Auf das Buch Die fünf Sinne („Les cinq sens – Philosophie des corps mêlés“) von Michel Serres greife ich stets gerne zurück. Die deutsche Erstausgabe kaufte ich am Tag der Erscheinung. Sie markiert meinen damaligen Neuzugang zu Sprache, Lektüre und Denken: nicht der Inhalt (die message) ist vorrangig wichtig, sondern der spielerische Umgang mit den Wörtern, Sätzen, Gedanken – die Textur, die sich daraus ergibt. Es war damals auch eine Art Befreiung vom „Botschaftswahn“. In dem Kapitel Heilung in Epidaurus schreibt Serres über die Bedeutung und Macht der Stille. In dem Kapitel Hermes und der Pfau schreibt er über das Sehen. Die mythische Gestalt Panoptes betritt die Bühne:
„Argus, der Mann, der alles sah, hatte, so sagt man, zwei Paar Augen, das eine, wie jedermann, vorne im Gesicht, das andere im Hinterkopf. So gab es keinen toten Winkel. Andere sagen, er habe hundert Paar Augen gehabt, fünfzig vorne und fünfzig hinten, während wieder andere von unzählig vielen Augen sprechen, mit denen seine Haut übersät gewesen sei. Wo am Anfang der Überlieferung noch bloßer Klarblick stand, da wird am Ende einer phantastischen Steigerung der reine Blick, ein Augapfel aus lauter Augen, eine mit Augen tätowierte Haut daraus. (…) Argus sieht immer und überall. (…) Halb schläft er, halb wacht er; der beste aller Wächter im Himmel wie auf Erden hat seinen Beinamen verdient: Panoptes, der Allsehende.“