Sie hatte irgendwo gelesen, dass die Japaner den Wind als Waffe eingesetzt hatten.
Im 2. Weltkrieg hatten sie Hunderte von unbenannten, mit Bomben bestückten Wasserstoffballons, die bis nach Nordamerika geflogen und dort explodiert waren, benutzt. Sie erinnerte sich an Bilder aus dem Alten Testament, wo Gott auf Winden in die Wolken schwebt, um von dort aus sein Volk durch seinen Atem zu bestrafen. Jeden Tag schaute sie zuerst nach der Windlage, wie sie wohl heute mit ihm in Berührung treten würde. Ein Mediziner hatte ihr einmal erklärt, dass der menschliche Körper von einer dünnen Luftschicht umhüllt sei, die zur Isolierung diene, jederzeit aber vom Wind durchdrungen werden könne.
Sie wusste, dass sie auf ihren Wärmeaustausch achten musste. Wenn sie ungeprüft den launischen Winden ausgesetzt war, empfand sie eine leichte Brise als körperliche und geistige Stärkung. Vor den Attacken der unberechenbaren Winde aber fürchtete sie sich. Südwinde verursachten ihr Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit, vom Nordwind bekam sie schutzlos Husten und Halsschmerzen. Auf einem ihrer letzten Rückflüge von Italien nach Deutschland traf sie ein fürchterlicher Wind: der Tramontana.
Sie hatte einmal bei Raymond Chandler gelesen, dass in Nächten, in denen er weht, fügsame Ehefrauen die Schärfe des Tranchiermessers prüfen und den Hals ihres Mannes mustern. Der Tramontana ist so ein giftiger Fallwind. An dem abrupten Übergang der Alpen zur Poebene hin kann er sich in einen unberechenbaren Sturm verwandeln, zu Boden stürzen und in der Ebene eine stehende Luftwelle bilden, ähnlich wie ein Brecher, der bei starker Strömung über eine Sandbank im Meer schäumt.
Sie hatte nicht mit starken Turbulenzen gerechnet. Sie war sofort betäubt. Sie wusste, dass starke Fallwinde immer Schaden verursachen. Sie versuchte, ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihr laienhaftes Wissen über Winde zu richten, um sich zu beruhigen. Sie hoffte, dass der Pilot nicht unvorbereitet von den Luftschichten und den Scherungen des Windes getroffen worden war. Er musste doch jetzt die Maschine in die vorteilhaftesten Windströmungen steuern. War er geschickt genug, um die unterschiedlichen Druckverhältnisse der aufgewirbelten Luft zu umfliegen?
Sie dachte an Saint Exupéry: Wind, Sand und Sterne. Dort hatte er beschrieben, wie Luftschichten in Bodennähe aufgewühlt werden, hochsteigen und extrem tückisch wieder abfallen. Beim wiederholten Male des fast absackenden, zitternden Flugzeugs hatte sie sich aufgegeben. Sie phantasierte, sie sei eine Wellenreiterin, die sich ganz mit dem Wind, so wie es ihm gefiel, treiben ließ.
Will the Wind Ever remember
the names it has blown in the past …
It whispers „No, this will Be the last.“
And the Wind cries Mary …