als offensichtlich eine Französin, klein, zierlich, erotisch die Beinchen hob und „La vie en rose“ sang. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich von der hohen, kulturellen Luft abgehängt war. Die Chansonsängerin beherrschte den französischen Poesiekanon très bien. Valéry, Rimbaud, Villon. Ich war von ihrer koketten Performance begeistert. Begleitet wurde sie, klassisch, wie andere grosse Musikerinnen, vom Mann am Klavier. Urplötzlich sprangen zwei Musiker auf die Bühne, der eine mit Klarinette, der andere umklammerte eine Trompete. Und dann swingten sie los. Umwerfend der Sound, den sie aus New Orleans mitgebracht hatten oder aus Französisch Neuguinea oder von den Kapverden. Auf der Bühne herrschte ein klein orchestraler Trubel. Mit ihrer Spielfreude steckten sie das eher verhaltene Publikum an. Was für ein musikalisches Feuerwerk an diesem denkwürdigen Sylvester Abend.

Am Neujahrstag wanderte ich zu der Stelle, wo Teile des Bergmassivs abgebrochen waren. Unterwegs begegnete ich dem Klarinettist vom Vorabend in der Piano Bar. Wir kamen sofort ins Gespräch.

Und jetzt erzähle ich von dem anderen Segeln.

Anton Kerkof war mir in dem Club wegen seiner lässigen Spielfreude und seinem fröhlichen Lachen aufgefallen. Er war perfekt an seiner Klarinette. Die klaren Töne erinnerten an Windwellen, die mit ihrer eigenen Geschwindigkeit aus dem Instrument sprangen. Ich teilte Anton diese Assoziation mit. Er lachte und meinte: „Oui, c‘ est juste. Je vie sur un catamaran avec des autres artistes.“ Der Trompeter von gestern Nacht sei der Kapitän. Sie besegelten seit einigen Jahren die fünf Ozeane und spielten an Bord oder wo immer sie anlegten.

 
 

 
 

Anton lud mich spontan ein, am Abend zu ihrem Sonnenuntergangskonzert zu kommen.

Und dann entdeckte ich SIE. Was für eine ferne Sehnsuchtsstimme wehte denn da rüber zu mir? Wer sang da mit rarer Stimme so schön den alten Jazz? Wer war die Frau, die so leicht über ihr Waschbrett strich? Ich war hin und weg.

Anton entdeckte mich in der kleinen Ansammlung und schenkte mir seine CD. Das wären also die Honky Tonk: Hot Jazz and Stompy Blues by Sail. Die Musikerin mit der „slinky, supple voice“ heißt Leonie Evans.

Leonie kommt aus London und ist in der weltweiten Musikszene bestens bekannt. (Leonie Evans at All About Jazz). Sie ist eine echte Musiknomadin. Für mich eröffnet ihre Stimme gewaltige Räume: Old English Highlands, Dust Bowl, Great Plains oder New Orleans mit dem „big easy“. Very, very moving.

Anton erzählte über die Zirkusmädchen, die auch an Bord waren und dem Maler, der dieses wundervolle Künstlerprojekt auf See organisiert. Er selbst wolle noch eine Weile mitsegeln, es mache ihm so viel Spaß, noch ein bisschen „out of  the nest“ zu sein. Genauso heißt das neue Album seiner Band in Brüssel. Das sind die berühmten „Blue Mockingbirds“.

Wer jetzt noch eine neue Erzählung will, der öffne die Website der Blue Mockingbirds und komme so richtig ins Swingstaunen.

 

2020 25 Dez.

Wer wird mir eine Gitarre leihen?

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Zum ersten Mal hatte ich ihn auf Window Swap gehört. Da war irgendwo ein Mann aus dem Fenster gefilmt worden, wie er an seinem Ghettoblaster herumbastelte. Der Song ging mir sofort unter die Haut. Ich konnte  ein paar Wörter aufschnappen, eindeutig war nur die Begleitung an der Gitarre. Ich konzentrierte mich auf den Text. Ich wollte herausfinden, wie das Lied heißt und wer es singt. Zunächst verstand ich … visto … camino … muero … cruces. Immer wieder ließ ich das Video ablaufen, bis ich die Schlüsselwörter zusammen hatte. Wikipedia erklärte den Rest. Der Song heißt „He Visto Cruces De Palo“ – von Atahualpa Yupanqui. Claro, Spanisch, Argentinien. Für meine Zoomparty fehlte mir noch die Musik. Vale, es war für meine Umgebung die perfekte Musik.

 
 

Yo he visto cruces de palo

A la crilla del camino

Ich habe Holzkreuze entlang der Straße gesehen.

Ich dachte an die vielen ertrunkenen Flüchtlinge, für die kein Holzkreuz nirgendwo aufgestellt würde. Denen ich nie in die Augen werde sehen können. Die unsichtbar wie ein Virus, un(be)greifbar sind.

Ich will Ihnen ein Denkmal setzen.

 
 

 
 

For all drowned refugees

Do not fear the Whales nor the Orkas

They will swim at your side

Dive with you into deepest regions

Where unknown life exists

The ocean will be calm and kind

You will stay in our thoughts

Like a cross made of marble.

 

VUÉLVETE

 

2020 24 Dez.

TROTZALLEDEM

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Dreifach ist der Schritt der Zeit

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen

Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen

Ewig still steht die Vergangenheit

 

(Friedrich Schiller, Spruch des Konfuzius)

 

Allen Manas ein besseres Jahr!

 

hallo!

 

sweat – Schwitzen

halo of sheep

Schwitters‘

(ap) posite

(positive?)

Positz?

withering

weiter

 

Diese Musik hat mich im Coronajahr getröstet und erfreut:

 

John Lennon: Imagine

John Prine: Some humans ain‘t human

Neil Young: Looking for a leader

Joni Mitchell: Let it be me

James Taylor: You‘ve got to be carefully taught

Brian Eno: Taking Tiger Mountain

Kronos Quartet: Which side are you on?

Wilco: Everyone hides

Bruce Springsteen: Letter to you

Neil Young: Try

 

Ich saß unten vor der Hafenkneipe „Mar de las Calmas“. Ich hatte mir ein Dorada bestellt, ein gutes kanarisches Bier, und einen Peto. Meine Gedanken schweiften zu den letzten Klanghorizonten, wo Michael so schön „Wahoo“ aussprach. Wahoo ist ein Peto ist ein Thunfisch.

Hier meine Übersetzung des Gedichts, das Michael vorlas:

 
 

Südwärts zur Countrymusic

(von Will Burns für Greg Burns)

 

20 Meilen entfernt von der Forellenfarm gibt es nur Musik

und den grünen Volvo

und einen Himmel, der aufreißt,

nach schwerem Regen.

Könnten wir doch tagelang durch einen ganzen Kontinent fahren.

Bis wir zum Meer kommen, wo

wir die Namen von Grosswildfischen lernen:

Sockey  und Wahoo

Wo wir in ein Land kommen,

das uns am Rand der Mesa siedeln lässt

und wir mit unserer Erinnerung an unsere Kalkhügel glücklich sind .

Jetzt fahre ich mit dir stillem Bruder

schon eine halbe Stunde und

endlich fließt der Sound der Steelguitar in die Stille,

wie all deine besten Fische.

 
 

Die Stille wurde durch Sirenen und Blaulicht von Rote Kreuz Wagen durchschnitten  Ein Holzboot wurde in den kleinen Hafen von La Restinga geleitet. Ich nahm noch einen Schluck Bier und ging dann hoch auf die Kaimauer. Ich erschütterte. Ich sah über 100 Flüchtlinge auf dem Fischerboot, später erfuhr ich, es waren 159, darunter ein Toter. Alles Männer aus dem Senegal. Sie waren mit diesem Kahn über eine Woche auf dem stürmischen Atlantik unterwegs.

 
 


 
 

In den letzten drei Wochen sind 480 Flüchtlinge auf dieser gefährlichen Route ertrunken. Sie wagen die Flucht aus Verzweiflung über die leergefischte Hochsee und die Ausbreitung der Sahara, wo wegen Trockenheit nichts mehr anzubauen ist. Die Refugees sind hier willkommen. Sie werden in wegen Corona leerstehenden Hotels untergebracht, bis sie nach Spanien gebracht werden. Natürlich beutet auch eine kleine Rechte Gruppierung das Thema für sich aus.

Eine andere, engagierte Bewegung unterstützt und hilft bei der Bewältigung der Flüchtlingsarbeit – immerhin sind es allein 16000, die es bis zu den Kanaren in diesem Jahr geschafft haben.

Diese engagierte Gruppe kämpft noch gegen was anderes: Keine Verstrahlung durch G5.

Die Herreños sind durch ihre Geschichte hindurch stark. Venceremos!

Gestern Abend traten im Kulturzentrum der Haupstadt TänzerInnen aus Spanien, Luxemburg, Italien und Deutschland auf. Bei diesem alljährlich stattfindenden Event können sie einen Preis für Tanz bzw. Choreographie  gewinnen.

Es ist immer wieder spannend, sich auf die Hochzeit von Musik und Tanz einzulassen. Ich war sehr auf die ausgewählte Musik gespannt.

Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng, es wurde auch vor Eintritt Fieber gemessen.

Der erste Tänzer ließ sicher gleich die Temperaturen ansteigen. Er kam auf  Roller Skates auf die karge Bühne, ein viereckiges weißes Tuchquadrat war seine Spielwiese. Er trug zunächst noch ein Jäckchen, einen Bolero. Und die Musik von Maurice Ravel hatte er sich dazu ausgesucht. Seiner Hommage an Ravel konnte man lustvoll zusehen, Mit einem Flamenco Verve warf er sein Jäckchen weg und ließ die Rippen spielen. Der junge Luxemburger beherrschte den Michael Jackson „Zuck“ genauso perfekt wie den Torrero „Lock“. Er zeigte Breakdance Können und Street Vibe Dance vom Zackigsten Die Abfolge seiner Choreografien war tänzerisch attraktiv inszeniert und zum Schluss hin buchstäblich schnell getanzt bis zum Umfallen. Und das auf Roller Skates!

Die etwas 60 Zuschauer waren begeistert.

 

Beim zweiten Auftritt sah man auf der Bühne ein sich bewegendes Knäuel. Nur zögernd lösten sich die beiden Tänzerinnen aus Berlin. Wie in einer Picasso’schen „Der Kuss“- Pose hielten sie sich eine Weile eng umschlungen.  Wie eineiige Zwillinge tanzten sie parallel genauestens, ihre Erotikausstrahlung durch ihre Bewegungen also im Doppelpack, ihre außergewöhnlich leicht erscheinende Akrobatik bewundernswert. Sie nennen ihr Stück „Ode to Phanes“ (Phanes ist der Urgott, der aus dem Welten Ei schlüpft).

Ihre Choreografin sollte man sich merken. Alma Edelstein hat wunderbare Musik für die beiden Tänzerinnen ausgewählt. Zum einen von Johann Johannsson „Heptaped B“ und zum anderen von Max Cooper „Order from Chaos“.

 

“The ocean

The warm grey sea

Tell me or kick me or please believe“

 

Dieser Song ist auf der LP Horses in the Sky (Track 2) zu finden und heißt: „Mountains Made Of Steam“. Von A. Silver Mt. Zion (kanadische Postrock Band).

Dieses Tanzstück erschließt sich über die Musik. Zunächst flitzen zwei Tänzer aus Spanien in Alltagskleider über die Bühne. Sie machen einen tollpatschigen Don Quichote Eindruck, der eine hält einen glitzernden Kompass in der Hand, ein Telefon klingelt, was suchen die Beiden? Kann man zwischen sich suchen und finden? Ups, der Kompass geht verloren. Und die ganze Zeit tanzen die beiden suchend sich wälzend, breakdanceartig auf der Bühne.

Wir sind auf El Hierro. Unten „the grey Ocean“ und oben die „Mountains made of Steam.“

 

Musik: Chip Taylor „ On the Radio“

“And on the radio we heard: November Rain.“

Chip Taylor gibt es schon lange. Unvergessen sein „Wild thing“. The Troggs sangen es. Jimi Hendrix noch besser. Die Country Kenner lieben seinen Song: Sweet Dream Woman Waylon Jennings singt ihn am besten.

Und nun zu der Italienerin, die zu dieser Musik tanzt.  Sie liegt zuckend am Boden, anfallartig versucht sie, ihr Nervensystem unter Kontrolle zu bringen. Langsam schafft sie es, sich aufzurichten. Sie zieht ihr Jackett aus, darunter durchsichtige Haut. Entpuppt sie sich? Schlüpft sie aus ihrem Kokon und wird gleich fliegen wie ein Schmetterling? Zumindest wird ihr Tanz jetzt zum klassischen Ballett mit wunderschönen Pirouetten. Sie gleitet elegant wie ein Klimt Gemälde über die Bühne. Ihr Tanzstück „Crisalide“ hat mir am besten gefallen. Und nicht nur wegen Country ;)

Wenn beim Ausgang nochmal Fieber gemessen worden wäre, ich bin sicher, da wären einige „Fälle“ darunter gewesen.

2020 14 Okt.

Interview mit Michael Fahres

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„De todo el paisaje herreño
lo que mas atención llama
es el balcón de  Jinama.

 

Lajla Nizinski: Michael, auch dich habe ich auf dem Sonntagsmarkt in La Frontera kennengelernt. Du hast Germanistik, Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Philosophie studiert. Und du bist Komponist. Du lebst in Utrecht, wo du zwei Jahre im Institut für Sonologie studiert hast. Anschließend warst du der Leiter des „CEM“ Studios in Amsterdam. Mit was beschäftigt sich die Sonologie?

Michael Fahres: Die Sonologie ist eine Wissenschaft, die die Welt der Klänge untersucht.

 
 


 
 

Du hast viele Projekte durchgeführt. Ich schlage vor, wir nehmen uns die für dieses Interview ausgewählten Projekte chronologisch vor. Bereits 1982 wurde dein Album „Piano. Harfe“ von ECM aufgenommen. Wie bist du in den heiligen Gral von Manfred Eicher gelangt und wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

1979 habe ich das „European Minimal Music Project“ gegründet. Wir wollten untersuchen, ob es auch europäische, nicht nur amerikanische minimal Musik gibt. Es war Jürgen Drews, der damalige Leiter des Musikreferats des Goethe-Instituts, der die Verbindung zu ECM herstellte. 1980 entstanden dann meine beiden Stücke „Piano“ und „Harfe“. „Piano“ wurde dann etwa ein halbes Jahr später vom Rundfunk gesendet. Daraufhin rief mich Eicher aus dem Auto auf seiner Reise in die Schweiz an und bot mir einen Plattenvertrag an.

Wir haben über die beiden Stücke lange diskutiert. Er wollte als zweites Stück meine damals neue Komposition „Glasharfe“ nicht so gerne aufnehmen. Wir haben uns dann auf „Harfe“ geeinigt. Ich fuhr 1982 nach Ludwigsburg und habe da die Aufnahme meiner beiden Stücke realisiert. Eicher hatte damals auch Steve Reich unter Vertrag. Die Minimal Musikszene wurde also interessant. 1985 erschien dann die LP.

1994 hast du ein 16stündiges iKonzert am Masadafels in Israel aufgeführt. Der Ring von Richard Wagner dauert ebenso lang. „Sunwheel“ hat die Sonne zum Thema. Wie hast du das gemacht?

Zunächst wurde das Konzert 1992 in Lelystad / Holland in dem Sonnenobservatorium von Robert Morris uraufgeführt. Die Proben fanden übrigens im ATA TAK Studio in Düsseldorf statt. „Sunwheel“ ist eine Landschafts-Umgebungs-Musik, eine Sonnenuhr, die die Geschichte des Lichts erzählt. Zunächst habe ich die Sonne untersucht. Ich wollte die Sonne zum Klingen bringen. Wie ich das gemacht habe, steht hier. 1992 und 1994 haben wir ebenfalls mit den Knistergeräuschen von Feuer gearbeitet.

Auch in Masada zeigten wir am Ende den Film Lektionen der Finsternis von Werner Herzog. Er handelt von den Ölfeldern in Kuwait und zeigt, wie amerikanische Truppen die Ölfelder in Brand steckten. In Masada verwendeten wir auch einen Sonnensynthesizer, der Klänge produzierte, wenn die Sonne darauf scheint. Wir waren die ersten deutschen Musiker, die in Israel in Masada auftraten. Es war ein Gemeinschaftsprojekt mit israelischen Musikern. Schirmherr war das Goethe-Institut in Tel Aviv.

 
 


 
 

Wir sind hier in El Hierro. Nicht weit von deinem Haus fällt eine steile Felswand hinab in die Golfebene. Friedrich Nietzsche schrieb in „Jenseits von Gut und Böse“:  „Und wenn du lange genug in den Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Ist der Titel deiner LP „Tibataje Abseits Jenseits Davor“ eine Entlehnung von Nietzsche?

Ja, das kann man so sagen. Als Kind empfand ich Berge als sehr bedrohlich. Als ich hierher kam, hatte ich Schwierigkeiten mit der riesigen Wand. Ich hörte damals ununterbrochen Arvo Pärt: „Tabula Rasa.“ Ich glaube seine Musik hat mich vor einer Depression gerettet. Seine Musik half mir, die Gewalt des Berges auch als positive Kraft der Natur zu sehen.

Wie seid Ihr bei diesem Projekt bei den fieldrecordings vorgegangen?

Die Musiker spielten Variationen von Rhythmen auf drei großen Trommeln, die auf Hierro hergestellt werden. Diese Rhythmen werden alle vier Jahre zu Ehren der Maria aufgeführt. Vor den Schlagzeugern wurden drei Mikrofone aufgestellt.

Die Musiker standen etwa 50 Meter vom Berg entfernt und in Abständen von 100 Metern zueinander. Außerdem ist weiter oben am Hang ein weiteres Gerät installiert, das überkuppelnd das gesamte akustische Geschehen aufnimmt. Um eine Synchronisation der jeweiligen Tonbandaufnahmen zu gewährleisten ist ein spezielles Beginnsignal, das Schlagen zweier Holzblöcke, vereinbart. In der Landschaft waren Ziegen, Falken, Geckos. Dies alles zusammen echote gegen die riesige Felswand, die das Echo zurück warf. Das war das Neue, ich fing den Sound auf und vermischte ihn mit den Klängen der Musik.

 
 


 
 

Deine kompositorische Formel könnte lauten: „Performance plus Natursound plus Naturecho“.

Ja, das stimmt.

Auf unserem Blog geht es viel um Ambient und seinen Erfinder Brian Eno. In seiner Sendung am 26.12. wird Michael Engelbrecht Musik von Jon Hassell spielen. Auf deiner CD The Tubes, die du auch auf Hierro aufgenommen hast, hört man die Wellen gegen den Stein schlagen. Und dann setzt die Trompete von Jon ein.

Ja, das sind keine Wellengeräusche. Der Klang kommt von der Bewegung der Wellen des Meers, die das Wasser in die Vulkan-Röhren drücken, deswegen auch „Tubes“. Rein und raus. Das ist ein sehr entspannendes Geräusch, so als ob wir gleichmäßig ein- und ausatmen. Von den 15 Stunden Tonaufnahmen konnte ich allein etwas eine Stunde verwenden, da die Luftgeräusche die Aufnahme übersteuerten . Das war die Urversion. Später kam dann die Version „Crosscurrents“ mit dem aboriginal Didgeridoo Spieler Mark Atkins in Sydney zu Stande – und dann natürlich „The Tubes“ mit Jon Hassel und Mark Atkins zusammen. Wir nahmen übrigens die Trompete mit dem besonderen Röhrenmikrophon von Daniel Schwartz auf, das Mikrophon, das auch Miles Davis verwendete.

Michael, herzlichen Dank für das spannende Gespräch.

 

2020 29 Sep.

Zdenek Adamec

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Popa Nos (1949-) ist ein tschechischer SingSongwriter, Sänger und Schauspieler und ein sehr virtuoser Gitarrenspieler. Wie und wo ich ihn entdeckte, erzähle ich später.

Zdenek Adamec war ein 18 jähriger, tschechischer Schüler, der sich am 6. März 2003 auf dem Wenzelsplatz in Prag selbst anzündete und verbrannte. In seinem Abschiedsbrief beklagt er das demokratische System, das nur von Macht und Geld gesteuert sei. Er bittet darum, ihn nicht als Irren abzutun. 1968 hatte sich Jan Palach an gleicher Stelle angezündet. Er demonstrierte gegen den Einmarsch der Soviets und bezahlte mit seinem Leben.

Pepa Nos mit der tschechischen Version von Bobby‘s „ And the times they are a changin‘“  …

Gestern bekam ich Post von Gregor. Er hat das neue Peter Handke Buch auf den Weg zu mir gebracht. Es war so lange unterwegs wie ein Dampfer von Hamburg nach New York ;)
 
 

 
 

“Ehre, Wahrheit, Talent und

Gottesgaben,

zahlen, Mädchen, in dieser Welt sich nicht aus.

Wer sie  hat, wie Zdenek Adamec,

verliert am Ende alles“

 
 
Das sind Zeilen aus einem Lied von Pepa Nos, die Handke seiner dramatischen Erzählung vorangestellt hat.

Mit diesem Text setzt er dem jungen verzweifelten Zdenek ein Denkmal. Wie macht er das? Handke kennt seinen Goethe und „er komme von Shakespeare“. Er nimmt eine Schlüsselszene aus „Wie es Euch gefällt“ und der Ardennerwald ist dann auch der Böhmerwald, wie er des Öfteren mit Spiegelungen spielt. Der kleine Zdenek findet sich beim Blaubeersammeln allein im Wald, die Mutter kommt erst später. Dieser Ort wird für ihn zum Ursprungsort für Heimat und Leid. Er wird die Prüfung des Lebens nicht bestehen. Er nimmt zwar jemanden mit in den Wald, doch dieser schweigt, ist leider nicht der religiöse Begleiter, wie bei Shakespeare, der Frieden bringt. Dadurch verliert der Zauberort an Attraktivität. Er geht nie wieder hin. Er sitzt ab gleich vor seinem PC in einem dunklen Zimmer bei seinen Eltern. Und jetzt gelingt Handke etwas Großartiges: er zeigt an diesem traurigen Fall, wie Recherche sein sollte. Er untersucht die Medien, die weltweit über den Selbstmord berichten. Dann zeigt er, WIE er recherchierte. Er nennt detaillierte Fakten, die Koordinaten stimmen. Es heißt „ man erzählt“ und dann: “und jetzt erzähle ich“. Er hat den Vater interviewt. Er erklärt wie Zdenek zum „Darker“ wurde. Und wie die ‚Zwischendurchhoffnung‘ auch keine Rettung für Zdenek ist. Seinen Abschiedsbrief nennt Handke einen Psalm, was ja Klagelied bedeutet, mit der Hoffnung auf Wendung. Und wieder gelingt Handke ein schöner, emphatischer Coup. „Wo bleibt der Gott, zu sagen, was er leidet,“ – bei Goethe‘s Tasso heißt es: „gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.“ Am Ende des nächtlichen Gesprächs heißt es:
 
 

– „Ich wollte noch was sagen“

– „Sag‘s!“

– „Jetzt weiß ich’s nicht mehr. Plötzlich weiß ich nicht mehr.“

2020 25 Sep.

Au Revoir Juliette

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Ich gehe die Treppe hinunter in die Bar Tabou. Dort steht „die geschlossene Gesellschaft“: Sartre, Mauriac, Gainsbourg, Prévert, Ferré. Und mittendrin ihre Schwarze Braut. Sie singt „La Rue des Blancs Manteaux“. Jean Paul hat es für sie geschrieben. Sie lehnt an Serge, lacht, singt bis sie von Albert zum Tanz weggezogen wird. Wie ich sie um ihre Freunde beneide, ich hätte sie alle gerne gekannt.

Ich liege auf einer Mauer an der Seine. Ich warte auf meinen Provo, der eben mal seinen Rucksack aus dem „Le Chat qui pêche“ holen wollte. Er kommt nicht zurück. „Le Temps des Cérices“ ist kurz. Juliette Greco singt es am schönsten. Sie legt Revoluzzertimbre hinein. Sie will, dass sich die sozialen Umstände verbessern und sie will Freiheit. Wie sie Jacques Brel‘s „Ne Me Quitte Pas“ ganz anders interpretiert – frauenstark, selbstverliebt: „Mich verlässt hier keiner!“

Ich sitze in der ersten Reihe einer Konzerthalle. Hinter mir ertönt eine Stimme: „Ah, Frau N also auch Greco Fan.“ Es ist die Stimme meines idiotischen Fachreferenten. Ich drehe mich nicht um. Mon dieu, was will der in einem Greco-Konzert, er kann nicht mal L’ Accordéon auf Französisch schreiben. Mit diesem Chanson beginnt die Kajalsphinx ihren Auftritt. Natürlich in black mit ihren feinen Händen in der Luft. Sie kann Elfe sein und im nächsten Song barsch und androgyn wie David Bowie: „Non, je n ´ai pas 20 ans“. Jetzt ist sie mit 93 gestorben. Wo wird man sie beerdigen? Ich hoffe in der Nähe von Gainsbourg. Ich werde hingehen und zwei Zigaretten auf einmal rauchen und mit lasziver Stimme „Déshabillez-moi“ summen und Serge diesen weiblichsten Song überhaupt als Vorspiel für „Je t‘aime“ empfehlen.


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