Morgens um Zehn ist die Welt noch in Ordnung. Auch an einem diesig-trüben Sonntagmorgen im November bietet sich eine einladende Atmosphäre. Zu einer Walkingrunde als warm-up, begleitet von allerlei Kirchglockengebimmel ringsum, gesellen sich Fitnessaktivisten aller coleur, der Witterung zum Trotz herrscht eine Frohzeitstimmung. Sollte ich wählen, dies wäre meine Gemeinde. Ich steige aufs Rad mit diesem Kolumbus-Feeling von Freiheit: wohin werden mich Wind und Wille treiben? Es fädelt sich gen Süden aus, wo ich ewig nicht mehr war, bald lasse ich das Messegelände linkerhand liegen. In der Leinemasch südlich der Stadt dann eine wunderbare Stille. Kein Motorengeräusch, Kraniche und Krähen prägen die Szenerie. Dazu feuchten Wiesen, ab und an ein Gehöft, Hühner gackern zu Mistgeruch, Heimatgefühle kommen auf. Schön, wenn man als Städter weiss: die Milchkuh ist nicht lila. Übermütig nehme ich in der Pampa eine unbekannte Abzweigung, die mich reizt. Regel Nummer eins: Nimm nie an einem diesigen Novembertag eine Abzweigung, nur weil sie dich reizt. Regel Nummer zwei: Wenn du überhaupt nicht mehr weiterweisst, sprich die nächstbeste entgegenkommende Joggerin an, es könnte the last human being on earth sein in einer plötzlichen Fremde, in der auch ein Reinhold Messner sich geworfen und verloren fühlte.
Entschuldigung, ich habe die Orientierung verloren! Wo geht es nach Hannover?
Hmm, schwierig, sie könnten dort lang …
Wo ist denn überhaupt Süden?
Das dürfen Sie mich nicht fragen, ich bin eine Frau!
(genderkonformes Lachen beiderseits)
Aber wissen Sie was, Sie fahren noch besser dort zur Siedlung und dann …
Hmm, wirklich?
Ja, das ist der einfachste Weg. Die Strasse nach Wilkenburg und dann sind Sie bald am Maschsee – versprochen!
Ich bedanke mich und wir zischen beide in entgegengesetzte Richtung weiter, gutgelaunt und durchaus im Saft. Bald ist die Umgebung wieder vertraut und ich beginne laut zu singen (neue Entdeckung, aktiviert die Zirbeldrüse). In Linden bei der Glocksee gegenüber des Ihmezentrums mache ich meine gewohnte kontemplative Pause. Dehnungsübungen sind jetzt angebracht. „Haha, sieht gut aus – vergesse ich immer …“ lacht ein vorbeiradelnder Freak. Auch hier bedanke ich mich – man nimmt ja jeden Strohhalm gerne an in fortschreitendem Alter. Das Gute aber ist nach einer solchen Tour: der Kopf ist durchgepustet. Innerlich aufgeräumt kann man sich nun der Frage stellen: wen wählen bei der baldigen Bundestagswahl? Es wird wohl oder übel wieder jene Partei sein, die als einzige sich aktiv für den Ausbau von Fahrradwegen und den Abbau von Massentierhaltung (Tiere als Produkt, ja geht’s noch?) einsetzt – und an diese gerichtet wäre meine dringende Empfehlung: nie und niemals wieder eine Koalition mit einem Herrn namens Lindner!