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2016 4 Sep

Gregor öffnet seinen Bücherschrank

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | Comments off

Paul Murray: Der gute Banker
 
 

`Ein mitreißender´, okay, `eine hochkomische Betrachtung der Betrügereien, die im Namen der Kunst, der Liebe und des Kommerz geschehen´, das ist zum geringen Teil durchaus richtig, `und wahrscheinlich das lustigste Buch, das über die andauernde Finanzkrise geschrieben wurde´, dazu: habe ich ein anderes Buch gelesen? Es geht um den Klappentext des neuen Romans von Paul Murray, der nun wirklich nicht sehr hilfreich Interesse für ein in der Tat großartiges Buch zu wecken sucht. Auch wenn ich im Klappentext erfahre, dass der Autor 2016 mit dem Wodehouse Prize für Komische Literatur ausgezeichnet wurde, so empfinde ich sein neues Buch – wie übrigens auch den Vorgänger-Roman `Skippy stirbt´ – alles andere als komisch. Viele Ideen, die Paul Murray in seinen Büchern entwickelt, mögen wirklich komisch sein (vor allem sein Erstlingswerk `An Evening of Long Goodbyes´ ist in der Tat komisch), aber deshalb sind seine Bücher nicht einfach nur lustig, vor allem nicht sein jüngstes.- Als quasi Vorfilm zum Buch empfehle ich Michael Moore´s `Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte´. Dieser Dokumentarfilm (2009) versucht die Finanzkrise von 2007 zu erläutern, übrigens auch auf sehr humorvolle Weise, aber dennoch sehr engagiert und überaus ernsthaft.

 
 
 

 
 
 

Die Finanzkrise von 2007, die im Herbst 2008 ihren Höhepunkt erreichte, wird in ihrer ganzen Tragweite von Paul Murray für Irland, wo der Roman `Der gute Banker´ spielt, korrekt dargestellt (auch, wenn wir heute wissen: es war alles viel schlimmer). Paul Murray gelingt es unglaublich gut, komplizierte Vorgänge, wie sie die letzte katastrophale Finanzkrise nun einmal darstellt, allgemeinverständlich in eine Romanhandlung einzubinden. In der Tat war es doch so, dass sich die Regierung Irlands in dieser Zeit von der Bank Merill Lynch hat falsch beraten lassen. Bei Murray ist es die BOT, die Bank of Torabundo, die gefälschte Empfehlungen zur Rettung des irischen Bankensystems herausgibt. In ebendieser Bank versucht der Held des Romans, Claude Martingale, sein Glück als Banker. Er, ein gebürtiger Franzose, arbeitet als Analyst in der BOT-Investment-Bank in Dublin. Eines Tages wird unser Protagonist von einem gewissen Paul aufgesucht. Paul hatte vor sieben Jahren einmal ein wenig erfolgreiches Buch veröffentlicht und möchte erneut versuchen, ein Buch zu schreiben. Seine Idee: das Leben eines Jedermann zu erzählen. Paul sieht sich in der Tradition von James Joyce, der in seinem Ulysses einen Tag und eine Nacht im Leben eines Jedermann erzählt hat, Leopold Bloom nannte Joyce ihn und ließ ihn als Annoncenakquisiteur arbeiten. Wer könnte heute dieser Jedermann sein?: ein Banker!, so die Überzeugung unseres Literaten Paul. Nun ist Claude natürlich nicht gleich begeistert davon, von morgens bis abends von einem Autor beobachtet zu werden, um anschließend als Hauptperson in einem Roman zu landen, aber nach längeren Überlegungen und Rücksprachen mit seinen KollegInnen ist er bereit, an diesem Experiment teilzunehmen.

Es entwickelt sich eine witzige, durchaus komische Geschichte, deren weiteren Verlauf ich mich hüten werde, hier zu verraten. In diese Rahmenhandlung eingebettet, erzählt Paul Murray von den Geschehnissen in der Bank of Torabundo in der Zeit der Finanzkrise 2007/2008 in Irland. Dabei stehen die einzelnen Mitarbeiter dieses Geldinstituts für durchaus verschiedene Geisteshaltungen im Bankgeschehen. Da haben wir Sir Colin, Chef der BOT, allerdings gerade gefeuert, hat zwar der Bank dazu verholfen, die Finanzkrise unbeschadet zu überstehen, sei aber viel zu vorsichtig, hätte Angst vor toxisch gewordenen Investments und riskanten Derivaten. Neuer Chef: Porter Blankly. Er war zuvor Leiter einer amerikanischen Bank, die den Crash nur durch ein Fünfzig-Milliarden-Rettungspaket überstehen konnte. Ihn jetzt als Boss der BOT zu bestellen, ist so, „ als ob Sie den Kapitän der Titanic aus dem Wasser ziehen und ans Ruder von Ihrem Katamaran stellen würden“(S.51).

Porter meldet sich bei seinen Leuten gerne mit rätselhaften Mails, die dann die Mannschaft in der Bank eifrig entschlüsselt und deren Inhalt dann unhinterfragt befolgt wird, auch und wahrscheinlich gerade, wenn doch bekannt ist, dass jener Herr es liebt mit Hilfe komplexer Finanzinstrumente die Wirklichkeit in einen Glücksspielautomaten zu verwandeln (S.82).- Ish arbeitet in der Abteilung unsres Protagonisten, sie erinnert sich oft an ihre Vorfahren, die keinen Besitz kannten und den Kreislauf des Schenkens hochhielten. Heute droht ihnen, den Bewohnern einer Pazifikinsel, auf Grund des Klimawechsels die reale Gefahr des Untergangs. Sie wagt es Porter Blankly um Hilfe zu bitten. Dieser tobt („Wer glaubt denn diese kleine Schlampe, wer sie ist?“S.409) und findet in Ish´s Kollegen Howie ein passendes Sprachrohr: „Herrgott, Ish, was hast du dir dabei gedacht? Porter zu bitten, eine Horde Höhlenmenschen mitten im Pazifik zu retten. Hattest du deine Tage oder was?“S.409.

Howie steht für den zynischen Banker ohne Skrupel. Er sieht im Klimawandel erst den Anfang der Katastrophe, was bevorstehe sei der komplette Kollaps der Ökosysteme, Ausbreitung von Epidemien, der Zusammenbruch des ganzen Finanzsystems. Nach Meinung von Howie würde es dann hochinteressant: mit dem menschlichen Elend könne man erst richtig Geld verdienen. „Was soll daran falsch sein“(S.414)? Nach Meinung von Howie wird es Zeit, in Katastrophen zu investieren: „Eine große, mächtige Flut wird kommen, und wir haben das Rettungsboot. Eine Arche für die wenigen Auserwählten, auf der sie sich mit einem Martini entspannen und dabei zuschauen können, wie alle anderen absaufen. Das ist genau das, was sie wollen. Schon ihr ganzes Leben lang haben sie genau das gewollt“ S.415. Und welche Position vertritt Claude Martingale? Wie steht er zu den Ansichten von Porter oder Howie? Ist er der `gute Banker´ oder seine Kollegen Kevin oder Jürgen …?

Paul Murray tritt auch aus der Bank hinaus und beschreibt überaus eindrücklich die Verliererseite des Crashs in Irland, besonders in Dublin und anderswo auf der Welt.

Murray hat, wie der aufmerksame Leser auch schon in `Skippy stirbt´ feststellen konnte, hervorragend recherchiert und eine durchaus realistische Darstellung der historischen Situation der Zeit der Finanzkrise in eine mehr als unterhaltsame Story gepackt. Das ist dennoch alles andere als lustig. Andererseits, welchem Autor gelingt es so, eben durchaus humorvoll, über den Zustand unserer Welt zu schreiben? Mir fällt da allenfalls David Mitchell ein.

Mit anderen Worten: Paul Murray hat nach `Skippy stirbt´wiederum ein sehr gutes Buch geschrieben, ich wünsche ihm sehr viele aufmerksame Leser.

 

P.S. Wer, wie in Mitchells `Knochenuhren´ Hinweise auf Musik erwartet, wird bei der Lektüre von `Der gute Banker´enttäuscht werden, es wird nur ein einziges Mal Musik erwähnt. Ariadne erinnert in einem Gespräch mit Claude über Francois Texier an das griechische Wort für `Wahrheit´: „Jeder versucht zu vergessen, was er während des Booms gemacht hat. Stattdessen tut jeder so, als wäre er ein Opfer. Das griechische Wort für Wahrheit ist Aletheia. Lethe, das ist der Fluss des Vergessens, also ist die Wahrheit, Aletheia, das, was du nicht vergisst. Aber hier passiert genau das Gegenteil. Die Wahrheit ist das, woran du dich nicht erinnerst.“ „Liffey oder Lethe“, sage ich (Claude), weil mich das an den alten Streit über den Song von `Radiohead´ erinnert.“

Wir erinnern uns: In dem Song `How to Disappear` sah sich der Sänger der Gruppe den Fluss Liffey (Dublin) hinunterschwimmen …. „I walk through walls // I float down the Liffey // I`m not here // This isn`t happening // I´m not here, I´m not here.

 

Paul Murray: Der gute Banker (Kunstmann Verlag)

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