Jazz im Radio
32er in der Schublade
Pinsel in der Hand
Herz in trauriger Konfusion
Zeichnet er eine Frau
Das Saxophon sagt es besser
Jetzt also eine Frau auf Papier
Jetzt sieht man Farben
Jetzt einen Schatten auf ihrer Hüfte
Er kennt sich aus mit sich
Kennt die Überraschungen
von Geduld und Ärger mit Einsamkeit
Kennt das Stück
Das sein Sender spielt
Wie ihn die Harmonien
Die er nicht draufhat
Auf die bringen, die er kann,
Und die Frau auf dem Blatt
Deren Schönheit nie Luft verdrängen wird
Auch sie gehört hierher
Auch sie hat ihren Platz
Im Keller des riesigen Museums
Nicht dass er damit angeben könnte
Nicht einmal vor sich selbst
Nicht dass er wagen würde
Von einem Pfad der Erkenntnis zu sprechen
Nie wird er entwirren
Oder veredeln
Die Umstände, die ihn an seine Einsamkeit ketten
Oder gebeugt unter der Last von Liebe
Die plötzliche Gnade begreifen
Die den Raum überschwemmt
Und ihn nun auflöst
Im traditionell goldenen Licht
Ich kannte diesen Text nicht, aber auch wenn es ein karges Gedicht flüchtiger Bilder ist, nicht durchkomponiert, rhythmisch fragmentiert, eine Rohfassung, so konnte ich mich ihm nicht entziehen. Es heisst „Tradition“, und Leonard Cohen hat es geschrieben. Wäre es der Originaltext, man könnte den Text lesen – mit seiner Stimme im Ohr! Wie viele Geschichten, Lebensgeschichten, verbinden uns mit diesem Barden? Mit seinen Songs? Vor Jahren traf ich Hakan Nesser, den schwedischen Kriminalromanschreiber, im Bahnhof Unna, zu einem Interview (mein Liebelingsthrller von ihm ist „Eine ganz andere Geschichte“); in Kürze erscheint sein neuer Roman „Die Einsamen“. Irgendwann kamen wir auf Leonard Cohen zu sprechen, und er erzählte mir: „Die erste Platte, die ich mir von Leonard Cohen kaufte, war “Songs from a Room”, und wir spielten es auf einem dieser Grammofone, die man auf einem Fahrrad transportieren konnte, ich erinnere mich nicht an das exakte Jahr, aber als die Platte rauskam, machte ich ich mit meiner damaligen Freundin eine Landtour, ich legte die Platte auf, wir sassen im Gras, hörten “Bird on a Wire” und “Tonight Will be Fine”; “Tonight Will be Fine” war mein absoluter Lieblingssong, und ich kannte jedes Wort, dass Leonard Cohen auf diesem Album sang.”